Harutaka ‒ 6F, Sushi-Gipfel
Heute ist der letzte Abend meiner Reise nach Tokio. Die vergangenen Tage genoss ich Pizza, Sandwich, französische Küche, Ramen, Tempura, Kaiseki, aber noch kein Sushi. Diesem Missstand habe ich natürlich schon bei meiner Planung entgegengewirkt, daher führt es mich am frühen Abend ins Sushi-Restaurant Harutaka in Ginza. Mit einer Platzierung unter Tokios besten 20 Sushi-Restaurants auf der japanischen Restaurantbewertungsseite Tabelog, einem regelmäßig hohen Eintrag in der OAD-Rangliste und zwei Sternen im Guide Michelin zählt das Restaurant zu den besten Sushi-Restaurants überhaupt. Glücklicherweise konnte das engagierte Concierge-Team des Park Hyatt eine Reservierung für mich tätigen. Bei den meisten der hoch dekorierten Restaurants ist das inzwischen für neue Gäste ‒ und speziell für Ausländer ‒ immer schwieriger.
Das Gebäude Ginza Tokiden ist einfach zu finden. Dank des auf den Schildern auch in lateinischen Lettern aufgeführten Restaurantnamens ist auch der Zugang keine Hürde. Die erste Tür, die ich an dem Hochhaus versuche zu öffnen, ist natürlich verschlossen, aber um die Ecke finde ich dann den Haupteingang. Irgendein Hindernis gibt es in Japan immer.
Das Restaurant befindet sich im fünften Obergeschoss, das nach der in Japan üblichen Nomenklatur an Gebäuden mit „6F“ bezeichnet ist.
Der Speisesaal ist geräumig. Zwölf Gäste haben am breiten Tresen Platz. Dahinter arbeitet Küchenchef Harutaka Takahashi, der von mehreren Mitarbeitern unterstützt wird. Die Stimmung ist ‒ nach japanischen Verhältnissen ‒ gelöst und das Ambiente hochwertig und angenehm.
Wie üblich, musste schon bei der Reservierung eine Menüoption gewählt werden. Das komplette Erlebnis, bestehend aus Sushi und weiteren Speisen (otsumami), kostet umgerechnet ca. € 350, eine Nur-Sushi-Variante ist für ca. € 250 verfügbar.
Mein (komplettes) Menü beginnt mit gedämpftem grünem Gemüse, das in einem leichten Dashi serviert wird. Man spricht nur wenig English, weswegen ich heute Abend nicht alle Zutaten identifizieren kann. Der Einstieg ist sehr gut, das Dashi duftet, das Gemüse schmeckt frisch und klar. (7,5/10)
Vor mir schneidet der Küchenchef schon ein Stück Thunfischbauch in augenscheinlich unglaublicher Qualität. Ich genieße die Vorfreude.
Der nächste Snack kommt in einem heißen Schälchen. Es enthält ein etwas intensiveres Dashi, darin in dünne Streifen geschnittenen Aal sowie, obenauf schwimmend, interessante hohle Gebilde, die optisch an kleine Pommes souflées erinnern, aber vermutlich Getreide sind. Der Aal schmeckt sehr gut und ist dabei leicht „glitschig“. Ein sehr harmonisches Gericht, das schon einen großen Anteil an glücklich stimmenden Umami-Rezeptoren auf der Zunge anspricht. (8/10)
Es folgt Oktopus in drei kleinen Stücken, serviert mit etwas intensivem Meersalz. Diese drei Stücke sind auf allerhöchstem Niveau, nur noch bei Saito ist eine Prise mehr unerklärliche Magie mit dabei. Man muss das erleben, um es zu verstehen. Der perfekte Biss, die stimmige, einlullende Temperatur, der ausbalancierte Geschmack und die Wucht vom Salz, all das ist nur in den besten Sushi-Restaurants der Welt zu erleben. (8,5/10)
Es folgt etwas Sashimi. Links Stücke von der Flunder, rechts vom Zackenbarsch. Dazu gibt es cremig geriebenen Wasabi, japanische Schalotten, Seetang und zwei Sojasaucen. Vor allem das Flunder-Sashimi ist eines der besten, die ich je probiert habe. Der Fisch hat oft eine etwas zähere Textur, hier ist er überraschend zart. Zusammen mit dem Wasabi und den hervorragenden Sojasaucen ‒ das ist auch noch mal ein Kapitel für sich ‒ ist das ein Sashimi-Gang auf sehr hohem Niveau. (8,5/10)
Das Essen, das vor meiner morgigen Abreise schon jetzt wieder eine Rückreise rechtfertigt, geht weiter mit Amadai, einem edlen Speisefisch aus der Familie der Ziegelbarsche. Serviert wird ein gedämpftes Stück des Fischs, das einige Streifen Yuzu-Schale schmücken, in einem duftenden Dashi. Man zerteilt den zarten Fisch mit einem Holzlöffel, auf dem alle Aromen zusammenkommen. Der Duft ist berührend, betörend und komplex. Die Kombination von Wärme, Umami, Flüchtigkeit, Balance, Meer und Parfüm ‒ in der Nase und am Gaumen ‒ ergibt einen in sich perfekten Teller zum Träumen. (10/10)
Thema des nächsten Gangs ist erneut ein gegarter Fisch, diesmal Sawara, eine Makrelenart. Das Filetstück ist schneeweiß und in einer Sauce auf der Basis von Dashi und heller Sojasauce gebettet. Dazu gibt es Sesam, Schnittlauch und getrockneten Seetang. Was den vorherigen Teller in Form von Zurückhaltung auszeichnete, findet man hier in Form von angedeuteten Rauch- und Lagerfeuer-Aromen vor. Das Stück Fisch weist erneut eine der beeindruckendsten Fischqualitäten auf, die mir je begegnet sind, und auch hier ist die geschmackliche Harmonie unvergesslich. (10/10)
Es folgt geröstete Fischmilch (shirako) vom Kugelfisch (fugu). Es klingt wie eine Herausforderung, Geschlechtsorgane und Samen von tödlich giftigen Fischen zu verspeisen, doch in Anbetracht der bisherigen Großartigkeit des Essens sind Vorfreude und Appetit die überwiegenden Emotionen, mit denen ich den Gerichten hier begegne. Das seltsame Organ, dampfend heiß, wird in einem angedickten Dashi mit Sojasauce serviert. Bearbeitet man das Gebilde mit dem Löffel, platzt es auf und gibt seinen cremigen, weißen Inhalt frei. Am Gaumen schmeckt diese Melange hervorragend: sahnig, leicht nach Salz und Ozean, dazu, kontrastierend, Umami vom Soja und präzise Röstaromen. Unerwartet großartig. (8,5/10)
Nach diesem eindrucksvollen und umfangreichen Auftakt geht es jetzt mit Sushi weiter.
Das erste Stück nigirizushi kommt mit Tintenfisch, doch die deutsche Sprache bietet hier keine ausreichende Differenzierung an. Es handelt sich um sumi-ika, junge Tintenfische, die von August bis zum nächsten Frühling erhältlich sind und noch keinerlei knöcherige Strukturen entwickelt haben. Das erste Stück Sushi aus der Hand eines Sushi-Meisters ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit. Der ganz eigene Stil des Meisters zeigt sich dann zum ersten Mal am Gaumen und entfaltet sich in jedem einzelnen Reiskorn. Hier ist die Körnung ganz präzise, die Säure des offensichtlich weißen Reisessigs (im Gegensatz zu Rotem) zurückhaltend und dennoch präsent, der Tintenfisch cremig und nussig. Ein Stück Sushi auf bemerkenswertem Niveau. Die Portion ist recht groß, mit ebenfalls großzügig portioniertem neta, der Fischauflage. Das erinnert mich stilistisch schon jetzt an das Sushi von Jiro Ono, und ich freue mich, erst im Nachhinein zu recherchieren, dass diese Ähnlichkeit kein Zufall ist. Takahashi hat dreizehn Jahre lang bei Jiro gearbeitet.
Sayori (Japanischer Halbschnäbler) bestätigt schon im zweiten Stück das Weltklasseniveau hier. In den präzisen Einschnitten verfängt sich besonders gut die aufgepinselte Sojasauce.
Akami (mageres Fleisch vom Thunfisch) folgt in Perfektion. Wo der fette Thunfischbauch mit Üppigkeit und Schmelz regelrecht angibt, ist akami der Gegenentwurf dazu: Leere, Flüchtigkeit und Stille, und dennoch erhascht man einen Eindruck von Ozean. Grandios ‒ und auf einer philosophischen Ebene eigentlich viel japanischer als die fettigeren, „lauteren“ Teile des Fischs.
Damit geht es aber weiter, und das ist auch gut so. Bei Chutoro (mittelfettem Thunfisch) tritt jetzt der Schmelz deutlicher in den Vordergrund, dessen betörenden Wohlgeschmack man nicht leugnen kann.
Bei Otoro, dem fettigsten Teil von Thunfisch lullt mich der buttrige Schmelz dann wieder komplett ein. Das Erlebnis am Gaumen, wenn sich das Stück Fisch ohne mechanisches Zutun vollständig auflöst und mit dem perfekt austarierten Reis zu einer kleinen Portion absoluten Wohlgeschmacks verbindet, ist zum Augenschließen gut. Dieses Stück Sushi reiht sich in die perfektesten Nigiri-Sushis ein, die ich je gegessen habe.
Kohada, eine Heringsart, schmeckt ebenfalls wunderbar, wie eine schäumende Meeresbrise.
Hamaguri, eine Art Venusmuschel, weist bereits optisch auf ihre beispielhafte Qualität hin. Die Muschel hat eine bissfeste Textur und wird hier klassisch mit einer etwas süßlicheren Sauce kombiniert. Takahashi-san bereitet auffällig ausbalancierte Saucen zu. Ein weiteres Weltklassestück.
Nigiris mit Ikura, Lachsrogen, sind am Gaumen oft eine Herausforderung, wenn sie zu groß portioniert sind. Im Idealfall, so wie hier, ergibt sich eine fragile Speise, die von Vergänglichkeit geprägt ist. In wenigen Sekunden wandelt sich eine mundfüllende Menge Fischeier, klebriger Reis und Seetang in einen leichten, salzigen Nachgeschmack nach Meer und Nichts. Die Speise nimmt nur einen Umweg über den Gaumen, sie verewigt sich in meinen Gedanken.
Kuruma ebi, Kuruma-Garnele, ist ebenfalls auf Referenzniveau. Nicht zu süß, zudem ist der Reis perfekt portioniert und auf allen Ebenen ‒ Temperatur, Klebrigkeit, „Flockigkeit“, Säure, Salz ‒ bemerkenswert konstant während des gesamten Essens.
Es folgt kasugo, junge Seebrasse, markant eingeschnitten, was sich bei dem naturgemäß etwas kaubedürftigeren Fisch genusssteigernd auswirkt. Ebenfalls hervorragend, aber kein Favorit.
Bafun Uni, Seeigel, präsentiert in einem Gunkan-Maki, bietet süßlich-jodigen Wohlgeschmack auf höchstem Niveau.
Anago, Meeraal, ist ein weiteres Qualitäts-Highlight. Der üppige, oftmals schwer wirkende Fisch wirkt hier ganz leicht und luftig, eine (nicht zu) süßliche Sauce passt dazu perfekt.
Das Nigiri-Sushi sehe ich insgesamt auf einem glasklaren Drei-Sterne-Niveau (9/10).
Tamago, japanisches Omelette, in einer mir sehr gefallenden Konsistenz, beendet das Essen nach etwas mehr als eineinhalb Stunden.
Ein Fazit erübrigt sich. Demütig, berührt und aufgewühlt steige ich in ein Taxi. Das Lichtermeer von Ginza rauscht an mir vorbei, ich möchte, dass dieser Moment niemals endet.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Harutaka |
Chef de Cuisine: | Harutaka Takahashi |
Ort: | Tokio, Japan |
Datum dieses Besuchs: | 18.01.2019 |
Guide Michelin (Tokyo 2019): | ** |
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