Haebel – Kiezgröße
Ganz unaufgeregt hat sich das Restaurant Haebel (Eigenschreibweise: hæbel) im Laufe der Jahre in Hamburg weit nach oben gekocht. Natürlich nicht von allein, sondern zuletzt mit Küchenchef Kevin Bürmann unter der Aufsicht des namensgebenden Patrons und geschäftstüchtigen Gastro-Unternehmers Fabio Haebel.
Haebel ist einer der ganz wenigen Gastronomen der Hansestadt, dessen Konzepte auch in gastronomisch weltoffenen Städten wie Kopenhagen oder London Bestand hätten. Kein Wunder also, dass man im Sommer auf der Terrasse der lässigen XO Seafoodbar gegenüber auch schon mal Gastro-Größen wie Marcus Jernmark begegnet (der derzeit in Los Angeles mit seinem spektakulären Konzept Habitué jedoch wohl Anderes zu tun haben dürfte).
Ich war schon oft im Haebel, noch viel öfter in der XO Seafoodbar, und an besonders heiteren (und wärmeren) Abenden, wenn der kleine Abschnitt der Paul-Roosen-Straße zwischen der Großen Freiheit und Am Brunnenhof besonders belebt ist, pendle ich auch schon mal von einem Restaurant zum anderen, gerne das (Zalto-)Glas dabei in der Hand. Dass ich noch mal zum Kiezgänger werden würde, hätte ich mir auch nicht erträumen lassen.
Im Haebel bin ich nun etwas länger nicht gewesen. Das einstige Motto einer »French Nordic Cuisine« ist ohnehin längst Geschichte; die Küche ist etwas französischer geworden, wobei es dem Patron wie eh und je besonders um nachhaltig beschaffte Zutaten geht, möglichst aus der Region. Dogmatisch ist man hier aber nicht. Nordische Aspekte finden sich allenfalls noch in der Schlichtheit der Einrichtung und dem in Summe unprätentiösen und gleichzeitig anspruchsvollen Konzept wieder.
Die derzeit angebotenen Carte-blanche-Menüs (129 €) heißen Flora in der vegetarischen und Fauna in der omnivoren Variante. Die Begriffe sind flexibel genug, um sie sogar als Untertitel an der Restaurant-Tür zu führen. Meine Wahl fällt heute Abend auf die Fauna. In der kompakten Weinkarte wird man nur dann nicht fündig, wenn man dort sucht, wo die Karte aufhört: am oberen Ende. Ich finde eigentlich immer etwas, heute bringe ich dennoch selbst ein Fläschchen mit, einen 2018er Clos Saint Denis von der Domaine Gagey (Korkgeld 28 €). Ich beginne aber glasweise (11 €) mit einem 2017er Saint-Romain von der Domaine du Clos du Moulin aux Moines.
Ich sitze – auf eigenen Wunsch – direkt an der Küche am inzwischen so genannten Chef’s Table. Mit Glanz und Glamour hat das aber nichts zu tun, der Tisch befindet sich direkt an der Treppe zu den WCs. Wenn schon Kiez, dann richtig.
Kulinarisch beginnt der Abend mit drei Kleinigkeiten. Ein Tempura vom Stint mit Liebstöckel-Mayonnaise ist erfreulich heiß und filigran knusprig; ein Armer Ritter mit Apfelcreme und gehobeltem Ziegenkäse demonstriert gewissenhaft zubereiteten, fluffigen Knusperspaß mit Umami vom Käse und ausbalancierender Säure des Apfels; eine heiße, intensive Gemüseessenz positioniert sich bescheiden, aber verführerisch, zwischen Kalbsfond und Gemüsebrühe. Das ist ein sehr gelungener, unmissverständlich »klarer« Einstieg, der keine Fragen offen lässt – außer, ob es so weitergeht. (7/10)
Das tut es schon mit dem nächsten Gang, einem Tatar vom Wagyu-Rind von einem Zulieferer aus Nordfriesland. Das Fleisch ist mit Apfelessig, Eigelb und XO-Sauce angemacht – eine süffige Melange mit anregender Schärfe und belebender Säure. Knusprige Topinamburchips bringen Texturkontraste. An der zimmerwarmen Temperatur könnte man vielleicht noch etwas in Richtung Kühle justieren, dennoch bereitet die kleine Speise sowohl qualitativ als auch in Bezug auf die Abstimmung der Aromen richtig Laune. (7/10)
Die erfreulich schlichte Optik des nächsten Tellers manifestiert sich kulinarisch in Form von einer »Kartoffelroulade«. Hierzu wurden dünne Kartoffelschichten zu einem flachen Zylinder geformt, knusprig ausgebacken und in einer Walnuss-Velouté angerichtet. Eine Walnuss-Kartoffel-Farce findet man dazu in der Mitte der Roulade. Die luftigen, knusprigen Kartoffelschichten sind sehr gut gelungen, die Velouté ist leicht und nussig, die Balance von Texturen und Aromen stimmt erneut. Besonders appetitlich ist auch hier die souveräne Schlichtheit. (7/10)
Dieser Linie bleibt auch ein gebratener Zitronen-Seitling treu, der mit einer Nocke samtigen Pastinakenpürees in einem Zwiebel-Pilz-Sud angerichtet ist. Die Kombination duftet herzhaft und umami, ein bisschen nach Liebstöckel, eine kleine Portion Kaviar rundet das Gericht nobel ab. Etwas überbetonte Röstaromen des Pilzes sowie ein insgesamt recht »flüssiger« Eindruck könnten hier vielleicht noch optimiert werden. Immer noch sehr gut. (7/10)
Das Menü fährt in idealem Tempo und mit optimal gemäßigten Portionen weiter fort mit Skrei. Ein Stück des Winterkabeljaus wurde goldbraun gebraten und ist in einer gewissenhaft reduzierten, sämigen, aber nicht schweren Krustentiervelouté angerichtet. Zerkleinerte Stiele von Blattspinat frischen alles mit einer leichten Bitterkeit und mit knackiger Konsistenz auf. Durch die exzellente Sauce ist das Gericht eine Bühne für die besten Protagonisten, der Skrei macht zwar eine gute Figur, aber noch edlere Fische würden das Gericht ganz von allein in andere Sphären hieven. (7/10)
Eine Steigerung erfährt das Menü sogar noch mit Agnolotti. Die handwerklich hervorragende Pasta, die man in dieser Güte bei fast allen Italienern dieser Stadt vermissen muss, ist mit geschmortem Wagyu gefüllt und thront in einer süffigen Melange aus dicht eingekochtem, aromatischem Grandjus und cremiger Kimizu-Mayonnaise, erfrischt und aufgelockert mit etwas Petersilienöl. Das würde bestimmt sogar Heinz Beck abnicken. (7,5/10)
Der Hauptgang ist ein Stück Rumpsteak vom nordfriesischen Wagyu – hier von einem Kreuzungstier – mit markantem Fettrand, von den man am besten immer eine kleine Menge zu jedem Stück Fleisch mit isst. Das saftige Fleischvergnügen wird von einer abermals sehr gewissenhaft zubereiteten dunklen Sauce begleitet, die mit Zwiebeln, Schnittlauch und kleinen Abschnitten des Fleischfetts gespickt ist. Ein Sellerie-Millefeuille erinnert optisch an Kartoffel, ist aber leichter und knuspriger. Das ist schon große Klasse, vor allem die Saucen sind hier immer wieder auf selten hervorragendem Niveau. (7,5/10)
Der süße Abschluss überrascht insofern, als man jetzt nicht noch eine – oft viel zu sättigende und selten richtig gute – Abfolge von Pré-Dessert, eigentlichem Dessert und Petit-fours auftischt, sondern drei Kleinigkeiten, die sich irgendwo dazwischen positionieren. Es gibt eine »Filoteig-Zigarre« mit leicht salzigem karamellisiertem Buttermilch-Eis (wer will, findet in dem Filoteig Parallelen zu den türkischen Imbissbuden hier nebenan), eine Praline mit Maronenmousse, Kirsche und Mandelbaiser sowie einen Miniatur-Baba-au-Rhum mit Crème Chantilly. (7/10)
Damit endet das Menü, wie es begonnen hat und auch nie davon abgerückt ist: auf einem konstanten, hohen Niveau. Die schlichte Küche aus der Hand von Kevin Bürmann ist angenehm klar, souverän, wohlschmeckend und leicht, die Saucen bemerkenswert. Und wenn hier dann endlich auch mal der erste Michelin-Stern an der Tür hängt – er ist angemessener denn je –, wäre das schon ein großes Ding hier auf dem Kiez.