Tourniert: Entdeckungen in Fernost (Teil 2)
Ich liebe gute Hotels. Sie sind ein temporäres Zuhause in der Ferne. Der reflexartige Gedanke an ständige Hotelflucht, um immer irgendwo draußen zu sein, ist mir fremd.
Im Rahmen von Reisen mit kulinarisch umfangreicher Agenda plane ich daher gerne auch mal einen Abend im Hotel ein ‒ besonders dann, wenn dies gastronomisch und atmosphärisch etwas zu bieten hat.
Während meiner Reisen nach Asien im Sommer und Winter letzten Jahres habe ich verschiedene Hotelrestaurants besucht, auf die sich diese Ausgabe von »Tourniert« fokussiert.
Restaurants:
Arva (Aman Tokyo), Tokio
C:GRILL (Conrad Osaka), Osaka
Sense (Mandarin Oriental), Tokio
Caprice (Four Seasons Hotel Hong Kong), Hongkong
Il Ristorante - Niko Romito (Bulgari Hotel Beijing), Peking
Akira Back (Four Seasons Hotel Seoul), Seoul
Arva (Aman Tokyo), Tokio
Das Hotel Aman in Tokio ist das spektakulärste urbane Hotel, in dem ich je eingecheckt habe. In der gigantischen Lobby im 33. Stockwerk, mit einem dreißig Meter hohen Lichtschacht, fällt auch das offen gestaltete Hotelrestaurant Arva sofort ins Auge.
Das Konzept Arva (Lat. »Ernte«) steht für bodenständige italienische Küche und ist in mehreren Hotels der Aman-Gruppe zu finden.
Hier in Tokio verantwortet es Küchenchef Masakazu Hiraki, der persönlich am Tisch blumigen Pfeffer aus einer übergroßen Mühle über saftige, heiße Agnolotti »cacio & pepe« (ca. 16 €, kleine Portion) mahlt.
Davor gab es einen Salat mit besonders knackigem Chicorée und sehr aromatischen Champignons (ca. 23 €), der hervorragend gewesen wäre, hätte ein penetrantes Dressing mit Trüffelöl nicht alles konterkariert.
Trotz Trüffelöls und großer Pfeffermühle bedient das Arva keine Klischees. Mein Hauptgang, gegrillte Niigata Kiramugi-Schweineschulter mit Gunma Yamako-kinono-Pilzen, Zucchini, hausgetrockneter Pancetta und Zitrone aus Hiroshima (ca. 32 €) zeigt, wie ernst man es hier mit der Produktqualität meint ‒ wie eigentlich überall in Japan.
Eine der denkwürdigsten Entdeckungen an dem Abend ist allerdings ein 2020er Pinot Noir aus Japan vom Weingut Mie Ikeno (ca. 222 €), der es mühelos mit feinsten Burgundern aufnehmen kann. Dazu der Ausblick auf das nächtliche Lichtermeer Tokios … Das ist der Inbegriff eines gelungenen Abends.
C:GRILL (Conrad Osaka), Osaka
Mit meinem Faible für Hotelrestaurants in hohen Stockwerken ‒ eine entsprechende Kulisse vorausgesetzt ‒ fühle ich mich auch im C:GRILL in meinem Hotel Conrad in Osaka ganz wohl.
Eine Einschränkung gibt es aber: Der Laden ist, bis auf wenige Gäste, gähnend leer, was etwas auf die Stimmung schlägt. Mit wird ein umfangreiches Menü empfohlen, doch meine Formel heißt heute Abend schlicht »japanisches Steak und kalifornischer Wein« ‒ east meets west, sozusagen.
Ich bestelle einen 2018er Cabernet Sauvignon vom Weingut Silverado (ca. 145 €) aus dem Stags Leap District im Napa Valley. Zu dem Weingut bin ich aus Yountville schon mal mit dem Fahrrad gefahren ‒ so schließt sich der Kreis.
Das Fleisch, laut Karte ein sous-vide gegartes und über Holzkohle gegrilltes Kuroge-Wagyu, ist mit einem Preis von ca. 30 € vergleichsweise günstig ‒ und schmeckt leider auch so. Überraschend mager und zu homogen gegart, dürfte es das enttäuschendste Stück Fleisch sein, das ich in Japan je probiert habe. Schlecht ist es trotzdem nicht, und immerhin bleiben mir Wein und Ausblick.
Sense (Mandarin Oriental), Tokio
Den allerletzten Abend meiner zweiwöchigen Japan-Reise ‒ nach einer Woche Tokio, gefolgt von mehreren Tagen in Osaka und Kyoto ‒ verbringe ich im Mandarin Oriental. Zum Schluss noch mal ein anderes Hotel kennen zu lernen, ist abwechslungsreich, war aber einzig der Tatsache geschuldet, an eine Reservierung im weiteren Hotelrestaurant The Pizza Bar on 38th zu gelangen.
Neben der Pizzatheke und dem Sushi Shin by Miyakawa bietet das Mandarin Oriental weitere hochkarätige Möglichkeiten, zum Essen einzukehren. Eine davon ist das kantonesische Sense. Allein die Fotos der Kulisse auf der Website haben mich hier vor Wochen bereits zu einer Reservierung verleitet, wohl wissend, dass ich am letzten Abend nichts anderes sehen möchte als noch einmal die funkelnden Lichter der Stadt.
Der Service ist vom ersten Moment an erstklassig: humorvoll, souverän, sachkundig und höflich ‒ ganz so, wie man es in internationaler, hochkarätiger Hotellerie erwarten kann.
Es dauert ein bisschen, bis ich mich in der umfangreichen Karte orientiert habe, dann geht es los mit ersten Kleinigkeiten, wie einem in knackigen Salatblättern servierten Potpourri von gebratenen Garnelen, Jakobsmuscheln und Gemüsen (ca. 22 €) ‒ angenehm leicht, dennoch würzig und sehr präzise zubereitet. Frittierter Hecht (ca. 28 €), der an Fischstäbchen erinnert, wurde zusammen mit extrem scharfen Schoten gegart und überzeugt mit seiner merkbar hohen Produktqualität.
Auf noch höherem Niveau geht es weiter, u. a. mit knusprig gebratenem Huhn mit Cashews und Lotuswurzel (halbe Portion, ca. 16 €), sowie mit surreal zartem Filet vom Wagyu aus der Tochigi-Präfektur mit blumig-ätherischem Kampot-Pfeffer (ca. 49 €).
Irgendeine ‒ sehr gute (!) ‒ Praline mit Kokos wird die letzte Speise meiner atemberaubenden Reise nach Japan sein. Aber ich bleibe noch wegen der Lichter Tokios. Sie verschwimmen durch ein paar Tränen im Augenwinkel.
Caprice (Four Seasons Hotel Hong Kong), Hongkong
Es ist fast schon ein Frevel, ein halbes Jahr lang über das Caprice zu schweigen. Aber es gibt eigentlich nicht viel Neues zu berichten. Das Drei-Sterne-Restaurant im großartigen Four Seasons Hotel in Hongkong ist eine Bastion der französischen Spitzengastronomie ‒ weltweit. Und kaum ein Küchenchef wirkt dabei so lässig und gut gelaunt wie der aus Tours stammende Guillaume Galliot.
Mit dem Menü »Connaisseur« (ca. 475 €) gehe ich heute Abend in die Vollen und genieße unter anderem Galliots Klassiker mit Taschenkrebs, Krustentiergelee, Gillardeau-Austern und Kaviar ‒ eine ozeanische Wucht.
Über norwegischen Kaisergranat hobelt Galliot persönlich Alba-Trüffel von einer Tennisballgroßen Knolle über den Teller, bei dem neben einer feinsäuerlich abgeschmeckten Beurre Blanc mit Minzöl auch noch Champignons zu finden sind, eine himmlische Kombination.
So geht das eigentlich immer weiter. Es gibt Nogoduro, einen edlen Barschverwandten aus Japan, in einer betörenden Krabben-Consommé mit Timutpfeffer; Rotbarbe mit Safran; bretonischen Hummer mit einer Himbeerbisque; Lamm mit Ras el-Hanout.
Das ist handwerklich und qualitativ alles am Anschlag, nur beim Hummer verwirrt die Himbeernote etwas. Ich erfahre, dass das Gericht speziell auf einen 2007er La Tâche von der Domaine de la Romanée-Conti abgestimmt wurde, anlässlich einer kürzlichen Weinprobe hier vor Ort (mit dem anwesenden Miteigentümer de Villaine, versteht sich). Dazu fehlt dann eindeutig die entsprechende Weinbegleitung.
Aber wie man es dreht und wendet: Das Caprice bleibt eine der besten, souveränsten, konstantesten und stimmungsvollsten Fine-Dining-Destinationen der Welt.
Il Ristorante - Niko Romito (Bulgari Hotel Beijing), Peking
Die zur Marriott-Gruppe gehörenden Bulgari-Hotels zählen längst zu den Top-Adressen vieler Metropolen. Das Konzept »Il Ristorante - Niko Romito« mit dem namensgebendem Patron aus dem Drei-Sterne-Restaurant Reale findet man in sieben der neun Häuser. Vier davon haben einen Michelin-Stern, das in Dubai sogar zwei. Eine solche Varianz trotz sehr deckungsgleicher Speisekarten verwundert nicht, wenn man die L’Ateliers von Joël Robuchon kennt.
Als ich mit einem frühen Flug aus Shanghai gegen Mittag in Peking ankomme und im Hotel einchecke, habe ich etwas Appetit und bekomme mühelos noch einen Tisch im Il Ristorante.
Ich plane hier nicht über die Stränge zu schlagen, sondern nur eine kleine Stärkung vor einer geführten Städtetour zu genießen.
Eine klare Suppe, bestehend nur aus Karotte, Zwiebel, Sellerie und einem Schuss Champagner, kommt mit einem kleinen Blatt Salbei und ist ein absolutes Highlight. Gegrillter Thunfischbauch mit Borlotti-Bohnen, Zwiebeln und Oregano-Sauce ist dagegen deutlich zu trocken. (Dass der Gang umgerechnet ca. 64 € kostet, fällt mir erst, recht schockiert, beim Schreiben dieser Zeilen auf. Mit Fremdwährung und Aufs-Zimmer-Schreiben geht so etwas schnell unter.)
Ein warmer Salat mit regionalen Pilzen, Parmesanschaum und saftiger Haselnuss (ca. 38 €) ist wieder deutlich besser, und damit bin ich auch eigentlich schon zufrieden. Doch der (italienische) Küchenchef bringt höchstpersönlich noch eine herausragende Pasta mit Tomatensauce an den Tisch, ein Klassiker von Niko Romito. Italienische Küche geht eben immer und überall. Auch als erstes Mahl in Peking.
Akira Back (Four Seasons Hotel Seoul), Seoul
Nachdem ich die letzten Tage in Peking und meinem ersten Abend gestern in Seoul ausschließlich Tasting-Menüs genossen habe, freue ich mich am zweiten Tag des Jahres auf die atmosphärische Kulisse des Restaurants Akira Back in meinem Hotel in Seoul.
Der namensgebende Akira Back ist ein aus Seoul stammender, inzwischen in den USA lebender Gastronom und Koch, der mit seinen japanisch-koreanisch inspirierten Konzepten bereits über ein Dutzend Restaurants weltweit betreibt, von Beverly Hills über Paris und Doha bis nach Seoul. Viele der Restaurants sind in Hotels untergebracht.
Die Atmosphäre des Restaurants ist sehr eindrucksvoll, mit bestimmt zehn Meter hohen Decken, ebenso hohen, luftigen Holzkonstruktionen und einer Art Galeriegeschoss mit eigenem Bar- und Sushitresen. Das Volumen gleicht dem eines Flugzeughangars, dennoch wirkt alles intim und gemütlich ‒ eine innenarchitektonische Meisterleistung.
Die Speisekarte ist ein scheinbar attraktiver Mix aus koreanisch und japanisch klingenden Zutaten und Zubereitungen, die man intuitiv einer »gehobenen asiatischen Trendküche« zuschreiben könnte.
Ich bestelle einige Kleinigkeiten vorweg, z. B. pikante Tacos mit Hanwoo-Rind, Bulgogi-Sauce und Tomaten-Ponzu (ca. 24 €), dazu gesalzene Edamame und einen Gurkensalat mit Sesam und süßsaurer Amazu-Sauce.
Eine (mir etwas aufgeschwatzte) Sushi-Rolle mit Süß- und Salzwasseraal und im Zickzackmuster drapierter, dicklicher Sauce (ca. 22 €) erfüllt danach leider ein Klischee von einer »asiatischen Küche«, das ich außerhalb Deutschlands gar nicht erwartet hätte. Leider durchkreuzt das mächtige Gericht auch meine Pläne, mich noch weiter durch die Karte zu probieren.
Aber von der Atmosphäre darf es ruhig noch ein kleiner Happen sein. Ich wechsle einfach den Platz und genieße noch einen Drink an der Bar.