Petit Amour – keine große Liebe
Kurz nach der Eröffnung des Petit Amour im letzten Jahr war ich zum ersten Mal in Boris Kaspriks neuem Restaurant. Der vielseitig ausgebildete Koch – u. a. mit Drei-Sterne-Erfahrung aus den Restaurants De Karmeliet (Brügge), Im Schiffchen (Düsseldorf) und RyuGin (Tokio) – hat sich mit einer Gastronomie in Hamburg-Ottensen selbstständig gemacht. Der politisch rot-rot-grün gefärbte Stadtteil ist eine ambitionierte Standortwahl für ein Restaurant mit bis zu dreistelligen Menüpreisen und Foie Gras auf der Karte.
Ich hatte von meinem damaligen Besuch keinen Bericht verfasst; die Küche erschien mir noch zu sehr „am Anfang“, um eine Aussage treffen zu wollen. Die französische Ausrichtung gefiel mir prinzipiell, es gab ein, zwei sehr gute Gerichte, aber in Summe nur wenig Produkt- oder Geschmackshighlights. Liebe auf den ersten Blick war das nicht. Ich hielt mich erst einmal fern und wartete ab.
Erst der Guide Michelin für 2017 brachte das Restaurant dann vor ein paar Wochen wieder auf meinen Schirm, indem darin die Küche des Petit Amour mit einem Stern ausgezeichnet ist. Neugierig auf die Fortschritte – das Restaurant war im Guide 2016 noch eine Empfehlung ohne Stern – kehre ich heute erneut hier ein.
Ich wähle das kleinere von zwei Menüs (€ 79), das ich um einen zusätzlichen Gang erweitere. Es gibt auch eine nahezu deckungsgleiche Speisenauswahl à la carte – hier in skurrilem Gastrodeutsch „A-la-carte-Karte“ genannt.
Beinhaltet der Begriff carte nicht schon das Konzept einer Karte? Wie dem auch sei, ich bleibe bei meiner Auswahl aus der Menükartenkarte.
Erste Amuse-Bouches sind herzhafte Gebäckstücke: Ziegenkäse-Profiteroles; eine Art Schnecke mit Sardine; und Zwiebeltarte-Sticks mit Ibericospeck. Recht teiglastig, aber ordentlich gemacht. (6/10)
Zweiter Snack ist Bauch von geräuchertem Stör, kombiniert mit roter Bete, einer dünnen Scheibe knusprigem Gebäck sowie Apfel in kleinen Stückchen und als aufgeschäumter Sud. Vom Stör ist wenig zu schmecken, es dominiert der Apfel. Weder gut noch schlecht; man zuckt mit den Schultern. (6/10)
Der dritte Snack wiederholt die Stör-Idee mit einem anderen Teil des Fischs, diesmal ohne Apfel und Brotchip, dafür aber mit einem faden Stück Fisch, das ungefähr den Charme von Industriemozzarella hat. Alles hat Zimmertemperatur, es gibt keinerlei Spannung oder Qualitätshighlight, dazu sieht das Ganze aus wie ein Dessert mit Vanilleeis und Himbeersauce in einem gutbürgerlichen Restaurant ohne Niveau. Und über die kulinarische Idee, Fisch in Rote-Bete-Sauce zu baden, müsste man auch noch mal diskutieren. Wenn man wollte. (5/10)
Nach bereits unangenehm langer Wartezeit kommen nun auch Wasser und Wein an den Tisch. Ich habe eine Flasche 1998er Château Larrivet Haut-Brion bestellt, der mit € 117 den aktuellen Marktpreis um einen unfreundlichen Faktor von vier bis fünf überbietet, aber das finde ich erst später heraus. Zuerst finde ich heraus, dass sich im Glas so viel Depot befindet, dass es beim Schwenken überall im Glas haften bleibt. Ich merke das an und muss mich dann darüber ärgern, dass der Sommelier zunächst versucht, mich in die Idee von trübem Wein mit Stückchen hineinzureden. Nachdem dann auch ein weiteres Glas nichts an dem Sachverhalt ändert, bestehe ich auf einen Austausch. Die neue Flasche ist ein anderer Jahrgang (2010), der zwar kein Depot aufweist, aber geschmacklich auch deutlich weniger attraktiv ist. An weiterer Diskussion ist mir die Lust vergangen, aber der Sommelier hat hier definitiv in allen Punkten versagt, die zu seinen Aufgaben zählen – am meisten darin, Gäste fröhlich zu stimmen anstatt missmutig.
Der erste Gang des Menüs ist eine Terrine von Foie Gras mit Hagebuttenhonig und gebratenem Steinpilz. Die offenkundig hausgemachte Terrine zeugt durch ihren angenehmen Schmelz und ausbalancierten Geschmack von gutem Handwerk. Dafür sind die Steinpilze ein Schlag ins Gesicht von jedem Gast, der hier Geld investiert. Das gebratene Exemplar ist gummiartig und schmeckt beißend säuerlich, die obenauf liegende rohe Scheibe demonstriert dann die ganze Qualitätsmisere. Das Innere des Pilzes ist vergilbt, von Wurmlöchern durchfressen, Stiel und Hut sind feucht und matschig. Dass man seinen Gästen eine solche Zutat serviert, und das auch noch ganz demonstrativ, ist dreist und schamlos. Trotz der guten Foie Gras verdirbt dieser Pilz das Gericht. (5/10)
Eigentlich wäre das ein richtiger Zeitpunkt, um den Abend abzubrechen. Dagegen sprechen der dafür lästige Diskussionsbedarf, eine unangenehme Unterbrechung des Abends und die mangelnden Alternativen mitten in der Woche in dieser Gegend.
Aber eigentlich ist das auch ein richtiger Zeitpunkt, um diesen Bericht in seiner Ausführlichkeit abzubrechen. Was an Speisen noch folgt, ist alles nicht wesentlich besser und schnell zusammengefasst.
Ein Stück Hummer von unauffälliger Qualität wird in einer faden Artischockenvelouté serviert, bei der Guy Savoy einen Herzstillstand erleiden würde (5/10);
ein Stück Seezunge von ebenfalls mäßiger Qualität buhlt in einem Brimborium aufeinandergestapelter Zutaten vergeblich um Aufmerksamkeit (6/10);
und ein Stück Rehrücken mit „Kürbis-Quitten-Millefeuille“ ist manchmal zart, häufiger zäh, und was man mit der restlichen Tellerdekoration anstellen soll, fragt man sich (6/10).
Da ich keinen Gang ganz aufgegessen habe, schlage ich gern noch beim Käsewagen zu (€ 25), der offensichtlich einer der besten der Stadt ist. Alle Sorten sind vom Käse-Affineur Antony, perfekt gereift und ermöglichen noch mal so etwas wie gustatorische Befriedigung, u. a. mit wunderbarem Vacherin Mont d’Or, Saint-Nectaire, Epoisses und Roquefort.
Eine nach Hause mitgenommene Pralinen-Box bringt am nächsten Tag noch ein paar überraschend gute Petit-Fours zum Vorschein, u. a. einen sehr guten Canelé, die Kuchenspezialität aus Bordeaux.
Ich bin gerne Gast in Restaurants. Ich liebe es ganz prinzipiell, auswärts zu essen. Und selbst wenn das Essen nicht meinen Erwartungen entspricht, ist das kein Beinbruch, sondern erweitert den kulinarischen Horizont. Ich sitze ja nicht den ganzen Abend grimmig auf meinem Stuhl und rege mich auf. Aber über diesen Abend ärgere ich mich maßlos. Ich ärgere mich darüber, bei einer Investition von dreihundertfünfzig Euro auch nur eine einzige miserable Zutat untergejubelt zu bekommen. Ich ärgere mich darüber, dass das anderen Gästen genauso wiederfährt, und ich ärgere mich darüber, dass viele von ihnen das dann für „Sterneküche“ halten. Aber das ist sie hier, ganz offiziell. Was die Inspektoren vom Guide bei ihrer Entscheidung konsumiert haben, muss wirklich von feinster Qualität gewesen sein.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Petit Amour (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Boris Kasprik |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 06.12.2016 |
Guide Michelin (D 2017): | * |
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