Koy Shunka – der Duft Japans
Sushi B, Jin und L’Abysse in Paris, Sushi Sho in Stockholm, The Araki und Endo at The Rotunda in London, unzählige Restaurants von Los Angeles über New York und Hongkong bis nach Sydney: Hervorragendes japanisches Essen kann man inzwischen in fast allen Metropolen genießen. Empfähle mir jemand ein Sushi-Restaurant in Las Vegas, Tel Aviv oder Lima, hätte ich nicht den geringsten Zweifel an einer hohen Qualität. So etwas kennt man in Deutschland nicht, auch, wenn viele diese Leier nicht mehr hören mögen. Gleichwohl bleibt sie wahr.
Daher ist es nur plausibel, auch in einer Stadt wie Barcelona nach gutem japanischem Essen zu suchen – vor allem, wenn man schon mal vor Ort ist. Der Guide Michelin beantwortet meine Suche mit dem Ein-Sterne-Restaurant Koy Shunka. Der Name bedeutet „intensiver Duft der Jahreszeiten“, und mehr benötige ich auch gar nicht, um mich auf eine Reservierung einzulassen.
Das Restaurant befindet sich im Gotischen Viertel, in der Nähe der Kathedrale von Barcelona. Ein Bogen in der Fassade eines alten Gebäudes markiert den etwas zurückgesetzten Eingang des Restaurants. Küchenchef ist Hideki Matsuhisa, gebürtiger Tokioter und seit über 25 Jahren Wahl-Katalane.
Hinter dem schmalen, länglichen Eingangsbereich im Inneren erschließen sich die zwei Essensbereiche des Restaurants: einmal ein großer Speisesaal mit Tischen, Tresen und der Küche, dann ein separierter Bereich mit japanischerem Flair und etwas mehr Ruhe. Ohne die Gegebenheiten genau zu kennen, hatte ich mich bei der Reservierung für letzteren Bereich entschieden.
Angeboten werden zwei Menüs (110 € bzw. 167 €), die sich auf dem Papier nur unwesentlich unterscheiden (hier noch ein Gang, da noch etwas Kaviar, da noch ein Süppchen). Bereits die günstigere Variante beinhaltet elf Gänge mit einer zusätzlichen Option auf Wagyu-Rind (dann 134 €). Vor dem Hintergrund eines später noch bevorstehenden Abendessens erscheint mir die kompaktere Variante als ausreichend. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich auch noch nicht, dass selbst dieses Mahl bis in den späten Nachmittag andauern wird.
Die Weinkarte ist kompakt, aber sehr gut und akzeptabel bepreist. Den Anfang macht ein 2018er Chablis Grand Cru »Les Preuses« von der Domaine William Fèvre (165 €). Dazu gelangt ein optisch ansprechendes Vorspeisenquartett an den Tisch. Bereits die Präsentation, mit hübscher Keramik und wertigem Holz, gepaart mit einem leicht säuerlichen Duft nach Umami und Sojasauce, löst ein beruhigendes Gefühl des Angekommenseins aus, das ich nur von japanischen Restaurants kenne.
Gerollter Daikon ist mit Yuzu und Sesam aromatisiert und begeistert unmittelbar durch das filigrane, florale Aroma der japanischen Zitrusfrucht; eine Scheibe Kabeljaurogen schmeckt intensiv und erinnert an Bottarga; ein Reiscracker mit Furikake und Mayonnaise ist würzig und luftig-knusprig; gebeizte Holzmakrele mit Öl und Sojasauce präsentiert ein Produkt von hervorragender Qualität. (7,5/10)
Die – ursprünglich baskische – Spezialität Kokotxas, Kiemenbacken vom Seehecht, sind eine Delikatesse, deren Genussfaktor durch ihre Qualität und Zubereitung besonders stark schwanken kann. Inspiriert von einem Nigiri, hat man für die nächste Speise die leicht geleeartige Zutat auf Sushireis angerichtet, der mit seiner bemerkenswert präzisen, luftigen Körnung erfreuliche Abwechslung am Gaumen bereitet. Eine elegante, weil aromatisch zurückhaltende, Pil-Pil-Sauce, die deutlich besser ist als der Pil-Pil-Schaum noch einen Abend zuvor im dreifach besternten Cocina Hermanos Torres, dient dabei als Bindeglied, nicht nur auf einer Texturebene, sondern mit seinem leichten Knoblaucharoma auch zwischen Kontinenten. (7,9/10)
Es folgt Saba, Makrele, in zwei Zubereitungen. Die hübschen Schälchen halten einmal ein Nigiri bereit – mit buttrigem Schmelz, leicht rauchigem Aroma, angenehm handwarmer Temperatur und erneut exzellentem Reis –, sowie zwei behutsam über Holzkohle gegrillte Stücke des Fischs, kombiniert mit Selleriefäden und einer cremigen, würzigen Sauce. Sehr gut. (7/10)
Erneut unter der Verwendung mehrerer Schälchen und Gefäße geht es beim nächsten Gang um Tintenfisch in mehreren Varianten. Ein geflämmtes Nigiri mit mariniertem und fein eingeschnittenem Tintenfisch begeistert mit kurzweiligen Texturen, dezenter Fruchtigkeit eines Ume-Pürees sowie minzigem Perillablatt; auf einem anderen Teller entdeckt man gegrillte Tintenfischarme und ein rohes Stück des Tiers, am Gaumen leicht cremig und doch bissfest. Beides ist in einer Sauce auf der Basis von Ei und Soja angerichtet; frischer Wasabi hat auch noch seinen kurzen, aber kraftvollen Auftritt. Als Letztes findet man in der Tischmitte noch ein Schälchen mit Tintenfischrogen, sowie einen Becher mit Sake. Kanpai! Das war alles hervorragend. (8/10)
Die nächste Station dieser kulinarisch schon jetzt bemerkenswerten Reise führt zum Thema Jakobsmuschel. Es gibt sie einmal als Maki »inside out« – ein mundfüllendes Vergnügen mit unwiderstehlichem Geschmack nach Alge und Meer – sowie in einem Schälchen als heiße Creme zusammen mit exzellenten Erbsen. Alles duftet nach Meer, nach Japan und nach Leichtigkeit. (7,5/10)
Die zweite Flasche Wein wird ein 2019er »Pedra de Guix« vom Weingut Terroir al Limit aus dem Priorat (96 €).
Das Thema, eine Variation einer bestimmten Zutaten zu präsentieren, setzt sich auch beim nächsten Gang fort. Rotbarbe, leicht gegrillt, mit Sojasauce lackiert und noch warm, ergibt ein sehr gutes Nigiri, während auf einem weiteren Teller der Fisch roh als eine Art Tatar zubereitet ist und in einem Mangoldblatt angerichtet wurde. Letzteres ist sehr gut, aber nicht ganz so aufregend wie das Nigiri. (7,5/10)
Mit dem nächsten Gang folgt Hummer. Dieser wurde nach der Ikejime-Methode getötet und fünf Tage lang gereift. Davon profitieren besonders die roh servierten Stücke, die durch die Reifung eine straffere Textur und »tieferen« Geschmack bekommen. Man stippt sie in eine intensive Sauce, eine mit Sudachi aromatisierte Reduktion auf der Basis von Hummerkarkassen und Sojasauce. Der Hummer wurde zudem mit Yuzu-Salz gewürzt. In einem separaten Schälchen präsentieren sich weitere, gegarte, Teile des Hummers. Normalerweise bin ich von der Textur rohen Hummers selten begeistert, hier gelingt aber durch den Reifeprozess eine hervorragende Zubereitung. Und dass man hier die verschiedenen Zitrusfrüchte im Haus hat, mit denen man arbeitet, versteht sich von selbst. (8/10)
Als nächstes betört ein Maki mit Balfegó-Thunfischbauch, Daikon und Sesam durch Schmelz und Meeresaroma (8/10), bevor es danach mit einem Surf ’n’ Turf weitergeht. Das Duo aus einem Nigiri mit roher Garnele sowie einem Tatar vom Wagyu-Rind mit marinierten Pilzen ist sehr gut, vor allem wegen eines betonten, aber nicht überbetonten Salzgehalt des Tartars. Insgesamt ist das aber – auf gutem Niveau – etwas weniger spannend. (7/10)
In der Folge eines japanischen Menüs geht es zum Abschluss des herzhaften Teils klassisch mit Sushi weiter. Es gibt zunächst drei Nigiri mit verschiedenen Teilen vom Thunfisch (akami, chutoro, otoro), danach Zubereitungen mit geflämmtem Lachs, Thunfisch-Tataki und Aal. Vor dem Hintergrund, dass das Sushi nicht direkt am Tresen aus der Hand eines Meisters genossen wird, sind die Nigiris erstaunlich gut. Vor allem der hervorragend zubereitete Reis fällt erneut auf, mit milder Säure und luftigem Korn. Die Fische sind alle von exzellenter Qualität – kein Wunder, immerhin stammen einige der Fische, die man in Japan serviert bekommt, aus den Meeren rund um die iberische Halbinsel. In Summe ist das abermals sehr gut, aber keine Frage, mit dieser kleinen Speise geht noch viel, viel mehr. (7/10)
Das von mir gewählte Menü-Add-on duftet bereits so vielversprechend wie es klingt und aussieht. Edles Miyazaki-Rind ist in Form von nahezu rohen Scheiben in einem Schälchen mit Reis und einem Sud aus Blumenkohl und Rinderfett angerichtet. Sehr hochwertiger spanischer Wintertrüffel vollendet das luxuriöse Intermezzo, das von Hitze, dem Schmelz des Rindfleischs und der Textur des Reis lebt. Das Fleisch gart in dem heißen Sud noch etwas nach, sodass man verschiedene Gargrade erleben kann, theoretisch, denn diesem Genuss kann ich nicht allzu lange widerstehen. (8/10)
Ein Dessert mit roter Bete und Wintertrüffel fällt mit einem medizinischen Geschmacksbild und nicht so recht passendem – und auch noch ungünstig gehobeltem und dadurch »matschigem« – Trüffel leider aus dem Rahmen (6/10), wobei ein Dessert mit Schwammkuchen, grünem Apfel und Eis mit japanischem Whisky das lange Mahl erfrischend und ein wenig französisch abschließt (7/10).
Ein starker Kaffee und ein paar gute Pralinen beenden nach knapp drei Stunden ein überraschend gutes Essen. Überraschend insoweit, als man japanische Küche in einer solchen Vielfalt und Qualität in Europa einfach nicht gewohnt ist. Ich verlasse das Koy Shunka daher wehmütig, aber glücklich, satt, aber schon wieder hungrig. Nach dem säuerlichen Duft von hellem Holz, Sojasauce und Reis, nach dem Schmelz von Thunfischbäuchen und Wagyu-Rindern und nach luftigem Klebereis und heißem Dashi. Ich könnte glatt wieder umkehren. Es ist auch schon beinahe wieder Abend.