Tourniert: von Yountville bis Shanghai
Reisen in die Ferne sind zwar gebucht, dennoch verschafft sich mein Fernweh in diesen Tagen etwas Raum. Zeit also, über einige Restaurantbesuche der vergangenen zwölf Monate zu berichten, die in meiner Berichterstattung (ganz zu Unrecht) bisher untergegangen sind. Es geht vom idyllischen Yountville in Kalifornien über das ähnlich sonnengesegnete Menton an der Côte d’Azur bis zur chinesischen Metropole Shanghai und wieder zurück nach Hamburg.
Inhalt:
→ Bouchon, Yountville
→ Mirazur, Menton
→ Canton 8, Shanghai
→ Louis by Thomas Martin, Hamburg
Bouchon, Yountville
An diesem heißen Julitag fahre ich von Los Gatos, wo ich am Abend zuvor ein großartiges Essen im Manresa genoss, in Richtung Norden nach Yountville und befriedige damit meine unterschwellig fast stets präsente Sehnsucht nach diesem paradiesischen kleinen Ort im Napa Valley.
Thomas Keller hat hier mit seiner French Laundry, der Bouchon Bakery und dem Bouchon (Bistro) ein kleines Schlaraffenland geschaffen, das man den Rest seines Lebens eigentlich nicht mehr verlassen müsste, um kugelrund und glücklich zu werden.
Morgens ein éclair au chocolat zu gutem Kaffee, mittags ein paar leichte crudités mit etwas Rillettes und Baguette, abends feinste Küche in der French Laundry ‒ oder doch wieder rüber ins Bouchon zu Steak Frites oder einem riesigen Teller Miesmuscheln. Dazu die fantastischen Weine aus der Region, es gäbe Schlimmeres.
Vor meiner Reservierung im Bouchon kehre ich noch kurz auf ein einstimmendes Glas Chardonnay im Bardessono Hotel gegenüber ein. Dieses Mal bleibe ich leider nicht. Aber das Gefühl, wieder hier zu sein, erfüllt mich mit Freude.
Wenig später im Bouchon sage ich zu vielen Dingen ja. Ja zum schattigen Plätzchen auf der kleinen Terrasse. Ja zum frisch gebackenen Baguette mit guter Butter. Ja zu einem süffigen Teller Ricotta-Parmesan-Gnocchi mit australischen schwarzen Trüffeln und einer schaumigen Sahnesauce (halbe Portion ca. € 24). (7,5/10)
Gleichzeitig ‒ so hatte ich das bestellt ‒ steht schon ein kleiner Salat mit sonnenverwöhnter Fleischtomate und grünen Bohnen (ca. € 11) auf dem Tisch, der mit Nizzaoliven, Paprika, Fenchel, Anchovis und einer Basilikumvinaigrette perfektioniert ist. Leuchtende Farben, frischer Geschmack, wunderbare Zutaten. (7/10)
Zum Hauptgang gibt’s den Bistro-Klassiker Steak Frites (ca. € 32), bestehend aus einem in der Pfanne krossgebratenen Stück Rinderfilet, hausgemachten Pommes Frites und einer makellosen Sauce Béarnaise. Einfach gut! (6,9/10)
Gesättigt ‒ und in einem emotionalen Konflikt zwischen Wohlbefinden und Wehmut ‒ verlasse ich das Bouchon, Yountville und das Napa Valley. Ich komme zurück, daran gibt es keinen Zweifel.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Bouchon (→ Website) |
Chef de Cuisine: | David Hodson |
Ort: | Yountville, USA |
Datum dieses Besuchs: | 27.07.2017 |
Guide Michelin (SFO 2018): | * |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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Mirazur, Menton
Der Blick hinab auf die etwas verwachsene Bahntrasse, auf das azurblaue Mittelmeer im Hintergrund und, weiter rechts, auf die malerische Bucht von Menton, wo einst Henri Matisse lebte, ist einzigartig.
Es ist aber auch ein bröckelnder Charme. Der Baustandard in dieser Region ist nicht besonders hoch, und manche Ecken wirken verlassen und verwildert, was bei all dem Reichtum hier erstaunlich ist. Auch das Mirazur ist in diesem Sinn kein Palast, passt damit aber genau in diese Region.
Der Argentinier Mauro Colagreco hat sich mit seiner kreativen mediterranen Küche international einen Namen gemacht, die Gäste kommen aus der ganzen Welt. Ich schrieb bereits mehrfach über das Mirazur. Ein Besuch im Oktober bestätigt meine Eindrücke dieser exzellenten Küche.
Das neungängie menu signature (€ 210) ist sogar das beste, das ich bisher hier gegessen habe. Nach diversen hervorragenden Fingersnacks setzt eine ausgelöste Gillardeau-Auster in einer Schalottencreme mit verschiedenen Zubereitungen von Williams-Birne ein Ausrufezeichen hinter Frische, Qualität und Wohlgeschmack. (9/10)
Fleisch vom Taschenkrebs begeistert im Anschluss mit einer leicht süßlichen Mandelcreme und saftiger Grapefruit als genialer Kontrapunkt. (8,5/10)
Rote Bete aus dem eigenen Garten wurde für das nächste Gericht in einer Salzkruste gegart. Die saftigen Scheiben mit intensivem Geschmack werden mit einer Sahnecreme mit Ossietra-Kaviar serviert. Ein schlichtes Meisterwerk. (10/10)
Ein süßlich-breiiger Gang bestehend aus Maiscreme, weißem Trüffel und Eigelb fällt dagegen deutlich aus dem Rahmen. (6,9/10)
Ganz grandios ist dann wieder ein auf Schweinebrühe basierender Sud, der ein bisschen an ein Dashi erinnert, in dem sehr aromatische dicke weiße Bohnen und Tintenfischstücke schwimmen. Herzhaft und elegant, leichtfüßig und doch angenehm sättigend. (9/10)
Petersfisch in einem schaumigen Muschelsud wäre ein weiteres grandioses Gericht, ist aber leider deutlich übergart (7/10); Lamm aus der Region (Sisteron) wird mit einem Stück Aubergine serviert, das durch eine Sauce mit rotem Miso intensiv salzig-röstig schmeckt und hervorragend zum recht intensiv schmeckenden Fleisch passt, das allerdings einen Hauch zarter sein könnte (7,5/10).
Desserts sind hier besonders gut, wenn sie die prachtvollen Zitrusfrüchte thematisieren, die hier wachsen, wie z. B. Kaki mit Armagnac-Creme (9/10) oder Grapefruit mit Zitrusfruchteis und einem Schaum von weißer Schokolade (8/10).
Das Essen war traumhaft. Draußen ist es jetzt etwas bewölkt, aber das Mittelmeer leuchtet. Die salzige Luft ist mild und parfümiert. Es ist schon ein bezauberndes Fleckchen hier.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Mirazur (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Mauro Colagreco |
Ort: | Mirazur, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 02.10.2017 |
Guide Michelin (F 2018): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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Canton 8, Shanghai
Das unter einheimischen sehr populäre Restaurant Canton 8 füllt sich sehr schnell, daher bin ich bereits um 11 Uhr hier, um lange Wartezeiten zu vermeiden. Das Restaurant erlangte internationale Aufmerksamkeit als günstiges Zwei-Sterne-Restaurant der Welt.
Tatsächlich kann man hier à la carte für ein kurzes Lunch nahezu beliebig wenig Geld ausgeben. Ein paar Dim Sum, die hier duftend durch den Raum getragen werden, kosten nur wenige Euro.
Ich probiere hier das Tasting Menu A, das mit ca. € 40 für acht Speisen auch nicht gerade nach Wucher klingt.
Eine für kantonesische Küche typische Trilogie gibt es zum Start, die vor allem durch sehr gutes Handwerk und makellose Zutaten auffällt. Ein kleiner Salat mit geschlagener Gurke und Qualle ist besonders frisch und exzellent gewürzt, ein Stück Schweinefleisch zart und mit einer „blumig“-herzhaften Sauce lackiert, und ein luftig frittierte, knusprige Rolle mit Bohnenpaste schmeckt ebenfalls sehr gut. (7/10)
Heiß und feurig geht es mit einer gewürzten Meerestiersuppe weiter, in der sich allerlei von mir nicht identifizierbare Zutaten aalen. Die Suppe schmeckt intensiv nach Röstaromen und Fermentation gepaart mit fruchtig-pikanten Aromen. Sehr gut und sehr sättigend. Den Schweißperlen auf meiner Stirn wirke ich mit einem Schluck kühlen Biers entgegen. (7/10)
Das eindeutig beste Gericht des Menüs folgt danach mit gedämpftem Zackenbarsch. Zwei saftige, zarte Filetstücke von exzellenter Qualität sind auf leichten Glasnudeln angerichtet und ergeben mit feinen Abschnitten von Frühlingszwiebel, etwas Sojasauce und Ingwer eine sehr elegante Komposition. (7,9/10)
Es geht weiter mit Hummer, der wie nach „Thermidor“-Art zubereitet aussieht, hier aber mit einer leichten Käsesauce überbacken ist. Sehr gute Qualität, saftig zart und wohlschmeckend. (7/10)
Ein Gericht mit Rindfleisch in Austernsauce mit Dünstgemüsen ist dann sehr weit weg von einer Zwei-Sterne-Küche, aber dennoch frisch und ordentlich zubereitet. (6,5/10)
Als „Hummer-Reis mit Hummer-Suppe“ bezeichnet die Speisekarte den nächsten Gang, der siedend heiß serviert wird. Ich muss lange warten, bis sich die Suppe auf zweistellige Gradzahlen abgekühlt hat, entdecke dann aber nur eine neutral schmeckende, trübe Flüssigkeit mit zu Tode gegartem Hummerfleisch. (6/10)
Das Dessert besteht aus einer sehr gut schmeckenden, kühlenden Mandelcreme (7/10) und einem traditionellen Brauner-Zucker-Kuchen (6,9/10).
Mit einer äußerst umfangreichen Speisekarte, einwandfreier Qualität, niedrigen Preisen und einem lockeren Ambiente kann sich dieses Restaurant durchaus schmecken lassen. Die völlig überzogene Bewertung des Michelin spielt dann auch keine Rolle mehr.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Canton 8 (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Jie Ming Jian |
Ort: | Shanghai, China |
Datum dieses Besuchs: | 03.01.2018 |
Guide Michelin (Shanghai 2018): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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LOUIS, Hamburg
Zunächst gestartet als Popup-Projekt während der Renovierungsarbeiten im Jacobs Restaurant Anfang des Jahres, kocht jetzt ein ‒ vermutlich aufgestockter ‒ Teil der Jacobs-Mannschaft im Untergeschoss der CARLS Brasserie gegenüber der Elbphilharmonie.
Das Louis by Thomas Martin ist schnell zu einem meiner Favoriten in Hamburg avanciert. Kleine Gerichte (etwas sonderbar unterteilt in Gruppen von € 14, € 16 und € 18) bestellt man sich am besten querbeet, zum Teilen und kontinuierlich über den Abend.
Für einen Teil der hier auch anzutreffenden klassischen Jacobs-Klientel ist dieses anarchistische Prinzip noch nicht ganz einfach zu verstehen, aber es mischen sich mehr und mehr kosmopolitischere Leute unter das Publikum, die nach unkomplizierter, raffinierter Küche suchen.
Man startet zum Beispiel mit knackig frischem Gemüse „vom eigenen Acker“ mit Zitrone, Honig und Olivenöl (7/10) und genießt dazu parallel die asiatisch inspirierte Fjordforelle, leicht gegart und von fabelhafter Qualität, serviert als knusprig-würzige Rolle (7/10). Die bestelle ich gleich noch mal.
Ebenfalls hervorragend ist ein Gericht mit saftig zart gegartem Schweinebauch (7/10), gerade richtig portioniert, um danach trotzdem noch weiterzumachen. Meine Empfehlung: einfach noch mal von vorne beginnen. Die Ceviches, zum Beispiel vom Wolfsbarsch, sind zweifellos die besten der Stadt (7/10). Und bei einem Gericht neulich mit Artischocke und Trüffeln (ohne Foto) blitzt auch schon mal das Niveau des Mutterhauses auf (8/10).
Lediglich die Weinkarte lässt noch zu wünschen übrig. Das Prinzip, viele Weine auch glasweise verkosten zu können, ist zwar gut, aber die hohen Aufschläge (z. B. € 29 für 0,125 l Herimtage „La Petite Chapelle“ von Paul Jaboulet Ainé) schlagen auf den Magen. Aber, so versicherte mir die souverän-charmante Restaurantleiterin, man arbeite bereits daran.
Das Louis zählt seit dem ersten Tag zu den besten Restaurants in Hamburg und ist derzeit das einzige, in dem man so unkompliziert auf diesem Niveau essen kann. Einen Kronleuchter gibt’s hier trotzdem ‒ kein Problem, wenn alles andere so stimmt wie hier.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Louis by Thomas Martin (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Rüdiger Mehlgarten |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | mehrere Besuche zwischen 04.02. und 05.05.2018 |
Guide Michelin (D 2018): | noch nicht bewertet |
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