Tourniert: Hamburg, Berlin, Kopenhagen
Zwischen persönlichen Favoriten, bewährten Klassikern und spannenden Neueröffnungen gab es auch in den vergangenen Wochen einige Restaurantbesuche, über die ich bislang nicht berichtet habe. Hier in Tourniert finden sie nun ihren Platz – kompakt, aber mit dem Blick aufs Wesentliche.
Restaurants:
Kong Hans Kælder, Kopenhagen
Loumi, Berlin
Tulus Lotrek, Berlin
100/200 Kitchen, Hamburg
Shio, Hamburg
Kong Hans Kælder, Kopenhagen
Das 1976 eröffnete Kong Hans Kælder war 1983 das erste Restaurant in Kopenhagen, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. 2014 verlor es die Auszeichnung, erhielt sie 2016 zurück – und trägt seit 2021 zwei Sterne.
Das Restaurant in einem alten Gewölbekeller setzt auf das Flair klassischer Spitzengastronomie: weiße Tischdecken, Kerzenlicht, Käsewagen, Köche mit Hauben, Kellner in Anzügen, silberne Tabletts. Die Atmosphäre ist angenehm, wirkt aber auch etwas aus der Zeit gefallen. Das (einzig verfügbare) Menü kostet stolze 375 € und hat auch einen entsprechenden Umfang: acht Amuse-Bouches, neun Gänge und optional Käse. Eine À-la-carte-Option wäre mir lieber gewesen, gerade in einem französisch geprägten Kontext.
Die Amuse-Bouches sind überwiegend hervorragend, etwa ein knusprig-leichter Taco mit Königskrabbe, schwarzem Knoblauch, Mango und Apfel (8/10) – oder zumindest sehr gut, wie ein Wachtelei mit Kaviar (7,5/10).
Das beste Amuse ist eine Tartelette, die als Hommage an die Nizzaer Zwiebelspezialität Pissaladière gedacht ist und den herzhaften, tief aromatischen Genuss aus langsam geschmorten Zwiebeln, salzigen Sardellen und schwarzen Oliven perfekt einfängt. (8,5/10)
Einen starken Dämpfer bekommt das Menü aber gleich zum offiziellen Start: Eine kühle Kombination aus Jakobsmuschel, Blumenkohl und Kaviar ist halbgefroren, was der Muschel eine wässrige, stumpfe Konsistenz verleiht. Es wirkt, als sei das Gericht nicht ganz aufgetaut worden, und allein dieser Verdacht reicht, um das meiste davon stehen zu lassen. (5/10)
Es gibt aber deutlich bessere Speisen, z. B. eine saftige Seezunge, goldbraun gebraten, mit Sauce Grenoblaise – ein Klassiker, der mit Kapern, Zitrone und beurre noisette klassischen Hochgenuss zelebriert. (8,5/10)
Oder ein Surf & Turf mit Teigtaschen, gefüllt mit Kaisergranat und Wildschwein, dazu Tomaten, Basilikum und eine schaumig-buttrige Krustentierbisque – eine üppige Liaison aus französischer Technik mit italienischen Aromen. (8/10)
Doch zu oft bleiben die Gänge hinter den Erwartungen zurück. Man stößt auf Temperaturprobleme, charakterlose Sous-vide-Garung – und so gut wie nie auf wirklich Bemerkenswertes. Nichts ist wirklich schlecht, vieles objektiv sehr gut, aber nichts davon bewegt. Irgendwann ist man froh, dass es vorbei ist. Es ist eines dieser Essen.
Loumi, Berlin
Das passt eigentlich gar nicht zu Berlin: ein Restaurant ohne laute Botschaft, ohne Dogmen, ohne den Drang zu provozieren. Stattdessen ein unaufdringlicher, aber keineswegs klandestiner Auftritt an einer Straßenecke in Kreuzberg – das Loumi hat einen kleinen Fußabdruck, könnte man sagen. Aber es hört nicht auf, mich zu begeistern.
Das beginnt schon bei den kleinen Austern, die man sich zum Menü (130 €) gleich zu Beginn dazubestellen kann. Eine ist köstlicher als die andere – etwa eine gegrillte Belon mit Austern-Beurre-Blanc, »Hot Sauce«, Togarashi und Yuzu-Zeste. Und schon die Zeste unterscheidet das Loumi von jenen Restaurants, die zwar mit exotischen Zitrusfrüchten prahlen, aber meist nur deren Extrakte einsetzen. Der Unterschied ist gewaltig. Man deutet hier nur an – flüchtig, wie die Kopfnote eines Parfüms –, um der Auster einen Hauch Exotik zu verleihen.
Diese Philosophie durchzieht das gesamte Menü. Etwa bei der Kombination aus gedämpfter und gegrillter bretonischer Abalone mit einem Millefeuille aus Chinakohl und kandierter Kombu-Alge. Dazu eine Beurre Blanc aus Abalonenleber mit Piment d’Espelette, Ingwer und Shisoblüten – brillant ausbalanciert, lebendig frisch und fein pikant. (8/10)
Mehr als großartig gerät eine saftige Tranche dry-aged Seeteufel aus der Bretagne, gebettet in eine Vin-Jaune-Sauce mit bretonischer Beurre Bordier, begleitet von Walnüssen und Meyer-Zitrone. Das Gericht erinnert in seiner Klarheit an Kompositionen von César Ramirez – nicht weniger scheint hier der Maßstab zu sein. (8,5/10)
Einen Gang mit knackig frischem provenzalischem Pertuis-Spargel, knusprig gegrillter aquitanischer Wachtel, einer mit Entenleber, Sardelle und Meyer-Salzzitrone gefüllter Morchel und einem süffigen, umamitiefen Wachteljus mit Kampotpfeffer könnte man dann tatsächlich mühelos in einem Drei-Sterne-Restaurant auftischen. (9/10)
Im Laufe des Abends begegnen mir weiteren Ausnahmeprodukte wie Koshihikari-Reis, frischer Wasabi, Kinmedai (Glänzender Schleimkopf), Lágrima de Costa-Erbsen, N25-Ossetra-Kaviar, Kalbsbries und A4-Kagoshima-Rind. Niemals laut und immer das Produkt huldigend. Schon jetzt: eine große Sache.
Tulus Lotrek, Berlin
Ein weiterer Favorit von mir, der zumindest aus Hamburg eine Reise in die Hauptstadt rechtfertigt, bleibt das Tulus Lotrek. Die Küche von Max Strohe bleibt glasklar französisch – und glasklar nicht bloß dem Genuss, sondern dem Schlemmen verschrieben. Das ist ein Unterschied. Genießen kann man mit der Spitze einer Gabel – zum Schlemmen braucht man einen Löffel.
Und den braucht man hier oft, zum Beispiel zum Auslöffeln eines opulenten Chawanmushi mit Otoro, Kaviar und Kaisergranat-Dashi: gehaltvoll, leicht süß und durch einen Wasabi-Kick fein pikant. (7,5/10)
Auch zu einer Vin-Jaune-Sauce mit Feigenblattöl, die zu makellos gebratener Jakobsmuschel von hoher Qualität mit Kalbskopfschinken und quietschfrischem Périgord-Trüffel serviert wird, muss man den Löffel zücken. (8/10)
Nach einem Extragang mit Kaisergranat (zzgl. 35 € zum Menüpreis von 205 €) von kaum übertreffbarer Güte kann das reflexhafte Auslöffeln von buttrigen, aufgeschäumten Saucen – inklusive deren Reste in der Saucière – aber auch etwas zu viel werden. Selbst Schuld, keine Frage. (7,5/10)
Einer mit Foie Gras soufflierten Wachtel mit Neuköllner Blutwurst, Rieslingkraut und Sauce Riche – apropos üppige Saucen – fehlt es ein bisschen an Kontrasten (7/10), während eine süffige Kreation mit Carabinero und Koshihikari-Reis die Messlatte wieder nach oben schiebt (8/10).
Der süße Abschluss schließlich ist ein Marsch durchs Schlaraffenland, mit einem Trüffeleis mit Périgord-Trüffeln als Höhepunkt, das zu einem sofortigen Klassiker deklariert werden muss (10/10). Gerne (immer) wieder.
100/200 Kitchen, Hamburg
Ich besuche das für Hamburger Verhältnisse entlegene Restaurant öfter, als ich hier darüber berichte. Denn wer sich in dieser Stadt nach einer Spitzenküche sehnt, die authentisch, mutig, einfallsreich und einzigartig ist, kommt am 100/200 nicht vorbei. Das À-la-carte-Konzept Glorie ermöglicht seit einiger Zeit zudem mehr kulinarische Flexibilität.
Das Menü, das zu meinem Besuch im März serviert wird, heißt Feld & Flur und ist das fleischlastigere der vier jährlich wechselnden Menüs. Dass ich am Ende des Abends für unseren Tisch trotzdem noch ein Steak bestelle, ist etwas ironisch.
Bis dahin aber folgt ein verblüffendes Gericht aufs nächste. Eine Tellersülze mit geliertem Rinderfond, gepickeltem Gemüse und Eigelbschaum ist ein grandioser Auftakt. Die regionale Referenz, das tiefe Umami, die befriedigende Cremigkeit und eine geradlinige Kühle, die zur schnittigen Säure der Gemüse passt – all das ist bewegend. Ein Kristallbrot mit Kresse sorgt dazu für pikante, krosse Kontraste. (9/10)
Dass eine Forelle mit geschmortem Pilzsud und Kräuteröl als Hommage an Janosch gedacht ist und nicht an Sven Wassmer, mag man der Küche angesichts dieses Produkt-Highlights verzeihen. Ich esse ja auch keine Hommagen, sondern Produkte, in diesem Fall eine der besten Forellen überhaupt: saftig, dicht, leicht »flussig«. (9/10)
Das heutige Menü ist eines der besten hier bisher. Es endet später auch so, wenn der Gaumen lernt, dass Kapern und Schokolade kongenial harmonieren. Das funktioniert nur, wenn die Schokolade eine so hohe Qualität hat, dass eine fruchtige Säure wichtiger ist als Süße. (8,9/10)
Das 100/200 bleibt von allen Spitzenrestaurants in Hamburg das spannendste – mit Gerichten, die überraschen, bewegen und Bedeutung tragen. Mit einer Atmosphäre wie in Brooklyn. Nirgendwo in dieser Stadt ist es köstlicher, Fernweh zu stillen.
Shio, Hamburg
Das neue Sushi-Restaurant, von dem in Hamburg gerade alle reden, heißt Shio. Dahinter steckt der umtriebige und wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrte Hubert Haciski, der die letzten Jahre als Privatkoch auf Yachten arbeitete sowie in Restaurants in Kalifornien und Australien. Zusammen mit Freund und nun Geschäftspartner Arian Farahani führt er den neuen Laden, der sich in einem typisch ramschigen Hinterhof in Hamburgs Schanzenviertel versteckt. Acht Plätze um einen u-förmigen Tresen sind ein erfrischendes Konzept für die Hansestadt, in der man mit Sushi bisher meist nur die fragwürdigen Erzeugnisse eines populären Fernsehkochs verbindet.
Ich habe das junge Restaurant bereits besucht, werde aber zunächst die weitere Entwicklung abwarten, um ausführlicher zu berichten. Mein erster Abend war eine Mischung aus Freude über ein solches Konzept in Hamburg, ausreichend gutem Wein und angeregtem Austausch über Optimierungspotenzial – und über die unzähligen Stellschrauben, an denen sich gutes Sushi messen muss. Man darf gespannt bleiben.