XO Seafoodbar ‒ alles kommt wieder
Ich bin zu spät dran. Nicht zu meiner Reservierung, sondern zum Neustart der Gastronomie in Hamburg. Seit gestern dürfen Restaurants wieder im Außenbereich öffnen, doch die »Bau/N25 Box«, die Christian Bau zusammen mit dem N25-Kaviarhaus lanciert hat, dürfte eine triftige Entschuldigung sein, um den Stichtag zu verpassen. (Die Box war erneut fabelhaft.)
Außerdem: wohin sollte man auch rennen? Wir haben hier keine Situation wie in Paris oder New York, wo sich in der ganzen Stadt schicke Restaurants und Bistros mit gastronomiehungrigen Essern aneinanderreihen. Daran ist die Pandemie auch völlig unbeteiligt.
Der einzige kulinarisch interessante Gastronom Hamburgs, der eine schlagkräftige Antwort auf diese Frage hat, ist derzeit Fabio Haebel. Der funktionierte während des Lockdowns unter anderem in kürzester Zeit sein Stammhaus hæbel in eine temporäre Pizzeria um. Mit dem irgendwann in eigenen Räumlichkeiten anzutreffenden Pizza Studio Hæbel (eine namentliche Hommage an das Pizza Studio Tamaki in Tokio) beantwortet der tatkräftige Kreativkopf bald auch die bisher offene Frage, wo man in Hamburg eine definitiv gute Pizza bekommt. Natürlich hat Haebel auch dafür gesorgt, dass man seine neue Sauerteig-Pizza pünktlich zum Gastro-Neustart draußen auf einem dafür eigens abgesperrten Parkstreifen genießen kann. Und gegenüber in der XO Seafoodbar gab es das ganze Jahr über schon süffige Snacks zum Mitnehmen auf gutem Niveau. Das alles klingt wenig bemitleidenswert und ist in meiner Heimatstadt eine gastronomische Rarität.
Mein erster Restaurantbesuch in diesem Jahr findet am Pfingstsonntag im regulär wiedereröffneten »XO« statt. Das Wetter unterstützt mein Vorhaben nur widerwillig, aber es könnte jetzt auch stürmen und hageln: nichts hielte mich davon ab, meine erste in einem Restaurant bestellte Flasche Champagner zu genießen (Jeaunaux-Robin »Eclats«, € 74).
Alles macht schon wieder große Freude. Das gesamte soziale Gefüge eines Restaurants, von dem ich so lange abstinent war, kann man jetzt in all seinen Facetten wiederentdecken. Selbst unter den Masken sieht man allen Akteuren Erleichterung und Freude an. Wie sehr ich das vermisst habe.
Die übersichtliche Speisekarte des Restaurants ist nach wie vor auf Fisch und Meeresfrüchte von rigoros ausgewählten, nachhaltig arbeitenden Produzenten fokussiert. Am besten, man bestellt hier ein paar Speisen querbeet und hat immer ein paar Teller auf dem Tisch stehen.
Bei mir sind das zuerst ein halbes Dutzend wilde Austern, die mit einer Sauce mit Verjus, Aprikose und Schalotten serviert werden (€ 29), dazu »Seacutiere« in Form einer kalten Auswahl verschiedener, meist geräucherter, Fische wie Karpfen, Bernsteinmakrele und Bachsaibling (€ 28). Beides sehr gut.
Danach folgt Helgoländer Hummer (ganzes Tier € 142,40, abgewogen), eine Rarität, die qualitativ bemerkenswert ist und dem meisten kanadischen oder US-Ostküsten-Exemplaren, denen man bei uns zulande begegnet, weit überlegen ist. Das Fleisch des Tiers erinnert mit seinem nussigen, leicht süßlichen Aroma und einer auffällig zarten Textur eher an den artverwandten Kaisergranat als an Hummer. Die Scheren und selbst die kleinen Beine werden von Küche aufgebrochen und separat serviert, sodass man alle Genussmöglichkeiten des Tiers auskosten kann. Mehr als etwas zerlassene Butter braucht es dazu nicht.
Als Beilagen (€ 12) gibt es Kartoffeln mit Forellenkaviar sowie selbstgemachte Chips mit Algenkaviar. Besonders die Kartoffeln sind mit ihrem Säure-und-Salz-Spiel hervorragend, das von einer süffigen Beurre Blanc mit Rauchforellenbutter und Schnittlauch herrührt.
Im Glas ist dazu ein 2012er »Aliot« vom Weingut Chêne Bleu aus der Provence (€ 99). Weine ab diesem Qualitätsniveau findet man hier leider nur auf Anfrage außerhalb der Karte, die ansonsten auf »naturnahe« Weine im oft mittleren zweistelligen Preissegment fokussiert ist.
Es geht weiter mit gebratener Rotbarbe, »fledermausartig« aufgeklappt ‒ köstlich mit den süffigen Beilagen gegrillter Lauch, frittierte Zwiebeln, Queller und Algenkaviar (€ 22). Die Venusmuscheln (€ 22) mit Queller, die in einem aromatisch verführerischen Sud serviert werden, sind mit dem Hummer das Highlight des Abends.
Und von irgendwo her zaubert man noch eine Pizza »Bianca« mit Sardinen, Parmesan, Büffelmozzarella, Kohlblüten und -sprossen.
Die Qualität aller Speisen manövriert durchaus auch schon mal in der Nähe eines Michelin-Sterns. Wenngleich man hier vermutlich nicht darauf »abzielt«, was auch immer das bedeuten könnte, rechtfertigen Produktqualitäten und die ein oder andere sehr feine Zubereitung zweifellos eine solche Einordnung.
Alles kommt zurück. Reservierungen tätigen, Einkehren, Platz nehmen, in Speisekarten stöbern, Gastfreundschaft genießen, andere Gäste erblicken, Genuss erleben, mit Freunden zelebrieren. Mein Besuch stimmt mich optimistisch. Es gibt viel nachzuholen, packen wir es an.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | XO Seafoodbar (→ Website) |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 23.05.2021 |
Guide Michelin (D 2021): | Empfehlung |
Meine Bewertung dieses Essens (?): | |
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