108 – eines gegen alles
Von dem lagerhallenähnlichen Ambiente des Restaurants kann man auf die einstige Funktion des Gebäudes als Warenspeicher schließen. Sehr hohe Decken, viel Beton und massive Stützen wirken dabei etwas verunsichernd, ein paar rostige Ketten hängen auch noch von der Decke. Ein solches Industrie-Ambiente benötigt eigentlich nicht viel, um als geeignete Kulisse für ein modernes Restaurant herzuhalten. Doch am Abend sorgt gedämpftes, aber sehr kühles Licht für Unbehagen.
Gutes Essen und guter Wein könnten die Atmosphäre natürlich in einem schöneren Licht dastehen lassen. Der Konjunktiv ist hier wichtig, denn es dauert nicht lange, bis ich verstehe, dass diese wünschenswerten Aspekte eines Restaurantbesuchs im 108 nicht auf der Karte stehen.
Die neurotisch auf „Naturwein“ fixierte Weinauswahl bereitet schon mal keine große Freude. Ein Probeschluck eines Weißweins aus dem Ardèche erweist sich als säuerlich, ein weiterer Wein ist nur minimal besser, ich lasse ihn aber im Glas und entscheide mich ohnehin für eine glasweise Auswahl. Ich ahne irgendwie, dass das kein Abend für ein gutes Fläschchen ist. Auch der zweite Wein, serviert in dickwandigen Industriegläsern, ist zudem deutlich zu kalt, knapp über dem Gefrierpunkt. Der Grund für diese Kälte ist in einer großen, mit Eis gefüllten Kühltruhe zu finden, in dem die Weine hier gelagert werden ‒ zumindest die offenen. Rotweine übrigens auch. Ein mir später zum Probieren servierter Beaujolais schmeckt mir zwar prinzipiell nicht, doch ein danach servierter Pinot Noir ist bei zwei Grad über Null auch keine Freude. Vier Weine probiert, alle kein Genuss, ich bestelle ein Bier.
Der Sachverhalt mag einfach klingen. Ich bin für diese ganzen „Naturweine“, die ich absichtlich in Anführungszeichen setze, nicht offen genug. Schön und gut. Doch was mir dabei gegen den Strich geht, ist diese aufrührerische Art, sich absichtlich gegen alles Etablierte und Konforme zu positionieren ‒ auf Kosten des Genusses. Und auch auf Kosten des Restaurants natürlich, denn mit null Euro wird der Weinposten auf meiner Rechnung nicht allzu hoch ausfallen.
Inzwischen bin ich bereits am Essen. Dies ‒ ein Degustationsmenü mit acht Gängen zu 1.550 DKK (ca. € 207!) ‒ begann mit gutem Sauerteigbrot. Eine merkwürdig schaumige Butter macht dazu wenig Freude, also kaue ich erst einmal nur auf dem Brot herum, während ich auf den ersten Gang warte.
Dieser ist eine kalte Creme vom Stör, serviert mit Kaviar von ebendiesem und Öl von, ich glaube, Hagebuttensamen. Der Kaviar ist eine gute Idee, der Rest ist säuerlich, bitter und befreit von gutem Geschmack. Das ist nichts, das man gerne aufisst. (6/10)
Kreation Nummer zwei ist ein zu einer Rose geformter „Salat“ von roter Bete, ergänzt um gesalzene Erdbeere, Stachelbeere und Tomate. Man muss schon wirklich sehr wütend auf seine Gäste sein, wenn man Erdbeeren salzt, denke ich, aber es stellt sich am Ende doch ein ziemlich gutes Geschmacksbild ein. Ich schmecke zwar keine rote Bete, dafür aber ein angenehm florales Aromabouquet. Das ist objektiv sehr gut, doch Lust, dass es so weitergeht, habe ich keine. (7/10)
Der nächste Teller besteht zunächst aus einem kuriosen Konstrukt in Form eines wie auch immer aus Stör hergestellten, weichen Deckels. Klappt man ihn zur Seite, offenbart er darunter ein „Porridge“ aus weichgekochtem Sellerie und Mandeln. Abgesehen von der nutzlosen Präsentation, schmeckt das wie ein Gericht zum behutsamen Wiederaufbau der Darmflora nach einer gastrointestinalen Infektion. (5/10)
Ich frage mich, mit welcher Motivation ein gelernter Koch sich so etwas ausdenken und seinen Gästen kredenzen sollte. Wie kann man sich das bloß vorstellen? Beißt der am Pass noch mal kurz vom wabbeligen Störlappen ab, so wie manch anderer die Sauce probiert, und nickt dann zufrieden?
Ich entscheide mich, noch einen Gang abzuwarten, bevor ich für den Abend andere Optionen in dieser gastronomisch kurzweiligen Stadt erwägen werde. Gerade spiele ich mit dem Gedanken eines Walk-ins im Noma. Auf die Antwort, ob dieses kühne Vorhaben wohl funktionieren würde, bin ich gerade deutlich gespannter als auf den nächsten Gang.
Die Beschreibung im Menü klingt vielversprechend. Buchenrasling in einer „Brühe von geröstetem ganzem Huhn“ verspricht süffigen Wohlgeschmack. Doch statt Umami und duftender Aromen kommt eine lauwarme, fade Hühnerbrühe mit säuerlichen Pilzen auf den Tisch. (6/10)
Ich habe jetzt wirklich Hunger, bin genervt von der ganzen genussfeindlichen Veranstaltung und wende mich an den Service ‒ freundlich, versteht sich. Ich erkläre, dass das Essen offenbar nichts für mich ist, dass ich selbstverständlich dennoch für das gesamte Menü aufkomme, aber jetzt eben gerne die Rechnung hätte. Man nimmt das so hin und reduziert den Menüpreis kulanterweise dennoch. An Nettigkeit mangelt es hier ohnehin nicht, die Probleme sind woanders gelagert.
Als ich wenig später im Nieselregen vor den Pforten des Noma stehe, muss ich leider feststellen, dass es zu dieser Jahreszeit ‒ zwischen Weihnachten und Silvester ‒ leider geschlossen hat.
Mein Abend endet schließlich im Bæst, einer wunderbaren, modernen Pizzeria, in der ich gestern Mittag bereits war. Ich wähle heute eine Pizza mit Anchovis und Stracciatella di bufala. Sie ist heiß, süffig, wunderbar. Ein Glas Barolo dazu, perfekt temperiert, rundet den ereignisreichen Abend ab.
Informationen zu diesem Besuch | |
---|---|
Restaurant: | 108 (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Kristian Baumann |
Ort: | Kopenhagen, Dänemark |
Datum dieses Besuchs: | 29.12.2018 |
Guide Michelin (Nordic Countries 2018): | * |
Meine Bewertung dieses Essens | |
Diskussion bei Facebook: | hier klicken |