Coi – in der Ruhe liegt die Kraft
Das "kuah" ausgesprochene Restaurant reiht sich von außen unauffällig in diesen Teil von San Franciscos North Beach ein, der eher für Bars und Nachtclubs bekannt ist. Der dunkel gekleidete Mittdreißiger vor dem Eingang des Restaurants könnte flüchtig mit einem Türsteher verwechselt werden, der die Namen gespannter Wartender mit seiner Gästeliste abgleicht. Aber so ist es nicht, wie ich erfahre, er kümmert sich lediglich bei Bedarf um das Valet Parking, und außerdem gibt es keine Warteschlange.
Auf dem Weg zum Tisch wird man zunächst freundlich an einem kleinen "Service-Schalter" empfangen und durch eine Art Lounge-Bereich geführt. Das Interieur ist modern, minimalistisch, und es dominieren helle, sandige Töne. Im gesamten Restaurant ist es auffallend leise, ohne dabei leblos zu sein – die mit Stoff verkleideten Wände und der Teppich lassen die Schritte des Personals und die Konversationen der Gäste gedämpft und entfernt erscheinen, wie in einem Sommertagtraum am Meer. Die Atmosphäre ist äußerst beruhigend und angenehm, man fühlt sich wie in einem Kokon. (Erst viel später erfahre ich, dass "coi" ein aus der Mode gekommenes französisches Adjektiv ist, das passenderweise "ruhig" bedeutet.) Diese von nichts ablenkende Szenerie ermöglicht das Fokussieren aufs Wesentliche: das Essen vor einem.
Die Karte im Coi bietet als einzige Option ein 11-Gänge-Menü ($135). Möchte man sich mit der einen oder anderen Zutat nicht anfreunden, wird eine Alternative vorgesehen, die an dieser oder anderer Stelle in das Menü integriert wird. Das Vertrautmachen mit der sehr viel versprechenden Karte begleitet ein Roederer Estate Rosé NV ($16). Ich merke lediglich an, auf die Austern verzichten zu wollen (Oysters Rockefeller, California Style). Welche Alternative man vorsieht, bleibt eine Überraschung.
Als Wein wähle ich einen Kistler "Vine Hill" Chardonnay 2006 ($150) - die Weinkarte ist klein, bietet jedoch viele interessante Positionen, überwiegend aus der Region.
In einer für amerikanische Restaurants ungewohnten Ruhe und Gelassenheit wird in den nächsten zweieinhalb Stunden ein verblüffend exzellentes Menü aufgetischt, das nur wenig Spielraum für Verbesserungen zulässt.
Das erste Amuse-Bouche, ein Strawberry and Wild Mint Cocktail ist angenehm erfrischend, aromatisch und abwechslungsreich - eine Prise Meersalz sorgt für einen interessanten geschmacklichen Kontrast.
Das Aromenspiel wird mit dem ersten Ganz des Menüs fortgesetzt: Mit Frozen Mandarin Sour / Madarin Ice, Kumquat, Angostura Bitters wird ein essbarer Cocktail gereicht, der mit einer interessanten Textur (kleine, schnell schmelzende "Eisperlen") und unterschiedlichen Geschmacksempfindungen (süß, salzig, bitter) spielt.
In der Zwischenzeit werden hausgemachtes Brot und hausgemachte(!) süße Butter mit Meersalz serviert. Die Butter ist gut, das Brot hat jedoch eine zu dünne Kruste.
Der zweite Gang, "Calcots" / New Onions, Smoke and Spice, Hazelnut-Almond Puree ist eine Hommage an eine katalanische Spezialität, bei der Zweibelsprösslinge über einem Rost gegrillt werden, bis die Haut schwarz wird und die zarten inneren Teile mit einer würzigen Sauce gegessen werden. Bei diesem Gericht jedoch besteht das schwarze "Grillgut" aus Brot, das mit Tintenfischtinte gefärbt und in einem dreitätigen Prozess mit Lauchöl, Salz und Pfeffer fermentiert wurde. Der Geschmack ist leicht süßlich, etwas malzig, rauchig, die Textur angenehm. Die Zwiebeln passen dazu hervorragend. Das Gericht ist wunderbar.
Gang 2 ist Spring / Chilled English Pea Soup, Our Buttermilk, Nasturtium. Die kalte Suppe aus jungen Erbsen schemckt herrlich frisch, die aufgeschäumte Buttermilch fügt eine interessante Konsistenz hinzu. Die Assoziation mit Frühling ist offenkundig, das Gericht exzellent.
Der Asparagus Steamed in its Juice / Seaweed Powder, Lemon Sabayon ist erstaunlich simpel und effektiv zugleich: alle Komponenten harmonieren gut; der Spargel wird durch die leichte Sabayon und das Seegraspulver unterstützt, bleibt dabei aber im Mittelpunkt. Frisch und gut.
Nun folgt das Ersatzgericht anstelle der Austern, Hodo Soy Yuba / Seaweed, Vegetables and Mushroom Dashi, eine würzige Bouillon. Unspektakulär.
Young Carrots Roasted in Hay / Sprouts, Radish Powder, Shaved Pecorino: Ein raffiniertes Zusammenspiel aus Frische, Texturen, Aromen und ist erneut sehr frühlingshaft. Das Gericht begeistert und lebt durch die kompromisslos frischen Zutaten.
Das Slow-Cooked Duck Egg / Brown Butter, Buckwheat, Shiitake kann abermals begeistern. Das Entenei wurde mehrere Stunden bei 63 °C gegart, wodurch das Eiweiß sehr weich und das Innere gerade so eben nicht fest ist. Der Geschmack in Verbindung mit den restlichen Zutaten ist außerordentlich gut, etwas herzhaft und erneut ein willkommenes Spiel mit Texturen (flüssig/fest). Außerordentlich einfallsreich und geschmacklich hervorragend.
Gang 8: Cook It Raw / Prather Ranch Beef Tartare, Douglas Fir Tips verspricht optisch viel, kann sich letztlich jedoch nicht mit den vorherigen Gerichten messen. Der Tatar ist nicht oder kaum gewürzt und wird auch durch die weiteren Zutaten nicht merklich unterstützt. Zwar wird die makellose Frische des Fleischs in den Mittelpunkt gestellt, jedoch kann das Gericht geschmacklich nicht punkten. Etwas enttäuschend.
Völlig überraschend ist der Käsegang Tomme Per Diou (Patrick Obiergo) / Pink Lady Apple, Arugula. Überraschend deswegen, weil ich sagen kann, dass dies der beste Käse ist, den ich jemals gegessen habe und ich nicht vermutet habe, (hier) eine solche Entdeckung zu machen – auch, wenn der Käse aus dem Jurancon stammt. Die junge Rauke und das Apfelpüree passen angenehm. Ein Käsegang, der Spaß macht: wozu lange auswählen? Einfach gleich ein Stück vom besten Käse servieren.
Weiter geht's mit der Patisserie: Lime Curd and Meringe / Aloe Vera, Shiso, die wir derweil begleiten mit einem leider etwas schwachen 2006er Château Grillon (Barsac), der als Ersatz für den 1997er Vin Santo von Fontodi herhalten muss (von dem wir allerdings noch die letzten Tropfen eingeschenkt bekommen). Der intensive Zitronenquark auf weichem Meringue-Teich ist exzellent, ebenso wie das folgende Cake and Ice Cream / Caramelized Chocolate Cake, Raw Milk Ice Cream:
Chefkoch Daniel Patterson hat heute ein überragendes Menü serviert, von dem ich fast jeden Gang gerne noch einmal gegessen hätte. Die Speisen sind äußerst ideenreich, ohne dabei effekthascherisch zu sein. Jede Zutat hat ihre Berechtigung und trägt ihr jeweiliges Aroma und ihre jeweilige Textur bei. Auf diese Weise entstehen hervorragende Gerichte mit vielfältigen, häufig neuen Geschmackseindrücken, die fast durchweg begeistern können. Dies ist eines der spannendsten Restaurants der letzten Zeit und völlig berechtigt das zurzeit vom Michelin in San Francisco am höchsten bewertete Restaurant. Auch der Service ist überaus freundlich, professionell und effektiv.
Schade, dass jeder Abend enden muss, aber gut, dass dieser Abend so endet.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Coi (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Daniel Patterson |
Ort: | San Francisco, USA |
Datum dieses Besuchs: | 01.05.2010 |
Guide Michelin (SFO 2010): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |