Enoteca Paco Pérez – ain’t no ‘teca
Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass das Restaurant Enoteca Paco Pérez in Barcelona mir nicht die Art von Erlebnis bescheren wird, die ich mir für den letzten Abend eines kulinarischen Wochenendes in Barcelona erhoffe. Dass ich diese ignoriert habe, ist einer, sagen wir, naiven Neugier geschuldet. Was könnte bei einer Küche mit zwei Michelin-Sternen, einer Location in Meeresnähe, einem dem Internetauftritt nach schicken, hellen Interieur und dem bereits im Namen des Restaurants verankerten Fokus auf ungezwungenen Weingenuss schon schiefgehen?
Dass ich bereits bei der Reservierung ein Degustationsmenü auswählen musste, war mindestens der erste Hinweis darauf, dass es hier etwas förmlicher als in einer Weinbar zugeht. Dass die Küche von Paco Pérez, mit der ich bisher nur im damaligen 5 - Cinco by Paco Pérez im Berliner Hotel Das Stue in Berührung gekommen bin, mich auch dort nie vollends begeisterte, ein weiterer.
Hier im Arts Hotel in Barcelona, das früher mal ein Ritz-Carlton war, erwarte ich zwar keine legere Tapasbar mit Wein zum Selbstnachschenken. Zutreffend ist aber auch, dass sich ein gehobenes Restaurantambiente in einem luxuriösen Hotel und ein dabei dennoch ungezwungenes Gastronomiekonzept keinesfalls ausschließen müssen. Meine Hoffnung liegt auf einer solchen Kombination.
Dass das Restaurant den Namen »Enoteca« trägt, leere Weinflaschen hohen Kalibers einen wesentlichen Teil des Dekors hier ausmachen und sich die Weinkarte dann als quälend überteuerte und uninspirierte Lektüre für ein offenbar zahlungskräftiges, aber unkundiges Publikum entpuppt, hätte ich allerdings nicht erwartet.
Schon die Suche nach einem ersten Fläschchen Weißwein ist unangenehm anstrengend. Nicht nur, weil die Karte auf einem Tablet-Computer präsentiert wird, sondern weil sie außer einigen scheinbar völlig zufällig zusammengestellten Prestige-Etiketten auf der ersten Seite (»The Highlights of our Wine Cellar«) kaum einen interessanten Wein zu bieten hat, wenn man alle Parameter, auch den Preis, berücksichtigt. Der Sommelier schlägt irgendwann einen 2018er Torres »Milmanda« Chardonnay vor (150 €), nichts wirklich Eindrucksvolles.
Als schließlich klar wird, dass man sich neben einer unerfreulichen Weinkarte die kommenden Stunden auch noch durch ein dreizehngängiges, feststehendes Degustationsmenü (208 €) wird quälen müssen, kann eigentlich nur noch eines die Stimmung wieder herumreißen: hervorragendes Essen. Wohlbemerkt, das Restaurant hat sich bisher nichts zu Schulden kommen lassen, es gibt nur eine starke Diskrepanz zwischen Hoffnung und Realität.
Vielleicht ändern die ersten Kleinigkeiten etwas. Doch ein Chawanmushi aus Aubergine und Champignons ist komplett homogen durchgekühlt. Vermutlich verbrachte es den Nachmittag in einer Kühlschublade und wurde am Pass noch schnell mit schwarzem Trüffel »verfeinert«, was in diesem Fall auch nicht viel nützt, erst Recht nicht so fein gehobelt (6,9/10). Daneben gibt es eine Tartelette mit Ackerbohnen. Das grüne Gemüse wird hier in Spanien ähnlich geehrt wie Erbsen und macht auch in diesem Snack eine gute Figur: knackig frisch, mit feiner Süße und angedeuteter Bitterkeit. Die recht große Portion und der dickwandige und etwas zu fettige Teig wären sicherlich noch justierbar (6,9/10).
Ein eiskalter, zylindrischer Snack mit Laucheis und Asche nimmt als letztes Amuse-bouche Bezug auf die regionale Spezialität calçots, eine Lauchart, die man hier in Katalonien besonders jetzt im Winter zelebriert. Sie wird dann in der Regel über dem Grill fast verbrannt, sodass das Innere heiß, weich und cremig ist und man es mit einer Salsa Romesco genießt. Die Speise auf dem Tisch ist das genaue Gegenteil davon: so kalt wie Trockeneis und unangenehm massig portioniert. Die Kälte schießt einem direkt in den Kopf. (6/10)
Wenn die Hoffnung auf einen kurzweiligen Abend mit gutem Essen in langweiliger Förmlichkeit zu ersticken droht, kann man leicht in einen Sog geraten, alles auf dem Tisch schlechtzureden. Ich bin daher um Objektivität und gute Laune bemüht.
Das ist mit den servierten Speisen allerdings weiterhin nicht einfach. Ein knuspriges dünnes Brot mit Krebsfleisch, Champignons und Mayonnaise ist zwar angenehm maritim und kühl, aber sonst nicht weiter bemerkenswert (6,5/10); selbst ein aufwändig angerichtetes Gericht aus dünnen Scheiben Stabmuschel mit »Shiso-Tapioka« folgt dem Leitmotiv von aus der Kühlschublade hervorgekramten Gerichten nun schon zum fünften Mal (6,5/10). Dabei folgt gleich erst offiziell der dritte Gang.
Der heißt poetisch »Remembering the Gaudí Sea« und beinhaltet ein Potpourri von kalten Zutaten aus dem Meer. Thunfisch, Jakobsmuschel, Garnelen, Flusskrebs, Kaviar, Algen und Seeigel, alles roh, ergeben am Gaumen einen eindringlichen Meeresspaziergang. Aber die große Portion jodiger, naturgemäß »schleimiger« Zutaten ist eine Herausforderung, für die mir hier ein wenig die »Berechtigung« fehlt (im Gegensatz beispielsweise zu einer Seefood-Institution wie das schlichte, aber herausragende Estimar). Zudem könnte ich schwören, dass auch diese Kreation durchweg dieselbe Temperatur hat wie alle anderen Speisen zuvor. Der einwandfreien Zutaten wegen ist das dennoch sehr gut. (7/10)
Erbsen, eine der Referenz-Delikatessen Spaniens schlechthin, möchte man in der Regel ganz pur genießen. Für das nächste Gericht hat man sie auf einer schwarzen, ziemlich salzigen Sauce mit Tintenfischtinte angerichtet sowie mit einem Schaum von geräucherter Butter und einer Nocke Kaviar drapiert. Dabei passiert das, was man befürchten könnte: Sämtliche Saucen und weitere Zugaben übertönen das feine Gemüse. Dessen filigrane Süße wird brachial von einem penetranten Räucheraroma und deutlich zu viel Salz kaschiert, allenfalls von ihrer kurzweiligen, »aufplatzenden« Textur bekommt man noch etwas mit. Schade, dass man hier nicht einmal eine so für sich sprechende Zutat gut auf den Teller bekommt. (6,5/10)
Im Glas ist inzwischen ein 2016er Pinot Noir »Acusp« des spanischen Weinguts Castell d’encus (115 €), das Ergebnis eines kurzen, wenig inspirierten Austauschs mit dem Sommelier über Pinot Noir. Der Wein ist sehr fruchtbetont und blumig – nicht schlecht, aber ich schiele bereits nach weiteren Optionen.
In der Hoffnung auf ein erstes Highlight blicke ich dem nächsten Gang entgegen (wenn auch verhalten). Es gibt Seegurke, in Stücken, überglänzt von einer Beurre blanc mit der Würzsauce Garum. Die kurzweilige Textur des skurrilen Stachelhäuters ergibt zusammen mit der üppigen, appetitlich säurebetonten Sauce mit angedeuteter Knoblauchnote ein stimmiges, gefälliges Bild. Sehr gut. (7/10)
Es geht weiter mit Tintenfisch. Zwei kleine, gegrillte Exemplare werden dazu mit einem am Tisch angegossenen, lauwarmen Dashi auf der Basis von Rogen ergänzt, Tapiokaperlen findet man auch noch. Die Qualität der kleinen Weichtiere ist einwandfrei, leichte Grillaromen stünden ihnen sicherlich auch ganz gut, und die Temperatur dürfte in Summe für meinen Geschmack deutlich höher sein. Der minutiös portionierte Trüffel dazu ist nahezu überflüssig. Wegen der guten Produktqualität und der insgesamt ausbalancierten Aromen ist das durchaus gut, aber erneut deutlich optimierbar. (6,9/10)
Hummer mit verschiedenen Pilzen – Champignons, Herbsttrompete und Wintertrüffel – ist das nächste Thema. Das Krustentier wurde hier in Scheiben angerichtet, ist einwandfrei gegart und von sehr guter Qualität. Die erdigen, waldigen Aromen der verschiedenen Pilze passen gut zum nussigen Hummer, aber auch dieses Gericht hat Temperaturprobleme im Sinne einer konstanten, unentschiedenen Zimmertemperatur. (6,9/10)
Der nächste Teller sieht zum ersten Mal erleichternd schlicht aus. Es gibt ein Stück Wolfsbarsch, das mit einer Frühlingszwiebel in einer Lauchsauce angerichtet ist und mit schwarzem Trüffel und einer gethermomixten Rübchencreme serviert wird. Die glatte Creme kommt zum Beeindrucken zehn Jahre zu spät, aber der Rest ist authentisch, nahbar und qualitativ einwandfrei. Besonders der hervorragende schwarze Trüffel kann sich hier zum ersten Mal in voller Güte präsentieren. Zu niedrig temperiert und zu »homogen« ist aber auch dieses Gericht. Die Authentizität von Fisch, Trüffel und Frühlingszwiebel ist dennoch die erste wirkliche Linderung des bisher anstrengend uninteressanten Menüs. (7/10)
Der nächste Wein am Tisch wird ein 2017er Volnay 1er Cru »Les Santenots« von der Domaine Vincent Girardin (170 €), einer der wenigen interessanteren Trouvaillen.
Mit »winter creamy rice« folgt ein Risotto mit Pilzen, Zwiebeln und süßlich marinierten Feigenvierteln. Das Risotto ist makellos zubereitet – körnig, bissfest, sämig –, aber erneut zu gering temperiert und insgesamt deutlich zu süß. Ich habe inzwischen auch längst mit dem Mahl abgeschlossen und sehne mich nach einem baldigen Ende. (6,9/10)
Das folgt in Form eines (nun schlüssig) kalten Kekses mit einer Füllung aus hellem Schokoladeneis – die vielleicht beste Speise des Abends (7,5/10) –, bevor mit einer ungenießbaren Aneinanderreihung forciert kombinierter und verfremdeter Zutaten wie schwarzer Olive, Sardellen, Vanille und Blaubeeren (5/10) sowie einer in Waffeloptik aufgetragene Schokoladenmasse zusammen mit anderen Aggregatzuständen von Schokolade und einer Zitrusfrucht (5/10) noch einmal alles gegeben wird, um auch nur halbwegs genusssuchende Gäste zu verschrecken.
Ob die Pralinen noch etwas retten, ist zu bezweifeln, eine Chance gebe ich ihnen aber auch nicht mehr.
Unabhängig von Erwartungen und Hoffnungen auf entspannten Genuss in einer enoteca war dieses Essen unter diversen objektiven Gesichtspunkten mangelhaft. Stellt man noch die zwei Michelin-Sterne daneben, gelangt es zur Farce. Neben allenfalls mäßigen bis guten Zutaten, war der einzige rote Faden des Menüs die unverkennbare Vorbereitung aller Teller. Die dadurch entstehende Temperaturhomogenität, sowie auch eine Art Verfall der natürlichen Attribute der Zutaten im Vergleich zu einer Zubereitung à la minute, führt zu einer regelrecht unappetitlichen Note, die über dem gesamten Essen schwebte. Zwei Sterne bedeuten: »einen Umweg wert«. Das sollte man in diesem Fall anders verstehen.