Joël Robuchon Tokyo – gefundenes Fressen
Warum ich in Japan französisch Essen gehe? Ganz einfach: Allem voran steht natürlich mein Begehren, überhaupt jedes Drei-Sterne-Restaurant zu besuchen, ganz egal, wie es heißt, wer es betreibt und wo es sich befindet. Zudem erscheint es mir eine ganz gute Idee, während meiner intensiven Auseinandersetzung mit der japanischen Küche auf dieser Reise auch mal einen Richtungswechsel einzuschlagen. Und nicht zuletzt ist es „Jahrhundertkoch“ Joël Robuchon selbst, dessen meist zweifach besternte Ateliers ich zu meinen absoluten Lieblingsrestaurants zähle, wenn es ums Gesamtkonzept geht.
Robuchon betreibt Restaurants auf der ganzen Welt, die zusammengenommen mit 28 Michelin-Sternen ausgezeichnet sind – ein Rekord. Seine Drei-Sterne-Restaurants findet man zurzeit allerdings nur in Asien, nämlich in Hongkong, Macau und … Tokio. (Sein Restaurant in Las Vegas zählt – trotz entsprechender Kennzeichnung auf der eigenen Website – nicht mehr dazu, seitdem der Guide Michelin Las Vegas in 2010 eingestellt wurde.)
Was mich heute Abend hier in seinem Restaurant in Tokio erwartet, ist gefundenes Fressen für alle, die gerne betonen, dass große Namen und viele Sterne eben noch nicht immer das Wahre sind. Ich sage dazu lediglich: Ausnahmen bestätigen die Regeln.
Als mich die Metro gegen 19 Uhr im Stadtteil Ebisu ausspuckt, befinde ich mich in dem riesigen, im Freien angelegten Büro- und Freizeitkomplex Yebisu Garden Place. Hier gibt es Kinos, Erlebnisgastronomie, Einkaufspassagen und dergleichen.
Ich gehe weiter geradeaus und stehe irgendwann vor einem exakten Nachbau eines Schlosses im Louis-seize-Stil. Der Auftrag ist klar: Man ermögliche es den Japanern, in den Genuss hochdekorierter französischer Luxusgastronomie zu gelangen, mit allem Drum und Dran und ohne dafür zwölf Stunden im Flugzeug sitzen zu müssen. Das ist auch legitim, schließlich ist die französische Küche – zu Recht – weltweites Exportgut und prinzipiell nirgendwo fehl am Platz.
Doch das hier ist von Anfang an anders. Schon das Gebäude wirkt fürchterlich deplatziert, unauthentisch und protzig. Dieser Eindruck setzt sich fort und weicht wenig später dem der Lächerlichkeit, als ich den Speisesaal im ersten Stock betrete.
Der fensterlose Raum ist komplett in Schwarz- und Goldtönen gehalten, und ein mittig angebrachter Baccarat-Kronleuchter (Kostenpunkt nach meinen Recherchen ca. fünfzigtausend Euro) versprüht das Wort Dekadenz wie ein an die Zimmerdecke montierter Feuerlöscher Wasser.
Kaum sitze ich am Tisch – die schwarze Tischdecke ist aus irgendeinem synthetischen Material mit Abperleffekt, und ich kann nicht einmal meine Füße bequem platzieren, weil der Tisch auf einer Art breitem Sockel steht – wird ein riesiger Wagen mit Champagner auf mich zugerollt. Darin lauter Flaschen Veuve Clicquot in verschiedenen Formaten.
Da ich Massenvinifizierung ungefähr genauso kritisch gegenüberstehe wie Massentierhaltung, lehne ich dankend ab und suche mir stattdessen einen offenen Weißwein von der auf einem iPad präsentierten Weinkarte. Die Auswahl in dieser Kategorie ist nicht besonders groß, aber ein Glas Irouléguy von Herri Mina aus dem äußersten Südwesten Frankreichs ist immerhin authentisch und ein kleiner Lichtblick in diesem gastronomischen Disneyland.
Doch wie so häufig hat all das nichts mit dem Essen zu tun, und meine Erwartungen sind nach wie vor sehr hoch. Es ist Robuchon! Im „nur“ zweifach besternten Atelier in Saint-Germain habe ich ja sogar manchmal schon auf Drei-Sterne-Niveau gegessen. Wie werden dann wohl wahrhaftige drei Robuchon-Sterne schmecken?
Nach meiner Menüauswahl (Menu de Saison, ca. € 165) und quälend langer Wartezeit bekomme ich endlich etwas Brot serviert, das ich zügig, aber trocken verspeise. Öl oder Butter gibt es zunächst nicht. Ich habe recht großen Appetit, immerhin habe ich heute Mittag zum ersten Mal auf dieser Reise mit einem Restaurantbesuch ausgesetzt.
Als mich dann endlich das erste Amuse-Bouche erreicht (L’Asperge Blanche), staune ich nicht schlecht. In einem kleinen Glas befindet sich irgendetwas mit Spargelmousse und Orangengelee … aber was ist das denn? Auf dem Teller befindet sich ein Foto von weißem Spargel. Ein Foto! Wie vor einem Strandimbiss in Lloret de Mar. Ich weiß wovon ich rede, denn in 2010 stand ich vor genau einem solchen Imbiss auf dem Weg zu Carme Ruscalledas wunderbarem Restaurant Sant Pau, siehe dort.
Ist weißer Spargel wirklich so exotisch in Japan, dass man ihn abbilden muss? Ungläubig löffle ich das Schälchen aus und bin überhaupt nicht angetan von dieser viel zu kalten und eindeutig schon vor vielen Stunden vorbereiteten Speise. Und wo ist der abgebildete Spargel? Eine Schande.
Der Nachbartisch löffelt Kaviar aus Dosen zu überteuertem Standardchampagner. Auch eine Schande.
Es geht weiter mit einem Glasgefäß mit Krebsfleisch (Le Crabe), ebenfalls Kaviar, Avocadocrème und einem Gelee aus Tomatenessenz. Auch dieses Gericht wird viel zu kalt serviert – ein absoluter Makel. Die Komposition könnte sehr stimmig sein, wenn nicht nur die Temperatur, sondern auch die Gewichtung der Komponenten anders ausfiele. Zum Beispiel tragen zwei Stück rohe rote Zwiebel und etwas Gurke zu angenehm frischen „Spitzen“ bei und hätten daher ruhig zahlreicher auftreten können. Die überdimensionierte Avocadocrème dagegen lässt die ganze Kreation in Richtung Guacamole kippen. Das ist ein gelungener Dip für Tortilla-Chips, aber auch genauso weit von drei Sternen entfernt.
Mein Auge erfreut sich am nächsten Gang (La Langoustine), der Kaisergranat und Erbse zur Schau stellt. Müsste ich Lieblingszutaten nennen, wären diese beiden Evergreens sicherlich mit dabei. (Kein Wunder, wenn damit so etwas entstehen kann wie z. B. Yannik Allénos Meisterwerk Cassolette de langoustines à la fondue de petits pois, das ich in 2011 im Le Meurice erlebte und nie wieder vergaß.)
Dieses hier … fällt dagegen ab. Die zwei Kaisergranate, die hier fast schon nach mickrigen Garnelen aussehen, sind etwas über ihrem perfekten Garpunkt, und – wie auch schon zuvor – ist mit der Erbsencreme viel zu viel Staffage auf dem Teller. Das Gericht schmeckt wie eine sehr gute Erbsensuppe. Ich habe nichts gegen sehr gute Erbsensuppen, kann aber den Eindruck, hier regelrecht abgezockt zu werden, irgendwie nicht losschütteln.
Das einzig wirklich hervorragende Gericht folgt jetzt in Form von L’Amadaï (Torpedobarsch), der knusprig mit Schuppen und perfekt auf den Punkt gegart ist und in einer Nage von Lilienblüten und Yuzu serviert wird. Dazu gibt es junges Frühlingslauch und Perlzwiebeln. Das Gericht ist heiß, die Fischqualität ist bestechend und das pikante Zwiebelgemüse dazu herrlich spielerisch. Lässig, souverän – und ganz offenkundig auch der erste à la minute zubereitete Gang.
Das nächste Gericht (Le Porc Ibérique) zerstört dann wieder jede Illusion, dass irgendeine Form von Hoffnung des ohnehin schon fast dem Ende zugeneigten Menüs angebracht wäre. Wenngleich mir das Anrichten eines Gerichts prinzipiell nicht besonders wichtig ist, sieht dieser Teller schlichtweg katastrophal aus. Ich stelle fest: Es gibt ein paar Stücke recht gewöhnlich anmutendes Ibericoschwein; dann eine mit Parmesan angedickte Polenta mit drei Stück Popcorn (!?); als „Saucen“ halten Spuren von öligem Pesto und ein fettiger Bratenjus her; der Clou sind die paar Romanaherzen am Tellerrand.
Tatsächlich ist die Qualität des Fleischs respektabel und die Gesamtkomposition durchaus stimmiger als erwartet. Hätte ein Freund das für mich gekocht, würde ich ihn loben – Joël Robuchon möchte ich dafür aber gerne auf die Finger hauen. Und die Michelin-Inspektoren, die einen dafür um die halbe Welt fliegen lassen (theoretisch), gehören definitiv entlassen.
Über die fürchterlichen Desserts – unter anderem ein nach muffigem Koffer schmeckendes Ensemble mit Kastanie, Kaffee und schwarzer Johannisbeere – habe ich nicht einmal mehr Lust, zu schreiben, so sehr rege ich mich noch vier Wochen später darüber auf.
Was für eine Schmach für die Repräsentanz der französischen Küche im Ausland, für gute Champagnererzeuger, für Joël Robuchon und für den Guide Michelin, der hier dringend mal nach dem Rechten sehen und alle Sterne wieder mitnehmen sollte.
Schnell raus hier. Ich bin noch mit ein paar Leuten in einer Weinbar verabredet. Eine gute Flasche und ein paar anständige Snacks sind jetzt genau das, was ich brauche.