Reisgiganten, Teil 3 – Sushi Saito

Am dritten Abend meiner einzigartigen Besuchsstrecke von einigen der größten Sushi-Meister Tokios steht eine Reservierung bei Takashi Saito in meinem Kalender. Ich bin überhaupt kein Freund davon, den Namen eines Küchenchefs als Synonym für ein Restaurant zu verwenden (»Wir sind heute Abend bei Rambichler!« käme mir nicht über die Lippen). Aber das Sushi-Handwerk ist so eng mit der Ausführung des Küchenchefs verknüpft, dass dieser unersetzbar ist. Daher sind die »Filialen«, die selbst große Sushi-Meister wie Saito eröffnet haben, ein zweischneidiges Schwert.

Zu Sushi Saito gibt es bereits einen Bericht in diesem Blog. Ich habe das legendäre Restaurant bereits vor acht Jahren besucht, als es noch drei Sterne im Guide Michelin hatte. Inzwischen gehört es zur Elite der absichtlich unbesternten »Nur-noch-für-Mitglieder-Restaurants«, bei denen man Stammgast sein muss, um eine Reservierung zu bekommen. (Dann ist es aber ganz einfach.)

Mein damaliger Bericht über Sushi Saito ist für mich einer der wichtigsten Texte dieses Blogs, weil er eine Zäsur meiner kulinarischen Passion dokumentiert. Es gibt für mich eine Zeit vor Saito und eine Zeit danach. Ich werde daher auch nicht versuchen, hier etwas ähnliches zu verfassen. Wer den Text nicht gelesen hat, sollte dies daher nachholen.

Sushi Saito ist einer der ganz wenigen Restaurantnamen, die ich immer reflexartig nennen würde, fragte man mich nach meinen prägendsten Restauranterlebnissen. (Das fragt allerdings fast keiner – ganz im Gegensatz zur Frage nach den besten Essen, die mit einem Blick auf meine Höchstwertungen einfacher zu beantworten ist.) Weitere Namen, die dieser Reflex hervorbringt, sind Chef’s Table at Brooklyn Fare (als César Ramirez dort noch kochte), Le Louis XV Alain Ducasse und L’Ambroisie. Danach muss ich anfangen, nachzudenken.

Ich bin heute Abend daher mit mir uneins, ob ich mich auf den heutigen Besuch freuen oder mich vor diesem fürchten soll. Denn meine Erwartungen sind immens.

Immerhin beginnt der Abend entspannter als damals, da ich heute mit Freunden hier bin, die sich in Tokio besser auskennen als ich. Damals suchte ich das Restaurant in dem großen Geschäftsgebäude fast panisch, nachdem mich das Taxi an einem ungünstigen Ort abgesetzt hatte. Wenn man die Örtlichkeiten kennt, ist alles ganz einfach.

Den Eingangsbereich mit der kleinen Bodenleuchte und den vertikalen Holzstreben in der Schiebetür erkenne ich sofort wieder. Auch das Interieur löst einen wohligen Schauder in mir aus: Ich bin tatsächlich wieder hier.

Saitos Restaurant wirkt selbst für ein Spitzen-Sushi-Restaurant besonders edel. Hochwertiges Holz, warmes Licht und viele rechte Winkel strahlen ein hohes Maß an Ordnung und Eleganz aus. Ich bin zur zweiten Schicht hier, aber alles sieht so aus, als sei es noch nie benutzt worden.

Saito hat auch eine hochwertige Weinkarte. Wer will und kann, trink hier Weine von DRC oder der Domaine d’Auvenay im umgerechnet fünfstelligen Euro-Bereich. Ich staple mit einen 2020er Chassagne-Montrachet von der Domaine Paul Pillot für 32 000 ¥ (ca. 200 €) erst einmal tiefer.

Saito empfiehlt zum ersten Appetizer, den er gerade vorbereitet hat, trotz allem einen Sake und serviert den gleich mit. Es gibt Kazunoko (Heringsrogen), wie gestern bei Sugita. Hier jedoch ist die fischige Delikatesse zusätzlich mit Katsuoboshi kombiniert, was die Salinität des Rogens noch weiter in den Vordergrund rückt. Gleichzeitigt sorgen die Flocken am Gaumen für etwas Abwechslung zu den knackigen, aufplatzenden Fischeiern. Das schmeckt unverblümt maritim, nach unbequemen Tiefen und dem Verschlucken von Meerwasser. (8,5/10)

Währenddessen bereitet der gut gelaunte Saito den Oktopus zu. Saito gönnt sich dabei hin und wieder auch ein Gläschen Wein, das ihm von Gästen, auch von uns, angeboten wird. An seiner Konzentration ändert das nichts. Der Oktopus mariniert in einer dunkelbraunen Sauce mit braunem Zucker, von der Saito auch eine kleine Kelle mit auf den Teller gibt, zusammen mit einer Nocke frisch geriebenem Wasabi. Der Oktopus stammt vom Sajima-Hafen südlich von Yokohama, laut Saito eine der renommiertesten Quellen für diese Zutat. Ich erfahre ebenfalls, etwas Bruchstückhaft, dass es zehn Jahre (!) Übung bedarf, um den Oktopus so zuzubereiten. Das Verfahren beinhaltet unter anderem eine Schockfrostung bei -60 Grad und eine grundsätzlich vorsichtige Handhabung, um die »Gelatine im Tier zu behalten«. Es ist dieses übererfüllende Maß an Perfektion, das uns im Westen kaum bekannt ist.

Der Oktopus glänzt in der Sauce und sieht wegen seiner makellosen Form fast künstlich aus; die Saugnäpfe erinnern an Lego-Steine. Am Gaumen ergibt sich der Eindruck einer perfekten Konsistenz, bissfest, aber weder gummiartig noch nachgebend, sondern federnd, aber dennoch zart. Der hellgrüne Wasabi bietet mit seiner Schärfe nicht nur optische Kontraste. Das lauwarme Gericht entgeht nur knapp meiner persönlichen Höchstnote, weil mir die Marinade eine Nuance zu süß ist finde und ich die puristischeren Versionen, wie gestern bei Harutaka – oder sogar vor acht Jahren hier am selben Tresen –, bevorzuge. (9/10)

Der zweite Teller, den Saito zubereitet, kommt mit Maguro, jungem Thunfisch. Saito hat hierfür vergleichsweise dicke Tranchen zurechtgeschnitten und zieht diese kurz durch eine kühle Marinade mit Schnittlauch. Das Erlebnis am Gaumen ist reines Umami – im erweiterten Sinn eines Gefühls von perfektem Wohlgeschmack. Der leicht buttrige Schmelz des Fischs – dennoch mit präsentem Biss –, das tiefe Aroma der Marinade, die kühle Frische, das grasige Schnittlauch, selbst die Art, wie der Fisch gefaltet ist und durch diese Schichtung am Gaumen eine subtile Spannung erzeugt: All das fügt sich zu einem perfekten Zusammenspiel aus Textur, Temperatur und Geschmack. Saito hat hier erneut mit minimalen Mitteln eine maximale Wirkung erzielt. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie japanische Küche nicht durch Opulenz, sondern durch Präzision und Balance besticht. (10/10)

Shirako (Fischmilch), hier vom Kabeljau, zieht beim nächsten Gang in einer aromatisch komplexen, heißen Brühe mit viel Schnittlauch; etwas geriebener Daikon dient der Abkühlung. Wundervoll ist hier der Einsatz von Säure, der vermutlich von einer Zitrusfrucht in der Brühe herrührt – genau ausmachen kann ich das nicht. Der Shirako ist cremig, weich und nahezu schmelzend, trotz aller noch wahrnehmbaren Struktur. Die heiße Brühe verstärkt sein mildes, umami-reiches Aroma, während die dezente Säure aus dem Sud eine belebende Frische einbringt. Der Daikon sorgt dabei für einen subtilen, erdigen Kontrast. Das ist perfekt ausbalanciert, wenngleich mein Herz etwas mehr für die noch etwas »geschärftere« Version gestern von Sugita schlägt. Auf solche Art von Vergleichsmöglichkeiten habe ich bei diesem Sushi-Marathon gehofft. (9/10)

Ankimo (Seeteufelleber) mit Wasabi folgt. Die delikate Zutat mit einer festen, aber doch cremig-buttrigen Textur ist in einer leichten, mit einer Zitrusfrucht aromatisierten Sojasauce angerichtet und mit frischem Wasabi getoppt. Die reichhaltige Leber ist vergleichbar mit Foie Gras, aber etwas feiner und maritimer. Das ist ein hervorragendes Produkt, exzellent in Szene gesetzt. (8,5/10)

Der Gang mit gegrilltem Fisch, der oft das Ende der Otsumami (Vorspeisen) darstellt, kommt in Form von Nodoguro (Schwarzem Seehecht), begleitet von Pflaume und Rettich. Der heiße, buttrige Fisch mit tiefer Umami-Note wird hier elegant durch die fruchtige Säure von Pflaume und der Frische des Daikon kontrastiert. Das ist herausragend, vor allem auch wegen des phänomenalen Fischs. (8,9/10)

Und dann – tatsächlich schon etwas vorher – beginnt Saito-san mit der Präparation des Fischs für den Nigiri-Gang. Ich bestelle noch rasch eine Flasche 2022er Kongsgaard Chardonnay aus dem Napa Valley (ca. 335 €); der fette Wein dürfte gut zum Sushi passen.

Eine Eigenart von Saito ist, dass er den Fisch bereits »vorschneidet« und die Stücke alle auf seinem Holztablett ruhen lässt. Viele andere Sushi-Meister gehen hier sukzessive vor. Für diese Besonderheit wurde Saito in Insiderkreisen bereits kritisiert, Andere wiederum betonen Saitos unnachahmliches Gespür für Temperaturen und Timing. Einen weiteren Vorteil hat das Zurechtschneiden: es ist wunderhübsch anzusehen.

Endlich dann – endlich – kann ich Saito wieder beim Zubereiten eines Nigiris zusehen. Er ist vollkommen konzentriert, seine Handbewegungen sind so präzise und fließend wie die eines Geigenspielers. Hunderttausende Nigiris hat er bereits geformt, jede Bewegung sitzt, als wäre sie in sein Muskelgedächtnis eingeschrieben. Vielleicht ist es genau das: die Tatsache, dass allein der Tastsinn erforderlich ist, um ein Nigiri zu formen, die Sushi-Meister wie Saito während dieses Vorgangs so in sich kehren lässt. Sehen, hören, riechen, schmecken – all das tritt in den Hintergrund, während sich ihre ganze Energie auf das Tasten konzentriert.

Das erste Stück Nigiri ist mit Hirame (Flunder). Es sieht perfekt aus: perfekt in Form und Größe, perfekt im Zuschnitt, perfekt in den Farben – Schattierungen von Weiß. Der Reis ist etwas kompakter als der von Sugita, und deutlich säurebetonter. Ich mag die Säure, weil sie den meist gehaltvollen Fischen etwas Spannendes entgegensetzt.

Dann folgt Buri, ältere Stachelmakrele. Wenn es irgendeine Kombination von Zutaten gibt, die jeden einzelnen Rezeptor für vollendeten Wohlgeschmack aktiviert, dann ist es dieses Stück Sushi. Dabei sind es nicht nur der buttrige Schmelz und die körperwarme Temperatur, sondern vor allem die Proportionen, die bei Saito selbst das perfekteste Stück noch perfekter machen. Die Dicke des Fischs, dessen Länge und Breite und das Verhältnis zum Reis – nirgends habe ich diese Balance so vollkommen erlebt wie hier.

Und so geht es weiter. Überirdisch, in höchstem Maße ästhetisch und auf einem Niveau schwebend, das eine Klasse für sich darstellt. Worte habe ich dafür kaum noch.

Kohada (Heringsart). Perfekte Säure, perfekte Proportionen.

Akami (magerer Thunfisch). Hier spielt Saito mit Kontrasten: wärmerer und zurückhaltend gesäuerter Reis trifft auf kühleren Fisch (trotz der Lagerung auf dem Brett).

Chūtoro (mittelfetter Thunfisch). Das Stück ist leicht eingeritzt, um die Süße und das Fett hervorzuheben. Surreal.

Ōtoro (fetter Thunfisch). Handwarm, schmelzend, jedes Reiskorn ist wahrnehmbar. Wunderschön.

Ika (Tintenfisch). Ein weiteres Meisterwerk in Bezug auf Texturen, Temperaturen und Proportionen. Mit feiner Zitrusnote von Sudachi.

Kuruma ebi (Kuruma-Garnele). Warm, nussig, mit milder Süße.

Sayori (Japanischer Halbschnäbler). Optisch eindrucksvoll und am Gaumen von einer subtilen, fast ätherischen Klarheit.

Saba (Makrele) und Algenblatt. Rauchig, intensiv, buttrig, säurebetont. Wahnsinn.

Murasaki uni (Seeigel). Cremig, maritim, umami, kühl, grandios.

Eine Miso-Suppe und etwas grüner Tee leiten das nahende Ende ein.

Es gibt noch Anago (Salzwasseraal) – klassisch süßlich, hervorragend.

Das Ende des Menüs besteht aus einem kühlen Omelette (Tamago) – dicht, weich und dezent nach Sesam schmeckend – und einer süßen Futomaki-Sushi-Rolle mit getrocknetem Kürbis (Kanpyō) – hinreißend gut.

(Sushi-Gang im Schnitt: 10/10)

Im Taxi verschwimmen die Lichter der Stadt hinter der Scheibe. Ich muss ein paar Tränen vergießen. What does this mean? What do I have left to say? What do I do now?

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Sushi Saito
Chef de Cuisine: Takashi Saito
Ort: Tokio, Japan
Datum dieses Besuchs: 20.01.2025
Meine Bewertung dieses Essens 10
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