Ginza Kojyu – Genuss und Gastlichkeit
Das spannende an dieser Reise ist vor allem der Überraschungseffekt. Natürlich: beim alten Jiro Ono weiß ich zumindest, worum es geht, Joël Robuchon ist mir auch nicht gerade unbekannt, aber darüber hinaus sind meine Reservierungen hier im Wesentlichen nur fremd klingende Namen in einer fremden Stadt.
Über das Restaurant Ginza Kojyu, das an diesem Montagabend für halb neun in meinem Kalender steht, weiß ich lediglich, dass es ein Kaiseki-Restaurant ist und wo es sich befindet.
Nach meinem Besuch bei Sushi Mizutani am Mittag hatte ich nämlich siebeneinhalb Stunden Zeit, es schon mal ausfindig zu machen (wenngleich ich nur einen Bruchteil davon für die Suche benötigt habe). Es befindet sich im vierten Stock („4F“) eines Gebäudes in einer belebten Einkaufsstraße im Stadtteil Ginza. Im Kellergeschoss des Gebäudes wacht Küchenchef Toru Okuda, 45, gleich über zwei weitere Michelin-Sterne seines Restaurants Ginza Okuda. Wer die Restaurants irrtümlich verwechselt, sollte also keine allzu böse Überraschung erleben. Und in Paris hat der umtriebige Chef auch gerade eine Dependance eröffnet: Toru Okuda, Michelin-Stern Nummer sechs.
Der Empfang im Restaurant könnte freundlicher nicht sein. Da ich etwas verfrüht erscheine, führt mich eine der Angestellten noch etwas im Restaurant umher, welches – zusätzlich zu dem Hauptraum mit Tresen und Küche – noch verschiedene weitere Speiseräume beherbergt, wie es in japanischen Restaurants häufig üblich ist.
Meinem Auge entgehen bei dem Rundgang natürlich auch nicht der kleine „Michelin-Schrein“ sowie einige Exponate besonders schöner Keramik.
Im Speisesaal, in dem ich am Tresen Platz nehme, geht es schon lebhaft zu. Die meisten Plätze sind schon besetzt, die Stimmung ist heiter und angeregt, und es duftet betörend nach süßlich-röstigem Grillaroma. Ich gelange recht schnell mit meinen Tischnachbarn ins Gespräch. Die ebenfalls sichtlich am Essen begeisterte Dame neben mir entpuppt sich als Seen Lippert, ehemalige Küchenchefin des legendären, von Alice Waters geführten Restaurants Chez Panisse in Kalifornien. Über den Abend hinweg ergibt sich ein interessanter, von der gemeinsamen Leidenschaft zu gutem Essen geprägter Austausch.
Der erste Gang wird mir über den Tresen gereicht: eine einladende Augenweide. In der Schale einer mir unbekannten Muschelart befindet sich das entsprechende Muschelfleisch, behutsam gegart in einem leicht herzhaft-salzigen Sud; darauf aufgetürmt diverse knackig frische Gemüse und Kräuter. In die Frische der Zutaten kann man regelrecht hineinbeißen. Ein traumhaftes Ensemble.
Es wird sogar eine Weinbegleitung offeriert, und das Personal ist bisher das am besten gelaunte auf dieser Reise. Mein Wohlbefinden ist auf entsprechend hohem Niveau …
… und bleibt dort auch, z. B. wegen der Entdeckung von so andersartigen und dabei wunderbaren Speisen wie der nächste Gang. Dort befinden sich in einem sehr heißen Dashi einige Gemüse (Kohlarten und Pilze); die Hauptzutat – sofern man das so sagen kann – sind in einem Teigmantel ausgebackene Garnelen.
Das klingt recht simpel, doch ist vermeintlich Simples, das genau dadurch hervorragend ist, geradezu die Quintessenz meiner Reise nach Tokio (und wird durch die klassischen Sushi-Restaurants ja noch auf die Spitze getrieben). Dieses Gericht bspw. glänzt nicht nur durch die erneut hervorragende Produktqualität aller Ingredienzen, sondern auch durch die Brühe, dir nur sehr dezent gewürzt ist, es aber dennoch schafft, als eine Art Bindeglied zwischen den Zutaten zu fungieren. Hervorragend, nur in Summe etwas viel (sehr heiße) Flüssigkeit.
Toru Okuda präpariert inzwischen Sashimi für den nächsten Gang und demonstriert dabei den perfekten Umgang mit dem Yanagi-ba, dem klassischen Sashimi-Messer.
Es gibt eine Platte mit unterschiedlichem Sashimi in japanisch-üblicher Perfektion. Die Tranchen fetten Thunfischs sind wunderbar in ihrer Opulenz, eher elegant dagegen sind die Stücke von Brasse und Tintenfisch. Exzellent dazu passen die Sojasauce und das intensive Meersalz. Ganz groß!
Auf dem Fuße folgt einer der besten Gänge meiner ohnehin fast nur in Superlativen zu beschreibenden Japan-Reise. Die bildhübsche Präsentation wartet unter anderem auf mit einem Stück noch dunkler als goldbraun gegrillter Makrele, die so wunderbar schmeckt wie es hier am Anfang geduftet hat. Dazu gibt es verschiedene Gemüse, sowie Tempura von einem kaisergranat-ähnlichen Tier. Der Duft; die knusprige Textur, die bei jeder Zutat – leicht variiert – eine Rolle spielt; die Kombination mit der Sojasauce am Tisch: all das ergibt in Summe einen delikaten Gaumenschmaus zum Augenschließen und Innehalten, warum es tatsächlich Speisen gibt, die (für mich) eine ganze Reise rechtfertigen. Unvergesslich!
Es geht phänomenal weiter. Ein Schälchen mit Scheiben geschmorten Rindfleischs, verschiedenen Staudengemüsen und einem süßlich-herzhaften Sud sollten jedes Genießerherz höher schlagen lassen. Wem das „zu einfach für ein Drei-Sterne-Restaurant“ aussieht (ich habe solche Kommentare bereits gelesen), der hatte offenbar – in die Irre geführt von aufwändiger Avantgardeküche – noch nicht die Möglichkeit, derart Deliziöses zu verkosten. Einfach ist hieran nämlich gar nichts: Das Fleisch, so unscheinbar es nach unseren westlichen Maßstäben zunächst aussieht, zergeht am Gaumen, so gehaltvoll ist es; die Gemüse sind wunderbar gegart, und der Sud ist das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung und schmeckt auch so.
Im Glas dazu, fröhlich serviert von einer der Angestellten vor mir am Tresen, ist ein 2011 Château de Sales, Pomerol – nichts Großes, aber dennoch mit Bedacht ausgewählt und in diesem Moment ein kongenialer Volltreffer.
Solche Speisen sind es, die für mich das Bild der weltweit besten Restaurants erst wirklich begreifbar machen. Sie sind das fernöstliche Ebenbild zu Puristen wie Alain Ducasse oder Bernard Pacaud, die alle gemeinsam haben, bekannte, leicht identifizierbare Zutaten perfekt zur Geltung zu bringen.
Wie in Kaiseki-Restaurants üblich, folgt dann noch der Reisgang (satt wird man spätestens dann), in diesem Fall mit Rotem Schnapper, Bambus und weiterem Gemüse. Eine exzellente Misosuppe und ein weiteres Schälchen mit Gemüse runden die warmen Speisen des Menüs ab.
Als Dessert gibt es mit Champagner aufgegossene Erdbeeren (ganz in Ordnung, aber recht unjapanisch), dazu Matcha-Tee (angenehm herb, und jedes Mal beeindruckend) sowie grünen Tee (durch unerklärliche Nuancen der beste, den ich je probiert habe). Das ist zwar recht viel Flüssiges am Ende, aber eben Tradition. Gesünder als die entsprechende Menge Digestif ist es auf jeden Fall.Ginza Kojyu ist ein peferktes Kaiseki-Erlebnis. Die epochalen Speisen rechtfertigen natürlich schon jeden Besuch hier, doch in Verbindung mit dem freundlichen, kommunikativen Personal, der lebhaften Atmosphäre, der sehr guten Weinauswahl und den interessanten Gesprächen am Tresen war dies ein rundum perfekter Abend.
Und warum Okuda in Paris bisher „nur“ einen Stern erkocht hat, freue mich schon, herauszufinden.