Usukifugu Yamadaya ‒ alles für den Kick
Für einen Besuch in dem mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten, auf Kugelfisch spezialisierten Restaurant Usukifugu Yamadaya habe ich absichtlich ein, zwei Reisen nach Japan ins Land ziehen lassen. Das Risiko, einen potenziell tödlichen Fisch zu verzehren, erschien mir angesichts der regelmäßig als fad beschriebenen Gaumenfreude zu hoch, die Kosten nicht angemessen. Mittlerweile überwiegt jedoch längst meine Neugier. Ich weiß inzwischen natürlich auch, dass in den lizenzierten Restaurants, die Kugelfisch anbieten, kein Risiko existiert. Die spezielle Ausbildung, die die Köche absolvieren müssen, um den hochgiftigen Fisch zuzubereiten, ist aufwändig, und Perfektion ist hier der geringste Anspruch.
Es ranken viele Mythen um das drollig aussehende Tier, daher noch einmal kurz zu den Fakten. Es gibt knapp zwanzig verschiedene Kugelfischarten. Bei allen davon sind Leber, Eierstöcke und Gedärme tödlich giftig, die Haut und weitere Organe nur unbedeutend weniger toxisch, nur das Muskelfleisch ist bei fast allen Arten unbedenklich. Bei dem Gift handelt es sich um Tetrodotoxin, eine der toxischsten Substanzen überhaupt. Die tödliche Dosis für den Menschen liegt bei nur 10 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. Das Gerücht, dass geringe Mengen des Gifts zu einem erwünschten Kribbeln auf der Zunge führen, lässt sich damit nicht halten. Wenn das Gift schon kribbelt, dürften die Folgen mehr als unerwünscht sein.
Davon abgesehen gibt es auch ungiftige Zuchtfische, denen ich bspw. schon im Masa in New York begegnet bin ‒ und damals schon nicht besonders angetan war. Für japanische Spitzenköche kommt eine solche Zuchtware natürlich nicht in Frage.
Heute Abend stehe ich dann also tatsächlich vor einem der in Japan angesehensten Restaurants für Kugelfisch. Ob ich wirklich davorstehe, offenbart sich mir, wie so oft hierzulande, nicht unmittelbar.
Erst mit einer Internetrecherche vor Ort finde ich schließlich heraus, dass sich der Eingang zum Restaurant am Ende eines Gangs im Untergeschoss befindet ‒ und es von den sich dort erschließenden zwei Restaurants das linke ist. Auch das muss man wissen, wenn man der japanischen Schrift nicht mächtig ist.
Ich werde freundlich empfangen und am Tresen platziert. Küchenchef Yoshio Kusakabe strahlt sofort uneingeschränkte Vertrauenswürdigkeit aus. Mit seinem makellosen weißen Kittel, weißem Hut und Namensschild wirkt der Meister besonnen, kompetent und würdevoll. Er lässt sich zudem kaum ablenken, ist voll auf seine Zutaten und Zubereitungen konzentriert.
Das feststehende Menü (ca. € 225) beginnt, wie in japanischen Restaurants oft üblich, mit kleinen Vorspeisen in mehreren Schälchen. In der linken gibt es mageren, wunderbar saftigen, gehaltvollen Thunfisch mit Neuseeländer Spinat, Yam und Sojasauce. Abgesehen vom hervorragenden Thunfisch, der mir in Kombination mit der Sojasauce nun endlich auch das wohlige Gefühl gibt, in Japan angekommen zu sein, ist das Wurzelgemüse besonders interessant, weil es eine zarte, fast cremige Textur aufweist, ganz anders als ich Yam bisher kennen gelernt habe. Im oberen Schälchen gibt es getrocknete Seegurke, Gingkonuss und Jakobsmuschel, jeweils mariniert in geriebenem Blumenkohl, dazu eine stecknadelkopfgroße Portion Pflaumenmus. Im unteren Schälchen findet man in Essig mariniertes und in Rübe eingewickeltes Krebsfleisch mit Lachsrogen; Heringsrogen auf Grünkohl; gekochte Lotus- und Klettenwurzel sowie tamago, das japanische Omelette, welches das kleine „Vor-Mahl“ so beendet wie ich es bisher nur von einem gesamten Menü kenne.
Die Zutaten sind erkennbar hochwertig und hervorragend zubereitet, eine Note 8/10 daher sicherlich angebracht. Besonders auch meine Kaiseki-Menüs in Kyoto haben es mir erlaubt, diese feinen, saisonalen Einstimmungen zu verstehen, zu vergleichen und dadurch auch besser einordnen und bewerten zu können.
Es geht weiter mit einer dickflüssigen, wohltuend warmen Suppe mit China-Kohl und frittiertem Taro. Obenauf etwas schwarzer Pfeffer, der hocharomatisch ist und einen blumigen Duft verströmt. Die Suppe schmeckt insgesamt ein bisschen wie eine (sehr gute) Kartoffel-Lauch-Suppe. (7/10)
Nach diesen erstaunlichen Zutaten geht es dann zunächst nur noch ums Wesentliche. Fugu. Der Fugu für dieses Restaurant stammt aus dem Bungo-Kanal, einer Meerenge zwischen den Inseln Kyushu und Shikoku, und wird hierher eingeflogen.
Der erste Teller ist Fugu-Sashimi. Der Fisch ist so dünn geschnitten, dass die Bemalung des Tellers durch das farblose Fleisch hindurchscheint. Neben dem Sashimi befinden sich weitere, teils dunklere, Abschnitte des Tiers auf dem Teller sowie Kabosu, eine mit Yuzu verwandte Zitrusfrucht. Separat dazu gibt es eine Reihe von Beilagen: schlichten Schnittlauch, eine Paste aus Seeteufelleber und Chili sowie geriebenen Rettich in Ponzu-Sauce. Bereits Vielfalt und Menge dieser Begleiter lässt auf ihre Notwendigkeit schließen, denn tatsächlich ist der Fisch nahezu geschmacksneutral und hat eine sehr kaubedürftige Textur. Es ist natürlich nicht so, dass Sashimi anderer Fische immer einen besonders ausgeprägten Geschmack aufweisen würde. Dorade schmeckt roh bspw. ähnlich neutral. Gleichwohl ist das kulinarische Vergnügen dieses Tellers begrenzt. Lässt man die aufwändige Zubereitung mit potenziell lebensbedrohlichem Ausgang außer Acht, berücksichtigt jedoch die offensichtlich hohe Produktqualität und die Beilagen, ist eine Bewertung von 6,9/10 vermutlich schon mehr als angemessen.
Nach dem Verzehr dieser Kugelfischmenge steigt, wie aus dem Nichts, leichte Panik in mir auf. Mein Herz rast, meine Hände werden kalt, ich spüre, wie ich blasser werde. Ist da nicht auch etwa ein Kribbeln auf der Zunge? Ich steigere mich natürlich gerade in etwas hinein. Ein kühles Bier parallel zum Sake hilft Wunder.
Der nächste Gang ist gegrillter Fugu. Der Fisch selbst schmeckt wegen der Grillaromen etwas besser. Die Textur des Fischs ist zwar auch eher gummiartig, aber nicht trocken. Entfernt erinnert der Fisch an Seeteufel. Säuerlich marinierte Gemüse bringen etwas Abwechslung, aber der Teller hält insgesamt wenig Spannendes bereit. (6,5/10)
Es folgt frittierter Fugu mit Bohnen-Tempura und einer Zitrusfrucht. Die Panierung ist hauchdünn und knusprig, der Fisch innen diesmal zart und saftig. Die heißen Teile erinnern, auch geschmacklich, an Chicken Wings. Im Unterschied dazu ist der Kugelfisch jedoch bedeutend knochiger. Andauernd beiße ich auf knochige Strukturen in dem Fleisch, um die ich entweder herumbeißen oder sie aus dem Mund pulen muss. Dieser Fisch will einfach nicht verspeist werden. (6,5/10)
Weiter geht es mit „Fugu Hot Pot“. Hierzu kocht der Küchenchef mit ernster Miene einige bedrohlich aussehende Stücke Kugelfisch in einem Wasserbad über einem Gasbrenner. Einige Gemüse schwimmen ebenfalls in der Brühe.
Das Ergebnis fällt erwartungsgemäß aus: sehr heiß, sehr fad ‒ oder besser „klar“ ‒ und knochig. Ich leere höflich den ganzen Topf und wäre jetzt eigentlich schon gerne mit dem Thema durch. (6,5/10)
Doch es folgt noch ein Hot Pot ‒ ein Hot Pot in zwei Gängen, sozusagen. Der Unterschied zum vorherigen äußerst sich mir nur in einigen anderen Gemüsen als auch in einem Stück, an dem noch etwas Haut dran ist. (Ist die nicht giftig? Vermutlich genau dieses Stück Haut nicht, beantworte ich mir selbst, verstecke das Stück aber unter den Resten meines Restetellers …) Auch diese Schüssel leere ich dann anstandslos. (6,5/10)
Und wenn man denkt, nun wirklich genug heiße Flüssigkeit mit Kugelfisch genossen zu haben, gibt es noch eine große Schüssel Fugu-Reis-Porridge. Der Reis ist leicht klebrig, einen Hauch sämig und damit für dieses Gericht perfekt gekocht. Der Kugelfisch versteckt sich darin in seltsamen, fadenartigen Strukturen. Das schmeckt alles sehr gut, weil man auch angehalten ist, etwas Ponzu-Sauce und einen herzhaften Geleewürfel aus einer mir nicht bekannten Zutat hineinzumischen. Die säuerlich frischen Gemüsebeilagen bilden einen angenehmen Kontrast zu dem heißen Reisbrei. Das ist das bisher überzeugendste Gericht um das Thema Kugelfisch, wenngleich es hier weniger um den Fisch geht als um den Reis. Wie bei Sushi. (7/10)
Nach einem obligatorischen geräucherten Tee mit Aschenbechergeschmack folgt ein weiterer obligatorischer grüner Tee, der zusammen mit dem Dessert serviert wird. Es handelt sich dabei um eine sehr geschmacksintensive Erdbeere, umhüllt von einer klebrig-staubigen Zuckerhülle, die an die Süßspeise Mochi erinnert. Allein wegen der fantastischen Erdbeere ist das ein sehr guter Abschluss. (7/10)
Die Ausbeute der Delikatesse Kugelfisch ist zweifellos gering und ganz eindeutig eher ein kulturelles Relikt denn ein Genusserlebnis. Die drei Michelin-Sterne empfinde ich daher hier fehl am Platz, da sie nur die Tradition und das gewissenhaft ausgeführte Handwerk bewerten. Servierte man ein solches Menü irgendwo in Pinneberg und tauschte den Kugelfisch mit Dorade oder Seeteufel aus ‒ vermutlich gar keine schlechte Idee ‒, ließe wohl selbst ein Stern lange auf sich warten. Aber wer weiß. Den Meister abzuwerten wäre beim nächsten Besuch vielleicht nicht besonders bekömmlich.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Usukifugu Yamadaya (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Yoshio Kusakabe |
Ort: | Tokio, Japan |
Datum dieses Besuchs: | 15.01.2019 |
Guide Michelin (Tokyo 2019): | *** |
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