Le Duc Tegernsee – Tiefstapeln nach Plan
Dass ich mit der Gastronomie von The Duc Ngo bis heute nicht in Berührung gekommen bin, liegt an meinen vergleichsweise sparsamen Reisen nach Berlin. Ansonsten hätte ich sicherlich schon alle Lokale des umtriebigen Szenegastronomen besucht, vom Kuchi über Madame Ngo, Ryōtei 893, Funky Fish, Ngo Kim Pak und weiteren bis zu Ngos neuestem Projekt Le Duc. (Dass es in Paris ein berühmtes Seafood-Restaurant mit demselben Namen gibt, dürfte mit der wohl überwiegend deutschen Zielgruppe nicht kollidieren.) Mit Letzterem setzt der 49-Jährige nach längerer Zeit wieder auf Fine Dining. Wie in Berlin üblich, veranstaltet er in diesem Zusammenhang medienwirksame Popups in einer dafür eigens angemieteten Altbauwohnung. Bald soll das Konzept in einem endgültigen Restaurant in Berlin aufgehen.
Dass ausgerechnet Ngo der Name ist, der nach dem Fortgang von Christian Jürgens aus dem Seehotel Überfahrt am Tegernsee auftauchte, damit hätte wohl niemand gerechnet. Genauso gut hätte man in dem altehrwürdigen Hotel auch ein Popup des Berghain eröffnen können.
Für Ngo ist das Ganze ein cleverer und nachvollziehbarer Schachzug, weil sein Fine-Dining-Konzept hier eine ganz neue Aufmerksamkeit bekommt. Nicht jeder Gastronom hat zudem die Möglichkeit, in einer vermutlich noch überwiegend intakten Infrastruktur eines ehemaligen Drei-Sterne-Restaurants zu kochen – oder kochen zu lassen.
Im Zusammenhang mit einer kleinen kulinarischen Reise in Bayern habe ich daher einen Abstecher an den Tegernsee geplant, um mir das Ganze genauer anzusehen.
Die Michelin-Plaketten, mit denen Jürgens damals die Eingangstür des Restaurants zutapeziert hatte, sind verschwunden, alles andere sieht so aus wie immer.
Im Restaurant stehen zwei Menüs zur Auswahl: eine reguläre und eine vegetarische Option, jeweils in sechs oder acht Gängen, alles zwischen 155 € und 195 €. Die Weinkarte hier war schon immer sehr gut; auch da setzt sich das Le Duc-Popup in ein gemachtes Nest. Ich habe zu Beginn des Essens noch den Rest eines kalifornischen 2019er Kistler Chardonnay »Les Noisetiers« (189 €) von einem nachmittäglichen Aperitif in der Flasche und für die Fortsetzung mit einem 2017er Vosne-Romanée 1er Cru »Les Chaumes« von der Domaine Arnoux-Lachaux (259 €) schon eine weitere Perle ins Auge gefasst. (Kenner der aktuellen Preisentwicklungen für Burgunder dürften sich bei dem Preis für diese Flasche die Augen reiben.)
Das Menü beginnt mit vier Amuse-Bouches. Eine Tartelette mit Taschenkrebs, Jalapeño und Nori bietet frische Akzente, eine leichte Schärfe und ein kurzweiliges Texturspiel vom knusprigen Teig und gezupften Krebs (7/10); ein Rettichröllchen mit knackigen Gemüsestreifen, Zitronengel und Perilla setzt am Gaumen frische Akzente (7/10).
Ein weiteres Teigröllchen ist mit Thunfischbauch und Tomate gefüllt, was sehr gut zusammen passt. Eine Schnittlauchcreme betont den unkomplizierten, herzhaften Charakter des Fingersnacks. Der Teig des Röllchens dürfte ruhig noch filigraner gearbeitet sein, aber das ist qualitativ und geschmacklich schon sehr gut mit Ausrufezeichen. (7,5/10)
Spannend ist auch ein mundgerecht vorgeschnittenes Stück Melone, das in Kimchi mariniert wurde und mit Sesam, etwas Sojasauce und Koriander für ein charmantes Spiel mit schlanker Säure, elegantem Umami und präsenter Schärfe spielt. Mit einer noch besseren Melone könnte das auch Teil eines Auftakts in einem kreativen koreanischen Spitzenrestaurant sein. (7/10)
Besonders angenehm an diesem Start empfand ich die Schlichtheit der Kreationen. Ohne viel Beiwerk und die verwendeten Produkte offenlegend: Das leistet sich nur, wer nichts zu verstecken hat.
Mindestens genauso selbstbewusst tritt der erste offizielle Menü-Gang auf. Es gibt eine Variation von Sashimi in einer Sauce mit Mandarine, Soja und Yuzu. Durch meine Reisen in viele der besten Sushi-Restaurants rund um die Welt habe ich ein Qualitätsniveau kennen gelernt, das mich um Sashimi in unseren Breiten üblicherweise einen weiten Bogen machen lässt. Nicht so um diesen Teller, dessen hohe Produktqualitäten einem sofort ins Auge springen. Es gibt Wolfsbarsch, Dorade, Gelbschwanzmakrele, mittelfetten Thunfisch und Jakobsmuschel, alle ansprechend dick geschnitten und behutsam mit verschiedenen Gels und Shisoblüten akzentuiert. Die Fischqualitäten sind alle sehr gut; vor allem Dorade, Wolfsbarsch und Jakobsmuschel stechen hervor. Letztere ist bissfest und hat ein glasklares, nussiges Aroma und eine leichte Süße. Wollte man japanisch bleiben, servierte man anstelle dieser leider zu säurebetonten und auf Yuzuaromen (wohl aus der Flasche) fokussierten Sauce lediglich frisch geriebenen Wasabi und allenfalls einen kleinen Spritzer Sudachi (selten Yuzu). Bei diesem Teller ist die Sauce leider zu dominant für das feine Sashimi, vor allem wegen der spitzen Säure und der konzentrierten Yuzu-Aromen. Sehr gut bleibt das trotzdem. (7/10)
Es folgt ein Chawanmushi mit Antonius Siberian-Kaviar. Der japanische Eierstich wurde hierfür betont pur gelassen und vermutlich fast oder ausschließlich mit Eiweiß zubereitet. Er bietet auf diese Weise dem ausdrucksstarken Kaviar, mit betonter Salzigkeit und holzig-nussigen Aromen, eine weite Bühne. Handwerklich ist das jedoch nicht optimal gelungen, weil das Chawanmushi an einigen Stellen nicht durchgegart ist, wie ein Frühstücksei, das man lieber noch eine Minute länger gekocht hätte. Zudem wirkt das Weglassen jedweder weiterer Zutat eher fad als puristisch. Das macht man sich etwas zu einfach, denn der Kaviar ist ein Produkthighlight, dem man entweder gar keine oder eine etwas glamourösere Bühne zuteil kommen lassen sollte. (6,9/10)
An dieser Stelle wird dann das Add-on eingeschoben, das für 49 € extra in der Karte steht. Wenn man schon mal hier ist – dem Gedanken folgen sicherlich viele Gäste –, möchte man nichts verpassen. Der Teller überrascht mich dann, weil die Formel »eingeschobener Gang mit Kaisergranat für fünfzig Euro« für mich rein intuitiv nach einem warmen Zusatzgericht klingt und ich nicht mit einem weiteren Sashimi gerechnet hätte. Dieses besteht aus einem Duo von besagtem Krustentier und Thunfischbauch, serviert mit einem Topinambureis und einer Vinaigrette mit Kaffernlimette und Chili. Abgesehen von einer Anrichtweise, deren befremdliche Zweideutigkeit man kaum ignorieren kann, lässt sich bei dem Gericht schnell nachvollziehen, warum es selten eine gute Idee ist, hummerartige Krustentiere roh zu servieren. Außer einer schleimigen Konsistenz können sie in dem Zustand kaum eine ihrer genussreichen Eigenschaften zutage fördern. Der dazu zu einem Püree verarbeitete Thunfisch unterstreicht leider noch weiter das »breiige« Leitmotiv des Gerichts, das geschmacklich auch zu stark auf Kaffernlimette fokussiert. Und das Eis daneben wirkt völlig zusammenhanglos. Die fünfzig Euro sind hier eine ärgerliche Investition. Dass man erkennbar gute Rohstoffe verwendet, ist der einzige Grund, warum ich es aufesse. (6,5/10)
Der nächste Gang wirkt – und wird – besser. Ein Stück Brioche-Toast – in der verführerischen Kombination warm, buttrig und leicht knusprig – ist mit drei Stücken geflämmter Renke mit »Uni-Nori-Mayonnaise« belegt. Der Fisch stammt »vom Chris am Tegernsee«, erklärt der Service; man bezieht sich dabei offenkundig auf die renommierte Fischerei Tegernsee. Die hervorragende Qualität und Garung ist dem Fisch anzusehen. Er strahlt schneeweiß, und das Flämmen hat der Haut einen goldbraunen Teint und etwas Knusprigkeit verliehen. Am Gaumen verhält sich das so, dass die Brioche geschmacklich dann aber recht stark dominiert und den Fisch in den Hintergrund rücken lässt. Hätte man Uni und Nori – Seeigel und Alge – nicht bloß auf dem Papier, sondern auf dem Toast, hätte so eine Schnitte das Zeug zum Weltklassesnack. So bleibt es »nur« bei einem sehr guten Intermezzo. Das warme, buttrige Toast macht mich aber gerade ganz zufrieden. (7/10)
Es geht vegetarisch weiter. Gegarter und dekorativ ausgestochener Kohlrabi ist beim folgenden Gericht in einer Schnittlauch-Beurre-Blanc und auf geflämmten Kohlrabiblättern angerichtet, die in der Sauce noch etwas nachgaren. Der Kohlrabi hat eine saftige, bissfeste Konsistenz und ein intensives, authentisches Aroma. Die Sauce passt mit ihren säuerlichen Akzenten und dem elegant ins Spiel gebrachten Schmelz der Butter sehr gut dazu. Nicht, dass dieser sehr ausgewogene Gang das bräuchte, aber er wäre genau die richtige Bühne für den Kaviar oben. (7,5/10)
Ein Gericht mit bretonischer Rotbarbe bleibt auf diesem Niveau. Der Fisch ist leicht kross gebraten, innen saftig und heiß. Sein Aroma ist exemplarisch für Rotbarbe: leicht nussig-würzig und ein wenig an Krustentier erinnernd. Angerichtet ist der Fisch in einer Wafu-Sauce, einer Art japanischen Vinaigrette, hier mit Lauchöl zubereitet; dazu gibt es überraschend aromatische Zuckerschoten sowie einige Akzente mit Artischockenzubereitungen. Das Gericht trifft erneut genau den richtigen Ton, um neben dem gekonnten Handwerk und der einwandfreien Qualität mit einer souveränen Klarheit zu überzeugen. Wiederholt fehlt es dem Gericht an nicht viel, um in eine noch höhere Genussklasse aufzusteigen. (Ideen wären hier zum Beispiel eine eigentlich für diesen Gang prädestinierte japanische Holzkohlegarung; darüber hinaus könnte man die sehr guten Zuckerschoten noch etwas mehr in den Mittelpunkt stellen; auch eine komplexere, weniger ölige Sauce könnte das Gericht aufwerten.) Dass man diese Schritte hier nicht geht, liegt vermutlich daran, dass man es nicht muss – und zu dem Menüpreis auch nicht kann. Aber dass dieser Weg überhaupt angedeutet ist, darüber darf man staunen. (7,5/10)
So wie über den nächsten Gang, denn der hält ein besonders großes Stück Thunfisch bereit. Es wurde von außen kurz gebraten, ist sonst roh und, grob geschätzt, bestimmt um die 200 Gramm schwer. Um den Fisch herum ist eine sehr gute XO-Sauce angerichtet, die angenehm pikant ist und nach Krustentier und Knoblauch schmeckt. Der Knoblauch in der Sauce wird, leider eine Nuance zu plump, von gebratenem Knoblauch am Rand wiedergespiegelt. Etwas Gemüse, u. a. Sellerie, setzt frische Akzente. Der Thunfisch selbst ist erneut von sehr guter Qualität und bereitet mit der intensiven Sauce großen Spaß. Irgendwann ist das aber alles ein recht überportionierter Umami-Rausch – und einfach zu viel des Guten. Das größte Optimierungspotenzial liegt hier zweifellos in den Proportionen. Sehr gut ist das trotzdem. (7/10)
Nach einem kühlen Buchweizentee folgt das erste Dessert in Form einer Kreation mit Grapefruit, Yuzu, Sake, Joghurt und Koriander in unterschiedlichen Zubereitungen. Hier geht es unmissverständlich um Säure und Zitrusaromen, und das gelingt auch besonders gut. Dass man die Grapefruit in ihrer eigentlichen Form belassen hat, verleiht der Kreation zudem etwas Authentizität. Die Zubereitungen sind auch alle sehr leicht; das kann man schon alles sehr genüsslich weglöffeln. (7,5/10)
Dass die Patisserie das alles hier nicht zum ersten Mal macht, sondern vielleicht schon größtenteils für Christian Jürgens arbeitete, lässt auch der nächste Teller vermuten. Dass bei Haselnuss, Miso, Alge und Kirsche ein paar asiatische Zutaten mitschwingen, ist dabei unerheblich. Auf dem Teller findet man einen Verbund handwerklich komplexer Zubereitungen, z. B. ein aromatisches Brombeereis, Kirschsegel und an Snickers erinnernde Haselnuss-Stücke. Obwohl mich derartige Desserts konzeptionell nicht begeistern, ist das hier der handwerklich komplexeste Teller des Abends. Er passt nur überhaupt nicht zum Menü. (7,9)
Auch die Petit-fours sind sehr gut, aber ebenfalls mehr Tegernsee als Berlin. (7/10)
Das war alles auf einem sehr guten Niveau. Vor allem die reduzierte Klarheit auf den Tellern gefiel mir besser als so manch überambitioniertes Anrichtkunstwerk. Um die Lücke von Christian Jürgens zu schließen, reicht das wohl dem Hotel und den meisten Gästen – und um das Le Duc-Konzept weiter zu bewerben reicht es auch Ngo. Für ein endgültiges Konzept in Berlin muss man sich schließlich noch steigern können. Und dieses Menü schmeckte so, als wisse Ngo auch genau, wie.