Yakitori Ichimatsu – Grill, Glut und Gockel
Weil es in Japan Menschen gibt, die für alles Mögliche eine Passion entwickeln, ist es kaum verwunderlich, dass es auch jemanden gibt, der sich auf das Grillen von Hühnerteilen am Spieß spezialisiert hat. Die Rede ist natürlich nicht von einem trivialen Grillimbiss, sondern von einem Yakitori-Restaurant mit Michelin-Stern.
Küchenchef und Inhaber Hideto Takeda verarbeitet in seinem Tresenlokal in Osaka ausschließlich Hinai Jidori-Huhn, eine Spezialität aus der Akita-Präfektur, Japans Bresse, wenn man so will. Ich habe den Tisch hier sehr kurzfristig über den Reservierungsdienst TableAll getätigt, während ich mich ein paar Tage in Osaka aufhalte. Das Menü kostet umgerechnet ca. 130 €. Meine Agenda in Osaka ist vergleichsweise offen, da das Drei-Sterne-Restaurant Hajime, das ich ursprünglich hier besuchen wollte, wegen einer Renovierung geschlossen hat und ich an meinen Reiseplänen zu der Zeit nichts mehr ändern wollte.
Am Tresen finden neun Gäste bequem Platz, alle mit Blick auf die zentrale Feuer- und Arbeitsstelle mit großem Rauchabzug. (Der wird am Ende nicht dagegen helfen, dass man nach dem Essen eigentlich direkt duschen gehen und seine Klamotten in die Reinigung bringen kann.)
Während ich recht lange auf den Beginn des Menüs warte, finde ich in der kleinen, aber interessanten Weinkarte einen roten 2019er Meursault »Clos des Mouches« von der Domaine Henri Germain (ca. 170 €). Wie eigentlich immer in Japan, ist es spannend und appetitanregend, das Geschehen in der Küche zu beobachten. Routinierte Handgriffe, konzentrierte Blicke und interessante Utensilien machen neugierig auf das, was folgt.
Die erste Speise ist ein Stück Schafskäse mit einer an Tofu erinnernden Konsistenz, das in einer konzentrierten, dichten Hühnerbrühe angerichtet ist. Der Käse ist sehr mild und balanciert das kräftige Umami der Brühe gekonnt aus. Sehr gut. (7/10)
Es folgt der erste Spieß vom Grill, gespickt mit drei Stückchen Hühnerbrust und frischem Wasabi. Das Huhn ist saftig und aromatisch, der Wasabi zurückhaltend, in Summe etwas unspektakulär. Mir ist natürlich bewusst, dass es hier »ums Ganze« geht; aber auch das beste kleine Stück Hühnerbrust bleibt am Ende ein kleines Stück Hühnerbrust. (6,5/10)
Währenddessen wird in dem kleinen Raum fleißig gebrutzelt. Bis zu drei Köche, inklusive des Chefs, stehen um den Grill herum, schwenken, prüfen, drehen, bepinseln.
Es geht weiter mit Hühnerschwanz, saftig, knusprig, sehr heiß, sehr gut (6,9/10), gefolgt von einem Spieß mit geräucherten, wachsweichen und leicht an die Aromatik von Süßholz erinnernden Wachteleiern, ganz besonders schmackhaft. (7/10)
Der nächste Gang ist zweifellos eine Skurrilität: Es gibt »Prosciutto« vom Huhn, also luftgetrockneten Schinken von der Keule. Amüsanterweise wird dieser wie ein Iberico-Schinken in eine Halterung eingespannt, von der der Küchenchef das Fleisch dann herunterschneidet.
Das Ergebnis auf dem Teller sind einige Abschnitte dieses Schinkens, kombiniert mit einem kresseartigen Gemüse und Ginkgonuss. Der Schinken ist salzig, hat eine bissfeste, aber dennoch zarte Textur. Zusammen mit den frischen Beilagen ist das recht kurzweilig, aber auch kein Ersatz für die iberische Variante, mit der ich jederzeit (in einem anderen Kontext) Vorlieb nehmen würde. Wenn ich irgendjemandem zutraue, Huhn auf diese Art hygienisch unbedenklich zuzubereiten, dann jedenfalls den Japanern. Dennoch fällt es mir etwas schwer, eine solche Passion für Huhn nachzuvollziehen. Bemerkenswert ist das dennoch. (6,5/10)
Ein Hühnerflügel folgt, und der verrät mit seiner goldbraunen Farbe schon genau, wie er schmeckt: herzhaft, knusprig, heiß und saftig. Der vorzügliche Geschmack des Huhns kommt in diesen saftigeren Stücken besonders gut zum Vorschein. Ein dazu serviertes Stück dehydrierter Karotte mit Kreuzkümmel passt sehr gut dazu und macht das Ganze schon regelrecht zu einem aromatisch komplexeren Gericht. Sehr gut. (7/10)
Chicken sando (Hühnchen-Sandwich) präsentiert sich danach als klassisch weiches Sando-Toast (ohne Rand) mit einer Art Hühnerfarce, Dill und Gewürzgurke. Das bereitet auf hohem Niveau Laune. (6,9/10)
Ein Süppchen mit Hühnerfond und Bohnen ist noch ein bisschen besser, nämlich heiß, etwas »grob« und appetitlich zwischen Umami und Salz ausbalanciert (7/10). Ein darauf folgender Spieß mit Ente ist naturgemäß etwas kaubedürftiger als die Darbietungen mit Huhn, aber saftig, schmackhaft und mit angenehmen Grillaromen ausgestattet (6,5/10).
Ein japanisches Omelette (Tamago) – heiß und luftig – mit geriebenem Rettich bringt danach etwas willkommene Abwechslung in das geflügelfokussierte Grillfest. (7/10)
Weiter geht es mit dem ersten Gericht, das mehr als drei Zutaten miteinander kombiniert. In einem Schälchen gibt es verschiedene Teile vom Huhn, unter anderem Hüfte, dazu verschiedene frische Akzente, die guttun. Ich schmecke unter anderem Yuzu und Sansho-Pfeffer mit seinem zitrusfrischen, blumigen Aroma und der leicht betäubenden Wirkung. Eine Ponzu-Sauce sorgt dabei für eine süffige Tiefe. Der erste etwas komplexere Gang setzt das überwiegend sehr gute Niveau fort. (7/10)
Ein weiterer Spieß folgt, diesmal mit saftiger, heißer Hühnerleber – sehr gut! (7/10)
Abermals wird zu Ente gewechselt. Ein kleines Schälchen kombiniert kleine Streifen Entenbrust mit japanischem Ingwer (Myoga) und frischem, erneut leicht betäubendem Sansho-Pfeffer. Stets ist auch ein appetitliches Grillaroma dabei (7/10).
Das gilt auch für den nächsten und letzten Spieß mit einer Art Hühnchenfrikadelle, würzig, rauchig und leicht süßlich (6,9/10).
Inzwischen ist die Luft im Raum fast unerträglich. Trotz des großen Rauchabzugs ist es neblig, stickig und fettig; man kann die Luft schneiden. Aber man ist ja auch in einem Grillrestaurant.
Das Angebot des Küchenchefs, noch etwas nachbestellen zu können, nehme ich nicht in Anspruch; zu meinem Erstaunen entgegen aller anderen Gäste. Viele bestellen noch einmal den Spieß mit Wachteleiern.
Die waren zweifellos sehr gut, aber der womöglich beste Gang kommt jetzt: eine schlichte Hühnersuppe. Sie hat eine goldene Farbe; persistente Fettaugen ziehen auf dem heißen, duftenden Elixier appetitliche Schlieren. Am Gaumen ist die Suppe sehr konzentriert und aromatisch, es ist der unverfälschte Geschmack des Hinai-Huhns. Eindrucksvoll. (7,5/10)
Es folgt noch eine Handrolle mit einer sehr heißen, wohlschmeckenden Füllung, die ich nicht identifizieren kann, mutmaßlich irgendetwas mit Huhn (6,9/10).
Ein in Papier eingewickeltes, schmackhaftes Ume-Sorbet (7/10) und ein heftig nach Aschenbecher schmeckender gerösteter Tee schließen das kurzweilige Menü ab.
Mehr Huhn geht kaum, mehr Grill auch nicht. Und so rieche ich jetzt auch. Zum Glück holt mich nicht der Maybach-Mercedes ab, der hier vor der Tür auf Gäste wartet. Ich muss erst mal etwas auslüften.
(Weitere Artikel über meine Reise nach Japan im Sommer 2023 unter diesem Link.)