Hiša Franko – Schattierungen
Dass ich Slowenien als neues Land in die Liste der weltweiten Drei-Sterne-Restaurants aufnehmen müsste, damit hatte ich nicht gerechnet. Warum sollte man dort nicht exzellent kochen, könnte man entgegen. Aber ein wahrhaftiger Gourmet-Hotspot ist das Land nicht. In einschlägigen Listen und Publikationen ist Slowenien so gut wie nicht repräsentiert, und es gibt gerade einmal neun Sterne-Restaurants.
Aber ein Land muss natürlich kein Hotspot sein, um ein Restaurant von Rang und Namen hervorzubringen. In diesem Fall brauchte es nur das Können von Ana Roš. Der autodidaktischen Köchin wurde bereits eine Episode in der Netflix-Serie Chef’s Table gewidmet sowie zahlreiche Auszeichnungen verliehen.
Das »Haus Franko«, so die Übersetzung, befindet sich in Kobarid, einer kleinen Gemeinde in unmittelbarer Nähe zur nordöstlichen italienischen Grenze. Der Zielflughafen für meinen kurzen Exkurs in die Region ist das italienische Triest. Von dort aus sind es nur knapp neunzig Autominuten zum Hiša Franko, das neben Restaurant und Wohnsitz der Köchin auch eine Herberge ist – Hotel wäre übertrieben. Meine Reservierung hatte ich noch am selben Tag getätigt, als der Guide Michelin die drei Sterne verkündete.
Das Haus erreiche ich bei ungemütlichem Nieselregen. Es wirkt zunächst alles ein wenig verlassen, doch an der Rezeption empfängt mich ein gut gelaunter, junger Angestellter und führt mich ein wenig herum. Das Anwesen ist gepflegt, die Zimmer sind klein und funktional; das kann man sich hier gut und gern einen Abend und eine Nacht gefallen lassen. Von der nun dreifach besternten Küche erhoffe ich mir natürlich noch mehr.
Den Abend beginne ich wenige Stunden später unten an der Bar vor dem gemütlichen Kaminofen. Durch das geradezu ungewöhnlich junge Personal fühle ich mich ein bisschen wie in einer Studenten-WG, was erheiternd ist.
Slowenien hat eine signifikante Weinbautradition, die mir bisher gänzlich unbekannt ist. Daher lasse ich mir zum Aperitif einen nach der Champagnermethode hergestellten Schaumwein »Brut Nature« der Domaine Slapšak empfehlen (Glas 8 €). Der Wein wird aus der Rebsorte Samtschwarz gekeltert, hat ein zitrusfrisches Bouquet und ist von so manchem »Basis-Champagner« kaum zu unterscheiden. Dazu werden würzige, hausgemachte Chips gereicht.
Der Hauptraum des Restaurants grenzt nahtlos an die Bar an und setzt das rötliche Farbschema und gedämmte Lichtkonzept fort. Ansonsten sorgen viel Holz und weiße Tischtücher für einen elegant-rustikalen Rahmen.
Ich mache weinseitig zunächst mit weiteren glasweisen Empfehlungen aus Slowenien weiter. Dass man hier auch Chardonnay und Pinot Noir anbaut, macht den (bewussten) Verzicht auf Burgund etwas leichter. Die Auswahl in der Karte ist in dieser Hinsicht ohnehin nicht besonders interessant. Der erste Wein im Glas ist dann ein 2020er Chardonnay »Kozana« des Weinguts Edi Simčič aus der Region Primorska (17 €) mit durchaus burgundischer Charakteristik.
Das (einzig verfügbare) Menü heißt »50 Shades Of Life«, führt 17 Zeilen mit Zutaten auf (offenkundig die Gänge), aber keinen Preis. Dem geübten Esser ergibt sich durch diesen Aufbau bereits eine grobe Idee der Küche, und auch das Budget kann sicherlich jeder einschätzen, der nicht zum ersten Mal auf diesem Niveau essen geht. Seltsam sind solche preislosen Menüs dennoch, sofern man nicht gerade in Japan sitzt. (Es wird später mit 255 € auf der Rechnung stehen.)
Die erste Speise ist ein Dreiklang aus einem in Aprikose marinierten Stück Quitte, darauf eine frische Mandel, Mangold sowie eine orangerote Blüte. Am Gaumen ergibt sich der Eindruck von Fruchtigkeit, Blumigkeit und einer leicht herben Note, sehr erfrischend. (7,5/10)
Ein Taco aus Sonnenblumenkernen versteckt sich beim nächsten Appetizer unter einer Handvoll Blätter Taubenkropf-Leimkraut (silene vulgaris). Das knusprige Gebäck ist mit Sonnenblumenkernpüree und Birne gefüllt; insgesamt schmeckt das kurzweilig salzig, »kräuterig« und erwartungsgemäß nach Sonnenblumenkernen. Erneut ist das geschmacklich spannend und akkurat gearbeitet. Dass alle Zutaten einen starken regionalen Fokus haben, versteht sich fast von selbst. (7,5/10)
Mithilfe der Sommelière ist dann auch ein Rotwein ausgewählt. Meine Vorliebe für Burgund gab den Weg vor für eine Flasche 2019er Pinot Noir »Cru Selection« vom Weingut Marjan Simčič (70 €). Das Preis-Genuss-Verhältnis ist hier – in Slowenien und mit slowenischem Wein – mindestens erfrischend.
Die dritte Kreation des Menüs ist eine in ihrer Schale angerichtete Miesmuschel mit Algen, Kräutern und lakto-fermentiertem Tomatenwasser. Das schmeckt elegant schlank, kühl und etwas ölig; die Muschel, die hier mit ihrer Ozeanität im Vordergrund steht, ist deutlich spannender als die vorherigen Kreationen. (8,5/10)
Es folgen zwei Klassiker des Hauses. Der erste ist ein Maisbeignet mit hauchdünnem, knusprigem Teig und einer Füllung aus fermentiertem Hüttenkäse, geräuchertem Forellenkaviar und Schnittlauch. Schnittlauch ist ein unterschätztes Kraut und oft schon ein Hinweis auf eine wohlschmeckende, herzhaft-würzige Speise – so auch hier. Die heiße – und trotz ihrer Bodenständigkeit sehr fein abgeschmeckte – Füllung ist in Kombination mit dem knusprigen Teigmantel so simpel wie hervorragend. (8/10)
Der weitere Klassiker kommt in Form einer Kartoffel, die in einer Heukruste gegart wurde. Es wird einem anheimgestellt, die Kruste mitzuessen, aber das fingernagelgroße Stück, das ich probiere, überzeugt mich vom Gegenteil, weil es sehr salzig schmeckt und nach Hamster riecht. Die Kartoffel, die man dort herauspult ist zudem nicht sehr überzeugend gegart, vor allem wegen einer aufgeweichten, etwas kaubedürftigen Haut. Leider hilft auch der selbstgemachte Liebstöckel-Rahm mit Kaviar nicht allzu viel, da Letzterer im Gesamtkontext untergeht und mich diese Selbstgemachte-Butter-Arie ohnehin selten überzeugt. Das ist alles wahrhaftig »gut gemeint«, denn eine Kombination von Kartoffel, Butter und Kaviar kann so einfach wie himmlisch sein, aber hier steht der schlichten Idee zu viel im Weg. Leider recht enttäuschend. (6,5/10)
Die Stimmung im Restaurant ist angenehm, aber eher in einer Form, bei der wenig stört als besonders viel begeistert. Nach fünf Kreationen, bei denen unstrittig sein dürfte, dass sie mit drei Michelin-Sternen nicht viel am Hut haben, hoffe ich jetzt auf einige Paukenschläge. Das ist natürlich auch ein wenig der Fluch einer ultimativen Bewertung des Guide Michelin, denn das Restaurant macht alles richtig und serviert bisher ganz überwiegend sehr gute bis hervorragende Speisen.
Die nächsten beiden Gänge ändern daran nicht viel, was man sehen kann, wie man will. Eine kühle Kreation mit Tomatillo, Bohnen und Mandeln in einer Lorbeer-Milch zeigt sich mit einer filigranen Bitterkeit und einem an den Zweiklang Tomate/Basilikum erinnernden Geschmacksbild. (7/10)
Der darauf folgende Salat mit diversen Komponenten erinnert an Gerichte wie die genialen Salat-Kompositionen von Michel Bras oder Shinobu Namae (L’Effervescence), mit denen dieses Gericht jedoch nicht mitziehen kann. Verschiedene Beeren wirken mit ihrer herben Fruchtigkeit oft zu dominant, und irgendein käsiges, fermentiertes Aroma liegt über dem Gericht wie ein leichter Korkfehler bei einem Wein. Dessen ungeachtet stechen die hervorragendem, frischen Zutaten hervor. Sehr gut, aber nicht mehr, ist das allemal. (7/10)
Das Menü geht mit einem Pastagericht weiter. Nach vielen »kreativen Kleinigkeiten«, klingen hausgemachte Tagliolini mit geschmortem Hasen und schwarzem Trüffel geradezu herzerwärmend bodenständig. So ist es dann auch: Die Pasta ist exzellent bissfest gegart, und insgesamt ergibt sich ein süffig-herzhaftes, erneut leicht käsiges, dabei aber auch etwas undifferenziertes Geschmacksbild. Vom Hasen ist wenig zu schmecken, und die Trüffeln aus Istrien sind gut, aber kein Vergleich zu Qualitäten aus Frankreich oder Australien, abgesehen davon, dass das Feinhobeln des edlen Pilzes nur selten eine gute Idee ist. Der Gang ist erneut sehr gut, aber um bestimmte Einordnungen kommt man nicht umher, wenn an der Tür eine Plakette mit drei Michelin-Sternen hängt. (7,5/10)
Überraschend wird noch ein Gang eingeschoben, der nicht Teil des Menüs ist. Es gibt ein Graupenrisotto mit Haselnuss, sehr dünnen Scheiben grüner Bohnen sowie Steinpilzen. Das Getreide hat eine schmeichelnde Textur – irgendwo zwischen bissfest und weich –, und die Wärme tut gut. Nur die Herzhaftigkeit, die die Zutaten eigentlich suggerieren, bleibt aus. Das Gericht balanciert handwerklich gekonnt Textur, Salzigkeit und das Aroma von Gerste, was zu wenig ist, um zu begeistern, aber gut genug, um zu gefallen. (7,5/10)
Die zehnte Speise ist ein Stück gereifte und über dem Hibachi gegrillte Forelle. Das hautlose, saftige Stück ist in einer gehaltvollen braunen Butter angerichtet, die dezent mit Fischsauce abgeschmeckt ist. Dem an dieser Stelle willkommen französischen Einschlag steht die Zugabe von Meerrettich sehr gut, der dem Gericht eine ätherische Frische verleiht. Ich erfreue mich an der buttrigen, luftigen Sauce und dem insgesamt klassischeren Erlebnis. Das ist endlich mal richtig, richtig gut. (8/10)
Kurzzeitig wird es sogar noch besser. Reh in Form von zwei kleinen Filetstücken ist in einem dunklen, viskosen, hochglänzenden Jus angerichtet und mit einer Scheibe Kiwi (unter einer Art Kohlblatt) und einem rehydrierten Stück roter Bete angerichtet. Das Reh ist von phänomenaler Qualität und Zubereitung: zart wie Butter und besonders aromatisch, mit süßlich-nussigem Geschmack. Die Sauce dazu ist eine der besten, die ich seit langem probiert habe: dicht eingekocht, dabei nicht zu klebrig und mit einem Glanz versehen, der fast künstlich erscheint, was in diesem Fall ein Kompliment ist. Die grünen Komponenten bringen eine überraschend passende, weil sehr behutsame, fruchtige Bitterkeit mit in die Komposition, während die rote Bete mit einer charmanten Süße spielt. Das ist unmissverständlich ein Weltklassegericht, das lediglich noch einige Grad wärmer sein dürfte. (8,9/10)
Es folgt eine Art Pfannkuchen aus fermentierten Linsen (dosa), der von der indischen Küche inspiriert ist. Er ist mit geschmortem Zicklein gefüllt und zusammen mit einem salzigen Joghurt auf dem Teller angerichtet. Dazu gibt es ein ganzes Bouquet an Kräutern, u. a. Curryblätter und Brunnenkresse. Was etwas irritiert, ist, dass zu dem Gericht kein Besteck serviert wird, nur ein Teelöffel für den Rest der Sauce und ein Schälchen mit Wasser, um die Finger danach zu säubern. Ich habe rein gar nichts gegen unbeschwerten Genuss mit den Fingern, aber der Pfannkuchen ist zunächst zu heiß, um ihn anzufassen, und naturgemäß sehr instabil, um irgendwie elegant aus der Nummer rauszukommen. Ich muss mich schließlich des Teelöffels bedienen, um das irgendwie mundgerecht zu machen, aber dann wird es genüsslich. Man zieht die Stücke des Pfannkuchens einfach durch Joghurt und Kräuter und erlebt dann eine äußerst präzise abgeschmeckte, unverkennbar indische Geschmackswelt, mit Aromen von Curry, perfekter Salzigkeit und einer feinen Schärfe. Auch die sehr wohlschmeckende Farce zeugt von gewissenhaftem Handwerk. Sehr kurzweilig und schmackhaft. (7,5/10)
Mit »Pasta Ana« folgt als letztes herzhaftes Gericht eine Teigtasche mit zwei Kammern, die mit Ricotta bzw. einer Tomatencreme gefüllt sind. Das Ganze ist in einer schaumig aufgemixten Tomatenessenz angerichtet. Die Pasta ist bissfest gekocht, handwerklich einwandfrei, und man nimmt sehr dezidiert den Geschmack von Tomate bzw. Frischkäse wahr. Der etwas herbe Tomatenschaum sorgt für eine dezente Betonung von Umami. Sehr gut, keine Frage. (7/10)
Vor dem Granité bangt es mir ein wenig; nur in den seltensten Fällen kann ich mich für diesen oft zu sauren, zu kalten Zwischengang begeistern. Wird das Ganze auch noch in einem »naturnahen« Restaurant aufgetischt, sind das häufig nicht die besten Vorzeichen für Genuss. Aber es kommt ganz anders. Das Granité in diesem Schälchen ist mit einem Wasser aus Feigenblättern hergestellt und gerade nicht die alles dominierende Komponente. Es ist auf einer Feigencreme angerichtet, in der dann auch noch ganze Stücke des Fruchtfleischs zu finden sind. Die Feige – das kann man sofort wahrnehmen – ist von herausragender Qualität, mit einem überbordend blumig-erdigen Aroma, das sich durch die gesamte Kreation zieht – von unten in reiner, authentischer Form über die samtige Creme mit schmeichelnder Süße bis zu den kalten Eiskristallen. Nach einem Gericht von Tohru Nakamura ist das die zweite Kreation mit Feige in kurzer Zeit, die mich begeistert. (8,5/10)
Es geht weiter mit einem Gericht um Honig und Käse – der Käsegang, wenn man so will. Man findet z. B. ein kugelförmiges Brioche-Gebäck, das mit Honig und Käse gefüllt ist, dazu Zubereitungen von Birne, Kamille und Haselnuss. Es geht hier um Süßes, um Herzhaftes und um den selbstgemachten Honig, der fast eine Nuance zu »pikant« ist. Vermutlich steht deshalb auch ein kühler Birnen-Kamillen-Tee bereit, der die Intensität etwas abmildert. Eine derart sorgfältige Zubereitung aller Komponenten kann kaum missfallen, aber man verfällt jetzt auch nicht ins Schwelgen. (7/10)
Eine nächste Kreation mit einem Roseneis, Himbeeren und Gerstenmalz sieht dann zwar aus wie ein einfallsloses Dessert aus einem beliebigen deutschen Restaurant mit Sterneambitionen (wer legt schon Himbeeren so auf den Teller?), aber auch das täuscht. Das Getreide ist knusprig und angenehm süß, ein wenig an Schokolade erinnernd, die Rose so elegant wie die aromatischen, saftigen Himbeeren. Sauerklee kontrastiert das Ganze zunächst etwas irritierend, dann aber anspruchsvoll grasig. (7,5/10)
Das Menü klingt aus mit einer Zubereitung aus »komprimierter« Kaki – wunderbar aromatisch und durch ein Gewürz überraschend pikant – (8/10), gefolgt von einem weichen Bonbon aus Buchweizen und Hüttenkäse, der auf erleichternde Weise eher nach Karamell schmeckt als nach Wald und Wiese (7/10).
Sehr positiv an dieser Stelle ist ein angenehmer Sättigungsgrad, selbst nach so vielen Speisen. Das angenehm leichte und vielseitige Menü war eine kurzweilige Reise in die Flora und Fauna dieser Region, feinsinnig, persönlich und nachhaltig. Ana Roš, die heute Abend nicht in Erscheinung getreten ist, hätte sicherlich zu jedem Gang viel zu erzählen, Anekdoten, Inspirationen, Hintergründe. Dennoch kommt man nicht um die Feststellung herum, dass die drei Sterne des Guide Michelin hier wohl eher eine Art »Schaffens-Auszeichnung« sind als ein Garant für ein unvergessliches Mahl auf Weltklasseniveau. Aber auch der Michelin hat bekanntlich seine Schattierungen. Das passt zum Menü.