ABaC ‒ Gold schöpfen
Meine Rückkehr ins ABaC, dem Spitzenrestaurant im gleichnamigen Hotel in Barcelona, erfolgt nach langer Zeit. Damals, vor acht Jahren, hatte Küchenchef Jordi Cruz gerade das Ruder dort übernommen und zwei Michelin-Sterne zu verteidigen. Er tat das mehr als erfolgreich. Seit letztem Jahr sind es drei ‒ mein Weckruf, um zurückzukehren.
Die ersten Appetizer nimmt man direkt in der Küche ein.
Das ist insoweit praktisch, als mein Zimmer in einem Teil des Hotels untergebracht ist, in dem man skurrilerweise immer erst die Küche passieren muss, um in den Hauptteil des Gebäudes zu gelangen. Das finde ich unter hygienischen Gesichtspunkten zwar etwas fraglich, aber offenbar ist das hier nun mal so vorgesehen.
Zwischen Edelstahlarmaturen und Kochmützen gibt es als erstes einen Snack mit Limone und Tequila, der geschmacklich perfekt ausbalanciert ist und an die Aromen eines gut gemachten Margaritas erinnert (9/10). Es folgt ein Röllchen aus einer Art hauchdünnen Brotteig-Membran, die mit einem würzig-pikanten Tomatenschaum gefüllt ist (8,5/10). Beides sehr präzise und hervorragend.
Danach folgt eine halboffene Sushi-Rolle mit rohem galizischen Lachs von fantastischer Qualität und einer sehr wohlschmeckenden Kombination aus eingelegtem Eigelb, Forellenrogen, Sojabutter und „Nori-Texturen“. Absolutes Spitzenniveau zum Augenschließen. (9/10)
Der Rest des Menüs wird dann am Tisch serviert. Ich habe den Speisesaal noch gut in Erinnerung. Einer Einrichtung von fast deutscher Sachlichkeit wird durch warmes Licht, einer geschickten Raumaufteilung und einem legeren Publikum Gemütlichkeit verliehen.
Das ABaC bietet zwei Menüs, ich entscheide mich für das umfangreichere „Gran ABaC Avant-Garde“ (€ 210).
Das Menü beginnt mit einer Hommage an das baskische Pintxo mit Olive und Sardelle (Gilda de mar). Diese aufwändige Kreation beinhaltet Eiskraut, Meerestrauben ‒ eine auch als „grüner Kaviar“ bezeichnete Alge ‒ sowie geeisten Olivenstaub und Sardellenbutter. Das kühle, frische Arrangement erwischt mich wie eine Welle. Es schmeckt großartig, nach Oliven und Sardelle, spielt ganz leichtfüßig mit Säure, Salz und Süße und bietet dabei vor allem auch mit den Algen aufregenden Texturspaß. Welch großartiger Auftakt! (9/10)
Die Farbe Grün gibt auch bei der nächsten Einstimmung das Farbspektrum vor. Green salmarejo ist eine ‒ optisch etwas eigenwillige ‒ Interpretation der gleichnamigen andalusischen Suppe, deren Hauptbestandteile Tomaten und Brot sind. Hier auf dem Teller findet man entsprechend ein säuerlich eingelegtes, weiches Brot sowie verschiedene geschmacksintensive Tomaten-Zubereitungen und -teile. Wenn die Umami-Rezeptoren so feuern wie hier, kann das nur fantastisch sein. (9/10)
Das schon jetzt fabelhafte Menü geht weiter mit einer „blauen Auster“ genannten Kreation. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das Wasser der Auster tatsächlich bläulich, wurde aber durch das Hinzufügen eines Proteins verstärkt. Ähnliches gilt für den dazu servierten, hauchdünnen Cracker aus violetter Kartoffel mit gefriergetrockneter Makrele und einem artifiziell blau aussehenden Algengel. Die Auster ist von exzellenter Qualität, und das gesamte Gericht hinterlässt ein frisches, salzig-jodiges Aromaspektrum. Sehr spacig. (8,5/10)
Am Tisch zieht währenddessen schon eine Weile eine Makrelen-Infusion in einem Glasgefäß vor sich hin. Frischer Wasabi und die entsprechende Reibe stehen auch schon parat ‒ eine Augenweide.
Beides findet im nächsten Arrangement Anwendung. Es gibt, in einem Thunfischknochen serviert, ein (nicht ganz notwendiges) Miso-Gel mit einem Stück fabelhaften Thunfischbauch und Wasabi, dazu ein hauchdünnes, etwas trockenes, Gebäck mit salzig marinierter Makrele sowie die besagte Infusion, rauchig, salzig, heiß und wohltuend. Thunfisch und Wasabi sind in dieser exzellenten Trilogie, die insgesamt an japanische Geschmackswelten erinnert, die herausstechenden Protagonisten. (8,9/10)
Es geht weiter mit Tintenfisch, der in reiskornförmige kleine Teile geschnitten ist und mit einem Zitronengrasschaum und einem Zitronengrassud serviert wird. Frittierte Brotkrumen fügen der hervorragenden Komposition etwas angenehm Knuspriges hinzu. Begleitet wird die leichte, frische Speise von einem frittierten und mit Tintenfischtinte gefärbtem Teigball, der wiederum mit Tintenfisch gefüllt ist. Ein mit Limonenöl beträufeltes Chicoreeblatt bringt etwas Frische ins Spiel, was auch nötig ist, denn das Bällchen ist ziemlich massig. Eine mehr als hervorragende Komposition um das eine Meerestier. (8,5/10)
Der nächste Streich ist eine einnehmend duftende Speise, die in einer großen, ausgehöhlten Zwiebel angerichtet ist. Die Speisekarte titelt dazu „Zwiebel-Texturen im Risotto-Stil mit Parmesan und Kumquat-Kompott“. Ein süßlich-herzhafter Duft von Zwiebel in schillerndsten Facetten macht sich am Tisch breit. Meine olfaktorischen Assoziationen reichen von der scharfen Frische roher Zwiebeln in einem Nizzasalat über die sinnlicheren Aromen eines Zwiebelgratins von Alain Passard bis zum deftigen Geruch gerösteter Hot-Dog-Zwiebeln. Am Gaumen erfolgt dann die Erlösung von den verheißungsvollen Düften durch Wohlgeschmack in Reinform. Ein dunkler Jus, möglicherweise auf der Basis von Kalbsfond, aber vielleicht doch komplett vegetarisch, unterstreicht die Nichtigkeit der Notwendigkeit einer solchen Kategorisierung. Fruchtige Aromen von der Kumquat kommen auch noch von irgendwo her, und Parmesan sorgt für noch mehr Umamigeschmack. Auf diesem Niveau existieren nur noch Genuss und Qualität, es gibt weder Erklärungs- noch Interpretationsbedarf. Es ist eines der eindrucksvollsten und wohlschmeckendsten Gerichte, die ich seit langem gegessen habe. (10/10)
Inzwischen ist auch der Rotwein im Glas, ein faszinierender, mir bisher unbekannter 2012er „Las Lamas“ vom Weingut J. Palacios aus der Rebsorte Mencia (€ 140). Ebenfalls offen ist ein 2015er Chassagne-Montrachet 1er Cru „Grandes Ruchottes“ von der Domaine Bernard Moreau (€ 225). Mir ist oft danach, schon im frühen Verlauf eines Menüs rot und weiß gleichzeitig zu verkosten ‒ völlig gegenteilig zum Konzept einer Weinbegleitung. Es gibt eine solche hier aber auch, für € 105.
Das nächste Thema heißt Garnele. Man findet sie „dekonstruiert“ auf dem Teller, und zwar in Form ihres kompletten, marinierten Kopfes, ihres ausgelösten und gegarten Körpers sowie als knusprig frittiertes, komplett essbares Außenskelett inklusive Beine. Dazu gibt es mit Krustentierfond und Erdnuss aromatisierten Reis sowie eine Krustentiercreme. Ich bin kein großer Liebhaber davon, den Kopf von Garnelen auszulutschen, aber die salzige Masse passt gut zu dem Gericht, das in Summe sehr konzentriert ‒ fast schon penetrant ‒ nach Krustentier schmeckt. Gewagt, und auch besser als sehr gut, aber dann doch zu extrem, um ganz hervorragend zu sein. (7,5/10)
Das Blatt wendet sich rasch. Es gibt geschmorte, sehr zarte Steinbuttrippchen, die mit einer hervorragenden dunklen Sauce lackiert sind, dazu über Holzkohle gegrillte Brunnenkresse. Letztere bringt betörende Röstaromen mit, die man vom Duft her eher dem Fisch zuordnen würde. Diese „Aromaverschiebung“ ist überraschend und eindrucksvoll. Das Innere einer milden Peperoni bringt zusätzliche Spannung in dieses gleichermaßen simple wie großartige Gericht. (9/10)
Ente folgt als Sequenz von vier Kreationen. Auf dem Tisch steht zunächst eine Infusion, die bereits eine Weile vor sich hin simmerte. Es handelt sich hierbei um eine konzentrierte Entenbrühe, die beispielhaft an den Lippen klebt und wundervoll nach Thymian und weiteren Kräutern duftet. (9/10)
Dazu gibt es einen etwas zu süßen Taco mit gehobelter Foie Gras, welche durch diese Zubereitungsart leider immer auch an Geschmack und Schmelz verliert (6,9/10). Und bei einer frittierten, mit Rillette gefüllten Teigkugel („Ninyoyaki“) steht der Frittiergeschmack etwas zu sehr im Vordergrund. Die Rillette an sich, im Inneren des Teigballs, ist jedoch makellos und klassisch zubereitet (7/10).
Die vierte Speise mit Ente beinhaltet ein mir deutlich zu rohes Filetstück in gleichwohl hervorragender Qualität mit sehr aromatischen jungen Karotten. Dazu gibt es Romesco ‒ eine würzige regionale Sauce ‒ sowie Karottenjus und eine dunkle Sauce mit Lavendel und Koriander. Alle drei Saucen sind hervorragend. Trotz des kritischen Gargrads des Geflügels ist das ein wohlschmeckendes Gericht auf hohem Niveau. (7/10)
In einer deutlich anderen Liga spielt dann der nächste Gang. Es handelt sich um ein kleines, knusprig gebratenes Stück Ferkelschnauze in einem klassischen dunklen, „klebrigen“ Kalbsjus. Das Fleisch ist aromatisch und butterzart, die glänzende Sauce ein Gedicht. Kleine Stücke von Kürbisgewächsen sowie eine winzige Gurke samt ihrer Blüte lockern das Gericht mit reichlich Frische auf. Als weiteres Highlight dient ein frittiertes Ferkelohr mit Gurken und frech-scharfer Würzung. Einer der besten Fleischgänge, die ich je gegessen habe. Ich atme tief durch und spüre nichts als Wohlbehagen und Genuss. (10/10)
Das erste Dessert hört auf „gefrorene Sahne-Marshmallows mit grünen Erdbeeren“. So kaubedürftig wie die bekannte Süßigkeit ist die weiße Masse allerdings nicht. Es schmeckt eher wie ein üppiges, nicht zu süßes, Sahneeis mit sehr aromatischen Erdbeeren. (7,5/10)
Weiter gibt es ein Eis von weißer Schokolade sowie knusprige Gebäckstücke mit Muscovadozucker. Dieser besondere Vollrohrzucker aus Mauritius schmeckt malzig und intensiv und passt sehr gut zum Eis. (7/10)
Eine frittierte Teigkugel ist mit pikanterSchokolade gefüllt. Letztere ist von hervorragender Qualität, bittersüß, aber die Teigkugel schmeckt etwas irritierend nach Fisch. Da diese Bällchen oft mit Fisch zubereitet werden, könnte ein solcher Zusammenhang tatsächlich bestehen, aber ich vergesse, nachzufragen und verbuche die Speise als eine etwas seltsame Kuriosität mit dennoch sehr guten Zutaten. (6,9/10)
Für das letzte Dessert wird ein Kokosnusssorbet von seiner flüssigen Ausgangsmasse direkt am Tisch, also à la minute, in seinen gefrorenen Zustand überführt. Dies geschieht mit Hilfe von flüssigem Stickstoff, der direkt in die Masse gegossen wird und in einem Bruchteil von Sekunden unter Rühren entsprechende Eisklumpen hervorbringt. Dazu gibt es noch eine Vanillecreme und Zitronenkuchen. Die Komponenten klingen gut, aber das Dessert ist wässrig und sehr säuerlich ‒ und damit trotz der Showeinlage kein besonders großer Genuss. (6,5/10)
Verschiedene aufwändig präsentierte, mal weniger gute, mal deutlich bessere Petit-fours schließen das Menü ab. Wie nur allzu häufig bei kreativen Restaurants, konnten die Desserts in Summe mit dem restlichen Menü nicht mithalten. (7/10)
Doch sie werfen keinen Schatten über das Essen. Das Menü im ABaC war ‒ trotz einiger Schwächen, die den Schnitt etwas nach unten ziehen ‒ herausragend. Es war ein Essen, von dem ich einige Gerichte lange in meinen Gedanken tragen werde. Eine solche Ausbeute macht mich glücklich und ist rar. Ich fühle mich dabei manchmal ein bisschen wie ein Goldschöpfer. Denn weitaus nicht jedes Essen, selbst auf diesem attestierten Niveau, garantiert solche Erlebnisse. Viele Essen sind wie Sand und rieseln davon, andere, wenige, bleiben und bereichern.
Die Rechnung bitte. Ich muss den Goldschatz noch bezahlen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | ABaC (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Jordi Cruz |
Ort: | Barcelona, Spanien |
Datum dieses Besuchs: | 10.07.2018 |
Guide Michelin (ES 2018): | *** |
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