Le Louis XV - Alain Ducasse – königliche Einfachheit
Das Restaurant, das mittlerweile in voller Länge Le Louis XV - Alain Ducasse à l’Hôtel de Paris heißt, ist einer der wesentlichen Gründe, warum ich mich über das lange Osterwochenende im Hôtel de Paris in Monaco einquartiert habe.
Die Pandemie lässt mich nach wie vor viele kulinarische Erlebnisse vermissen. Doch nach der schlichten, prachtvollen Mittelmeerküche von Alain Ducasse sehnte ich mich in letzter Zeit ganz besonders. Daher habe ich gleich zwei Reservierungen dort getätigt – eine am Mittag, eine am Abend, an unterschiedlichen Tagen –, um mich in Ruhe und in verschiedenen Atmosphären durch die Speisekarte zu probieren.
Ich habe das Restaurant erst zwei Mal zuvor besucht, doch jeder Besuch hat Spuren hinterlassen. Die grandiose Schlichtheit der mediterranen, gemüselastigen Küche in Ducasse’ Flaggschiffrestaurant ist wachrüttelnd und prägend. Die Küche im Le Louis XV wirkt teilweise so schlicht, dass man nach etwas sucht, das fehlt. Doch die Suche ist stets vergeblich.
Der Speisesaal wurde inzwischen deutlich modernisiert. Opulenz ist zwar nach wie vor das Leitmotiv, aber unnötiger Ballast, wie doppelte Tischtücher und verschnörkeltes Mobiliar, wurde entfernt und durch mehr Leichtigkeit ersetzt. Die Tische, die ihr verchromtes (und etwas unpraktisches) Gestell preisgeben, wirken mit ihrem nur bis zur Hälfte herabhängenden Tischtuch fast so, als würden sie schweben. All das passt zur Küche.
Bei der ersten Knabberei, die man klassisch zum Aperitif serviert bekommt – Letzterer zum Beispiel in Form eines sehr guten offenen Rosé-Champagners aus dem Hause R. Pouillon (€ 30) oder eines Glases 2017er Puligny-Montrachet von der Domaine François Carillon (€ 25) – fragt man sich allerdings noch zu Recht, ob Schlichtheit auch mit einem Verzicht auf Genuss einhergeht. Das bildhübsche Gebäck mit hauchdünnen integrierten Gemüsescheiben schmeckt buchstäblich nach nichts. Man verzeiht es an dieser Stelle.
Die folgenden Gemüse-Snacks, bestehend unter anderem aus in Rettich eingerollten Stückchen von Karotte, Erbse, Gurke und Salat in unterschiedlicher Zusammensetzung, werden mit einer milden Oliventapenade serviert. Das ist schon deutlich besser und leitet die saftige, leuchtende Frische der prachtvollen Gemüse hier gut ein. (7/10)
Dasselbe gilt für die letzte Einstimmung, eine auf heißen Steinen präsentierte Variation verschiedener Fische und Meerestiere, die nur marginal gewürzt sind. Das ist volle Absicht; es geht hier um die reine Wertschätzung von außergewöhnlichen Qualitäten, die man hier ganz pur, fast schon in japanischer Manier, erleben kann. Tatsächlich würde man einige der Texturen kaum mit Fisch assoziieren. Eine kompakte, seidige Zartheit beschreibt das Erlebnis am Gaumen bei manchen Stücken vielleicht am besten. Die Zutaten werden an meinen beiden Besuchen leicht variiert, auch Aubergine und Zucchini zieren einen der Tischgrills. (8/10)
Dass diese schlichten Einstimmungen manche Gäste irritieren könnten, ist offenkundig. Dass man die präsentierten Zutaten optisch und geschmacklich auffälliger zubereiten kann, ebenfalls. Doch dass ausgerechnet hier, zwischen all dem oft schon obszönen Prunk Monte-Carlos, eine derart erdende Zurückhaltung zelebriert wird, ist schon für sich eine Reise wert.
Die Speisekarte, die in einen goldenen Tischaufsteller eingefasst ist, präsentiert ein gutes Dutzend Gerichte, von denen preislich fast alle die Hundert-Euro-Marke deutlich überschreiten. Gut zu wissen, aber nicht von vornherein kommuniziert, ist, dass viele Gerichte auch als halbe Portion verfügbar sind (zu einem reduzierten, aber nicht zwingend halben Preis). Das ist besonders dann ideal, wenn man etwas mehr Vielfalt genießen möchte. Menüs zu € 250 und € 380 nach Wahl der Küche stehen auch zur Verfügung, aber ich gehe lieber meiner Freude am Selbstauswählen nach.
Der erste Gang aus der Küche, für die seit achtzehn Jahren Küchenchef Dominique Lory verantwortlich zeichnet, ist ein Klassiker. Die provenzalischen Gemüse mit schwarzem Trüffel (€ 105) kommen in Form von Fenchel, Artischocken, Karotten, Zuckerschoten, Brechbohnen, Rübchen und Lauch von einer fast schon »übersteuerten« Güte. Die Aromen sind so klar wie ihr Glanz, eindringlich schlicht und von überwältigender Natürlichkeit. Die Texturen der Zutaten sind alle knackig-bissfest und individuell justiert. Keinesfalls werden die unterschiedlichen Gemüse zusammen in einem Topf gegart. Dazu ist eine heiße (!) und beherzt säurebetonte Vinaigrette mit Balsamessig wunderbar bodenständig und typisch Französisch. Der (zu dieser Jahreszeit offenbar konservierte) Trüffel liefert zu allem etwas »Erdigkeit«. Das ist so grandios, dass ich auch mein zweites Menü so beginne – dann als halbe Portion. (10/10)
Mein Mittagessen setze ich an dieser Stelle mit einem Gericht um Morcheln fort (halbe Portion € 66). Zu dem edlen Speisepilz, von dem man eine Handvoll Exemplare glasiert und leicht bissfest gegart auf dem Teller wiederfindet, ergeben zusammen mit einem Eis aus Blütenpollen mit Hibiskus, knusprigen Comté-Chips, Spinat, etwas Salat und einem Morcheljus ein Gericht um Süße und Umami. Die völlige Abwesenheit großer Anricht-Basteleien begeistert mich jedes Mal aufs Neue. Und am Ende hat diese Schlichtheit doch irgendwie mit Monaco zu tun: Man muss sich das auch leisten können. Diese Küche kann es. Die Kombination Morcheln und Spinat mit süffigem Jus und dem wohltuend kühlenden Eis ist »zum Reinlegen«. Lediglich eine Nuance zu viel Süße, deren Ursprung ich nicht genau verorten kann – ich vermute eine Zutat im Schmorjus der Morcheln, oder sogar die Morcheln selbst –, irritiert mich an dem gleichwohl mehr als hervorragenden Gericht ein wenig. (8,5/10)
Passend dazu steht an diesem Mittag ein 2016er Puligny-Montrachet 1er Cru »Champ-Canet« von der Domaine Jean-Marc Boillot (€ 380) auf dem Tisch. Die digital präsentierte Weinkarte enthält fast tausend Positionen, mit Weinen zwischen € 70 und € 12 400 für einen 1982er Château Pétrus (preislich knapp über einem 1989er Romanée-Conti).
Am nächsten Abend wähle ich nach dem unvergesslichen und wiederholten Gemüse einen Gang mit Hummer (€ 140). Das ausgelöste, über Holzkohle gegarte Tier wird zusammen mit einem Potpourri diverser vegetarischer Begleiter serviert. Kern der Gemüsezubereitungen sind junge Ackerbohnen, die teils nur kurz blanchiert, teils als Püree verarbeitet sind und eine intensive Chlorophyll-Frische beisteuern, die durch Blütenblätter unterstützt werden. Eine dunklerer, grüner Jus auf der Basis weiterer Gemüse bringt den nussig-bissfesten Hummer und die etwas herberen Aromen auf anspruchsvolle Weise zusammen. Das Krustentier selbst, aus Bretagne stammend, ist von überragender Qualität, mit optimalem Biss und feiner Süße. Die Referenzqualitäten »fließen« hier von einem Teller zum nächsten. (9/10)
Mittags geht es stattdessen weiter mit gebratenem Wolfsbarsch (halbe Portion € 95), der mit einer Melange aus grünen und weißen Spargelspitzen sowie etwas Kumquat serviert wird. Eine Sauce wird auch noch großzügig angegossen. Diese entzieht sich einem klassischen Namen und setzt stattdessen auf eine vermutlich auf Fisch- oder Geflügelfond basierende Basis, die mit verschiedenen Zitrusfrüchten wie ebenfalls Kumquat sowie verschiedenen Kräutern aromatisiert und buttrig abgebunden ist. Die zwei Stücke Fisch sind aus einem dicken Filet geschnitten und weisen ein akkurates Grillmuster sowie einen verführerischen, korrespondieren Grillgeschmack auf. Bemerkenswert ist die auffallend zarte, saftige Textur des Fischs, die sogar in der Vorportionierung als Filet keinerlei Qualitätseinbußen mit sich bringt. Es ist kaum ein Unterschied zu einer etwaigen Entnahme des Filets aus einem im Ganzen gegarten und am Tisch tranchierten Fisch auszumachen, der hier auch bestellbar ist. Die sommerlichen Grillnoten sind im Zusammenspiel mit der Fruchtsüße der Kumquat und dem appetitanregend bittersüß angemachtem Spargel ein Gedicht. Der Teller schmeckt nach Sommer, Grill und guten Freunden. (9/10)
Mein Hauptgang nach dem Hummer ist Lamm. Meine Frage, um welches Stück es sich bei dem Gericht (€ 130), das in der Speisekarte mit Erbsen und Salat angekündigt ist, handeln würde, wird mit maximaler Flexibilität beantwortet und letztlich mir überlassen. Das erstaunt mich, da ich die Zubereitungsweise des Gerichts nicht kenne, spreche mich aber nach kurzer Klärung für Karree aus. Tatsächlich entscheidet sich die Küche jedoch für Lammsattel, den Rückenteil ohne Rippenknochen. Das Stück wird am Tisch tranchiert, ein Stück geröstetes Lammbries gibt es auch noch dazu.
Das Fleisch ist vor allem aus einem Grund herausragend: Es schmeckt nach Lamm. Nicht aufdringlich, aber präsent. So präsent, dass man sich in der Idee verfangen kann, sogar das saftige Gras zu schmecken, von dem sich die Lämmer ernährt haben. Es ist ein frisches, lebendiges Lammaroma. Der geschmacklich wichtige Fettdeckel ist ebenfalls noch vorhanden. Mit unregelmäßigen Röstspuren und noch sichtbaren Furchen von Küchengarn gewinnt auch dieses Gericht keinen Anrichtwettbewerb, aber nach so etwas sucht man hier nicht. Eine derart nonchalante Präparation bedingt die »Über-Qualität« des Produkts. Zusammen mit den leuchtenden Gemüsen – ein säuerlich angemachtes Römersalatherz, junge Erbsen, Zwiebel und einige bittere Komponenten, alles in sagenhaften Qualitäten – und einem authentisch schmeckenden Lammjus verkörpert dieser Teller eines der besten Gerichte mit Lamm, die ich je probiert habe. Ehrlich, souverän, fokussiert und zum Augenschließen gut. Die Scheibe, die sich manch überladene Küche von dieser scheinbaren Einfachheit abschneiden kann, ist äußerst dick. (10/10)
Mein Lamm begleitet an dem Abend ein sehr eleganter 2014er Clos Rougeard »Les Poyeaux« (€ 420). Etwas lästig sind allerdings die Weingläser, die ich am Anfang mehrfach austauschen lassen muss, um eine akzeptable Größe zu finden. Man ist hier sozusagen über bekanntere Hersteller wie Zalto oder Mark Thomas »hinweg« und arbeitet vermutlich mit sehr speziellen Glaserzeugern zusammen. Diese Extravaganz geht hier leider auf Kosten des Weinvergnügens. Kaum vorstellbar, noch großartigere Weine à la Romanée-Conti daraus zu trinken.
Das einzige Dessert, das ich bei meinen zwei Mahlzeiten hier probiere – neben verschiedenen Kleinigkeiten, die auch noch gereicht werden –, ist ein Klassiker: Baba au Rhum (€ 40). Die Wahl des Rums fällt bei mir auf einen HSE »XO« aus Martinique. Der buttrige Teig des kleinen Kuchens weist kompakte, kleine Lufteinschlüsse auf, die typisch für einen Baba mit höherem Butteranteil sind. Das Gebäck ist weich und fluffig und behält auch in mit Rum getränkter Form seine Elastizität. Die steif geschlagene Crème Chantilly mit Vanille dürfte zu diesem Dessert glatt einen Hauch süßer sein, aber das ist eine Stilfrage auf Weltklasseniveau. Von meinen zwei Referenzen – bei Ducasse in London und im Les Amis in Singapur – ist dieser Baba nicht weit entfernt. (9/10)
Einer Küche, die ihre spektakulären Zutaten auf so natürliche und handwerklich perfekte Weise präsentiert, kann nichts vorgehalten werden. Die erhabenen Zutaten spiegeln die Leichtigkeit der französischen Mittelmeerregion auf unvergleichliche Weise wider.
Dass man sich nicht für ausnahmslos alles in diesem Haus begeistern kann, angefangen vom hübschen, aber geschmacksneutralen Knabbergebäck über die etwas zu süßen Morcheln bis zu den wenig optimalen Weingläsern, sind kleine Imperfektionen, die man verschmerzen kann. Oder muss. Denn an dieser Küche führt kein Weg vorbei. Jeder, der sich für Spitzenküche begeistert, sollte mindestens einmal hier sein Qualitätsverständnis eichen. Ich habe es nachgeeicht, und es tat gut.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Louis XV - Alain Ducasse (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Dominique Lory |
Ort: | Monaco |
Datum dieser Besuche: | 16.04.2022, 17.04.2022 |
Guide Michelin (F/MC 2022): | *** |
Meine Bewertung dieser Essen: | und |
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