L’Oste Scuro – Qualität leuchtet
Wenn man nach »einfacheren« Restaurants in Verona sucht – ich setze das beim Schreiben dieser Zeilen, also nach meinem Besuch, bewusst in Anführungszeichen –, führt die Spur schnell zur familiengeführten Trattoria L’Oste Scuro. Vom Guide Michelin empfohlen, aber unbesternt, präsentiert sich das Lokal mit einer klaren Spezialisierung auf Fisch- und Meeresfrüchte – für mich die ideale Wahl für den ersten von zwei kulinarischen Abenden in Verona. Der zweite führt mich ins dreifach besternte Casa Perbellini 12 Apostoli.
Das Restaurant befindet sich in einem charmanten Altbau, dessen sauber verputzte Fassade zunächst unscheinbar wirkt. Doch beim Betreten entfaltet sich ein stimmungsvolles Ambiente. Niedrige Decken, ein verwinkelter Grundriss und schummriges Licht, das auf teilweise freigelegtes Mauerwerk fällt, verleihen dem Ort eine rustikale, aber einladende Atmosphäre.
Am Tisch kursieren meine Gedanken schon um erste Speisen, wobei mir gleich klar ist, dass ich in einem so produktfokussierten Restaurant à la carte wähle und nicht auf das ebenfalls verfügbare Menü zurückgreife. Etwas umständlich ist dabei, dass Speise- und Weinkarte auf einem iPad präsentiert werden, was es unnötig kompliziert macht, zwischen und innerhalb der Karten zu stöbern. Trotz aller Digitalisierungsvorteile – digitale Speisekarten sind keiner.
Die Karte ist in zahlreiche Rubriken unterteilt – von »Austern« und »Kaviar« über »Rohes« und »Vorspeisen« bis zu »Primi Piatti« und Hauptgerichten. Die Vielfalt ist appetitanregend – aber ohne Erfahrung, welche Produkte einem besonders am Herzen liegen und wie man diese über den Abend hinweg am besten verteilen möchte, könnte man hier orientierungslos sein. Mein Ansatz bei einer solch breiten Auswahl ist es immer, zunächst mit ein paar Kleinigkeiten zu beginnen und dann spontan weiterzusehen.
Was den Wein betrifft, habe ich Glück, dass der Inhaber des Restaurants bekennender Burgund-Liebhaber ist und eine ansprechende Auswahl an Optionen vorhält. Ich entscheide mich schließlich für einen 2018er Puligny-Montrachet 1er Cru »Les Combettes« von der Domaine Jean-Marc Boillot (287 €) und starte mit einer Auswahl von irischen und bretonischen Austern und Seeigel (alles jeweils ca. 7-8 € pro Stück).
Der Teller begeistert mit einem Duft von tosendem Meer – so müssen frische Meeresfrüchte duften! Alles sind Zutaten von besonders hoher Qualität, wobei für mich die lange, schlanke Austernsorte Spécial Gauloise von der Familie Thaeron aus der Bretagne mit ihrer eleganten Klarheit besonders hervorsticht. Auch der Seeigel ist köstlich, mit seinem typisch »muffigen« Hafenbeckenaroma, wenngleich die europäischen Exemplare mit ihren kleinen rostroten Gonaden gegen die fleischigen Umamibomben aus Japan oder Kalifornien hintenanstehen müssen. (7,5/10)
Ich mache puristisch mit einem Teller roher Scampi weiter – als halbe Portion in Form von drei Exemplaren (30 €). Da man in Italien natürlich bekommt, was draufsteht, handelt es sich hier um Kaisergranat und nicht um Garnelen, was mich dazu animiert, das Thema noch einmal separat zu vertiefen. Das edle Krustentier ist optisch markant angerichtet, indem der Panzer zwar abgelöst wurde, Kopf und Scheren aber noch intakt sind. Das Fleisch der Tiere wurde längs mit Estragon dekoriert und erinnert damit, ob zufällig oder gewollt, an den (entfernten) Darm. Etwas Olivenöl und separat servierte Limette erweitern das puristische Vergnügen bewusst simpel. Auch hier begeistern eine optimale, kühle Temperatur und eine Produktqualität am Anschlag. Aus dem Produkt lässt sich – so puristisch serviert – qualitativ nichts mehr herausholen, daher notiere ich hier meine höchste Note für (fast) pur servierte Produkte (8/10). Man muss solche Qualitäten auch abliefern können.
Meine nächste Wahl fällt auf ein kleines Zwischengericht mit gedämpftem Felsenbarsch mit Champagnersauce, Austerncreme und Kaviar (34 €). Der Fisch hat eine feste Konsistenz, die Sauce ist salzig, cremig und dicht. Das ist sehr gut, aber durch den alleinigen Fokus auf Salzigkeit auch nicht mehr. (7/10)
Ein bisschen darf es ruhig noch weitergehen, in diesem Fall mit Spaghetti der Marke Ma'kaira aus den Abruzzen (23 €). Die wurden mit Tintenfischtinte schwarz gefärbt und kommen, ansprechend zu einem kleinen Nest aufgewickelt, mit kleinen Tintenfischen, Herzmuscheln, Knoblauch, Olivenöl und Chili. Das schmeckt so herzhaft-maritim wie es klingt, leicht würzig, appetitlich säurebetont und dezent pikant, mit sehr guter, al dente gekochter Pasta. (7/10)
Man ermöglicht mir noch, zwei weitere Gerichte als halbe Portionen zu bestellen. Das erste ist eine Zubereitung aus gebratenem Petersfisch auf einer würzigen Bagna cauda mit Pil-Pil-Sauce, Schwarzkohl, Sardellen und Polenta-Chip (19 €). Bei weiterhin hoher Fischqualität gäbe es hier zweifellos noch Optimierungsmöglichkeiten, u. a. hinsichtlich der etwas zu geringen Temperatur und einem etwas undifferenzierten Geschmacksbild, doch gerade Letzteres ist eher einer bewussten Rustikalität zuzuschreiben. (6,9/10)
Der letzte herzhafte Gang ist in Miso marinierter Kohlenfisch (Nobu Matsuhisa hat offenbar auch hier Spuren hinterlassen) mit Kartoffelpüree, sibirischem Kaviar, Lachsrogen und Schnittlauch-Crème-fraîche (20 €), alles sehr kompakt angerichtet. Die charakteristische, süffige Süße vom Miso macht Laune, auch das samtige Kartoffelpüree passt gut und positioniert das Gericht eher in Europa als in Asien. Sehr stimmig. (7/10)
Eine schlichte Kugelt Pistazieneis, die als Pré-Dessert präsentiert wird, erfüllt alle Kriterien an ein gewissenhaft hergestelltes Sahneeis: cremig, dicht und köstlich. (7/10)
Nur das eigentliche Dessert fällt aus dem Rahmen. Schon die verspielte Anrichtweise ist ein Bruch zur bisherigen Schlichtheit: ein Pistazien-Semifreddo (Eisparfait), belgeitet von Tupfen von Himbeercreme und Tonkabohnen-Crumble (15 €) ist schlicht zu massig und für unkomplizierten Genuss auch deutlich zu hart. (6,5/10)
Beim L’Oste Scuro siegt das Sein über den Schein. Qualität, Authentizität und oft auch eine Feinheit, die man hier weder erwartet noch fordert, machen das Lokal zu einem kleinen Juwel. Dass hier kein Stern leuchtet, ist kaum nachvollziehbar. Aber wen stört’s? Qualität leuchtet ganz von selbst.