Osteria Francescana außer Haus – IFFW mit Massimo Bottura
Anlässlich des vom Hotel Ritz-Carlton in Wolfsburg veranstalteten International Festival of Food and Wine (IFFW) begebe ich mich heute erneut in die Autostadt, genauer gesagt ins Restaurant Aqua, wo an diesem Abend jedoch nicht Sven Elverfeld am Thermomix steht, sondern Massimo Bottura aus der Osteria Francescana in Modena.
Der sympathische Koch mit grauem Haar, Hornbrille und New-Balance-Turnschuhen ist mit einem kleinen Küchenteam und drei großen Koffern voller verlockender Zutaten aus der Region Emilia-Romagna nach Wolfsburg gereist, um seinen kulinarischen Beitrag auf diesem Festival zu leisten.
Mein Gedanke an eine Reise mit dem Ziel Wolfsburg ist dank des erstklassigen Hotelteams im Ritz-Carlton und den gastronomischen Höhenflügen des Restaurants Aqua immer ein heiterer. Die heutige Abwechslung in der Küche durch Massimo Bottura erwarte ich mit Spannung; einen Umweg nach Modena habe ich bereits länger auf dem Tableau, gilt er doch derzeit als einer der besten Köche Italiens.
Nach einem unkomplizierten und herzlichen Empfang im Hotel und dem unreflektierten, aber unabdingbaren Verspeisen eines kleinen, exzellenten Kuchens mit hoher Dichte, der sich zur Begrüßung auf meinem Zimmer befindet, treffe ich – inzwischen bestens ausgestattet mit einem Glas Dom Pérignon 2002 – wenig später Herrn Bottura in der Aqua-Küche, die zu diesem Zeitpunkt weder so aussieht noch so riecht als würde dort gekocht. Die emsigen Damen und Herren in weißer Küchenmontur, die da umherhuschen, suggerieren jedoch das Gegenteil.
Bottura erläutert mir sein Menü, spricht dabei sehr bedacht, konzentriert und voller Leidenschaft. Hinter fast jedem Gericht steckt eine persönliche Geschichte, die stark geprägt ist von Eindrücken aus seiner Kindheit: vom Aufwachsen in einer Region voller natürlicher Reichtümer; von Aromen aus den Wäldern; und von deftigen Pastagerichten an lauten Tischen. Diese Emotionen und Erinnerungen, die er mit dem Aufwachsen verbindet, möchte er über seine Gerichte transferieren – eine an sich schwierige Aufgabe, da er dem Menü ja keine Erläuterungen beifügt. Welcher Gast würde auch mit einer Bedienungsanleitung essen wollen? Diese Hürde versucht Bottura dadurch zu überwinden, dass er einigen seiner Gerichte Titel verleiht, die nicht rein deskriptiv sind, sondern schon beinahe poetisch-künstlerisch („Eine Kartoffel, die eine Trüffel werden möchte“). In jedem Fall ein beeindruckender kleiner Vortrag, den ich da zu hören bekomme, inmitten des faszinierend koordinierten Backstage-Bereichs des Restaurants.
Die Omnipräsenz von Sommelier und Freund Jürgen Giesel macht derweil jedwede Hoffnung auf einen gemäßigten Abend zunichte – aber wer hofft das hier schon? Das Bottura-Menü wird heute Abend begleitet von einer Auswahl von Weinen des piemonteser Weinmachers Angelo Gaja, der einige Termine in Zusammenhang mit der Weinlese naturgemäß nicht verschieben und für den heutigen Abend deshalb leider nicht anreisen konnte.
Der Speisesaal des Aqua ist bis auf den letzten Platz besetzt. Das junge, charmante Serviceteam lässt sich dennoch keinen Stress anmerken und findet auch in dieser Situation stets die richtige und schwierige Balance zwischen Lockerheit und Professionalität, die ich hier im Aqua so schätze.
Massimo Bottura tritt kurz vor uns Gäste und erläutert in gutem Englisch einige seiner Ideen, die er mir vorhin schon in der Küche erläutert hat. Und dann geht es los mit dem ersten Gang, Memory of a Mortadella Sandwich.
Die Präsentation ist auffällig simpel (was per senatürlich nicht misslich ist, aber eben ungewöhnlich für einen Zwei-Sterne-Koch), und mit Spannung probiere ich zunächst von der Mortadellamasse. Sie schmeckt… fast wie Mortadella. Das Focaccia-Brot dazu ist auch einfach das, was es ist, allerdings etwas hart und trocken; die Pistazienkrümel bedürfen ebenfalls keiner Erklärung.
Das Gericht ist sonderbar. Der Sinn, die Mortadella als schaumige Masse zu servieren, erschließt sich mir nicht. Es entsteht keinerlei Geschmacksvorteil, und die veränderte Konsistenz der Wurst macht daraus noch lange keine „Erinnerung“ im positiven Sinn, sondern schürt eher die Hoffnung auf bessere, herzhaft-saftige Mortadella-Zeiten. Zudem funktioniert es ebenfalls nicht, die anderen Zutaten alle nahezu unverändert zu servieren; diese sind leider viel zu banal, um für sich allein überzeugen zu können. Ein von der mamma gebackenes Focaccia mag unter einem schattigen Pistazienbaum im italienischen Sommer der 70er-Jahre bestimmt hervorragend geschmeckt haben, allerdings misslingt es diesem Gericht (leider!), solche persönlichen Assoziationen zu transportieren.
Was für Welten liegen zwischen diesem Gericht und den „Erinnerungen“, die sonst in diesen Räumlichkeiten als „Knusperillos“ serviert werden (Currywust, Hawaii-Toast u. v. m.). Alle genial, alle besser als das Original und so meisterhaft umgesetzt, dass sie selbst zu Erinnerungen werden.
Den ersten Gang begleitet ein 2007 „Rossj-Bass“ von Gaja, ein sehr guter, exotischer, „apfeliger“ Chardonnay mit einem Hauch Sauvignon Blanc.
Der nächste Gang, ein Klassiker in der Osteria Francescana, ist das Magnum of Foie Gras, balsamic vinegar 1941 from my family.
Bottura erklärte mir, dass er eines der „versnobtesten“ Gerichte (Foie-Gras-Terrine) so präsentieren möchte, dass man dabei die „Freude eines Kindes“ empfände, indem man es mit den Fingern isst. Die Idee gefällt mir, meine Spannung steigt, und die Qualität und Konsistenz der Foie Gras sind auf sehr gutem Niveau. Das am Stiel gegessene „Magnum“ ist umhüllt mit zweierlei Haselnusssplittern – die einen aus dem Piemont, die anderen aus Sizilien – und in der Mitte der Foie Gras ein kleiner Klecks des hauseigenen Aceto Balsmico von 1941. Wir erhalten also auch gleich eine kleine geografische Reise durch Italien mit unserem Gericht.
Die Idee ist innovativ, die Präsentation originell, und der uralte Balsamessig unterstützt hervorragend die Foie Gras. Für die Textur ist durch die Haselnüsse auch gesorgt. Die Schwierigkeit bei diesem kleinen Gericht ist jedoch, dass der Balsamico so gut und deshalb zu schade ist, um ihn zwischen der Foie Gras und den Haselnüssen untergehen zu lassen. Man möchte das „Eis“ eigentlich in den Balsamico eintunken und immer wieder, bei jedem Bissen, etwas davon schmecken. Für dieses Vergnügen hätte der Aceto gerne nur halb so alt sein können – dafür aber (mindestens) doppelt so viel auf dem Teller, am besten in einem kleinem Schälchen. Das hätte die Art von Freude erzeugt, auf die Bottura angespielt hat.
Auch dieses Gericht hat ganz augenscheinlich ein Problem damit, den richtigen Fokus zu setzen: Bei der Mortadella waren die Zutaten zu bedeutungslos, um in den Mittelpunkt gestellt zu werden, und bei diesem zweiten Gang wird dem Produkt, das so hätte leuchten können, (dem Balsamico) nicht die Bühne gegeben, die es verdient hätte. Schade, aber dennoch sehr gut.
Mittlerweile wird im neuen Glas die Gaja-Weinreise fortgesetzt mit einem 2004er „Gaja & Rey“, ein faszinierend burgundischer Chardonnay, der ganz hervorragend zum nächsten Gericht passt: Leeks, Romagna shallots and white hills truffle Tart.
Kurzum: rein geschmacklich finde ich recht großen Gefallen hieran, es fällt mir sofort die Beschreibung „richtig lecker“ ein. Herzhaft, gut kombiniert und ohne großen Interpretations- und Verständnisbedarf. Geschmacklich einfach und gut, allerdings mit deutlichen Schwächen hinsichtlich einer zu plumpen Präsentation (farblich nicht sehr ansprechend; die Sauce, die keine ist, sondern nur Olivenöl, ist nicht akkurat angesetzt; viel zu offensichtliche Verwendung eines Servierrings), Textur (viel zu breiige Masse ohne Gegenpol) und Idee. Auf dem Niveau, das Bottura attestiert ist (und daran muss er sich nun Mal messen lassen) und wofür heute Abend immerhin € 290 inkl. Wein zu Buche schlagen, kann man so etwas eigentlich nicht servieren. Der Wein, mit Aromen von frisch aufgeschnittenen weißen Champignons, harmoniert allerdings ganz hervorragend.
Für das außer Lob fast nichts Anderes gewöhnte Aqua-Team muss es heute Abend nicht einfach sein, sich den Fragen einiger verdutzter Gäste stellen zu müssen. Auch ich hatte mir – nach diesen ersten drei Gängen zu urteilen – von Bottura weit mehr erhofft, aber einen Koch zu besuchen, der seinen Heimvorteil nicht ausspielen kann, und der dazu noch unter den wahrscheinlich eher widrigen Umständen eines Festivals mit vielen gleichzeitigen Essern kochen muss, birgt nun mal ein gewisses Risiko, das ich bereit war, einzugehen. Aber natürlich erklären diese Umstände noch lange nicht die meisten der Schwächen der bisherigen Gerichte. Warten wir ab, ob die Niveaukurve noch mal nach oben schnellt. Eine Möglichkeit hierfür wäre der nächste Gang, „Pasta & Fagioli“ (pasta & beans) Compression.
In einem kleinen Glas befinden sich verschiedene geschichtete Zutaten – die „Pasta“ besteht aus grob gehobelten Parmesanstückchen, die so aussehen wie Pasta (was man jedoch nur wissen kann, wenn Bottura einem das Gericht vorher beim Anrichten gezeigt hat). Dann ist da noch ein Bohnenpüree, und obenauf ein Rosmarinschaum. Ich löffle das Glas leer, und auch dies ist von einem Aromafeuerwerk weit entfernt. „Ganz lecker“, aber nichts, das man probiert haben muss. Die Niveaukurve stagniert. Der 2007er Ca‘ Marcanda di Gaja „Magari“ (Cuvée aus Merlot, Syrah, Sangiovese)ist mir noch zu jung, zu fruchtig.
Erheblich besser wird es mit dem 1996erBrunello di Montalcino „Rennina“, Pieve Santa Restituta di Gaja. Ätherische Aromen (Menthol, Campher) sowie Pflaumen und Röstaromen. Ein Bilderbuch-Brunello in reifem Alter und mit weiterem Potenzial.
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Ich bin kein Risottofreund. Wenn mich irgendjemand davon überzeugen könnte, dass diese pauschale Aussage auf schlechten Erfahrungen beruhen muss (und es auch gute Erfahrungen geben kann), dann sicherlich ein norditalienischer Koch. Aber er kann es nicht.
Das Risotto with „Finanziera“, toasted Gemma, blueberry ist schlicht inakzeptabel. Das graupenartige Risotto ist viel zu al dente (wahrscheinlich gehört es so), die Sauce ist undefinierbar und die weiteren Zutaten der recht gewagten traditionellen Zubereitungsart „Finanziera“ sind Innereien und Hahnenkämme(!). Nichts, aber auch rein gar nichts, rechtfertigt das Servieren dieses Gerichts in der gehobenen Gastronomie. Es schmeckt nämlich einfach nicht gut – Tradition hin, Tradition her. Zum Glück kann ich mich an den Brunello klammern und danach an den ebenfalls herausragenden 1989er Barolo „Sperss“ aus der Magnum-Flasche.
Auch von den nächsten Gängen, deren detaillierte Beschreibung ich auslassen werde, beeindruckt mich keiner und folgen dem Schema „interessante Idee, aber sowohl optisch als auch geschmacklich enttäuschend“.
Grob zusammengefasst sind die folgenden Kalbsbäckchen – Veal cheek with Uva Fragola juice and autumn flavours –lieblos präsentiert und etwas fad. Wo ist das Salz, das man an diesen Tischen sonst nicht braucht?Das poetisch klingende Foraging the frozen forest (etwa: Im Winterwald nach Nahrung suchend[es Wild]) besteht unter anderem aus einer herrlich aussehenden Feige, die so dermaßen kalt ist (ist dies der absolute Nullpunkt?), dass sie jeglichen Geschmack eingebüßt hat.
Und die Kartoffel, die nicht weiß, was sie sein möchte (A potato waiting to become a Truffle) – kann auf ihre Verwandlung lange warten. Das ist übrigens ein Dessert. Deshalb der ordentliche Schlag Vanillecrème in der Kartoffel. Auch die mit Balsamessig gefüllte Schokoladenpraline (Balsamic & chocolate) erwähne ich hier nur der Vollständigkeit halber.
Was sich bei mir nach diesem fast durchweg enttäuschenden und vollständig am erwarteten Niveau vorbeigezogenen Essen bei mir einstellt, ist jedoch kein Ärgernis, sondern – so sonderbar das klingen mag – etwas Mitleid mit Herrn Bottura, dessen Ideologie hinter dem Menü mich sehr beeindruckt hat und es ihm ganz bestimmt sehr am Herzen lag, all die Emotionen, die er mit seinen Gerichten verbindet, dem Gast auch tatsächlich zu vermitteln. Leider ist ihm dies heute nicht gelungen. Wie gerne hätte ich mal ein ordentliches Mortadella-Sandwich oder ein Risotto auf hohem Niveau kennen gelernt.
Der Abend war dank Freunden, perfektem Aqua-Service, hervorragenden Weinen und toller Stimmung dennoch ein sehr gelungener. Bravo, Wolfsburg – tut mir leid, Modena.
Wenn ich mal in der Nähe bin, werde ich trotzdem in der Osteria Francescana aufschlagen. Manchmal ist der Heimvorteil ein ganz entscheidender.