Candlenut – fremde Früchte, fremde Freuden

Aleurites moluccanus, auch Lichtnussbaum genannt, ist der Namensgeber für dieses Restaurant in Singapur. Die Früchte des Lichtnussbaums, genauer deren Kerne, dienen als eines von unzähligen Gewürzen der Peranakan-Küche. Küchenchef Malcom Lee ist Peranakan, oder Baba-Nyonya, das heißt ein Nachfahre einer Generation chinesischer Einwanderer, die sich im 19. Jahrhundert u. a. auch in Singapur angesiedelt und dort malaiische Frauen geheiratet haben. Recherchiert man tiefer, stößt man auf immer weitere ethnische Gruppen, Kulturen und Begriffe.

Es ist genau diese Vielfalt, die sich auch in der Speisekarte des Candlenut wiederfindet. Das Restaurant befindet sich im Trendviertel Dempsey Hill, wo man eine bunte Mischung aus Gastronomie, Kunst und Handwerk in idyllischer Umgebung in der Nähe des botanischen Gartens erkunden kann.

Ich komme einige Minuten zu früh in dem Areal an, fast zu viele, um nicht allein schon vom Nichtstun einen Schweißausbruch zu erleiden. Aber dann öffnen sich die Türen zum Restaurant, und es empfängt mich – nach dem hier überall obligatorischen, beneidenswert effizienten Check-In per Handy zwecks Kontaktverfolgung und Impfstatus-Prüfung – eine ansprechende Atmosphäre. Der Speisesaal des Restaurants ist eigentlich nichts anderes als eine große Halle mit Tischen und Stühlen, doch Dutzende, an Lampions erinnernde Deckenleuchten aus Stroh spenden warmes Licht, gedämpften Schall und eine gemütliche Atmosphäre.

Das Mittagsmenü (»Taste of Candlenut«, 78 SGD, ca. € 50) führt so viele Gerichte und Zutaten auf, dass einem schwindelig wird. Drei Appetizer, sieben »Hauptgänge« und zwei Desserts klingen nach einem stundenlangem Mahl. Doch die Karte täuscht.

Bereits die drei Speisen zu Beginn sind in Wahrheit nur ein Gang. Der besteht aus einem hausgemachten Kueh Pie Tee, einem dünnen Gebäckschälchen, welches man selbst mit einer würzigen, warmen Mischung aus gegarten Rüben, getrocknetem Tintenfisch, Schweinebauch und Shiitake-Pilzen befüllt und mit einer pikanten Karottencreme toppt. Fisch und Pilze sind klar herauszuschmecken, eine leichte Schärfe wirkt belebend, die Gewürze sind aufregend andersartig.

Die nächste Petitesse ist ein frittierter Karottenkuchen. Das kleine, an ein Toaststück erinnernde Gebäck ist mit einer »XO-Paste« aus Keluak getoppt, der Frucht des Pangibaums, dazu gibt es kleine Krabben, genauer Sakura-Garnelen und etwas auflockernde Frühlingszwiebel. In Summe ergibt sich am Gaumen ein sehr wohltuendes, aber komplexes Geschmacksbild von etwas nach »Koffer« schmeckendem Knoblauch, den markanten Shrimps und der zaghaften Süße von Karotte. Das erinnert geschmacklich an XO-Saucen aus Hongkong, ist aber etwas weniger pikant.

Ein Satay vom über Holzkohle gegrilltem Milchfisch (Bangus) ergibt mit einer blumigen, würzigen Glasur aus Essig, diversen Gewürzen und süßer Sojasauce (Kecap Manis) einen weiteren schmackhaften – und sehr feinen – Snack dieser einleitenden Trilogie, die bereits besser als sehr gut war, neuartig, exotisch, geheimnisvoll und appetitanregend. (7,5/10)

Die Sinne werden weiter aufgeheizt, mit Bakwan Kepiting, einer traditionellen Suppe der Peranakan-Küche. In einer vier Stunden lang dicht und würzig eingekochten Hühnersuppe findet man noch kleine Klöße aus Tofu und Blaukrabbe, dazu Bambussprossen und weitere Gewürze. Dazu wird eine scharfe Sambal-Gewürzpaste gereicht, mit der man nach Belieben nachwürzen kann. Bereits das ansprechende florale Aromabouqet der Paste verleitet mich dazu, mit dem »Aufpeppen« nicht zimperlich zu sein. Irgendwann bin ich ganz eingelullt in Hitze, Schärfe und Umami. Ich transpiriere, meine Lippen sind klebrig und brennen, es ist wunderbar. (7,9/10)

Die nächsten fünf Speisen werden wieder alle gleichzeitig serviert. Während alles aufgetischt wird, verwandelt sich die Luft um mich herum in eine aromatische Wunderwelt, ein Schlaraffenland für jeden Parfümeur, eine Aktivierung Tausender bisher ungenutzter Rezeptoren.

Es gibt Sotong Masak Lemak, Tintenfisch in einer Lemak-Brühe mit Süßkartoffelblättern und Soja-Tempeh. Die an ein Curry erinnernde Brühe ist so wunderbar blumig und aromatisch, dass ich mich emotional zusammenreißen muss, so aufwühlend ist das alles.

Eine Schüssel mit Thai Hom Mali-Reis dient als Bindeglied zwischen diesem und allen weiteren Speisen, von denen man immer wieder »mal hier, mal dort« probiert. Ein Filet von auf Nyonya-Art gedämpftem Barramundi – zart, »klar« und saftig –  kommt mit einer Sauce auf Rempah-Basis, eine der grundlegenden Gewürzpasten der Nyonya-Küche, dazu gesellen sich weitere Aromaten wie Ingwerblüte, Sternfrucht und Koriander. Die Sauce erinnert entfernt an Tomate, doch die Gewürze, die alle eine elegante Blumigkeit vereint, positionieren das Gericht zweifelsfrei in eine eigene Welt. Mariniertes und frittiertes Huhn schmeckt nach der Kokosnussmilch, in der es zuvor mariniert wurde, mannigfaltige weitere Gewürze inklusive; dazu gibt es ein frisches, leicht pikantes Sambal Matah mit japanischen Tomaten.

Frische findet man auch bei einer Kreation mit rohem Mais der Sorte »Chitose × Cameron Highland Corn« zu Mizuna-Salat, Rosenapfel und einem keck süßlichen Palmzucker-Sesam-Dressing. Und, als wäre das alles noch nicht genug der Güte, gibt es noch ein Gericht, das auf den Namen Telur Goreng Bandung hört und aus einem Ei besteht, das man in einer würzigen, pikanten Bandung-Sauce gekocht hat, und das damit an eine israelische Shakshuka erinnert. Garnelen und frische Gurkenscheiben komplettieren das süffige Gericht, in dem ich regelrecht versinken könnte. Das wäre aber nicht ganz so ansehnlich.

Bei einer Bewertung fällt es leicht, allein aufgrund der Fülle neuartiger, wohltuender Aromen sofort ein »hervorragend« zu attestieren, doch es ist weit mehr im Spiel. Die Präzision von Dosierungen, Mengen, Garungen und Proportionen der teils vielen Dutzenden Zutaten ist handwerklich weit entfernt von der bodenständigen Küche, der hier mit jedem Bissen eine Hommage zuteilwird. Ich vermute dennoch, dass die schlichte, weitestgehend »ursprüngliche« Anrichtweise der Gerichte ein Grund ist, warum hier nicht längst ein zweiter Stern leuchtet. Doch dieses gesamte kulinarische Quintett nicht als absolut hervorragend zu bezeichnen, wäre nichts anderes als blanker Hohn. (8/10)

Die drei kleinen Desserts, ändern daran kaum etwas. Ein Papaya-Sorbet mit Kokoscreme, Kokos-Wassereis und Kondensmilch ist von erfrischender Exotik, ein luftiges Küchlein mit Zitronengras, Pandan und Rose greift wieder die floralen Noten auf, denen man hier die ganze Zeit begegnen kann, und ein fluffiger Pancake mit karamellisierter Banane ist noch einmal ein ganz wunderbarer, erdender Abschluss. (7/10)

Die halbe Flasche 2018er Poulliy-Fuissé von der Domaine Louis Jadot (ca. € 38) hat sich auch schon dem Ende zugeneigt, und ein Espresso rüttelt mich noch einmal für eine Promenade in Richtung des botanischen Gartens wach. Das Essen ist bei einer Außentemperatur von einunddreißig Grad und einer maximalen Luftfeuchtigkeit, die sich in einer Art feuchtem Sprühnebel niederschlägt, binnen zehn Minuten ausgeschwitzt, aber das ist eigentlich eine ganz gute Strategie, um sich schon mal aufs Abendessen vorzubereiten.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Candlenut (→ Website)
Chef de Cuisine: Malcolm Lee
Ort: Singapur
Datum dieses Besuchs: 08.11.2021
Guide Michelin (SG 2021): *
Meine Bewertung dieses Essens: 7,5 (Was bedeutet das?)
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