Ishikawa – famoses Finale
Es ist so weit: am heutigen Abend trete ich die letzte meiner zehn Reservierungen in Tokio an. Siebenundzwanzig Sterne habe ich in den vergangenen Tagen schon verspeist und dabei viel erlebt, kulinarisch und darüber hinaus. Es ist an der Zeit, meine fernöstliche Expedition mit einem weiteren Mahl abzurunden.
Außer der Tatsache, dass ich mit diesem Restaurantbesuch die dreißig Sterne in einer Woche komplettieren werde, ist mir so gut wie nichts über das Ishikawa bekannt. Umso schöner natürlich der Überraschungseffekt, wenn der Abend so großartig wird wie in den kommenden Stunden.
Doch dafür muss ich überhaupt erst mal ankommen. Wie so häufig in Tokio, gestaltet sich die Anfahrt etwas beschwerlich. Der Taxifahrer lässt sich eine gute Viertelstunde von einem der Restaurantmitarbeiter übers Handy durch die Stadt navigieren. Sicher – und zielsicher – ist anders.
Irgendwann hält der Fahrer an und signalisiert das Ende der Fahrt. Die Ecke des Wohnhauses, vor dem wir halten, erinnert mit seiner schwarzen Holzvertäfelung und einem schmalen Eingangsschacht allerdings eher an ein Tor zu einem Verlies als an den Eingang zu einem hochdekorierten Restaurant, doch von Bildern weiß ich bereits, dass wir richtig sind.
Der erste, düstere Eindruck verflüchtigt sich auch rasch. Der schmale Durchgang ist gemütlich beleuchtet und mündet in einen lichten Innenhof mit Zugang zum Restaurant. Innen angekommen, werde ich dann geradezu von einer Welle der Gastlichkeit überrollt.
Der Tresen ist voll besetzt (es ist kurz vor neun), die Gäste scheinen entspannt und ausgelassen. Hinter dem Tresen wirkt Chef Hideki Ishikawa, dem Freundlichkeit und Humor regelrecht ins Gesicht geschrieben sind. Immer wieder sucht er den Kontakt zu seinen Gästen, scherzt und kommuniziert.
Neben mir sitzt ein ebenfalls gut gelauntes Paar in meinem Alter, das aus Mexiko angereist und auch auf einer kulinarischen Tour durch Asien unterwegs ist. Bei so viel Gleichgesinntheit und der guten Laune von Ishikawa-san und seinem Team wird der Abend auch auf menschlicher Ebene ein rauschendes Fest.
Kulinarisch wird er das sowieso, wie bereits der geniale Auftakt dieses umfangreichen Kaisekis zeigt. In einem Schälchen gibt es Venusmuschel mit gedünsteten Rübchen und getrocknetem Rogen von der Seegurke, also eine Art japanischer Bottarga. Der kleine Gaumenschmaus aktiviert insbesondere die Geschmacksrezeptoren für umami und sorgt damit für einen fleischig-herzhaften Genuss aus den Tiefen des Meeres.
Es folgt frittierter Conger (eine Aal-Art) mit Erbse und Pestwurz-Blüten. Das klingt exotisch, ist aber ein sehr zugänglicher Schmaus. Und wenn jemand etwas frittieren kann, dann wirklich die Japaner, denen es immer zu gelingen scheint, diese aufs Produkt eher zerstörerisch wirkende Garmethode genusssteigernd einzusetzen, nämlich weniger fettig, hauchdünn und knusprig. Die Kruste erscheint dann, wie hier beim Aal, wie eine zweite Haut und nicht wie eine Ummantelung. Exzellent!
Weiter geht es – in fröhlicher Atmosphäre – mit einer heißen Brühe, darin ein Meerestier im Teigmantel (keine Notiz: ich glaube, Garnele) mit jungem Bambus und Wakame. Auch dieses Gericht folgt der japanischen Art, zunächst nach wenig auszusehen, aber seine ganze Pracht zu offenbaren, wenn man sich näher damit auseinandersetzt. Dann begeistern Machart, Zutaten und Handwerk in höchstem Maß. Diese Zurückhaltung, die eine Auseinandersetzung mit dem Gericht erfordert, ist für mich eine der faszinierendsten Eigenschaften der japanischen Küche.
Gleiches gilt für das exzellente Sashimi vom Masu-Lachs und frischem Gemüse.
Mit sichtlich großer Freude nimmt Meister Ishikawa die Begeisterung wahr, mit der ich – und meine neuen mexikanischen Ess-Freunde – seine Köstlichkeiten genießen. Unser Kompliment, dass seine Küche zu Recht als eine der weltbesten ausgezeichnet ist, möchte er kaum annehmen. „Noooo!“, sagt er lächelnd in gebrochenem Englisch, und winkt bescheiden ab. Aber wir insistieren.
Fabelhaft ist auch ein Sashimi vom Taschenkrebs mit Innereien (!) und Dashi-Gelee. Pure, reine Frische ist meine überwiegende Assoziation bei diesem ungewöhnlichen, aber bemerkenswerten Gang. Beschwingt von der Heiterkeit des Abends und gutem Sake denke ich in diesem Moment glücklicherweise gar nicht daran, dass es in nicht einmal vierundzwanzig Stunden mit derartigen Speisen erst einmal vorbei sein wird … Aber wie gesagt: in diesem Moment keine Spur von Melancholie.
Eines der vielen besten Gerichte dieser Reise ist dann eines mit über Holzkohle gegrilltem Fisch, in diesem Fall eine Art Rotbarbe (kinki fish), dazu eine „frisch geerntete“ Zwiebel und ein Stück Limone. Hitze, Röstaromen, Gargrad, Frische und Säure von der Zitrusfrucht, Süße von der Zwiebel: all das kommt hier zusammen und ergibt ein kleines Wunderwerk des Genusses zum Augenschließen und Genießen.
Zur Erkundung lädt der nächste Gang ein, der gegarten Tintenfisch mit sieben jungen Gemüsen kombiniert, darunter Farn und Bambus. Leicht rauchig der Tintenfisch und von einer unglaublichen Zartheit, knackig frisch dazu das Gemüse … schnörkellos und einfach perfekt zubereitet!
Das Genusserlebnis reißt nicht ab: Ein „Hot Pot“ mit, unter anderem, Ente, Tofu, Tofuhaut und Pak Choi schmeckt angenehm süffig und herzhaft, das Fleisch ist hervorragend gegart und auch aromatisch überzeugt dieser – zugegebenermaßen auch etwas merkwürdig anmutende – Teller auf ganzer Linie.
Wie beim Kaiseki üblich, folgen als Abschluss der warmen Speisen eine Reisspezialität des Hauses sowie eine Miso-Suppe und eingelegtes Gemüse. Der Reis ist gedämpft und wird serviert mit Seeigel, Venusmuschel, braunem Senf und einem sellerieähnlichen Gemüse. Wie ich solche „Reisschüsseln“ vermissen werde, hätte ich mir auch nicht erträumen können.
Ishikawa-san hatte einen großen Topf für uns drei gekocht und besteht darauf, dass wir den Rest fürs Frühstück mitnehmen. Ob ich das morgen in aller Frühe vor dem Weg zum Flughafen wirklich noch verwerten werde, ist leider fraglich, aber die Geste ist sehr herzlich und ein Ablehnen steht schließlich gar nicht zur Debatte.
Das Dessert mit herrlichen Erdbeeren, Setoka-Mandarine (eine der besten, die ich je probiert habe), Kirsch-Mousse und einem Sorbet von der Genko-Zitrone (sehr rar) rundet dieses vielfältige Essen mit einem weiteren Höhepunkt ab. Es ist der Moment, an dem man sich zurücklehnt, tief durchatmet und das Wohlbefinden wirken lässt. Genau in diesem Moment weiß ich, warum ich hier, neuntausend Kilometer entfernt von zu Hause, sitze, mit vorhin noch wildfremden Menschen und vor Töpfen und Schälchen mit merkwürdigen Zutaten.
Mit diesen Gedanken verlasse ich das Ishikawa und sage dieser vielfältigen Stadt mit ihren Millionen Lichtern und Menschen und Geschichten, von denen ich nun auch eine bin, auf Wiedersehen. Bis zum nächsten Mal. Sayounara!
Informationen zu diesem Besuch | ||
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Restaurant: | Ishikawa (→ Website) | |
Chef de Cuisine: | Hideki Ishikawa | |
Ort: | Tokio, Japan | |
Datum dieses Besuchs: | 17.04.2014 | |
Guide Michelin (TYO 2014): | *** | |
Meine Bewertung dieses Essens |