Casa Perbellini 12 Apostoli – das Rätsel von Verona

Gianfranco Perbellini ist seit Jahrzehnten einer von Italiens erfolgreichsten Gastronomen. Mit seinem bis vor kurzem noch zweifach besternten Flaggschiff-Restaurant in Verona ist Perbellini nun an einen historischen Ort umgezogen: ins Haus 12 Apostoli, in dem bereits seit über dreihundert Jahren gekocht wird. Dass ich schon einmal in einem Restaurant von Perbellini gegessen habe (mit verhaltener Begeisterung), dem inzwischen unter neuer Führung betriebenen Dopolavoro in Venedig, hatte ich ganz vergessen.

Nach umfangreicher Renovierung erstrahlen die Gemäuer nun, zumindest innen, in neuem Glanz. Es gibt mehrere Speisesäle, einer davon ist separat als »Chef’s Table« buchbar und bietet den Gästen einen direkten Blick auf die Küche. Die Einrichtungsdetails des Restaurants sind eindrucksvoll, mit aufwändigen, teils regalartigen Holzkonstruktionen, die als Raumtrenner dienen, indirekter warmer Beleuchtung und großen, weiß eingedeckten Tischen mit viel Abstand zueinander. Die alte Bemalung der Decke wurde bei der Restauration erhalten.

Offenbar hat der Umzug auch kulinarische Impulse gesetzt, denn das Restaurant wurde vor kurzem mit einem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet. Schade nur, dass es von Anfang an sehr förmlich zugeht. Ein Lächeln zum Empfang wäre schon mal ein Anfang.

Am Platz möchte ich die erste Aufgabe – die der Weinauswahl – möglichst zügig hinter mich bringen, bevor die Prozedur des Amuse-Bouches-Auftischens beginnt, die ich hier vermute. Die online abrufbare Weinkarte war für eine Vorauswahl leider ungeeignet, weil sie keine Preise beinhaltet. Immerhin kann man aus ihr ablesen, dass hier jemand Burgund-Liebhaber ist.

Die Speisekarte wird mir ebenfalls gerade erklärt. Es gibt drei Menüs, darunter ein vegetarisches und glutenfreies – seltsam, dass ausgerechnet das »die Essenz« heißt. Meine Wahl fällt auf das etwas klassischer ausgerichtete »Io e Giorgio« (198 €), eine Hommage an den einstigen Küchenchef dieses Orts, Giorgio Gioco. Es gibt dazu zwei Ergänzungsmöglichkeiten – ein Gericht mit Spaghetti, ein weiteres mit Risotto – für (im Vergleich zum überschaubaren Menüpreis) astronomische 75 €. Die Spaghetti schiebe ich dennoch ein, auf derart vermeintlich Einfaches bin ich auf diesem Niveau zu neugierig.

Die Weinauswahl, obwohl recht zielstrebig von mir, kann ich zunächst nicht abschließen, da, wie erwartet, schon die ersten Amuse-Bouches aufgetischt werden. Um den Faden nicht zu verlieren, muss ich mein Handy als Lesezeichen benutzen. Es gibt nur sehr wenige Restaurants, die dieses Timing-Problem elegant lösen. Den Gast zu fragen, ob man zuerst ein wenig in der Weinkarte stöbern möchte, wäre eine simple, aber effektive Möglichkeit.

Nachdem die Snacks, deren Beschreibungen ich leider nicht folgen kann, die aber auch jenseits einer merklich akkuraten Herstellung eher unauffällig sind (7/10), fällt meine Weinauswahl schließlich auf einen 2009er Nuits-St.-Georges 1er Cru »Les Pruliers« von der Domaine Henri Gouges (300 €), womit ich auch direkt starte.

Weitere Amuses folgen. Es gibt eine Praline mit Rosenlikör, Aperol und Zitrusfrüchten, die einen bittersüßen Cocktail emuliert (7/10), ein luftiges, aber voluminöses sternförmiges Gebäck aus Sellerie mit rauchigem Tomatenpulver (Vorsicht mit den Klamotten!) und leicht fettiger Textur (8/10), einen umamigeladenen Cracker mit Alge und Wasabi-Mayonnaise (9/10), eine herzhafte Parmesanpraline mit Pfeffercreme (7/10), eine eher unauffällige Tartelette mit Rote-Bete-Creme und Rhabarber (7/10) sowie einen letzten Snack mit getrockneter Paprika und Parmesan, der so unkompliziert gut schmeckt wie erkaltete Tomatensauce (8/10).

Ein noch heißes Focaccia wird danach eingeschoben – als eine von diversen Brotspezialitäten, die man im Laufe des Menüs servieren wird. Ein Dip aus Squacquerone-Käse wird dazu gereicht.

Der erste Gang des Menüs ist ein Klassiker des Küchenchefs. Ein Tartar vom Wolfsbarsch befindet sich hier zwischen hauchdünnen Waffeln mit Sesam; eine Creme mit Frischkäse und Schnittlauch dient dabei als erfrischendes Bindeglied. Die Fisch-zwischen-Sesamwaffeln-Kombination erinnert zwangsweise an das berühmte Gericht von Bernard Pacaud mit Kaisergranat und Currysauce, hat aber damit nicht viel gemein. Der Clou dieser Kreation ist letztlich ein dazu separat servierter Löffel, der zuvor in eine Süßholzsauce getunkt wurde, mit dem man das Gericht dann auch isst. Die würzige Süße belebt das Gericht auf überraschend wohlschmeckende Weise, führt aber auch vor Augen, dass der rohe Wolfsbarsch an sich ohne die ganzen Mitspieler eine fade Angelegenheit wäre. Aber das steht im Konjunktiv – das Gericht ist exzellent. (8,5/10)

Es folgen Gnocchi, die sich unter einem Schaum aus geräuchertem Ricotta und Blauschimmelkäse verstecken. Man muss dem Teller ganz auf den Grund gehen, denn erst im Zusammenhang mit einem sehr aromatischen Basilikum-Pesto und einer umamigeladenen Tomatenzubereitung wird das Gericht richtig gut. Man hat hier letztlich eine handwerklich sehr feine Ausführung der klassischen Kartoffelklößchen mit einer herzhaft-süffigen Kombination von Käse, Pesto und Tomate, kurzum: Bodenständiges in fein. (7,9/10)

Ein pochiertes Hühnerei (»aus Rom«), das auf Hummus und einem dünnen Toast serviert wird, ist süffig, herzhaft und cremig, wenngleich man zunächst etwas Würze vermisst. Das klärt sich schnell auf, da sich in dem Hummus noch ein »Ponzu-Gel« versteckt, welches die gesamte Kreation wie auf einen Schlag belebt. Die Überraschung ist gelungen; das Gericht bietet ein genussreiches Spiel mit Cremigkeit, »Klebrigkeit« und erfrischender Säure. Hervorragend, aber nicht bemerkenswert. (7,9/10)

Außergewöhnliche Produkthighlights bisher vermissend, freue ich mich nun auf Seezunge. Diese ist, zumindest ein paar kleine Teile ihres Filets, in einem optisch markanten Duo aus einer herben, grünen Kräutersauce und Olivenöl sowie mit gedünstetem Schwarzkohl angerichtet. (Dass man in der Speisekarte bzgl. des Olivenöls die handelsübliche Qualitätsstufe extra vergine anmerkt, ist etwas sonderbar.) Weiße Cannellini-Bohnen mit etwas Tomatensauce fügen einen traditionellen Touch hinzu. Insgesamt ist das Gericht wenig beeindruckend. Die Seezunge dürfte gerne heißer sein, die Kräutersauce ist überraschend geschmacksneutral; das ist gerade noch objektiv sehr gut, mehr aber auch nicht. (7/10)

Ein neuer Gast am Nebentisch stört derweil mit einem überdosierten Parfüm mit Rasierwasser-Charakter und enormer Sillage. Da sehnt man sich, auch mit einem Faible für gute Parfums, ins olfaktorisch zurückhaltende Japan.

Mein eingeschobener Extragang wird als nächstes serviert. Es gibt Spaghettoni des hervorragenden Produzenten Benedetto Cavalieri, die äußerst bissfest gegart sind – zehn Minuten in Wasser, drei weitere in Tomatenwasser, was sie mit einem Hauch Umami anreichert. Das Ganze ist als »Amatriciana« zubereitet, das heißt mit Guanciale, Tomaten und gehobeltem Pecorino. Beim Aufwickeln der Pasta auf die Gabel entsteht ein durch die cremig-sämige Konsistenz hörbares, appetitliches Schmatzgeräusch, das nur den gewissenhaftesten Pasta-Zubereitungen eigen ist. Das Gericht ist sehr süß, vermutlich wegen der Süße von Tomaten und Zwiebeln, aber durch den weichen, salzigen Speck und den würzigen Hartkäse gelungen ausbalanciert. Dazu die hervorragende Pasta, das macht Laune. Einzig der Preis – knapp vierzig Prozent des Menüpreises (!) – ist nicht nachvollziehbar. (7,9/10)

Mit Pasta geht es auch weiter, nun in Form von flachen Pastalagen, wie man sie von der Zubereitung von Lasagne kennt. Darauf wurde eine cremige Kastaniensauce mit ausgeprägtem Rosmarinaroma angerichtet; weiße Bohnen liefern dazu etwas Erdigkeit. Die Pasta ist handwerklich einwandfrei umgesetzt, der Gargrad etwas mehr auf »cremigen Genuss« optimiert als auf Kontraste. Eine im Glas dazu servierte, heiße Kastanienessenz, die eher nach Kalbsfond schmeckt, ist ein netter Begleiter, aber eigentlich entbehrlich. Derart einfach anmutende Pastagerichte geschmacklich und handwerklich so akkurat umzusetzen, macht Pasta von Spitzenköchen oft so faszinierend – dennoch fehlt mir hier etwas für wahrhaftige Begeisterung. (7,5/10)

In Ermangelung von Gerichten, die die drei Sterne nachvollziehbar machen, klammere ich mich inzwischen an den Wein als sichere Bank. Das Paar an meinem Nebentisch – nicht an dem mit dem überparfümierten Gast – flüstert, wenn es miteinander spricht. Alles etwas lahm.

Der folgende Gang mit Reh passt zur Stimmung. Zwei rosé gegarte Filetstücke sind hier in einer pfeffrigen Wildreduktion angerichtet, dazu gibt es Pak Choi – das ist alles. Ich bin ein großer Freund von Produktminimalismus, doch das etwas trockene Fleisch und ein befremdlich beißender Pfeffer lassen bei mir genau so wenig Begeisterung aufkommen wie das lieblose Kohlblatt. Die Sauce selbst lässt zwar das gewissenhafte Handwerk erkennen, aber insgesamt ist das nicht einmal objektiv sehr gut. (6,9/10)

Ein bisschen enttäuscht warte ich jetzt auf die Desserts und hoffe, dass die Patisserie nicht noch ein ganz eigenes Menü auffährt. Die Vorstellung hält sich dann aber in Grenzen.

Den Beginn macht ein Minzgranité mit Rhabarberschaum – der wurde offenbar aus einer Sprühflasche in das Schälchen eingebracht, was ihm eine seltsam »gestockte« Konsistenz verleiht. Der Akkord mit Minze ist aromatisch passend, aber das ist so lieblos wie unspektakulär. (6,9/10)

Das Hauptdessert, mit steinharter Luftschokolade, Birnengel, Kardamom und Vanilleeis, macht mich dann etwas sprachlos. Bereits das Anrichten in einer Art »Straße« erinnert an Desserts aus dem letzten Jahrzehnt. Um die Schokolade zu zerteilen, muss man recht viel Kraft aufwenden, sodass der Metalllöffel auf dem Teller ein laut schepperndes Geräusch erzeugt. Das erspare ich mir und den anderen Gästen lieber und probiere nur einige Löffel. Die Kombination von Schokolade, Birne und Vanille funktioniert geschmacklich immerhin. (6/10)

Verschiedene Petits Fours, besonders eine etwas größere Nougat-Praline (Gianduiotto) mit goldener Hülle, sind deutlich besser (im Schnitt 7,9/10), hieven das Menü aber auch nicht mehr auf das Niveau, das der Guide Michelin erst kürzlich hier vorgefunden haben will. Wo genau man das entdeckt hat, ist mir jedenfalls ein Rätsel.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Casa Perbellini 12 Apostoli (→ Website)
Chef de Cuisine: Gianfranco Perbellini
Ort: Verona, Italien
Datum dieses Besuchs: 14.12.2024
Guide Michelin (Italien 2025): ***
Meine Bewertung dieses Essens: 7,5 (Was bedeutet das?)
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