Haebel – jetzt mit Stern
Es macht Spaß – und ist genussreich obendrein –, ein Restaurant von Beginn an so wachsen zu sehen. Das kulinarische Niveau im Haebel sah ich schon länger in Reichweite eines Michelin-Sterns, seit April ist es nun endlich so weit. »Verdient!« würden viele sofort sagen, ob der harten Arbeit des kleinen, immer herzlichen und äußerst engagierten Teams und wegen Betreiber Fabio Haebels gutem Gespür für zeitgemäße Gastronomie. Doch der Stern kommt nur, wenn es auf dem Teller stimmt. Dafür sorgt auf kulinarischer Front seit drei Jahren Kevin Bürmann, mutmaßlicher Blues-Brothers- und Rockabilly-Freund, und jetzt eben auch noch »Sternekoch«.
Für weitere Details über das Restaurant-Juwel auf dem Kiez – das einzige besternte Restaurant in dem für vieles, aber nicht für Qualität, bekannten Viertel –, verweise ich auf meine vorherigen Berichte.
Das heutige Menü (»Fauna«, 129 €) genieße ich angenehm bei offener Tür mit leichter Sommerbrise und Blick auf das bunte Treiben der Paul-Roosen-Straße.
Einem Sonnenblumencracker mit Zucchini – als Creme und in Form eines kleinen »Pakets« von gegarten Zucchinistreifen – verhilft der Einsatz von Chili zu etwas Pepp, bei ohnehin schon sehr gut herausgearbeitetem Zucchiniaroma. Der Cracker selbst ist sehr bissfest: in Ordnung, aber in einer etwas fein-knusprigeren Variante bestimmt nicht schlechter (6,9/10). Ein Miniatur-Zwiebelkuchen mit gehobeltem, fünfundzwanzig Monate gereiftem Deichkäse stellt die süßlich-herzhafte Kombination von Zwiebel und Käse treffend zur Schau, auch hier wünschte ich mir eine etwas feinere Teigbasis (6,9/10).
Eine konzentrierte Gemüseessenz, die appetitlich mit fleischigem Umami spielt, ist so heiß und so gut wie auch schon die letzten Male (7/10). Betont entspannt folgt ein abwechslungsreiches, bitter-würziges Wildkräuterbouquet, das man durch eine Café de Paris-Butter zieht. Letztere lässt einen als Liebhaber guter Saucen sofort innehalten, denn aus der Küche des Haebel kommen einige der besten Saucen der Stadt. Dese hier ist kräuterwürzig, mit appetitanregender Säure, gehaltvoll, samtig und homogen (7/10).
Der nächste Gang sei eine Kombination aus einer Hochzeitssuppe und Hamburger Aalsuppe, erklärt man fast etwas unbeholfen, doch was hier vor mir steht ist ein kleines Wunderwerk. In einer Aalbrühe, die mit gehaltvollem Schweinebauch und Pflaumenessig abgeschmeckt ist, findet man akkurat parallel versetzt ausgerichtete Quader von Eierstich und Aal, dazu etwas Queller für Frische und maritime Salzigkeit. Das Gericht zeichnet sich durch eine frappierende Balance aus – zwischen süßlichem Aal, fruchtiger Säure und maritimem Salz. Es ist eine der besten Interpretationen eines norddeutschen Geschmacksbilds, die ich je probiert habe. Ohne das auch nur ansatzweise kleinreden zu wollen, wirkt dieses Gericht beinahe wie ein Ausreißer. (8,5/10)
Was die Weine betrifft, habe ich heute die Reste einer kleinen privaten Probe von gestern mitgebracht. Ich hatte das vorher angekündigt, so etwas ist hier in der Regel kein Problem. Ich würde den »bring your own«-Gedanken aber nie überstrapazieren. Gerne lasse ich das Personal auch mitverkosten und bestelle später auch noch etwas aus der Karte. Man berechnet nachher faires Korkgeld (28 €).
Von meinen Resten ist neben einem an Chablis erinnernden 2019er Chardonnay »Réserve« vom Weingut Klaus-Peter Keller inzwischen auch ein 2020er Corton von der Maison Harbour in einem zweiten Glas: fruchtig, jugendlich kraftvoll, aber mit schon spürbaren vierundzwanzig geöffneten Stunden auf dem Buckel.
Beim nächsten Gang führt man auf dem Teller zwei Komponenten zusammen, deren initiale Trennung sich mir zwar nicht erschließt, dessen ungeachtet aber kein Problem darstellt. Ein zur Kugel geformtes, mit Kirschblütenessig mariniertes Blatt Kopfsalat, das mit Kräutersaitlingen farciert ist, platziert man dann als Esser möglichst geschickt auf das knusprig-weiche Röstbrot daneben. Diese Kombination erinnert aromatisch überraschenderweise an Leberwurst, dazu mischen sich, bei warmer Temperatur, buttrige Röstaromen und etwas Säure. Sehr gut. (7/10)
Der folgende Gang präsentiert ein Nest aus nudelartig geformten Tintenfisch-Streifen, das in einer Spargelvelouté mit Bärlauchöl platziert ist. Schon die Anrichtweise in einem tiefen Teller erhöht die Wahrscheinlichkeit für etwas Genussreiches. Tiefe Teller verhindern das oft überstrapazierte flächige Ausbreiten von Zutaten, ersticken pseudoartistische Dekorationen im Keim und konzentrieren dagegen Hitze, Geschmack und Produkte. Dass man dabei den einzelnen Komponenten auch in kleinerem Volumen ihren jeweiligen Raum geben kann, zeigt die akkurat geschichtete Anrichtweise von Velouté, dem Tintenfischnest und einem kleinen »Paket« aus rohen Spargelstreifen und Algensalz. Die Tintenfischpasta ist ideal, d. h. etwas weicher als bissfest (und dadurch auch »aufwickelbar«), gegart und ergibt mit dem warmen, würzigen und ölig-gehaltvollen Sud eine sehr zugängliche, gleichwohl elegante Kombination. Der rohe Spargel liefert dazu Frische und Knackiges, hält sich aber aromatisch gelungen zurück. Anstatt das Spargelaroma überzubetonen, hebt man hier vor allem die feine Süße und knackige Textur des Gemüses hervor. Das ist sehr klar, sehr fokussiert und ganz besonders gut. (7,5/10)
Ein Stück Brioche, luftig, weich und warm, folgt mit etwas Brokkolibutter. Die Kohlenhydrate kommen genau richtig; noch besser wäre es, das Gebäck zu den Gängen zu servieren, um die exzellenten Saucen damit aufnehmen zu können. Doch man bekommt das Brot auch so verputzt.
Es geht weiter mit Wolfsbarsch, knusprig auf der Haut gebraten und von tadelloser Qualität. Er ist puristisch mit in Yuzu-Vinaigrette marinierten Mairübchen bedeckt und wird mit einem üppig portionierten, dunklen Jus auf Basis von Fischfond und Pale Ale serviert. Die Sauce ist mühevoll eingekocht und mit intensivem Salzgehalt ausgestattet, keinesfalls zu viel, sondern so, dass der Fisch maritim eingerahmt wird. Das erinnert mit dem Purismus und der dunklen Sauce fast an japanische Geschmacksbilder. (7/10)
Beim nächsten Gang liegt ein Leinsamencracker auf kleingeschnittenen grünen Bohnen in einer Bohnenconsommé. Aromatisch gibt es Parallelen zu Schnittbohneneintopf, nur deutlich eleganter. Die Bohnen sind gut gewürzt, und bei der leichten, sehr aromatischen Consommé zeigt sich wieder das passionierte Saucen- und Fondhandwerk des Küchenchefs. (7/10)
Hummer aus Norwegen wird bei diesem letzten herzhaften Gang zweiteilig serviert. Der Hauptteller präsentiert eine ausgelöste Hummerschere zusammen mit leichtem Knoblauchschaum und samtigem, erdig-süßem Karottenpüree. Die Kombination ist stimmig und der Hummer saftig, wobei Scheren für mich nie den spannendsten Teil eines Hummers darstellen, selbst bei noch deutlich besseren Qualitäten. Dazu gibt es ein Hummerbrötchen mit warmem, fluffigem Teig, bei dem man sich aber ein bisschen zur Füllung hinarbeiten muss; das ist dadurch eine Nuance zu trocken. Durchaus gut, aber mit einigen losen Stellschrauben. (6,9/10).
Zum süßen Abschluss sitzt wieder alles fest. Eine filigrane Tartelette mit cremigem Sauerampfereis bringt Säure, Süße und Knuspriges zusammen (7/10); eine Kreation um Holunder, in Form von Mousse, Granité und Blüten – Malz kommt auch noch zum Einsatz – bietet ein äußerst gelungenes Erlebnis um Fruchtsüße und anspruchsvolle Bitterkeit (7,5/10), und eine Art Krapfen – luftig leicht, fein knusprig und angenehm süß – mit einer Füllung aus Haselnusscreme und Kaviar runden das Menü (noch nicht jedoch den Abend) gelungen ab (7,5/10).
Wenngleich das Essen Rechtfertigung genug ist, um hier einzukehren, gehe ich immer auch wegen des »Gesamtpakets« ins Haebel. In kevinem anderen Restaurant der Stadt findet man diese Kombination aus anspruchsvoller Küche, unprätentiöser Lässigkeit, zeitgemäßem Design und wirklich herzensgutem und humorvollem Service. Wer den Beweis haben möchte, dass der Stern nur das bewertet, was auf dem Teller ist: hier ist er.