Makimura – exklusive Herzlichkeit

Meine Mühen, eine Reservierung im Restaurant Makimura in Tokio zu bekommen, waren bisher bei jeder Reise nach Japan vergebens. Dieses Mal klappte es. Ein entschlossener Kommunikationsaustausch mit einem guten Concierge-Team öffnete mir dieses Mal die Türen.

Das familiengeführte Restaurant war fast zehn Jahre lang mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und ist eines der am schwierigsten zu reservierenden in Tokio. Wohl aus genau diesem Grund strich der Guide Michelin das Restaurant auch aus seiner aktuellen Ausgabe. Es ist zwar grenzenlose Ironie, dass eines der letzten Drei-Sterne-Restaurants, die ich noch nicht besucht habe, ausgerechnet dann alle Sterne verliert, als ich endlich die Reservierung in der Tasche habe. Aber Sterne hin, Sterne her – natürlich besuche ich das Restaurant dennoch.

Makimura serviert »japanische Küche«, was in der Regel bedeutet, dass einen ein saisonales, abwechslungsreiches Omakase-Menü erwartet, das nicht in speziellere Kategorien wie etwa Sushi, Tempura, Teppanyaki, Yakitori usw. fällt.

Die Fahrt in den Stadtteil Shinagawa im Süden Tokios dauert von meinem Hotel aus eine gute halbe Stunde. An einer ruhigen Straßenecke steige ich aus und vertrete mir noch etwas die Beine. Ich bin nervöse zwanzig Minuten zu früh.

Das Haus in der ruhigen Wohnstraße ist markant. Mit einer weiß verputzten Fassade mit abgerundeten Mauern und kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern könnte das Haus auch aus einem Film von David Lynch stammen. Es fehlt eigentlich nur eine unbequeme akustische Untermalung mit einem düsteren Brummton.

Als ich eintrete, ist jede Assoziation an Düsteres verschwunden. Frau Makimura, so schließe ich zumindest, begrüßt mich herzlich lächelnd im Eingangsbereich und führt mich zum Tresen mit nur sechs Sitzplätzen. (Es gibt noch einen separaten Speiseraum für acht Gäste.) Ihre Freundlichkeit ist rührend: Auf einem kleinen Zettel hat sie handschriftlich in deutscher Sprache die Frage notiert, ob sich Wertsachen in meiner Jacke befänden, was ich dankend verneine. Man ist offenbar gut auf den fremden Gast vorbereitet.

Die deutschsprachigen Notizzettel setzen sich zu meiner großen Erheiterung fort. Auf dem nächsten steht »Pflaumwein«, der dazu auch prompt folgt. Ich frage auch nach Wein, das Angebot ist mit zwei offenen Weinen und einigen Flaschen aber recht überschaubar. Ich wähle den offenen Weißen von Henri Boillot aus dem Burgund, mehr konnte ich so schnell nicht notieren.

Die erste Speise kommt in einem kleinen Gefäß mit Deckel, aus dem beim Öffnen heißer Dampf entweicht. Darin ziehen Yuba (Milchhaut) und Shirako (Fischmilch) in einer dunklen, klaren Brühe und verströmen einen unaufdringlichen, aber komplexen Duft: cremig, nussig, leicht jodig und von der Brühe getragen. So sonderbar die Zutaten auch sind, begeistern sie mit einem feinen Spiel zwischen der zarten Elastizität von Yuba und der schmelzenden Opulenz des Shirako. Das ist pure Eleganz. (8/10)

Der nächste Gang ist dann optisch eine kleine Sensation: ein Arrangement von sagenhaften vierzehn (!) kunstvoll zubereiteten Häppchen, genannt Zensai. Da ist frittierter Tintenfisch – heiß, al dente und knusprig –, eine Auster in Nori-Blatt – kühl und salin –, Kazunoko (Heringsrogen) – knackig, maritim und von konzentriertem Umami durchzogen. Ein Törtchen mit Foie Gras bringt seidige, kühle Opulenz, während ein kleines Reisbällchen mit Sayori (Japanischer Halbschnäbler) für subtile Eleganz sorgt, aber längst nicht mit dem eindrucksvollen Handwerk des entsprechenden Nigiris im Harutaka neulich vergleichbar ist (und vermutlich auch nicht sein soll).

Dazu gesellen sich eine getrocknete Feige mit sanfter Süße, ein tiefschwarzes Ei mit rätselhafter Bitterkeit (von welchem Tier es stammt, falls überhaupt, weiß ich nicht), Castella – ein luftig-süßer japanischer Kuchen –, eine rauchige Saubohne mit feiner Herbheit und ein Stück gehaltvollen Lachses auf Reis. Kamaboko – ein traditioneller Fischkuchen –, süße Ume, erfrischend säuerliche Rübe und ein überraschend intensiver Käsekuchen komplettieren dieses meisterhaft zusammengestellte Tableau.

Die Vielfalt und die Hingabe, mit der jede dieser Kleinigkeiten zubereitet wurde, sind beeindruckend – und eine kleine Reise durch das kulinarische Spektrum Japans. Aber eines fällt auf: die nahezu durchgehend kühle Temperatur der meisten Speisen. Offensichtlich wurden die akribisch vorbereiteten Speisen gekühlt aufbewahrt. Das ist verständlich, doch fehlt einigen Bissen dadurch eine lebendige Frische oder ein Kontrast, der bestimmte Aromen erst richtig zur Geltung bringen würde. Die eindrucksvolle Vielfalt federt dieses Defizit aber weitestgehend ab. (7,9/10)

Die Atmosphäre im (ausgebuchten) Restaurant ist ruhig – und geprägt von der familiären Gastfreundschaft von Herrn und Frau Makimura. Der Küchenchef lässt sich auch hin und wieder blicken, wirkt aber größtenteils in der Küche mit Marineblau gefärbten Wänden – fast eine mediterrane Atmosphäre.

Der nächste Gang wird in einem kostbaren, rot lackierten Schüsselchen präsentiert. Wichtig dabei: Man muss den Deckel stets mit dem Griff nach unten aufs Tablett legen, um die oft dort vorzufindende Handbemalung zum Vorschein zu bringen. (Gefäße dieser Art sind äußerst wertvoll und kosten nicht selten umgerechnet hohe dreistellige Euro-Beträge – mindestens.) In dem Schälchen zieht eine pflaumengroße Portion Klebereis in einem rauchigen Dashi; eine dicke Tranche Karasumi (Meeräscherogen) thront obenauf. Der Rogen ist intensiv und salzig, fast pikant, mit einer leicht öligen Fülle, die sich am Gaumen langsam entfaltet. Der konzentrierte Meeresgeschmack trifft dann auf die Hitze des Dashi und verschmilzt mit der milden Süße des weichen Reises. Etwas Daidai, eine Zitrusfrucht, fügt eine weitere, frische Dimension hinzu. Das schlichte Gerichte ist voller Kraft und Eleganz. (8,5/10)

Es folgt ein Sashimi von Fugu (Kugelfisch), eine für meinen Gaumen weitestgehend entbehrliche Delikatesse. Gerade roh hat der Fisch so gut wie kein Aroma und eine feste, zähe Textur. Hier wird er mit etwas Schnittlauch, Radieschen und einer hervorragenden Ponzu-Sauce serviert, von der ich so viel wie möglich mit jedem Stück des Fischs aufnehme. Die Sauce bringt Säure, Umami-Tiefe und zitrusfrische Aromen in die ansonsten eher fade Angelegenheit. (6,5/10)

Bildhübsch auf handbemaltem Geschirr ist dann ein Sashimi vom Thunfisch (Maguro) präsentiert. Zu drei dicken Scheiben des gekühlten Fischs gibt es frischen Wasabi, eine sehr konzentrierte, marmeladenartige Algenzubereitung, die an Tee erinnert, ein Stück Yams – glitschig und knackig – sowie eine leichte Sojasauce. Hier ist alles zum ersten Mal qualitativ auf die Spitze getrieben: der gehaltvolle Thunfisch, dessen Temperatur und Dicke, die spannungsvollen Beilagen. Sashimi auf Weltklasseniveau. (9/10)

Es geht minimalistisch weiter. Ein Tempura von der Kuruma-Garnele – erst der Körper, dann der Kopf – mit etwas Meersalz ist knusprig und qualitativ einwandfrei, fällt jedoch im Vergleich zu den frittierten Delikatessen jedes auf Tempura spezialisierten Restaurants weit zurück. Tatsächlich eher mäßig. (6,5/10)

Und immer wenn man froh ist, Kugelfisch überlebt zu haben, kommt noch einer um die Ecke. Dieses mal gibt es dessen Fischmilch (Shirako) und ein gegartes Stück des Fischs am Knochen zu etwas gedünstetem Kohl und einer Ponzu-Sauce. In Abwechslung mit dem – nun zarten, weil gegarten – Fisch am Knochen und dem lebhaft frischen Gemüse entsteht ein reizvolles Spiel aus Temperaturen und Texturen. Die seidige Cremigkeit der Fischmilch, das saftige, sich sanft lösende Fleisch und der knackig-frische Biss des Kohls – alles zusammengehalten von der belebenden Säure der Ponzu-Sauce – fügen sich zu einem überraschend harmonischen wie abwechslungsreichen Gericht zusammen. Hervorragend. (8/10)

Dem nächsten Schälchen eilt ein gehaltvoller, pfeffriger Duft voraus. In einer heißen Brühe gart sehr gehaltvolles, faseriges Rindfleisch, flach geschnitten – eine Zubereitungsart, die sich Shabu shabu nennt. Einige Scheiben weißer Zwiebel ergänzen das Ganze. Das Gericht lebt durch ein intensives Aroma von schwarzem Pfeffer, der augenscheinlich nur sparsam dosiert ist, aber ein blumiges, öliges Aroma versprüht. Die heiße Brühe durchzieht das zarte Fleisch auf diese Weise mit einer tiefen Würze. Hitze, Öle, Fett, Frische und ätherische Aromen verschmelzen zu einem mehr als hervorragenden Fleischeintopf. (8,5/10)

Es geht weiter mit einem Gericht von fremdartiger und doch ästhetischer Anmutung. Ein brauner, viskoser Saucenklecks bedeckt in einem kleinen, tiefen Schälchen zwei jeweils halbierte, quaderförmige, bräunlich-weiße Zutaten. Die eine, die wie eine frittierte, aufgeschnittene Jakobsmuschel aussieht, entpuppt sich als Ebi imo, eine im Rohzustand wie eine Garnele gestreifte Kartoffelart; die andere Zutat ist Namafu, eine Art Kuchen aus Weizengluten und Klebereis, zu dem auch traditionell Misosauce serviert wird. Man hat hier also zwei besonders stärkehaltige Zutaten von unterschiedlich weicher Konsistenz mit jeweils leichter Süße, die von der sehr salzigen, umamitiefen Sauce kontrastiert werden. Dass die frittierte Kartoffel extrem heiß ist, erwarte ich nicht und verbrenne mir fast den Gaumen. Nach und nach taste ich mich vor – und wenngleich das kein Gericht ist, das ich nachbestellen müsste, ist es wegen der Ausführung und der spannungsvollen Kontraste auch nicht weniger als hervorragend. (8/10)

Dann folgt, für mich in dieser Art des Menüs unerwartet, eine Sushi-Handrolle mit Reis und Uni (Seeigel). Zu einem Foto komme ich nicht, da ich auf ein Servieren direkt in meine Hand nicht vorbereitet bin. Das ist herausragend gut, mit cremig-jodigem, kühlem Seeigel, handwarmem Reis und besonders aromatischem Noriblatt – auch hier gibt es enorme Qualitätsunterschiede. (9/10)

Eine weitere Handrolle folgt mit mittelfettem Thunfisch (Chūtoro), Wasabi, Sojasauce und Reis. Der betörende Schmelz der Thunfischs, der Kick vom Wasabi, das Meeres-Umami des Algenblatts: Das ist erneut ganz klassisches Sushi-Handwerk auf Weltklasseniveau. (9/10)

Dann präsentiert Frau Makimura die nächste Speise: Es ist eine Schüssel Reis. Mit authentischer Freude und einer Prise Stolz öffnet sie den Deckel und bringt den Reis zum Vorschein, der so glänzt wie eine Schüssel mit Diamanten. Ein warmes, weiches, fast pudriges Aroma steigt auf, das an Parfums mit weißem Moschus erinnert.

Doch beim Reis allein bleibt es nicht. Ein Sashimi von der Dorade, serviert in einer kühlen, nussigen Sesamsauce und mit einer Nocke Wasabi, bietet umamitiefe, frische Kontraste. Es gibt noch weitere Mitspieler: weißer, mildscharfer Rettich, knackig frische, kühle Gurke, salzig-maritimes Noriblatt und pikanter Ingwer. Sie alle wirken wir Satelliten, die um den Reis kreisen und diesen mit ihren jeweiligen Texturen und Aromen zu einem komplexen, harmonischen Ganzen komplettieren. Mehr als hervorragend. (8,5/10)

Ein erstes Dessert kühlt meinen Gaumen dann etwas ab. Es gibt einen Honigpudding mit einem Gelee von einer mandarinenartigen Zitrusfrucht. Das ist schlicht, dabei aber perfekt zwischen Süße und Säure ausbalanciert (7/10).

Zwei phänomenale Erdbeeren, die so intensiv schmecken, als hätte man sie aus einer Fabelwelt gepflückt, schließen das Mahl dann ab (8/10).

Zusammen mit zwei Gläsern Wein stehen am Ende 42 108 ¥ auf der Rechnung (ca. 260 €), ein angemessener und im Vergleich zu vielen anderen Spitzenrestaurants Japans überschaubarer Betrag.

Die Exklusivität des Restaurants erschließt sich mir nicht allein durch dieses Menü. Es dürfte genügend Orte in Tokio geben, wo man japanische Menüs auf ähnlich hervorragendem Niveau genießen kann. Doch Japans Küche lebt von Saisonalität und Handwerk – weniger durch Kreativität –, daher ist es immer auch entscheidend, welche Zutaten gerade erhältlich sind. Die größte Spezialität des Hauses konnte ich heute Abend ohnehin genießen: die leidenschaftliche und herzliche Gastfreundschaft des Inhaberpaars.

Mein Taxi mit der Nr. 9686 kommt in fünf Minuten – so hat man es mir auf einen Zettel geschrieben.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Makimura
Chef de Cuisine: Akio Makimura
Ort: Tokio, Japan
Datum dieses Besuchs: 21.01.2025
Meine Bewertung dieses Essens: 8 (Was bedeutet das?)
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