Etz – fränkisches Terroir
Ziemlich genau sieben Jahre ist es her, dass ich im Sosein die puristische, aromastarke Regionalküche von Felix Schneider genoss. Das Sosein gibt es nicht mehr, stattdessen betreibt der 38-Jährige seit 2021 das Etz direkt in Nürnberg. »Etz« ist Fränkisch und bedeutet »jetzt«. Aus dem Stand wurde das Restaurant mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet.
Einige Dinge sind am neuen Standort anders organisiert. Mit dem Erwerb einer Reservierung (210 €) erhält man mit der E-Mail-Bestätigung auch eine Art Ablaufplan, der um 18 Uhr mit einem »Blick hinter die Kulissen« beginnt und um 23 Uhr mit einem »letzten Gruß aus der Küche« endet. Für Gäste, die einen solchen Abend als einmaliges Gesamterlebnis betrachten, ist das sicherlich spannend; bei Genusssuchenden, die einfach nur gut essen gehen möchten, könnte bei einem solchen Programm Skepsis aufblitzen.
Da ich mich eher zu letzterer Gruppe zähle, bin ich auch kurz verwirrt, als ich pünktlich am Hintereingang des Restaurants erscheine, wie in der Reservierungsbestätigung gewünscht. Dort ist bereits eine größere Gruppe Gäste im Halbkreis vor einem der Köche versammelt, jeder mit einem Glas Tagetes-Kombucha in der Hand. Mir wäre eigentlich eher nach Krug.
Mit einem Glas Champagner in der Hand wäre der Vortrag in einer Lagerhalle, zu der die Reisegruppe dann weiterzieht, jedenfalls kurzweiliger. Es riecht dort säuerlich-käsig nach Fermentation und Most, während man allerlei erläutert bekommt. Das Destillat des Vortrags: Fast alle Zutaten stammen aus der Region, man macht so viel wie möglich selbst, es wird viel eingelegt, fermentiert, konserviert und experimentiert.
So nachvollziehbar dieser kleine Exkurs im Gesamtkonzept auch ist, säße ich jetzt dennoch lieber an einem Tisch. Das geht mir meistens so, wenn man sich vor dem Essen irgendetwas ansehen soll. Ist nicht so mein Fall.
Im Restaurant wird es (für mich) spannender. Im Gegensatz zu Führungen durch Lager, Küchen und Gärten genieße ich es, die Stimmung in einem Restaurant aufzusaugen, wenn man es zum ersten Mal betritt. Das Interieur hier im Etz ist eine Art schicker Industrie-Stil, mit offener Küche und frei stehender Anrichtstation. Jeder Gast soll viel sehen können, es geht um Transparenz, aber auch etwas um Show – ein zeitgemäßes Konzept.
Ich lehne mich erst mal zurück und beobachte das Treiben in der Küche. Schneider und sein Team arbeiten konzentriert am Anrichten des ersten Gangs.
Der beinhaltet ein akkurat sortiertes »Sammelsurium« (so auch der Titel im Menü) an Blüten, Kräutern und Gemüsen. Es gibt zum Beispiel sehr aromatische Karotten und winzige, geschmacksintensive Tomaten. Man entdeckt grüne Kräuter, die nach Limonade im Sommer schmecken und gesalzene Pilze, die nach Wald duften – und mehr. Ein separates, geschmacksintensives Gurkengranité bietet dazu herbe Erfrischung. Das Ganze ist eher Warenkunde als ein Gericht, aber zweifellos erlebt man hier sehr gute Zutaten, die man außerhalb einer Küche mit hohem Anspruch nicht finden würde. (7/10)
Beim Wein möchte ich glasweise mit etwas Offenem starten, in diesem Fall gerne aus der Region. Ein 2016er Silvaner »Muschelkalk« vom Weingut Kraemer, der mir zuerst empfohlen wird, trifft mit seinem naturnahen Ausbau allerdings nicht ins Schwarze meiner Präferenzen. Mit einem 2020er Bürgstadter Berg Weißburgunder vom Weingut Fürst (Glas 14,50 €) wird es klassischer – und besser. Bezüglich eines Roten balanciere ich noch einige Optionen.
Erst einmal erreicht der nächste Gang den Tisch. Pfifferlinge, Artischocken und fränkischer Trüffel sind hier in jeweils knackigen Konsistenzen zu finden, während eine vinaigretteähnliche Champignonsauce das Ganze mit Säure und Umami ausstattet. Ein elegantes Fichtenaroma schwingt von irgendwoher noch mit. Von der einfachen Präsentation darf man sich ablenken lassen: Das Gericht ist schlicht, aber geschmacklich und qualitativ überzeugend. (7/10)
Es geht weiter mit Ingreisch, ein Begriff, der vielen eher unter Fischmilch oder dem japanischen Shirako bekannt sein dürfte. Das Sperma des Karpfens wurde hier mariniert und ausgebacken und wird laut Menü mit »falschem Wasabi« serviert, was in diesem Fall gewöhnlicher Meerrettich ist. Lässt man den regionalen Kontext, in dem dieser Snack serviert wird, einmal außer Acht und betrachtet alles nur von der kulinarischen Seite, muss man feststellen, dass jedes japanische Tempura-Restaurant hieraus einen Hochgenuss gezaubert hätte, mit dem es das Erlebnis hier nicht aufnehmen kann. Während die Fischmilch selbst zwar ansprechend heiß und herzhaft ist, ist die Panierung recht trocken und krümelig geraten, auch die hier eher an Bries erinnernde Konsistenz dürfte ruhig cremiger sein. Der Rettich ist ansprechend aromatisch, aber auch kein Vergleich zum »Original«. Vermutlich will das Gericht gar keinen direkten Vergleich mit Japan eingehen, aber wer Fischmilch frittiert, »Wasabi« schreibt (ob »falsch« oder nicht) und Stäbchen auftischt, kommt gar nicht drumherum. Also: sehr gut, macht auch Spaß, aber. (6,9/10)
Als »Schlachtschüssel« entpuppt sich eine »portugiesisch gekochte« Kartoffel, serviert mit fermentiertem Rotkohlsaft und gehobelter, gereifter Magalica-Schweineleber. Hier gelingt es überzeugend gut, ein »typisch deutsches« Geschmacksbild zu erzeugen, was in der gehobenen Gastronomie Seltenheitswert hat. Das ist unkompliziert und sehr gut, aber durchaus so, dass ich inzwischen auch Lust auf drei solcher Kartoffeln hätte. (7/10)
Ein wenig ermüdend sind bei den Erläuterungen der Gerichte stets diverse Zeitangaben, wie lange jede Zutat in welchem Schritt verarbeitet wurde. Soundsoviele Tage dies, soundsoviele Stunden das und ganz zum Schluss noch mal soundsoviele Minuten jenes, das ist für den Gast wenig nützlich.
Inzwischen hat sich auch die Frage bezüglich des Rotweins geklärt. Mithilfe des Sommeliers fiel meine Wahl dann auf einen 2017er Spätburgunder »Katzenkopf« vom Weingut Richard Östreicher (150 €), eine spannende Entdeckung.
Mit der »Brotzeit« folgt dann – genau eine solche. Es gehört schon fast Mut dazu, ein »Abendbrot« als Gang eines teuren Menüs aufzutischen, aber die Qualität hat es in sich. Verschiedene – vom Restaurant komplett selbst hergestellte – Abschnitte vom Mangalica-Schwein und fränkischem Wagyu sowie Ziegenkäse schmecken hervorragend zu exzellentem Sauerteigbrot, »doppelt fermentierter« Butter und appetitlich säuerlichen Pickles wie Kürbis, Rettich und Radieschen. Das ist eine äußerst gute Charcuterie-Platte, die Regionalität, Qualität und damit auch Geschmack groß schreibt. Einen solchen Purismus muss man sich als Gast aber auch ein bisschen gefallen lassen. Oder drastischer formuliert: Wer es im Nobelhart & Schmutzig »brutal« findet, für den ist das hier Terror. (7/10)
Ich hingegen genieße den guten Wein, den kurzweiligen Ausblick auf die offene Küche und das zweifellos sehr gute Menü. Dass es bisher nicht in Einklang mit der hohen Bewertung des Guide Michelin steht, ist ein anderes Thema.
Es geht puristisch weiter. Ein Teller mit dünn aufgeschnittenen, verschiedenen Tomaten (aus eigenem Anbau) werden mit eisfiltriertem Tomatenwasser serviert, das man vorher mit einem Kräuterstrauß aromatisiert hat. Das Ergebnis auf dem Teller muss sich optisch vor Gerichten von Alain Passard nicht verstecken – und auch aromatisch bringen die saftigen Tomaten voller Umami, Süße und floraler Aromen dieses Gericht zum Leuchten. Man wird Mühe haben, in Deutschland ein vergleichbares Erlebnis mit diesem Gemüse zu bekommen. Grenzwertig schlicht mag das erneut erscheinen, aber Genusswert und Qualität sind unstrittig. (7,5/10)
Der nächste Gang präsentiert ein nudelartiges Nest von dünn gehobeltem, in Essig und Öl angemachtem Fenchel und Fenchelblüten. Dazu gibt es naturbelassene Birnenstücke, Koji-Schafsquark, einige säurebetonende Tupfen Sanddorncreme und einen Sud aus Lauchöl, dem grünem Teil des Fenchels und Nussbutter. Das Gericht entfaltet erst sorgfältig vermengt das gewünschte Ergebnis, erklärt der Service, wenngleich es sich natürlich erschließen sollte, ein solches Gericht nicht von oben abzuessen. Trotz ordnungsgemäßen Hantierens überzeugt dieses Gericht wegen einer scharfen Säure, einem zu offensiven Fenchelaroma und einem stumpfen Mundgefühl nicht. Es schmeckt ein wenig so als hätte man Fenchel in Pernod mariniert; überhaupt hat Fenchel wegen seines medizinischen Geschmacks begrenzte Möglichkeiten, mit schierer Qualität zu begeistern – und auch noch in einer solchen Menge. Wenn man bei derart terroirbetonten Kreationen mehrere »Genussparameter« aus dem Auge verliert (hier: Proportionen und Balance), wird so etwas schnell zum »Konzeptteller«. (6,5/10)
Gar nicht so der Folgegang mit Stör. Schon der Anblick des (heißen) Tellers löst Wohlgefallen in mir aus; zu appetitlich wirken die drei fingerdicken Tranchen des Fischs, die in einem trüben Lauchsud mit Schnittlauchöl angerichtet sind. Der Fisch selbst, der über (natürlich heimischer) Holzkohle gegart wurde, ist mit seinem eigenen Kaviar getoppt, ein Produkt der Störzucht von Sebastian Salomon aus Mittelfranken. Die eingängige Kombination ist leicht mediterran interpretiert, mit einer herzhaften, konzentrierten Tomatenzubereitung sowie einer an Olive erinnernden unreifen Zwetschge. Das Gericht geht damit – trotz strikten Regionalbezugs, aber ganz unverkopft – direkt ins Herz und lässt mich ein bisschen wehmütig an vergleichbare Kreationen im alten Sosein zurückdenken. Schade nur, dass der exzellente Fisch durch die langen Erläuterungen am Tisch schon so weit nachgegart ist. Das ist oft ein Problem »konzeptstarker« Restaurants, wie z. B. in den frühen Tagen des Ernst, wo man aber längst nachjustiert hat. (7,9/10)
Ähnlich appetitlich wirkt ein Stück Bresse-Hahn aus der Region, das in der Pfanne außen knusprig und innen saftig gebraten wurde. Es ist an einer Sauce Rouennaise angerichtet, die mit Hühnerleber und Heubutter abgebunden wurde. Eine mit Kürbiskernmarzipan gefüllte Kirsche stellt dazu eine Analogie zu den Streuobstwiesen her, auf denen die verwendeten Hühner aufgezogen werden. Diese Parallele ist auch wieder eher konzeptionell als gustatorisch getrieben, funktioniert aber dennoch gut, weil die angenehm herbe Säure der Kirsche dem Huhn-mit-Sauce-Duo kurzzeitig eine weitere Dimension verleiht. Sauce und Huhn sind makellos; besonders die hervorragende Garung des Geflügels sticht hervor. Der Gang ist – wie auch die Hühnerrasse – eher französisch als fränkisch und ein besonders guter Abschluss der herzhaften Gänge. (7,5/10)
Obwohl mir jetzt nicht nach etwas Kaltem ist, begeistert das erste Dessert in Form einer Birne, als Frucht und als Sorbet. Die vollreife Frucht wurde mit Pflaumenkernöl ausgepinselt, das mit seinem leicht marzipanartigen Aroma sehr gut zur fruchtsüßen Birne passt. Das Sorbet, eher ein Granité, wurde dezent mit Birnenschnaps aromatisiert. Besonders die Süße der Birne bringt das Dessert nach vorn. Kreationen in diesem Stil können enttäuschen, wenn die Süße nicht mitzieht – hier kein Problem. (7,5/10)
Es folgt noch Gartenpfirsich, der in Zuckerwasser und Safran eingelegt und in ebendiesem Sud, weiter vermengt mit Saft von »Erdbeertrauben«, auf dem Teller angerichtet wurde. Dazu gibt es ein »Fior-di-latte-Milcheis«, getoppt mit Champagnerschaum. Auch hier gelingt die Kombination aus eindrucksvoll intensivem Fruchtaroma und schmeichelnder Süße. Zusammen mit den Karamellnoten vom Eis ist das ein mehr als hervorragendes Dessert. (8,5/10)
Ein luftig-knuspriger Hutkrapfen mit Sauerteiganteil beendet das Mahl, das auch mit den süßen Kreationen überzeugen konnte. (7/10)
Man spürt und schmeckt, mit wie viel Passion und »Nachdenklichkeit« Felix Schneider und sein Team die Region Franken auf den Teller bringen. Das gelingt auf hohem Niveau, ist aber heute Abend selten wirklich aufregend. Auch nagt die Ernsthaftigkeit, die über allem wabert, ein wenig am Gesamterlebnis. Das war im Sosein etwas entspannter. Aber das Sosein war, das etz ist jetzt, und mal sehen, was noch kommt.