Die Narben von Romanée-Conti
Stellen Sie sich vor, Sie gingen in ein Restaurant und bestellten eine gute Flasche Wein. Sie freuen sich auf den Abend, auf die Stimmung, auf besondere Genussmomente. Der Preis dieser imaginären Flasche spielt dabei keine Rolle. Vielleicht sind das fünfzig Euro für Sie, vielleicht neunzig, vielleicht zweihundert, vielleicht noch mehr. Stellen Sie sich nun vor, Sie schafften es nicht, diese Flasche auszutrinken, sei es allein oder zu zweit, und Sie bäten das Restaurant darum, die Flasche samt restlichem Inhalt mit nach Hause zu nehmen – für gute Restaurants eine Selbstverständlichkeit. (Wenngleich ich zugeben muss, dies nicht oft auszuprobieren.) In so gut wie jedem Restaurant wird man Ihnen die Flasche sicher verschließen und vielleicht sogar noch in eine kleine Tüte stecken.
Vielleicht möchten Sie auch nur die leere Flasche als Andenken mitnehmen, an einen denkwürdigen Abend oder einfach an den Wein an sich. Eine Sammlung mit solch besonderen, leeren Flaschen kann eine sehr persönliche und ästhetische Dekoration sein.
Stellen Sie sich nun vor, diese Flasche sei einer der seltensten, begehrtesten und teuersten Weine der Welt. Stellen Sie sich also vor, Sie bestellten im Restaurant eine Flasche der Domaine de la Romanée-Conti.
Und stellen Sie sich dann vor, Sie bekämen von der Sommelière oder dem Sommelier mitgeteilt, man könne ihrer Bitte, die Flasche mitzunehmen, leider nicht nachkommen. Noch bevor Sie Ihr Erstaunen zum Ausdruck bringen können, wird man Ihnen erklären, dass die Flasche leider zerstört werden müsse. Mit einem Hammer. Und mit einem schwarzen Permanent-Marker, damit man das Etikett nicht mehr erkennen kann. Und mit irgendeinem Kratzinstrument, um die Kapsel zu zerreißen. Ihr Erstaunen wiche dann vermutlich schnell einem Entsetzen.
Diese Absurdität ist unvorstellbar? Dann gehören Sie offenbar zu der überwältigenden Mehrheit an Menschen, die in Deutschland in den vergangenen Jahren keinen Romanée-Conti in einem Restaurant bestellt haben. Sollten Sie dies nämlich tun, werden Sie von dieser Unsitte höchstwahrscheinlich Zeuge. Bisher hatte ich stets vermutet, dieser Vandalismus wäre eine strikte Anforderung des Weinguts zum Schutz vor potenziellen Weinfälschern. Wie mir jedoch von verschiedenen Sommeliers, Privatsammlern und Gastronomen glaubwürdig zugetragen wurde, ist die Zerstörung der Flaschen in deutschen Restaurants die Folge einer harschen Verkaufsbedingung eines deutschen Weinhändlers, die konsumierten Flaschen unbrauchbar zu machen.
Dies deckt sich mit meiner persönlichen Erfahrung, dass bspw. im Ausland konsumierte Flaschen der Domaine de la Romanée-Conti von mir stets unbeschädigt und sogar äußerst gern aus den Restaurants mitgenommen werden konnten. Auch in Deutschland gibt es Ausnahmen. Ältere DRC-Jahrgänge kann man meist problemlos mitnehmen, jüngere dagegen – vermutlich genau diejenigen, die unter die entsprechenden Verkaufsbedingungen fallen – sind dann in der Regel Opfer der erwähnten Praxis.
Nun ist es nachvollziehbar, dass die Exklusivität dieser Weine speziellen Regeln wie etwa stark limitierte Zuteilungen, Wartelisten u. ähnl. folgt. Doch seitdem mir glaubwürdige Protagonisten aus Gastronomie und Weinhandel erklärt haben, dass die Domaine selbst von ihren Kunden keinerlei Gewalttätigkeit gegenüber ihren Erzeugnissen abverlangt, ist das Thema für mich zu einer äußerst geschmacklosen (Herzens-)Angelegenheit geworden. Im fabelhaften L’Ousteau de Baumanière, wo man vermutlich direkt vom Weingut bezieht, hat man mir gerade erst mit größter Freude zwei von mir ausgetrunkene Flaschen DRC zum Mitnehmen nach Hause präpariert. Sie stehen bei mir neben ihren vernarbten Schwestern aus Deutschland.
Die Anzahl an Flaschen, die ich von der Domaine de la Romanée-Conti in meinem Leben probiert habe, lassen sich an zwei Händen abzählen. Jede einzelne Flasche war für mich ein ganz besonderes Erlebnis. Ich habe die exklusiven Monopollagen in Burgund schon mehrmals besucht, stand voller Ehrfurcht vor den unprätentiösen, aber doch so noblen Reben. Die Weine von Romanée-Conti sind außergewöhnlich und grandios. Es stimmt mich daher äußerst missmutig, dass offenbar bestimmte Verkaufsbedingungen in Deutschland sogar passionierte Sommeliers dazu veranlassen können, mit einem Hammer auf die Flaschen einzudreschen, vielleicht aus Furcht, keine Folgeallokation mehr zu bekommen. Ein größeres Luxusproblem gibt es vermutlich kaum, doch es steckt etwas mehr dahinter.
Für mich hat der Genuss eines solchen Weins viel mit Respekt vor den Erzeugern zu tun. Die Wertschätzung, mit der ich einem solchen Wein gegenübertrete, ist hoch; die Flaschen haben für mich eine eigene Persönlichkeit. Dazu gefällt mir die zeitlose grafische Gestaltung der Etiketten, von den prägnanten Versalien, die die Weinlage wiedergeben, bis zur schwarzweißen Farbgebung, die lediglich von einem eleganten grünen Schriftzug, der die offizielle Appellation nennt, akzentuiert wird. All das ist Teil des Erlebnisses, des Mythos DRC. Dass man als Gast mitunter erleben muss, dass man diesen Mythos mit Hammer, Filzstift und Kellnermesser traktiert, ist genussfeindlich und unverschämt.
Zudem – man muss diese Überlegung so weiterführen – unterstellt der Verkäufer des Weins (in dem Fall das Restaurant) dem zahlenden Kunden damit letztlich auch eine unerwünschte Weiterverwertung der Flaschen oder gar betrügerische Absichten. All das hinterlässt einen unappetitlichen Nachgeschmack. Es gibt auch viel elegantere Wege, um sich – als Weingut und als Konsument – vor etwaigen Fälschungen zu schützen. Die Domaine selbst hält es allerdings bis heute nicht für nötig, ihre raren Flaschen mit einem NFC-Chip auszustatten, wie es inzwischen viele andere renommierte Weingüter tun. Es scheint bei der Domaine also einen insgesamt unaufgeregten Umgang mit dem Thema zu geben.
An letzter Stelle bleibt noch eine interessante rechtliche Überlegung. Habe ich als Käufer eines Weins im Restaurant nicht auch einen Besitzanspruch auf die Flasche? Falls ja, würde das Zerstören der Flasche zumindest zu einer erheblichen Wertminderung führen, die man von der Rechnung abziehen oder im Nachhinein rückerstatten müsste. Ich freue mich jedenfalls schon darauf, das Ganze beim nächsten Mal eskalieren zu lassen. Auf meine nächste Flasche Romanée-Conti, wann immer der Moment kommen möge, werde ich sehr gut aufpassen, so viel ist sicher.
Nachtrag (09.08.2021):
Der Importeur der Domaine de la Romanée-Conti in Deutschland, die Firma KierdorfWein, hat mich zu einer vorherigen Version dieses Artikels kontaktiert. Es sei demnach unzutreffend, dass die belieferten Restaurants zu so rabiaten Maßnahmen wie dem Einschlagen der Flasche mit einem Hammer »genötigt« würden, so eine vormals überspitzte Formulierung von mir, für die ich um Nachsicht bitte. Man würde ferner überhaupt keine Vorgaben tätigen, auf Flaschen einzuschlagen. Gleichwohl wird bestätigt, dass »leere oder teilweise ausgetrunkene Flaschen mit Wein der Domaine de la Romanée-Conti durch geeignete Maßnahmen für Fälschungen unbrauchbar gemacht werden« müssen. Der Grad der Unbrauchbarmachung liegt also im Ermessen der Sommeliers, von denen sich viele offenbar dennoch nur mit einem Hammer zu helfen wissen.