Koryu – drei Sterne zu viel in Osaka, Teil 1
An einer Straßenecke in einem Ausgehviertel von Osaka komme ich mehr als zwanzig Minuten vor meiner eigentlichen Reservierungszeit vor dem Restaurant an. Ein stark alkoholisierter Jugendlicher erbricht sich auf der Straßenseite gegenüber und wird von seinen Freunden in ein Taxi geworfen. Sein Abend endet hier, meiner beginnt.
Ich gehe nicht davon aus, so früh schon in das Restaurant gelassen zu werden und probiere es auch nicht aus. Dennoch prüfe ich schon mal die Gegebenheiten. Die Lage ist zunächst die, dass der Küchenchef offenbar gerade Protagonist eines Fernsehdrehs ist und sich sichtlich gerne vor der Kamera aalt. Nachdem die Show vorbei ist, versuche ich vorsichtig, einzutreten. Das Restaurant ist leer. Doch ich werde recht unwirsch von einem Angestellten abgewiesen, der auf seine Uhr zeigt. Es ist fünf Minuten vor neun.
Ich laufe noch einmal um den Block. Dreißig Sekunden nach neun versuche ich es erneut. Man möchte ja auch nicht zu spät sein. Jetzt klappt es, und ich sitze wenig später am Tresen. Das Restaurant ist recht klein. Ungefähr zwölf Personen haben hier Platz, der Speisesaal ist kaum größer als vielleicht fünfundzwanzig Quadratmeter.
Viel weiß ich über dieses Restaurant nicht, außer, dass es „japanische Küche“ serviert, die mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist.
Vorhin noch vor der Kamera, jetzt hinterm Tresen, hantiert Chef Shintaro Matsuo. Drei Hilfsköche leisten ihm Unterstützung, von denen einer auffällig krank ist. Ein hochroter Kopf, Schweißperlen auf der Stirn, fiebrige Augen, müde Bewegungen und ständiges Schniefen deuten auf eine infektiöse Viruserkrankung hin, von der ich am liebsten allergrößten Abstand halten würde. Gleichwohl steht der arme Kerl keinen halben Meter vor mir, schnieft und niest ungeschützt in die Gegend, auf Lebensmittel, Utensilien und Gäste. Da ist das japanische Pflichtbewusstsein wohl größer als ein Verständnis von Hygiene und Gesundheit. Ich bin davon recht befremdet und würde mir am liebsten den Mundschutz aufsetzen, den ich gerade bei meinem Spaziergang um den Block in einem Supermarkt erworben habe. Aber in einem Restaurant ist eine Maske dann doch eher unpraktisch. Ich muss da jetzt wohl durch.
Das Menü (ca. € 120) beginnt mit einer Kreation mit rohem Riesen-Tigersalmler (tigerfish), serviert in einer gelierten Gemüsesuppe mit pochiertem Ei. Die Frische der Produkte kommt klar zum Vorschein, das Handwerk ist makellos, aber geschmacklich ist das keine Offenbarung. Dennoch auf hohem Niveau. (7/10)
Matsuo-san präpariert inzwischen Meerestiere. Seine Art, dies zu tun, ist im Vergleich zu manch anderen hochdekorierten japanischen Chefs nicht besonders faszinierend. Es gibt keine Zweifel, dass er sein Handwerk beherrscht, aber er wirkt bei seiner Tätigkeit sehr abgelenkt, scherzt ständig mit einem offenkundigen Stammgast, ignoriert weitestgehend alle anderen Gäste und fährt ab und zu mal einen seiner Hilfsköche an.
Es folgt ein kalt serviertes Gericht mit sellerieähnlichem Gemüse, irgendetwas, das wie Huhn aussieht, aber keines ist, kleinen Garnelen und Sesamsauce, die aromatisch an Erdnuss erinnert. Frisch, klar, sehr gut. (7/10)
Es geht weiter mit einem Sashimi-Arrangement, bestehend aus Flachfisch (Hirame), Tintenfisch, Jakobsmuschel und Aal. Die Fische sind von sehr guter Qualität, vor allem der etwas weniger fette Thunfisch, ich vermute aus dem mittleren Rückenstück. Das einzige Problem ist der rohe Aal, der nicht nur unglaublich zäh und kaubedürftig, sondern auch noch mit kleinen Gräten gespickt ist. Während ich minutenlang versuche, die Portion Fisch so zu zerkauen, dass ich mich in der Lage fühle, sie runterzuschlucken, sieht mich der Chef die ganze Zeit an – als wartete er nur darauf, dass ich es wieder ausspucke. Mit Ausnahme dieses zum Rohverzehr völlig ungeeigneten Fischs ist das alles ein hohes, aber keinesfalls hervorragendes, Niveau. (7/10)
Als nächstes gibt es eine klare, heiße Suppe, klassisch auf Dashi-Basis, mit Zackenbarsch und Bambussprössling. Einwandfrei. (7/10)
Ein Schälchen mit eingelegten, aber etwas wässrigen Gemüsen, Seeigel und Wasabiblättern sieht schön aus, bietet aber trotz der exquisiten Zutat wenig Bemerkenswertes. (6,5/10)
Für das nächste Gericht gelangt der Holzkohlegrill zum Einsatz, der fester Bestandteil der kleinen Küche ist. Ein Stück weißen Fischs, dessen Name ich nicht verstehe, wird darauf gegrillt und mit Lotuswurzel, Krebsfleisch und Krebssauce serviert. Die von Natur aus sehr trockene, spröde Beschaffenheit des Gemüses ist keine Freude. Auch den Rest dieses Tellers prägen unvorteilhaft präparierte Zutaten und ein fades Geschmacksbild. (5/10)
Der Stammgast links von mir rührt sein Gericht erst nach mehreren Minuten an, da er sich gerade in einem heiteren Gespräch mit dem Küchenchef selbst befindet, dem das temporäre Ignorieren seines Gerichts offenbar gleichgültig ist.
Auch das nächste Arrangement, eine Art Granité mit weiteren, frischen Zutaten, irritiert. Für wässrige, neutrale Tomate muss ich nicht nach Japan fliegen, da helfen auch die überportionierten Stücke Yuzu genauso wenig wie das Sashimi vom Kugelfisch, das sich irgendwo in dieser extrem kalten Kombination versteckt. Belanglos. (5/10)
Auch das nächste Gericht ist für das, was es sein könnte, eine Enttäuschung. Ein paar Scheiben Miyazaki-Rind sind naturgemäß von exzellenter Qualität, stammen aber von einem eher langweiligen Filetstück oder ähnlich mürben Schnitt. Eine Sauce aus Perilla (Shiso) – eine Zutat, die immer auch etwas von süßlichem Zahnpastageschmack hat – passt hierzu nur bedingt, und bei dem Stück Lauch, von dem man offenbar nur das Innere essen soll, muss ich die papierartige Außenhaut wirklich wieder ausspucken, wie peinlich von mir. (6,5/10)
Das befremdliche Mahl geht weiter mit einem als Porridge bezeichneten Reisbrei, dazu gibt es auf einem separaten Teller einige säuerlich eingelegte Zutaten. Tradition solcher Speisen hin oder her, das ist völlig ungenießbar, weil es an klebrigem Reisbrei einfach nichts zu genießen gibt. (5/10)
Die einzige zu drei Michelin-Sternen und einem berühmten Küchenchef ansatzweise passende Speise dieses Abends ist ein exzellentes Dessert mit sehr aromatischen roten und weißen Erdbeeren, Zitrusfrüchten und rosa Pfeffer. (8,5/10)
Ich vermute, dass man aufgrund der extremen Saisonalität und der daraus bedingten Vielfalt der japanischen Küche hier auch deutlich besser essen kann. Dennoch war der Abend geprägt von kulinarisch ungenauen Kreationen, einwandfreien, aber weitestgehend unauffälligen Zutaten und einem Chef, der sich in seiner lokalen Berühmtheit sehr auszuruhen scheint. Recht unjapanisch, diese Darbietung.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Koryu |
Chef de Cuisine: | Shintaro Matsuo |
Ort: | Osaka, Japan |
Datum dieses Besuchs: | 11.03.2017 |
Guide Michelin (Kyoto/Osaka 2017): | *** |
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