Küchenwerkstatt – wo gehobelt wird
Wenn ich gefragt werde, wo man in Hamburg am besten essen könne, nenne ich in letzter Zeit – neben dem Piment (das für eine völlig andere Art von Küche steht) – immer wieder die Küchenwerkstatt, in der Gerald Zogbaum und sein Team eine für Hamburg geradezu revolutionäre Kreativität an den Tag legen.
Da werden ganze Gerichte nur aus Tomaten hergestellt (s. u.), die so intensiv schmecken als wüchse hier im Norden nichts anderes; kleine Kräutergärten auf Bohnengelee werden mit einem Selbstverständnis serviert als speiste man bei Michel Bras oder im Noma. Und all dies, wenn man denn möchte, draußen auf der Terrasse in urbaner, ungezwungener Atmosphäre. Man bekommt nicht einmal etwas mit vom lauten „Italiener“ nebenan, bei dem die Gäste sich dicht aneinandergedrängt um extra große Pfeffermühlen ranken. Dort hätte ich wahrscheinlich nicht einmal einen Tisch bekommen.
Die Speisekarte der Küchenwerkstatt bietet eine große Produktvielfalt und eine hohe Flexibilität: zwischen drei und zwölf Gängen (€ 45 - € 126) kann gewählt werden. Eigentlich muss man hier immer nur diejenigen Gerichte auswählen, die man nicht essen möchte, wenn überhaupt. So sind heute Abend zehn Gänge (€ 108) mein Maß der Dinge, und ich verzichte dabei – relativ willkürlich – auf Vierländer Gemüse über Kirschholz gegrillt und glasiert sowie das Zitronenschaleneis.
Das Stöbern in der Karte begleitet ein sehr guter Jacquesson „Cuvée 734“ (Glas € 16), von dem gleich ein zweites Glas her muss, um das Amuse-bouche zu begleiten. Dies kommt in Form einer Tüte, einem tiefen Teller, in dem sich schon etwas Salz und Pfeffer befindet sowie einem Kännchen daher. Die Tüte enthält getrocknete und frittierte Teile von Süßkartoffel, roter Bete und Artischocke; dazu gießt man dann aus dem Kännchen einen leichten, milchigen und kühlen Knoblauchjus an. Die Aromen der Gemüse kommen dabei sehr gut zur Geltung, und das Spiel mit den verschiedenen Texturen, die sich mit der Zeit von knusprig zu weich ändern, ist sehr elegant und erfrischend. Gesehen (aber noch nicht serviert bekommen) habe ich diese Idee schon einmal, und zwar in Zusammenhang mit einem Rezept von Thomas Bühner aus dem La Vie, dies wiederum basierend auf Heston Blumenthals legendärem „Parsnip Cereal“, aber gegen gute Adaptierungen ist schließlich überhaupt nichts einzuwenden. Ein höchst erheiternder Einstieg.
Der erste Gang des Menüs, Vierländer Platte, ist allein schon optisch und handwerklich recht imposant. Auf dem Teller eine geeiste Tomatenessenz in Form einer riesigen Tomate, die geschmacklich, sensorisch und optisch frappierende Ähnlichkeit zu einer echten Tomate aufweist. Selbst beim Aufschneiden dieses Kunstwerks ist die Konsistenz verblüffend „tomatig“.
In der „Tomate“ wiederum befindet sich ein geeister, weißer Schaum, der intensiv nach Tomate schmeckt und vermutlich auch aus einer Tomatenessenz gewonnen wurde. Der wie ein Tatar angerichteter Tomatenquader auf einem separaten Teller bietet ebenfalls eine dichte Aromakonzentration und ist dabei angenehm mediterran gewürzt. Insgesamt ein konzentriertes Tomatenerlebnis, das ich – sowohl seiner Intensität als auch der Kreativität wegen – hier in Hamburg nirgends vermutet hätte.
Schön auch, dass die Weinkarte endlich an das Niveau der Küche angepasst wurde. Von den neuen Positionen wähle ich einen 2005er Volnay 1er Cru „Clos de la Bousse d’Or“ von der Domaine de la Pousse d’Or (€ 155), der ein fabelhaftes Beispiel für großartigen Burgunder ist. Leider wird er viel zu warm serviert (weit über 20 Grad), sodass es über eine Stunde dauert, ihn behutsam herunterzukühlen. Aber eilig habe ich es heute ohnehin nicht.
Sehr positiv überrascht bin ich dann auch vom nächsten Gericht, Wald und Wiese, das ich so ähnlich vielleicht im „noma“ erwarten würde. Fichtensprossen, diverse Wildkräuter und Pilze auf einem Bohnengelee. Die Kräuter sind sehr frisch, erstaunlich saftig und aromatisch. Mehr davon!
Im nächsten Gang, Geschabtes Eis, befindet sich in der Tellermitte zerstoßenes Gazpacho-Eis, das mit einer wilde Garnele und Paprikaemulsion serviert wird. Diese sehr eigenwillige Interpretation von Gazpacho überzeugt mich leider nicht. Die Gründe sind offenkundig: die Garnele ist von handelsüblicher Qualität, das zu Wassereis gemachte Gazpacho ist fad und ohnehin schlicht zu kalt – besonders in dieser Menge und an dieser Stelle des Menüs.
Gang vier ist Artischocken, Haselnuss und Milch, „warm, kalt zart und knusprig“ der ergänzende Zusatz, der das abermals interessante Zusammenspiel von Texturen und hier auch Temperaturen treffend beschreibt. Ein sehr gelungenes kleines Gericht, bei dem mehrere Komponenten (Haselnussschaum, Milchhaut) das feine Aroma der Artischocke unterstützen. Es knüpft an die Kreativität der ersten beiden Gänge an, die im dritten schlicht ausgelassen wurde.
Es folgt ein Zwischengericht; leider sind mir die Zutaten im Nachhinein entfallen – bis auf die Sardine natürlich. Der Gesamteindruck ist sehr positiv.
Beim nächsten Gang, Feiner Eintopf von Kalbskutteln, mit Tomate und Pancetta, gekocht wie am Mittelmeer, frage ich mich fast, ob diese blumige Beschreibung von der Schwäche dieses Gerichts ablenken möchte, denn diesen Gang kann ich kaum in die bisherige Menüfolge einordnen. Das erste endlich wirklich warme Gericht ist zwar makellos zubereitet, wirkt hier jedoch fehl am Platz und kann auch geschmacklich nicht wirklich punkten.
Das Niveau gerät leider ein wenig ins straucheln – man erhält den Eindruck, einige Gerichte seien von einem völlig anderen Küchenchef erdacht worden, wie z. B. der folgende Gang, Loup de Mer/ Paellasud/ Calamaretti/ Erbsencreme/ Puffreis.
Dieses Gericht ist irgendwie „kalifornisch“ und schmeichelt mir – meiner guten Erinnerungen an Coi & Co. wegen – sehr. Brunnenkresse und Erbsen sind fantastisch intensive Aromaten, die hervorragend zu den Fischzutaten bester Qualität passen. Der dunkle, gut abgeschmeckte Paellasud fügt alle Bestandteile zusammen, ohne dabei in den Vordergrund zu treten. Für mich das beste Gericht des Menüs. Ach ja, der separat gereichte Puffreis, den habe ich fast vergessen, zu essen.
Auf das folgende Gericht freue ich mich seit Beginn des Menüs am meisten, und wem ginge es anlässlich der Beschreibung Rippe vom Wagyu-Rind, 24 Stunden gegart, mit Bratensaft und Kräutern glasiert nicht auch so? Ich bin jedoch bestürzt, als ich feststellen muss, dass ich in meinen Erwartungen völlig enttäuscht werde. Das gesamte Gericht wird von einem räucherigen, bitteren Geschmack überlagert; ich kann nicht genau ausmachen, was es ist. Die Zartheit und Saftigkeit des Fleischs ist sensorisch natürlich auszumachen, aber der Eigengeschmack vom Wagyu-Rind ist leider nicht existent. Schade – selbst im Nachhinein auf den Fotos sieht es doch ganz vorzüglich aus.
Die zwei Desserts, Zweimal Ziegenkäse/ Gurken-Schalottenmarmelade sowie Himbeeren & Gold können leider trotz ihrer hübschen Präsentation auch nicht mehr von dieser letzten Enttäuschung ablenken. Dafür sind die Pralinen ausgezeichnet.
Abgesehen von einer kleineren Achterbahnfahrt war dies in Summe eine eindrucksvolle, sehr engagierte und häufig auch sehr gute Darbietung. Die Küchenwerkstatt ist mit Abstand Hamburgs kreativstes und mutigstes Restaurant, das sich in Hamburg bereits ganz oben einreihen kann und dennoch viel Potenzial besitzt. Es wird spannend und genussreich sein, es auf diesem Weg zu begleiten.
Und dass in einer Werkstatt auch Späne fallen, ist schließlich allgemein bekannt.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Küchenwerkstatt (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Gerald Zogbaum |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 07.08.2010 |
Guide Michelin (D 2010): | * |
Meine Bewertung dieses Essens |