Tourniert: Hamburg

Meine Heimatstadt ist auch Anfang des Jahres 2018 ein diffiziles Pflaster, um verlässlich gut essen zu gehen. Von den wenigen Spitzenrestaurants abgesehen, die alle auch einen „Fine Dining“-Rahmen vorgeben, der kaum alltagstauglich ist, hat man es enorm schwer, gute Restaurants zu finden.

Anbei einige Kurzberichte von verschiedenen Restaurantbesuchen der vergangenen Monate.

Inhalt:

→ Theo’s
→ Fischereihafen Restaurant
→ Rive
→ Hæbel
→ Daruma


Theo’s

Es gab eine Zeit, in der fast jede gastronomische Neueröffnung in Hamburg ein Steakhaus zu sein schien ‒ oder die zumindest ihren kulinarischen Fokus auf Rindfleisch setzte, natürlich dry aged und mit rekordverdächtiger Hitze zubereitet (und zu rekordverdächtigen Preisen). Es gibt nur ein einziges Restaurant, bei dem ich das Fleisch wegen handwerklicher oder qualitativer Mängel nicht sofort wieder in die Küche zurückgehen lassen musste. Im Gegenteil, das Theo’s im Grand Hotel Elysee ist meine Adresse erster Wahl, wenn mich in meiner Heimatstadt der gelegentliche Heißhunger nach gutem Steak packt.

Interessant daran: die „Block“-Gruppe ist bisher nicht gerade durch kulinarisch rühmenswerte Gastronomie aufgefallen. Das Theo’s jedoch ist anders und hat mit den Mängeln einer Systemgastronomie nur am Rande zu tun. Stattdessen gibt es hier z. B. U.S.D.A. Prime Beef von Black-Angus-Rindern aus Nebraska in verschiedenen Zuschnitten. Meinen Favoriten, Porterhouse, gibt es in variierenden Portionsgrößen von ca. 700 – 900 g (inklusive Knochen) zum Teilen (€ 12 je 100 g).

Auch hier stehen die Attribute der Trockenreifung und enorme Hitze auf der Karte, aber hier weiß man, was man tut. Das Fleisch gelangt wie bei Peter Luger in New York brutzelnd heiß auf einer Keramikplatte an den Tisch, und wer schon mal gute Steaks gegessen hat, erkennt bereits ‒ ohne das Fleisch probieren zu müssen ‒ alle positiven Attribute, von der dunkelgoldbraunen Farbe über die sichtbar krosse Kruste und eine ideale Kernfarbe. Am Gaumen bestätigt sich alles, die Steaks sind wirklich exzellent. Bei allen Besuchen war das Fleisch für sich genommen eines Sterns würdig (7/10).

Auch die Beilagen sind, bis auf trockene und offensichtlich nicht selbstgemachte Pommes Frites, akkurat und wohlschmeckend zubereitet, von einer stets guten Sauce Béarnaise über auf den Punkt gegarte Karotten mit Honig und Thymian oder den Baby-Spinat mit Erdnussbutter. Als Vorspeise ist ein am Tisch zubereiteter Ceasar Salad mit gehobelter Macadamia und Sardellen auch eine gute Wahl (6,9/10).

Verzichten würde ich hier vorsichtshalber auf alles, was das Wort „Trüffel“ beinhaltet (Trüffelcroûtons beim Salat, getrüffeltes Kartoffelpüree als Fleischbeilage); den frischen Edelpilz habe ich hier zumindest noch nie zu Gesicht bekommen, dafür aber gelegentlich durchaus in Form eines artifiziellen Geruchs an Nachbartischen vernommen.

Ein weiteres Manko ist die über alle Maße beklagenswerte Weinkarte, an der der Hamburger Gast sich jedoch wie gewohnt nicht zu stören scheint. Man bestellt ohnehin lieber ein großes Bier. Macht nichts, ich bringe den Wein inzwischen selbst mit. Zu einem amerikanischen Steak dieser Qualität gehört ein anständiger Bordeaux oder Kalifornier. Man muss sich in dieser Stadt eben immer auch ein Stück weit selbst zu helfen wissen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Theo’s (→ Website)
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum des letzten Besuchs: 14.11.2017
Guide Michelin (D 2017): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was bedeutet das?)
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Fischereihafen Restaurant

Ich nenne Hamburg seit fast vierzig Jahren meine Heimatstadt und war zuvor tatsächlich noch nie im Fischereihafen Restaurant, der Gastronomieinstitution der Familie Kowalke. Das Restaurant mit gutbürgerlichstem Konzept hat mich nie so angezogen wie es vielleicht bei der Mercedes fahrenden Reederklientel der Fall ist, für die es extra einen Valet-Service gibt, der das Auto rangiert. Das ist eine gute Idee, denn nach den paar großen Bier, die man sich schon mittags hier in den Kopf stellt, will man natürlich nicht lange nach seinem Wagen suchen.

Als ich heute spontan und ohne Reservierung einkehre, ist es stickig, weil die Klimaanlage nach der kürzlichen Sturmflut hier den Geist aufgegeben hat. In einem Restaurant, das Fisch brät, ist das etwas ungünstig, aber was soll’s. Ein Blick in die Weinkarte soll es richten, aber diese ist ‒ es war zu erwarten ‒ belanglos, mit wenigen Ausnahmen. Eine davon ist ein 2007er Meursault-Blagny 1er Cru „Château de Blagny“ von der Domaine Louis Latour für € 92.

Die Mineralität des Weins passt gut zum Teller mit sehr frischen Austern („Fine de Claires“, Stück € 3,50), die mit einer sehr guten Schalottenvinaigrette serviert werden. (7/10)

Die Seezunge „Müllerin Art“ im Hauptgang (€ 55) wird am Tisch filetiert und gelangt heiß und in Butter goldbraun auf den Punkt gebraten auf den Teller. Salzkartoffeln mit Petersilie und ein Kännchen mit flüssiger Butter machen aus der delikaten Zutaten ein bodenständiges, eher schweres Gericht auf insgesamt aber gutem Niveau. (6,5/10)

Ein Stück Steinbutt ‒ etwas zu kräftig angebraten ‒ mit mediterranem Gemüse, Salzkartoffeln, Gurkensalat und Pommery-Senfsauce verfolgt ebenfalls die Idee einer traditionellen deutschen Geschmackswelt, aber immerhin wird man hier authentisch damit konfrontiert. (6,5/10)

Bodenständige Küche in guter Zubereitung, Elbblick und ein sehr deutsches Verständnis von Gastronomie lassen mich vielleicht in vierzig Jahren erneut hier einkehren, dann bin ich auch im richtigen Alter.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Fischereihafen Restaurant (→ Website)
Chef de Cuisine: Michael Scherer
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum des letzten Besuchs: 03.11.2017
Guide Michelin (D 2017): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)
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Rive

Das mit ihrem Tschebull in der Hamburger Innenstadt sehr erfolgreiche österreichische Ehepaar hat einen Restaurantklassiker an der Elbe wiederbelebt. Der Geschäftssinn der Tschebulls scheint ungebrochen, denn das Rive ist an diesem Freitag im November rappelvoll. Es sind bestimmt hundert Gäste hier. Der große Saal ohne jegliche Art von raumtrennenden Elementen wirkt in etwa so charmant wie eine Kantine.

Die Speisekarte hat „Fische und Seafood“ im Mittelpunkt und enthält ein buntes Sammelsurium von Fischgerichten nach norddeutschem Gusto (Schellfisch, Pannfisch, Rotbarsch, Lachs), italiennahen Speisen mit Wiedererkennungswert (Vitello Tonnato, Meeresfrüchte-Spaghetti), angesagte Kreationen wie „Hawaii Style Poke“ bis hin zu Fleisch vom Grill, Meeresfrüchte-Etagere und Kaviar. Zu Letzterem passt eine große Auswahl an Champagner-Etiketten aus dem Hause Moët & Chandon.

Ein Ceviche vom Thunfisch (€ 16,50) kommt u. a. mit Avocado, Süßkartoffeln und einem frischen Geschmacksbild an den Tisch, wirkt aber etwas lieblos auf den Teller geklatscht und könnte mehr Säure und eine kühlere Temperatur vertragen (6/10). Das zuvor genannte Poke mit Lachs und Melone (€ 15,50) sieht so aus als käme aus derselben Schüssel, bildet aber die Grundidee dieses pazifischen Trendgerichts recht gut ab, vor allem der Sushireis ist gut gekocht, und der Lachs hat eine akzeptable Qualität (6,5/10).

Hamburger Pannfisch lasse ich zurückgehen, weil Kartoffeln und Fisch maßlos übergart sind. Ein Test am Gaumen bestätigt meine Messerprobe: trocken und hart ist das nicht essbar (5/10). Ersatz brauche ich nicht, mein Appetit ist mir in der stickigen Seafood-Luft auch etwas vergangen. Dass das Gericht mit € 19,90 dennoch auf der Rechnung steht, ist sicherlich kein Vorsatz, aber die Korrektur dauert lange und involviert angestrengte Mienen des überforderten Personals.

Das Essen bildete zwar nur einen kleinen Ausschnitt aus der Speisekarte ab, aber in Summe ist dieses Erlebnis doch ein Referenzbeispiel dafür, wie man ein Restaurant in dieser Stadt zu einer Goldgrube macht: mit überteuertem Mittelmaß.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Rive (→ Website)
Chef de Cuisine: Felix Dietz
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 17.11.2017
Guide Michelin (D 2017): nocht nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)
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Hæbel

In meinem letzten Bericht über das Restaurant von Küchenchef und Inhaber Fabio Haebel machte ich unter anderem die regelmäßige Wandlung des Gastronomiekonzepts zum Thema. Aus der Tarterie, die herzhaftes französisches Gebäck verkaufte, wurde die Tarterie St. Pauli mit offener Küche und festem Abendmenü, inzwischen heißt das Restaurant Hæbel, und die Küche ist, laut Speisekarte, „Nordic French“.

Das jetzige Bekenntnis zum eigenen Namen ist vielleicht auch ein Ausdruck davon, nun angekommen zu sein. So fühlt es sich auf jeden Fall an, wenn man derzeit den kleinen Laden betritt. Behutsame Veränderungen am Mobiliar, der Wandfarbe und weiteren Details wirken durchdacht und schlüssig. Die Speisekarte steht zu einem einzigen Menü mit fünf Gängen (€ 65) und ist unter anderem auch deswegen interessant, weil die Karte nicht die einzelnen Gänge, sondern nur die wichtigsten verwendeten Zutaten (in scheinbar willkürlicher Reihenfolge) aufführt.

Der Auftakt zum Aperitif enthält bereits überzeugende Aussagen zum Thema Produktqualität. Sauerteigbrot wird mit französischen Jahrgangssardinen und Beurre Bordier aufgetischt ‒ mehr braucht es oft nicht zum kulinarischen Glück. Als Eröffnung des Menüs überzeugt ein Rindertartar mit Steinpilzmayonnaise und Caviar d’Aquitaine mit einem sehr schmackhaften Einsatz von Säure, Salz und „Süffigkeit“, allerdings ist das Fleisch selbst etwas zu sehnig, wenngleich mir die etwas größer geschnittenen Stücke prinzipiell gut gefallen. (6,9/10)

Sehr fein sind auch die folgenden Kürbisravioli mit Rettich, bei denen ein am Tisch aufgesprühter Essig (aus Nierstein) das Gericht mit ansprechender Säure versorgt. (7/10)

Auf ähnlichem Niveau ist Filet vom Iberico-Schwein von guter Qualität und Garung mit einer Meerrettich-Beurre-Blanc, weißem Trüffel und Grünkohl, welches ein klassisches deutsches Geschmacksbild intelligent auf ein höheres kulinarisches Niveau hebt. Das ist sehr gut, lässt aber gerade deshalb sofort den Schluss zu, dass man hier mit noch hochwertigeren Zutaten ein noch besseres Ergebnis erzielen könnte. (6,9/10)

Weitere Gänge sind alle ambitioniert und prinzipiell sehr stimmig, handwerkliche Fauxpas wie eine übergarte Wachtelbrust (6/10) und ein doch etwas kurioses Geschmacksbild beim ohnehin nicht besonders attraktiven Skrei mit einer recht strengen Brunnenkressesauce (6,5/10) zeigen aber auch einige Inkonsistenzen auf.

Die Desserts sind gut bis sehr gut, die Weinkarte ausbaufähig (ich habe etwas Eigenes mitgebracht), und den zwei Personen im Service würde etwas mehr Freude auch gut zu Gesicht stehen, ihre zweifellos nicht immer einfache Arbeit in allen Ehren.

Haebels Küche bietet mittlerweile eine Bühne, die für den Auftritt noch viel besserer Produkte (diese sind ja bereits gut) prädestiniert wäre. Das Preisniveau müsste dann deutlich anziehen, und das wäre ein riskanter Schritt nicht nur in dieser Stadt, sondern auch in dieser Gegend. Doch auch ohne dieses Risiko einzugehen ist das Hæbel schon jetzt Grund genug, zum Kiezgänger zu werden.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Hæbel (→ Website)
Chef de Cuisine: Fabio Haebel
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 19.01.2018
Guide Michelin (D 2018): nocht nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens 6,9 (Was bedeutet das?)
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Daruma

4,5 von 5 Punkten bei Google, 4 von 5 Punkten bei Yelp, 90 % „sehr gute“ oder „ausgezeichnete“ Bewertungen bei TripAdvisor: das japanische Restaurant Daruma verzeichnet bessere Bewertungen als die Restaurants von Großmeistern wie Jiro Ono oder Takashi Saito in Tokio. Auf diese Quellen ist zwar grundsätzlich kein Verlass, aber das sind nun mal die Fakten. Ein Interessent der Hamburger Restaurantlandschaft könnte ja zumindest auf die Idee kommen, dass sich ein Besuch in diesem Restaurant lohnt.

„Kein Asien schi-schi“ (sic) schreibt ein Bewerter, was auch immer das bedeuten soll. Wenn er die Abwesenheit von Bei-Sushi-sehen-und-gesehen-werden-Publikum meint, wo auch immer es das geben soll, hat er sicherlich recht. Aber dieser erstrebenswerte Mangel ist leider auch kein Qualitätskriterium das Essen betreffend. Und Prominenz ist trotzdem vor Ort. Als ich eintrete, sitzt Jonathan Meese im Trainingsanzug an einem Tisch mit seiner Frau Mama. Das ist zwar auch nicht wirklich Chichi, aber immerhin ist der Hamburger Künstler in Tokio geboren und verkauft Bilder für hunderttausend Euro.

Es nützt alles nichts. In nicht etwa einfach nur schlichtem, sondern renovierungs- und reinigungsbedürftigem Ambiente bestellt man aus einer angegrabbelten Speisekarte mit Plastikseiten Speisen, die mit jämmerlichen Zutaten und boshaftem Handwerk zubereitet sind, dass ich tatsächlich etwas von dem billigen Sake abtrinke, der aufgrund der zu optimistisch ausgereizten Oberflächenspannung aus dem quaderförmigen Holzgefäß ausläuft (ich weiß, das ist Absicht).

Fleischgerichte mit Kantinenqualität; Nigiri-Sushi, das ich nicht anrühre, weil mir die trockenen Teile schon vom Anblick her im Hals stecken bleiben; und ein Blick in die Küche, der noch deutlich Übleres erahnen lässt, lassen mich schnell das Weite suchen. Meldepflichtig!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Daruma
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 22.11.2017
Guide Michelin (D 2017): nicht empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)
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