Le Moissonnier ‒ gegen die Etikette
Das Le Moissonnier ist so vieles ‒ und so vieles nicht. Es ist Spitzenrestaurant, Sterne-Restaurant, Bistro. Es ist französisch, leger und laut. Es ist kostspielig und jeden einzelnen Cent wert. Es ist die Antithese eines Gourmet-Tempels ‒ und für mich doch der Inbegriff eines solchen. Und es ist in Köln.
Nicht jedes dieser Attribute löst bei Essinteressierten unmittelbare Begeisterung aus. Auf TripAdvisor zum Beispiel beklagt eine Katharina K., dass man zum Brot keine Tellerchen bekäme und man es stattdessen auf dem Tischtuch ablegen müsse. Ebenso echauffiert sie sich darüber, dass ihr Besteck zwischen den Gängen nicht ausgewechselt würde. Es sei ohnehin viel zu laut und zu eng, und das Essen, na ja, „wunderschön“, aber erklärungsbedürftig und „eher Chichi als Kochkunst“. Fazit: „Schade“.
Liebe Katharina, sei froh, dass du an deinem Tisch überhaupt ein Tischtuch hattest. An meinem Holztisch nahe der Küche gibt es heute Abend nicht mal das. Der Vorteil daran ist, dass die Brotkrümel auf dem Holz farblich nicht so auffallen. Fürs nächste Mal solltest du daher unbedingt nach dem Holztisch fragen. Alternativ könntest du dein Brot natürlich auch einfach auf den großen so genannten Fahnen der schicken Bernardaud- und Hering-Teller ablegen. Das kann man hier in Köln so machen, da guckt einen keiner schräg an. Und was das Besteck betrifft, vielleicht hast du einfach zu penibel gegessen, sodass dein Besteck nicht austauschbedürftig aussah. Hier wäre mein Tipp: einfach mal richtig reinhauen ins Essen, damit auch ein bisschen Sauce an der Gabel hängenbleibt. Mein Besteck wurde mit dieser Strategie hier schon immer ausgetauscht. Oder vielleicht doch nicht? Ich habe es, ehrlich gesagt, vergessen. Es ist mir nämlich vollkommen gleichgültig.
Zum Schlemmen in gelöster Atmosphäre bin ich heute zurückgekehrt. Nach knapp über eintausend Tagen unbeabsichtigter Abstinenz. Das ist viel zu lang.
Am Tisch angekommen stelle ich wieder einmal fest, dass es bei Gästen auch so etwas wie ein Mise en place gibt. Man sitzt bequem, blickt aufs Gedeck, hat bereits grob ‒ oder konkret ‒ eine Weinauswahl getroffen und idealerweise schon etwas Weißes oder Prickelndes im Glas, dazu die Speisekarte parat, aber noch nicht aufgeklappt. Ich schätze es, wenn man in diesem Moment nicht gleich mit dem Abspulen eines Programms überfallen wird. Ich möchte erst einmal ankommen. Mich umsehen. Die Lage sondieren. Und idealerweise eintauchen in eine Welt von Gastfreundschaft und Hedonismus.
Genau in diesem Sinn steht nun mein Mise en place. Im Glas befindet sich Champagner (nicht notiert), und in den ersten Flaschen des Abends ein 2013er Chassagne-Montrachet 1er Cru „Les Macherelles“ von Hubert Lamy (€ 171) und ein 2003er Nuits-Saint-Georges 1er Cru „Clos des Forêts“ von der Domaine de l'Arlot (€ 245). Die Preisaufschläge sind üppig, aber nicht unüblich. Wer mag, bestellt Günstigeres ‒ oder noch deutlich Teureres. Die frankophile Weinkarte ist kompakt, aber exzellent ausgewählt und bewegt sich abseits des in Deutschlands Restaurants häufig repetitiven Sortiments. Der Handel mit Wein gehört inzwischen ebenfalls zum Geschäft der Gastgeber Vincent und Liliane Moissonnier.
Die Speisekarte bietet sowohl eine (tischweise) Menüoption als auch einen A-la-carte-Teil, auf den hier schon immer meine Wahl fiel. Das Prozedere, sich bewusst für ganz bestimmte Zutaten zu entscheiden, verfolge ich in Restaurants mit französischer Küche fast immer.
Ich würde gerne alles bestellen, doch letztlich fällt eine Auswahl. Das legendäre Konzept von Küchenchef Eric Menchon, dass ein Gericht stets aus mehreren Tellern besteht, die in Summe als kulinarische Einheit zu verstehen sind, ermöglicht es zudem, trotz einer Auswahl von drei bis vier Gerichten (so viele sollten es schon sein) eine Vielzahl an kulinarischen Kreationen zu probieren.
Das Amuse-Bouche wird als Wiener Schnitzel mit Gurkensalat angekündigt und enthält tatsächlich das gesamte Aroma- und Texturspektrum einer umfangreicheren Portion. Der kleine Gurkensalat ist frisch und angenehm pikant abgeschmeckt, das kleine Stück Kalbsschnitzel ist sehr gut, vielleicht eine Nuance zu trocken, aber dennoch eine sehr gute Einstimmung. (7/10)
Comme une bouillabaisse légère (€ 38) lautet dann der Titel meines ersten bestellten Gerichts, bei dem es sich um eine dreiteilige Fischspeise handelt, die im zentralen Teller das Thema einer Bouillabaisse aufgreift, ohne dabei jedoch auf klassische Mittelmeerfische zurückzugreifen. Hier sind es Petersfisch, Drachenfisch und Kaisergranat, die von exzellenter Qualität sowie akkurat gebraten sind. Beim Krustentier ist die Garung am präzisesten. Eine nachträglich angegossene „Bouillabaisse-Emulsion“ ist geschmacklich wunderbar und transportiert einen spätestens jetzt gedanklich an die felsige Küste von Marseille.
Dazu gibt es, ganz puristisch, ein einzelnes Stück Tintenfisch. Dieser wurde zwei Stunden lang behutsam gegrillt (!) und mit einem Rinderjus beherzt salzig abgeschmeckt. Die sehr zarte, wohlschmeckende Zutat muss handwerklich einen Vergleich mit japanischen Pendants nicht scheuen. Auf einem weiteren Teller gibt es noch „Panini“ von geräuchertem Atlantischem Butterfisch auf Eierschaum und Kapernpaste, eine herzhafte, knusprig-heiße Schlemmerei. Wenngleich der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Tellern allenfalls beim Thema „Fisch“ zu verorten ist, erfreue ich mich an Qualität, Originalität und Genuss dieser vielteiligen Kreation. (8/10)
Das zweite Werk hat die exquisite Zutat Thunfischbauch zum Thema (ventrèche de thon snackée, € 40). Dieser wurde scharf angebraten, in fingerdicke Tranchen geschnitten, und ist damit schon der Star des Gerichts. Nur selten gelangt man in Deutschland in den Genuss dieser feinen Zutat, vor allem in dieser Qualität, bei der die Grenzen zwischen Fisch und Fleisch verschwimmen. Wunderschön ‒ nicht effekthascherisch ‒ sind die Scheiben umkreist von Tupfern von Erdnusspaste, Wasabi, Passionsfruchtkernen, Blüten und Kräutern. Für sich allein ist das alles schon ganz großartig.
Links daneben steht eine Steinpilzbouillon mit Burrata. Sie nimmt die wohlschmeckende Umami-Geschmackswelt des Thunfischs auf, intensiviert diese und transportiert das maritime Erlebnis in Richtung Erdreich. Die Bouillon ist dicht eingekocht, sehr aromatisch und schmeckt hervorragend. Nur ein mit Goldforelle ummanteltes Gemüseröllchen „nach Sushi-Art“ hinkt im Vergleich zum Rest der ansonsten drei Sterne würdigen Kreation etwas hinterher. (8,5/10)
Mein erster Hauptgang ‒ ich bin mir jetzt schon sicher, dass es zwei werden ‒ ist in Himbeeressig karamellisiertes Kalbsbries, serviert mit knusprig-leichtem Quinoa, Vadouvan und einem dichten Fleischjus (€ 48). Das Gericht duftet intensiv nach den facettenreichen Aromen des Orients, was den flankierenden Tellern zuzurechnen ist.
Links von ihnen eine fabelhafte Kombination von großartig zubereiteter Schwarzwurzel, Steinpilzen und Kokosmilch, rechts Puy-Linsen in Mumbai-Curry mit einem frischen „Frikassee“ von Zuckerschoten, Paprika und Ziegenfrischkäse. Man probiert mal hier und mal dort und genießt auf diese Weise ein präzise zubereitetes Wohlfühlgericht mit erlesenen Zutaten und spannendem Einsatz von Gewürzen. Die würzigen Aromen des Nuits-Saint-Georges passen dazu zufälligerweise perfekt. (8,5/10)
Da es noch nicht aufhören darf, bestelle ich gegrillte australische Rinder-Short-Rib (€ 51), mit Süßholz lackiert und nach umgekehrter „Rossini“-Art auf einer Scheibe gebratener Foie Gras thronend, die wiederum auf einem Stück luftig-knuspriger Brioche angerichtet ist. Das Ensemble ist heiß, üppig, buttrig, sündhaft gut, nur etwas mehr Sauce würde ich mir hier wünschen, so richtig klebrig, zum anschließenden Besteckaustausch.
Die zwei weiteren Schälchen ‒ eine Crème brûlée von Mais und Mumbai-Curry, sowie weiße Polenta mit gerösteter Zwiebel und Petersiliencreme ‒ sind hervorragende Kreationen, doch bei diesem einnehmenden Hauptteller fällt es schwer, sich ihnen in gerechter Weise zuzuwenden. (8,5/10)
Bei den Desserts sticht dann besonders eine Crème brûlée mit Tahiti-Vanille (€ 15) hervor, die zu den besten zählt, die ich je probiert habe (9/10); diverse weitere Köstlichkeiten stehen verteilt auf dem Tisch, alle sind hervorragend (im Schnitt 8/10).
Wer nach einem solchen Abend noch auf die Idee kommt, sich über fehlende Brotteller zu echauffieren, dem ist wahrlich nicht zu helfen. Und wer den Abend in Deutschlands lässigstem Spitzenrestaurant nicht genauso kurzweilig und genussreich verbringt wie ich heute Abend, ist selber schuld. Als Gast ist man immer auch mitverantwortlich für ein positives Fazit.
Ich bin meiner Verantwortung heute ganz und gar nachgekommen und verlasse Kölns einzige Attraktion ‒ Verzeihung, Attraktion Nummer eins ‒ mit gespanntem Hemd und in bester Laune. Dafür brauchte ich noch nicht einmal ein Tischtuch.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Moissonnier (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Eric Menchon |
Ort: | Köln, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 01.06.2018 |
Guide Michelin (D 2018): | ** |
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