Kadeau ‒ der Geschmack Bornholms
Mein Taxi hält vor einem Gebäude, das zunächst keinen Eingang offenbart. Doch neben einer großen Holztür, die eher wie ein Nebeneingang aussieht, finde ich eine Klingel. Die Tür wird rasch geöffnet. Lächeln, viel Holz, eine große offene Küche, Lebhaftigkeit und warmes Licht empfangen mich.
Das Kadeau ist ursprünglich ein Restaurant auf der Insel Bornholm. Küchenchef Nicolai Nørregaard und sein Team präsentieren dort eine Küche mit Zutaten, die nahezu ausschließlich von der Insel stammen. Das nordische Willows Inn, sozusagen.
Da das Inselrestaurant mehrere Monate im Jahr geschlossen ist, eröffnete vor einigen Jahren in Dänemarks Hauptstadt eine Dependance, in der dieselbe Mannschaft kocht und arbeitet. Austauschbar sind die Restaurants dennoch nicht. Hier in Kopenhagen geht es etwas eleganter zu, erklärt mir der Sommelier, und auch die Küche soll noch etwas ausgefeilter sein. Die derzeitige Bewertung mit zwei Sternen ‒ einer mehr als auf der Insel ‒ bestätigt diese Ausrichtung.
Die Atmosphäre ist kosmopolitisch und zeitgemäß. Mit jedem Blick erhasche ich neue Aspekte, die mich begeistern, von der offenen Küche, den stilvollen schwarzen Fensterrahmen, dem hochwertigen Holz der Einrichtungsobjekte bis zum heiteren Publikum. So sieht zeitgemäße Spitzengastronomie aus.
Die Küche des Kadeau wird in Form eines umfangreichen Degustationsmenüs präsentiert. Es kostet 1.950 DKK, ungerechnet ca. € 260, und orientiert sich damit preislich schon am unteren Drei-Sterne-Niveau.
Ich wähle zu Beginn ein Glas Champagner (Franck Bonville Blanc de Blancs, ca. € 28) und später eine Flasche 2013 Clos Rougeard „Le Bourg“ (€ 320). Der selten zu findende Wein ist einer der besten reinsortigen Carbenet Francs und ist interessanterweise in den exzellenten Weinkarten skandinavischer Restaurants öfter zu finden. Ich greife dann meist zu. Bei dieser Flasche dauert es etwas, bis der Wein seine Größe zeigt.
Das Menü beginnt mit konservierten Pilzen, unter anderem Totentrompete und Steinpilz. Sie wurden „in Thymianbutter geräuchert“ und sind hier auf einem geschälten Zweig aufgespießt. Unter den Pilzen verströmt eine Brühe aus Pilz und Kombu betörenden, herzhaften Duft. Die eingelegten Pilze sind besser als viele frische Exemplare, haben Biss und schmecken in diesem Gericht nach waldigen Röstnoten, etwas Fett und Feuer. Ein hervorragender Start. (8/10)
Ein Assortiment weiterer Snacks wird aufgetischt. Eine Tartelette mit Königskrabbe, roten Beeren und Blüten schmeckt herzhaft und aus irgendeinem Grund wie Cheeseburger, im guten Sinn (7,5/10). Kohlrabi ‒ gedämpft, mit einer Paste von fermentierten Erbsen und Spinat lackiert sowie mit Holunderblüten dekoriert ‒ schmeckt wunderbar floral, wie ein Parfum (7,9/10); und ein knuspriger Roggencracker mit Lardo, Hagebutte und Krabben bietet erneut wunderbare Produkte und ein überraschendes, erneut sehr florales, Geschmacksbild (7,5/10).
Kreation Nummer fünf präsentiert Islandmuschel. Das Exemplar auf diesem Teller wird auf ein Alter von 180-200 Jahre geschätzt. Ihren Lebensabend verbringt sie hier zusammen mit einer Sauce mit weißer Johannisbeere und Rhabarberwurzel. Ein exquisites Produkt in einem jedoch recht säuerlichen Umfeld. (7/10)
Parallel dazu ‒ die Gerichte werden hier ganz unkonventionell auch einfach mal gleichzeitig aufgetischt ‒ gibt es ein Sashimi vom Steinbutt. Der von der Textur her etwas „raue“ Fisch wurde mit einer Sauce mit Apfel und Tagetes bepinselt, was für den geschmacklich eher zurückhaltenden Fisch etwas zu viel ist. (6,9/10)
Ein gebratenes Kohlblatt ist im nächsten Gang um eine Melange aus Sauerkraut und Auster gewickelt. Eine Austerncreme dazu rückt das spannungsvolle Geschmacksbild in Richtung Meer. Das Gericht wird ungefähr bei Raumtemperatur serviert; ich glaube aber, dass ein heißes Kohlblatt noch etwas Spannung hätte hinzufügen können. Vielleicht ist das aber auch nur mein sich in den Vordergrund drängender Wunsch nach Kohlenhydraten, Fett und Hitze, mit deren Verzicht die nordische Küche immer zu reizen versucht. Unabhängig davon ist dies eine exzellente kleine Speise. (8/10)
Als nächstes wird ein Stück Lachs am Tisch präsentiert, das für drei Tage kalt und drei weitere Tage heiß geräuchert wurde. Das Filet wird abgezupft und in einem Schälchen, das bereits eine kalte Brühe von fermentierten Tomaten sowie Holunderblüten enthält, als eine Art Tartar angerichtet. Abgeschlossen wird der Gang mit winzigen Scheiben von Bornholmer Feige. Abgesehen von der hervorragenden Fischqualität ‒ gehaltvoll, räucherig-salzig, cremig zart ‒ fasziniert hier besonders die Pracht der anderen Aromen, die man alle einzeln herausschmecken kann. Sogar die winzigen Feigenstückchen sind geschmacklich intensiv und unentbehrlich für den Gesamteindruck. (8/10)
Es geht weiter mit einer Art pizzaförmig zubereitetem Weizenfladen, dessen Konsistenz entfernt an Pancakes erinnert. Geschmacklich aber nicht, denn hierzu gibt es Rinderfett, geriebenen Havgus-Käse und verschiedene Blüten. Man isst das Gericht am besten ganz ungeniert mit den Fingern. Es schmeckt pfefferig, blumig, herzhaft ‒ sehr gut! Ist dabei aber auch etwas mächtig. (7/10)
Roher Hering, kreuzweise eingeschnitten und auf einem Roggencracker serviert, ist erstaunlich zart und geschmacklich intensiv und sehr wohlschmeckend. Der Roggencracker ist vielleicht etwas schroff dazu. Mit einem hauseigenen Holunderblütenschnaps, der Teil des Gerichts ist (und nicht Teil einer Getränkebegleitung), neutralisiert man den fischigen Geschmack dann wieder etwas, der noch über einige Gänge am Gaumen persistiert. Starkes Zeug! (7/10)
Das umfangreiche Menü geht weiter mit Jakobsmuschel, in Stücken und in der eigenen Schale serviert. Dazu gibt es Rettichcreme, getrocknete Tomaten, Hanföl, Lavendel und getrockneten Corail. Die komplexe Kreation wird sehr kühl serviert, was die Frische der Jakobsmuschel gelungen betont. Die restlichen Komponenten ergeben eine elegante Geschmackswelt zwischen säuerlich, blumig und umami. Hervorragend. (8/10)
Frische Walnuss, karamellisierter Kohl und Kaviar macht die folgende Kreation zu einem weiteren sehr harmonischen Wohlfühlhappen. (8/10)
Wunderbar ist dann auch dieses Gericht: Kürbis, geschmort und gebraten, in einer schaumigen Sauce von weißem Spargel, komplettiert mit Waldameisen und Rosenblättern. Die Insekten sind in der modernen nordischen Küche inzwischen ja so etwas wie eine Grundzutat und schrecken mich längst nicht mehr ab. Im Gegenteil, diese hier sind ganz vorzüglich und schmecken nach einer Mischung aus Zitronengras und einer Zitrusfrucht. Das ist alles andere als eine ekelhafte Angelegenheit und passt gut zum Kürbis. Die Rosenblätter bringen erneut eine betörende florale Ebene ins Spiel, die mich heute Abend schon öfter begeistert hat. (8/10)
Es geht weiter mit Ente, bei der man vor möglichen Schrotkugeln im Fleisch warnt. In dem aromatischen, perfekt gebratenen Fleisch mit knuspriger Haut sind zum Glück keine vorhanden. Sehr gut gebratene und geschmacklich intensive Kräuterseitlinge begleiten das Fleisch und ergeben zusammen mit einer angenehm salzigen Sauce ein erdiges, umami schmeckendes Gericht mit exzellenten Zutaten. (7,9/10)
Der zweite Fleischgang beinhaltet ein Stück Rind, das bereits optisch durch eine attraktive Maserung begeistert. Im Gegensatz zu Fleisch der Wagyu-Rasse ist dieses hier aber zumindest etwas kaubedürftig, dabei aber dennoch fettig und saftig, und hat einen intensiven, authentischen Geschmack. All das weist in der Regel auf ein höheres Alter des Tiers hin und erinnert mich sehr an das baskische Txogitxu. Ein reduzierter, salzbetonter Jus, eine kleine Lauchstange sowie Condiments, bei denen Knochenmark und ein Blauschimmelkäse eine Rolle spielen, ergänzen das Stück Fleisch äußerst gelungen. (8/10)
Das erste Dessert besteht aus Himbeeren mit Crème fraîche, dazu Himbeermarmelade und eine Stachelbeersauce mit Walnussschnaps. Pflichtgemäß säuerlich, aber gut abgefedert von der Crème fraîche. (7/10)
Es folgt eine Kreation mit roter Bete, Quitte, Maulbeere und Strandroggen in unterschiedlichen Verwendungen. Das fruchtige Potpourri ist schon exzellent genug, aber als ich unten auf dem Teller noch etwas finde, das wie Lavendel schmeckt ‒ und vermutlich auch Lavendel ist ‒ macht es diese Speise zur besten des Abends. Das war eine überraschend brillante Komposition von Zutaten und Aromen. (9/10)
Als hätte man noch nicht genug, beenden einige Petit-fours das umfangreiche Mahl. Es gibt eine Zitronentarte, eine Zubereitung mit Kardamom sowie ein fettiges, briocheähnliches Brot mit Pinienbutter. (7/10)
Das Kadeau spielt eindeutig weit oben in der Liga der skandinavischen Spitzenrestaurants mit. Zusammen mit dem souveränen Service, der geschmackvollen Innenarchitektur und der skandinavischen Lässigkeit macht das gleich Lust, das Schwesterrestaurant auf Bornholm zu entdecken. Also, bis bald vielleicht mal auf der Insel.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Kadeau (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Nicolai Nørregaard |
Ort: | Kopenhagen, Dänemark |
Datum dieses Besuchs: | 28.12.2018 |
Guide Michelin (Nordic Countries 2018): | ** |
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