Waldhotel Sonnora – alles Meisterwerke
Kurz vor dem Erreichen des schanz. restaurant. in Piesport fällt mir nach über 550 Kilometern Fahrt auf der A 1 auf, dass das Waldhotel Sonnora hier auch ganz in der Nähe ist. So genau habe ich mir das nicht angesehen, da mein Kurztrip an die Mosel eigentlich ganz dem neuen Drei-Sterne-Restaurant in Piesport gewidmet ist. Eigentlich.
Das Sonnora dann rechts liegen zu lassen, fühlt sich befremdlich an. Als würde ich jemanden hintergehen. Oder mich selbst. Kaum im Schanz angekommen, werde ich daher gleich eine Reservierungsanfrage für morgen Mittag los, die glücklicherweise positiv ausfällt. Um ehrlich zu sein, war es auch eher eine Ankündigung als eine Anfrage, denn ich würde mir im Sonnora zur Not auch ein, zwei Gänge erbetteln und sie im Stehen im Hotelflur essen. In dem Haus nicht einzukehren, ist jedenfalls keine Option.
Um Punkt zwölf bin ich dann am nächsten Tag vor Ort. Ich habe im Anschluss noch sechs Stunden Fahrt vor mir, weshalb mein Besuch mit zeitlichen und getränketechnischen Einschränkungen erfolgt, die mir nicht gefallen. Aber lieber so als gar nicht.
Aus meiner Idee, nur ein, zwei Gänge zu probieren, wird aber nichts. Der personalisierte Menüvorschlag (288 €) klingt schon wieder so verführerisch, dass ich mich auf fast alle Gänge einlasse. So schnell komme ich nicht wieder aus der Sache heraus.
Eine hauchdünne Tartelette, die mit Thunfischbauch und Birne gefüllt und mit gehobelter Gänseleber getoppt ist, eröffnet das Menü kühl, mit Schmelz und spannender Fruchtsäure, mit Vollmundigkeit und mit einer Präzision, die den besten Küchen der Welt vorbehalten ist (9/10). Auster mit Gurkeneis, -blüte und Kaviar, ein Klassiker, präsentiert eine der für mich appetitlichsten Austerngrößen (klein und rund) in einer Qualität am Anschlag und einen zur Vollkommenheit justierten Geschmacksakkord aus Süße, Säure und Salz. Die sommerliche Meeresbrise fegt einen fast vom Stuhl. (10/10)
Immer noch Teil der »Ouvertüre« ist die folgende Kreation mit Taschenkrebs in gelierter Krustentieressenz mit Grapefruit und Queller. Dass die Qualitäten, einschließlich der Zitrusfrucht, im Sonnora immer auf einem Referenzniveau sind, ist eine Sache. Dass das Erlebnis am Gaumen so unmittelbar so viel Genuss auslöst wie auch dieser Teller, die andere. Niemals muss man bei Gerichten aus der Küche dieses Hauses nach dem Genusserlebnis suchen, nie umständlich kombinieren, sich nie fragen, warum irgendetwas so gehört. Im Bruchteil einer Sekunde kommt auch hier alles perfekt zusammen: Maritimes, mediterrane Zitrusfrucht, leichte Süße. Selbst die unscheinbaren, knusprigen Teigfäden, die das Gericht dekorieren, sind ein Hochgenuss zum Staunen und Schwelgen. (10/10)
Es folgt ein Chawanmushi mit Holundervinaigrette, Erbsen und Lachs, dessen wohltuende Hitze zunächst unter einem Deckel konserviert wird. Die Hitze ist eine wesentliche Zutat des Gerichts, das erneut mit Spitzenqualitäten, makellosem Handwerk, Balance und eingänglichem und sofort wirksamem Genussfaktor aufwartet. Intensive Kräuter sind hier besonders einprägsam. (9/10)
Und obwohl diese vier Eindrücke schon ausreichend wären, um ein weiteres denkwürdiges Mahl im Sonnora zu verbuchen, beginnt das eigentliche Menü erst jetzt.
Die »kleine Torte vom Rinderfilet-Tartar« mit gereiftem N25-Kaviar möchte ich auch für zuzügliche 68 € nicht verpassen. Der knusprig-warme, luftige und nie zu fettige Kartoffelrösti, das kühl temperierte Rind und die von säuerlich-cremiger Crème fraîche abgepufferte, zentimeterhohe Kaviarschicht ergeben ein kanonisches Referenzgericht, ein Fest für den Gaumen, eine Belohnung für jeden Kilometer Anfahrt. Ich möchte mich dafür in aller Form entschuldigen, dass nicht jeder Fahrkilometer dieses Ausflugs dem Sonnora gewidmet war. Pardon! (10/10)
Den Euphemismus »klein« findet man seltsamerweise auch beim nächsten Gang, einem »kleinen Eintopf« von Hummer aus Saint Malo. Dessen wahrhaftige Größe ist schon mit Augen und Nase auszumachen. Die besten Hummerqualitäten erkennt man an einer dunkelrot-weißen Marmorierung und schneeweißem bis altrosa (je nach Garstufe) Fleisch. Für diesen Teller wurde der Hummer in mundgerechte Stücke zerteilt und in einem aufgemixten Krustentierjus mit Lauchöl angerichtet. Knackig frische, leuchtendgrüne Saubohnen und geschmorter Chicoree kontrastieren das Krustentier mit viel Chlorophyll. Der Hummer ist wunderbar bissfest, nussig, nicht einen Hauch faserig und von einer Qualität, der man gerade in Deutschland kaum begegnen kann. Profitierend von der Nähe zu Frankreich und Luxemburg hatte schon Lehrmeister Helmut Thieltges einige der besten Lieferanten; Rambichler hat daran nichts geändert. Das Zutatenniveau ist ein essenzieller Pfeiler, eine elementare Zutat der Küche hier. Irgendwann ist auch dieser Teller blitzblank; eine feine Säure, etwas Schärfe und die ätherischen Aromen der Gemüse und Kräuter klingen noch länger nach. (10/10)
Bei den Gerichten des Sonnora steht immer eine sehr spezifische »Süffigkeit« im Mittelpunkt, welche vor allem die Grundgeschmacksrichtungen süß, sauer und salzig in eine perfekte Balance bringt. Im Zusammenhang mit der individuellen aromatischen und sensorischen Erweiterung jedes Gerichts entfaltet sich dann immer die ganze Magie.
Im Grunde wird das alles immer unfassbarer. Beim nächsten Teller versteckt sich ein gutes Dutzend saftiger Froschschenkel zwischen einem aromatischen Saucenduo, bestehend aus einem perfekt abgeschmeckten Geflügeljus und einer kräuterfrischen Liebstöckel-Velouté. Die Froschschenkel selbst, die geschmacklich naturgemäß etwas an Huhn erinnern, nur mit etwas mehr Fett, genießt man ganz einfach mit den Fingern. Zusammen mit einer ganzen Handvoll Gartenkräutern, die bei jedem Bissen immer wieder mit anderen Nuancen überraschen, sowie surreal weißen Champignonscheiben und weiteren kleinen Pilzen und Zwiebeln ergibt das eines der frühlingshaftesten Gerichte, die ich je probiert habe. Der Teller schmeckt nach einer Lichtung im Wald, nach ersten Sonnenstrahlen, nach Wiesen und Wäldern. Und auch hier ist sie wieder, die Extraportion Magie. (10/10)
Bei Pierre Gagnaire in Paris habe ich vor vielen Jahren eines der prägendsten Gerichte mit Périgord-Trüffel gegessen. Die Vorspeise hieß »vert d’hiver« und kostete (vor sieben Jahren) fast genauso viel wie heute das gesamte Menü im Sonnora. Eindrucksvoll war aber nicht nur der Preis, sondern auch die enorme Menge an verwendetem Trüffel. Alle Teller waren von dicken Tranchen der Edelknolle bedeckt; dort habe ich zum ersten Mal verstanden, welche gustatorischen Eigenschaften dieser Pilz in Referenzqualität hat: Er schmeckt nach Erde, Wald und Terpentin, leuchtet saftig dunkelbraun und ist von schneeweißen Äderchen durchzogen. Wenn er dick genug geschnitten ist, hat er eine knackige, fragile Textur und erinnert an rohen Kohlrabi oder frisch aufgeschnittene Champignons. Im Gegensatz zu weißem Trüffel mit seinem raumfüllenden, schwefeligerem Aroma, ist schwarzer Trüffel zurückhaltender und deutlich »gemüsiger«.
Ein ähnliches Erlebnis wie damals beschert mir der nächste Gang. Wachtel aus den Vogesen serviert man unter anderem mit einer Vinaigrette mit Pinienkernen, Akazienhonig und Haselnuss-Öl – und sehr viel Périgord-Trüffel. Drei dicke Scheiben von einer tennisballgroßen Knolle sowie weitere Abschnitte bedecken den Teller und verstecken ein Stück der über Binchotan gegrillten Wachtel. Weitere Stücke des Geflügels wurden knusprig in Teig ausgebacken und zieren den Rand des Tellers; etwas Feigenpüree bringt wieder die feine, zurückhaltende Süße ins Spiel. Die erdigen, ätherischen Aromen des Trüffels liegen über der saftigen Wachtel und den hervorragenden Saucen wie Nebel über der Lichtung aus dem vorherigen Gericht. Dass man die Gerichte in Kopf so verknüpfen kann, ist eigentlich schon eine Sensation für sich.
Und als wäre das alles nicht schon der Endzustand jedweden Genusses, gibt es separat in einem kleinen Glasgefäß weitere Teile von der Wachtel in einem feinen, sahnigen Süppchen, mit abermals dicken Trüffelscheiben und flüssigem Ei. Das Schlaraffenland könnte nicht näher sein. (10/10)
Natürlich ist man längst dort angekommen. Zum (etwas verkürzten) Abschluss verzaubert ein Baba au rhum mit fluffig-buttrigem Baba, beträufelt mit Rum aus Jamaica (Caidenhead’s 20 y.o.), serviert mit gegrillter und marinierter Ananas aus Martinique und einem sensationellen Eis mit Tahiti-Vanille. Es ist göttlich. Der Baba, gerade in dieser exotischeren Kombination, ist vielleicht der beste, den ich je genossen habe. (10/10)
Ein Rhabarbersorbet mit Rose verzaubert dann noch mal auf aromatisch etwas filigranere, florale Art und ist genauso zum Niederknien wie ein knuspriger Windbeutel mit Schokoladenfüllung und Karamellsauce. Man glaubt das alles kaum. (Beide 10/10)
Es gibt noch weitere Kleinigkeiten. Alle sind bis zum letzten hinausgezögerten Moment des Nachschmeckens am Anschlag des Genusses. Man fällt hier nicht mal temporär auf ein »hervorragendes« Niveau zurück. Alles hat Meisterwerk-Charakter.
Und jetzt habe ich knapp sechshundert Kilometer Zeit, die Eindrücke zu verdauen. Danach habe ich sicherlich wieder Appetit. Appetit aufs Sonnora.