Brat – kein Butt (diesmal)
Ich weiß so gut wie nichts über das Brat, außer dass ich richtig Lust darauf habe. Das Restaurant befindet sich im östlichen Londoner Stadtteil Shoreditch – sehr trendy, sehr artsy, so cool, wie die Schanze in Hamburg eigentlich sein müsste, aber nicht ist.
Hier reihen sich die Boutiquen von Le Labo, Aesop und A.P.C. aneinander, dazwischen schicke Cafés, an denen schicke Menschen Schlange stehen und ihre Moscot-Sonnenbrillen ausführen. Irgendwo an einem Pub ist ein schmaler Hauseingang mit einem leicht übersehbaren Schild zum Brat mit einem Pfeil nach oben.
Im Eingangsbereich begrüßen einen in kargen Regalen leere Weinflaschen – schon mal ein gutes Zeichen.
Das Interieur oben erinnert an einen englischen Pub: unprätentiöse Holztische und -stühle, eng gestellt, aber längst nicht voll besetzt an diesem Samstagmittag (es wird aber noch voller). Eine Plakette mit Michelin-Stern lehnt irgendwo an einer Wand. Im Hintergrund ist die Küche mit einem großen offenen Grill, über dem gerne ganze Steinbutte nach baskischem Vorbild gegrillt werden. Es ist die Spezialität des Restaurants – Brat ist das altenglische Wort für Steinbutt.
Trotzdem bestelle ich keinen. Mir ist an diesem Mittag eher nach mehreren unterschiedlichen Kleinigkeiten aus der spannenden Karte. Auch die Weinauswahl ist bemerkenswert. Ich hatte vorher bereits online darin gestöbert und einige Optionen herausgesucht, doch ausgerechnet die sind alle ausverkauft. In einem kurzen Dialog mit dem Sommelier holt dieser noch ein paar weitere Funde aus dem Keller. Meine Wahl fällt schließlich auf einen 2018er Mâcon-Pierreclos »Tri de Chavigne« von der Domaine Guffens-Heynen (247 £, ca. 290 €), ein Weingut, das ich erst kürzlich im Restaurant Jörg Müller auf Sylt kennen gelernt habe.
Samstagmittag, keine weiteren Pläne (außer einer weiteren Reservierung am Abend) und jetzt in einer solchen Gastronomie sitzend, entlohnt das jetzt schon jeden Reisekilometer.
Ich bestelle mich ein bisschen durch die Karte. Ein gegrilltes, luftiges Brot mit Calçots, eine katalonische Frühlingszwiebel, und Spenwood, einem englischen Schafsmilchkäse (ca. 11 €) ist heiß und süßlich-zwiebelig, mit schmackhaften Grillnoten – richtig gut. (7/10)
Auch auf den Tisch kommt ein Salat mit dünn geholter Amalfi-Zitrone, Fenchel, Kumquat und Minze (ca. 10 €). Der fängt leichtfüßig, säurebetont und mit appetitlichem Schmelz des Olivenöls den nahenden Sommer ein. (7/10)
Als nächstes probiere ich Rippchen vom Lamm (ca. 12 €), die nur mit etwas Schnittlauch gewürzt sind und ansonsten in ihrem Schmorsaft serviert werden. Das Lamm schmeckt authentisch und intensiv, ist sehr saftig und gehaltvoll. Ich knabbere die Knochen blitzblank, während schon der nächste Teller serviert wird. (7/10)
Hausgemachte Chorizo (ca. 7 €) ist sehr gut gewürzt, überraschend saftig und mit üppigem Schmelz ausgestattet. Alle Teller stehen noch auf dem Tisch, es macht großen Spaß, alles miteinander zu kombinieren. (6,9/10)
Ein absolutes Highlight sind zwei kleine Tintenfische vom Grill, die auf weißen Bohnen und mit einer Art Pesto serviert werden (ca. 22 €). Die Tintenfische sind heiß und ungemein zart; das exzellent abgeschmeckte Pesto passt hervorragend zu allen Komponenten auf dem Teller, und der leicht ölige Sud, in dem alles angerichtet ist, wird mit jedem Bissen aromatischer. Das Gericht ist ein Hochgenuss, den selbst Drei-Sterne-Restaurants selten überbieten. Angenehm bodenständig bleibt es trotzdem. (7,5/10)
Noch ein Gericht muss her – wunderbar, dass das hier alles so unkompliziert möglich ist. Ich bestelle Steinköhler »Pil Pil«, eine baskische Zubereitungsart mit Knoblauch und Olivenöl (ca. 34 €). Beides findet sich in einer cremigen, etwas kühler temperierten Sauce wieder, in der noch bissfest gegarte Kartoffeln, Queller und Kräuter angerichtet sind. Erneut ist das ganz wunderbar, vor allem in diesem informellen Rahmen. (7/10)
Casual fine dining war mal ein Modebegriff, mit dem ich in Deutschland wenig außer Fremdscham verbinde. Noch immer entdecke ich Restaurants, die sich so ein Motto auf die Fahne schreiben (oder auf ihre Website), nur weil sie an Tischdecken sparen. Selten ist das dann casual, fine sowieso nie. Hier im Brat schreibt man sich gar nichts auf die Fahne – die Website enthält nur die nötigsten Informationen –, man macht es einfach.
Nächstes Mal gibt’s den Steinbutt.