Azabu Kadowaki – hai!
Vor gut vierundzwanzig Stunden war ich noch in Frankfurt am Flughafen, jetzt stehe ich vor dem Drei-Sterne-Restaurant Azabu Kadowaki in Tokio. Zumindest deutet alles darauf hin. Selbst die unscheinbarsten Fassaden von Japans Spitzenrestaurants heben sich bei genauerem Hinsehen oft noch ein wenig vom Rest ab. (Und wer hier lesen kann, ist ohnehin klar im Vorteil.)
Hier sind es die schöne Holzfassade, eine akkurat platzierte Leuchte im Eingangsbereich und, wenn man schon mal etwas hinein um die Ecke äugt, sogar ein kleines, in Plexiglas eingerahmtes Schild mit drei Michelin-Sternen, das alle Zweifel verfliegen lässt, dass ich hier richtig bin. Die großen, roten Michelin-Plaketten findet man in Japan dagegen so gut wie nie.
Ich bin noch eine gute Viertelstunde zu früh, mein japanischer Sicherheitspuffer gegen Hindernisse auf dem Weg und Schwierigkeiten beim Auffinden des Eingangs. Der Wind, der durch die Gasse zieht, tut gut. Es hat sich auch schon auf zweiunddreißig Grad abgekühlt.
Irgendwann gehe ich hinein und stehe auch schon fast mitten im Geschehen. Ein Dame erscheint, fragt den Reservierungsnamen ab, wird fündig. Ich werde am Tresen platziert. »Konbanwa!« sage ich, guten Abend, und habe schon die Aufmerksamkeit des Küchenchefs sicher, der traditionell unter seinem makellos weißen Kittel Krawatte trägt.
Es fühlt sich noch surreal an, das gerade zu erleben. Der appetitanregende, säuerliche Duft von Holz und Sojasauce liegt in der Luft, scharfe Messer werden bewegt, Dinge sind an ihren jeweiligen Orten verstaut, in Holzkisten, in Metallboxen, in Schälchen, mal in feuchtes Küchenpapier gewickelt, mal mit Klarsichtfolie abgedeckt. Es gibt kein akkurateres und durchdachteres Mise en Place als das der Japaner.
Das Azabu Kadowaki konnte ich vergleichsweise problemlos über den Reservierungsdienst Pocket Concierge buchen, an den das Restaurant offiziell angeschlossen ist. Dies ging erst wenige Wochen vor meinem Reiseantritt, und ich musste zuvor immer ein bisschen herumprobieren, wann sich das Reservierungsfenster tatsächlich öffnen würde.
Wie in japanischen Restaurants üblich, wird das Menü (und damit auch das Budget) bereits bei der Reservierung ausgewählt. Im Azabu Kadowaki werden Menüs zwischen umgerechnet ca. 285 € und 570 € angeboten. Die Unterschiede sind oft schwer auszumachen, es geht letztlich immer um eine Variation eines nicht näher beschriebenen Basismenüs mit zusätzlichen oder anderen, kostbareren Zutaten. Das Menü, das ich wähle, liegt mit 68 970 Yen (ca. 440 €) im oberen Mittelfeld. Etwaige Einschränkungen habe ich nicht angegeben. Die Beträge werden auch sofort abgebucht, allerdings sind die meisten Reservierungen (abzgl. einer Bearbeitungsgebühr) mit einer kurzen Frist auch wieder stornierbar.
Ein Vorteil dieser Methode ist, dass vor Ort keine Fragen entstehen und man nicht lange mit der Essensauswahl beschäftigt ist. Eine solche hätte in einem Restaurant mit komplexer japanischer Küche ohnehin keinen Sinn. Es geht immer um Omakase – man überlässt es dem Chef. Des weiteren wiegt die Rechnung am Ende nicht ganz so schwer, weil nur noch die Getränke bezahlt werden – und selbst dies geschieht in diesem Fall automatisch über die hinterlegte Kreditkarte. Die gefühlte Vergünstigung ist zwar nur eine Illusion, dennoch ist es am Abend selbst angenehm, wenn nichts mehr zu erledigen ist.
Ich wähle erst mal etwas Wasser und aus der kleinen Weinkarte einen 2018er Puligny-Montrachet 1er Cru »La Garenne« von der Domaine Etienne Sauzet (ca. 320 € und zzgl. 10 % Steuer und 10 % Service-Gebühr, wie ich erst später herausfinde). Kanpai! Auf den ersten Abend.
Kulinarisch startet der Abend mit einem Arrangement mit würfelförmigen Stücken vom Tintenfisch – akkurat kreuzweise eingeschnitten – und Tofu, obenauf Flocken von getrockneter Makrele. Das alles ist in einer dickflüssigen Sauce angerichtet, die angenehm intensiv nach Sesam schmeckt, ein bisschen wie Erdnussbutter. Der kühle Tintenfisch mit bissfester Textur und die kontrastvollen, weichen Tofuwürfel werden damit sehr passend eingerahmt. Hervorragend in jeder Hinsicht. (8,5/10)
Währenddessen präpariert Inhaber Toshiya Kadowaki bereits die Zutat, die sinnbildlich für diese Reise sein wird: Ayu, ein stintartiger Fisch, der gerade Saison hat. Kadowaki hat einige Ayus in leichter Wellenform auf Spieße aufgezogen und diese auf den Binchotan-Grill gelegt.
Doch zunächst folgt ein Teller mit drei fluffig frittierten, flachen und gekrümmten Stücken, die mich zuerst an Tintenfisch erinnern. Dazu gibt es ein Schälchen mit einer Gewürzmischung zum Drüberstreuen, wie es der Küchenchef mit entsprechenden Bewegungen und in gebrochenem, aber verständlichem Englisch erläutert. Die Speise ist sehr heiß, die Panierung auffällig gut, leicht knusprig und luftig; die Zutat selbst hat eine bissfeste, etwas heterogene Textur und schmeckt leicht tranig. Als ich schließlich verstehe, dass es sich um Haifischflosse handelt, wird mir etwas mulmig zumute. Die würde ich wegen der verrufenen (aber dennoch längst nicht überall praktizierten) Methode des shark finning nie bestellen; aber eine schon fertig zubereitete Speise eines bereits bezahlten Menüs – und ohne Kenntnis weiterer Hintergründe – jetzt stehen zu lassen, ergibt auch keinen Sinn. Hier muss ich jetzt durch und kann nur versuchen, solchen Dingen künftig aus dem Weg zu gehen. Rein sensorisch betrachtet, ist das dennoch eine ziemlich gute Speise, vor allem wegen der Texturen, der Hitze und wegen des hervorragenden Salzes mit leicht betäubendem Sanchopfeffer und elegantem Zitrusgeschmack. Bewertbar ist das schwer, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das eine mehr als sehr gute Zubereitung einer ansonsten völlig entbehrlichen Zutat ist. (7,5/10)
Kadowakis Markenzeichen ist die Integration von Trüffeln in einige seiner Gerichte. Je nach Saison verwendet er unterschiedliche Sorten, derzeit »nur« Sommertrüffeln, allerdings die besten ihrer Art, aus Alba im Piemont. Spitzenrestaurants in Japan gelangen derzeit auch mühelos die viel aromatischeren Wintertrüffeln aus Australien, daher vermute ich, dass diese Wahl kulinarische Gründe für Kadowaki hat.
Für den nächsten Gang hobelt er eine großzügige Menge dünner Trüffelscheiben über Sashimi von Japanischer Flunder (Hirame). Der Fisch ist hauchdünn geschnitten und dadurch so transparent, dass die Bemalung des Tellers hindurchscheint. (Solche ästhetischen Details sind in der japanischen Hochküche nie ein Zufall.) Die Kombination von zunächst etwas »schroffem« Trüffel und saftigerem Fisch funktioniert erstaunlich gut. Das Sashimi ist hervorragend. Dabei spielen neben der reinen Produktqualität Faktoren wie die Schräge des Schnitts, die Dicke, die Proportionen zwischen und Haut- und Fleischanteil und die Temperatur eine Rolle. Diese Parameter kann und muss man nicht im Einzelnen begutachten, aber würde man unterschiedliche Stücke desselben Tiers nebeneinander verkosten, könnte man leicht Präferenzen formulieren. Nun wird dieses Sashimi mit dem leicht erdigen Trüffel sowie nach Belieben mit frischem Wasabi und Meersalz kombiniert und ergibt ein sehr schmackhaftes Umami-Gefühl am Gaumen. (8,5/10)
Der Ayu wird jetzt vom Grill genommen. Kadowaki weiß und sieht genau, welcher Fisch schon wie lange über dem Feuer glomm und zögert diesen Moment bis zuletzt hinaus. Als er einen Spieß vom Feuer nimmt, denke ich zunächst, der Fisch sei schon »drüber«, doch er legt ihn wieder zurück, für einige Sekunden.
Auf dem Teller liegen schließlich einfach zwei Fische. Man verspeist sie nicht auf einmal, aber im Ganzen und träufelt vorher noch etwas Sudachi drüber. Das Interessanteste an Kadowakis Zubereitung ist ein verlaufsartiger Röstzustand des Fischs. Am Kopf ist der Ayu am stärksten geröstet, was besonders geeignet ist, um dem etwas härteren Kopfteil eine besonders knusprige Textur zu verpassen – und dem zarteren Körper eine weichere. Auch der Geschmack verläuft von bitter zu süßlich. Das ist sehr eindrucksvoll und äußerst wohlschmeckend. (8,5/10)
Als nächstes folgt ein Schälchen mit kalten Nudeln, Sōmen genannt. Kadowaki hat sie mit Seeigel aus Hokkaido vermengt und mit einer großzügigen Nocke Kaviar getoppt. Das Gericht dürfte damit einen nicht unwesentlichen Teil des Menüpreises ausmachen. Seeigel aus Hokkaido zählt zu den begehrtesten Zutaten der Welt, er schmeckt jodig-süßlich, nussig, umami, leicht nach Hafenbecken und Gischt – maritim, aber nicht »fischig«. Die Tatsache, dass das Gericht kalt ist, bringt den maritimen Charakter noch besser zur Geltung. Die Nudeln sind (nicht zu) bissfest, kleben nicht, dafür dient der üppige Seeigel als »Schmierstoff«, während der Kaviar einen salzigen Akzent setzt. Man schmeckt hier wirklich das Meer, wahrhaftig großartig. (10/10)
Für den nächsten Gang schöpft Kadowaki aus einer eindrucksvollen Metallschüssel eine Muschelsuppe. In einem appetitlichen, heißen Dashi, schwimmen Hamaguri (Orient-Muschel), Daikon und Frühlingszwiebel. Der Duft, der dem Schälchen entströmt, und den man wegen der Hitze sogar sehen kann, ist so einzigartig japanisch – ein bisschen Lagerfeuer, ein bisschen Hafen, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Daneben steht noch ein Gefäß mit besonders aromatischem Pfeffer. Das alles ergibt eine der besten heißen Flüssigkeiten, die ich je probiert habe. Die Bescheidenheit von fleischiger, aber zurückhaltend schmeckender Muschel und dem scheinbar trivialen (aber tatsächlich blumigem, saftigem) Rettich, ist ergreifend gut.
Es folgt dann noch ein Nachschlag mit gerollter Yuba (Sojamilchhaut) mit interessanter Textur und nussigem Geschmack. Filigrane Zitrusaromen tauchen auch noch in dem Sud auf. Ich gelange etwas ins Schwitzen. Es ist, auch wegen der Hitze, ein Rausch. (10/10)
Mit einem Rest der aufwühlenden Suppe noch im Schälchen, geht das Essen in den nächsten Gang über. Man serviert säuerlich eigelegte Gemüse, unter anderem Zucchini und Schwarzwurzel – bissfest, knackig und surreal gut –, dazu noch ein Schälchen Reis mit minzig-floraler Perilla (Shiso), abermals Sommertrüffeln und Noriblättern, die man selbst hinzumischt. Auch das – die kühlen, knackigen Gemüse und der harmonische, warme, parfümierte Reis – ist großartig, läutet aber auch das Ende des Menüs ein. (9/10)
Es gibt noch eine Art Ricotta mit eingelegtem Pfirsich, Feige, Weintraube und mit Honig mariniertem Trüffel – ein exzellentes Dessert mit überirdischen Obstqualitäten, herber Süße und irgendetwas Ätherischem. Weltklasse. (9/10)
Dass das Mahl in nicht einmal 90 Minuten serviert wurde und dann schon der heiße Tee auf dem Tresen steht, wirkt zwar etwas überstürzt. Aber es war ein sehr eindrucksvoller Start in eine Reise, die gerade erst am Anfang steht.
(Weitere Artikel über meine Reise nach Japan im Sommer 2023 unter diesem Link.)