Relæ – Klischæ
Wenn das Klischee eines Restaurants mit nordischer Küche mindestens das Fehlen von Tischdecken, das Vorhandensein eines Tresens, tätowierte Köche in modischen Schürzen und eine „Naturwein“-Karte impliziert, hakt das Relæ diese mühelos ab.
Das Souterrain-Restaurant in Kopenhagens trendigem Stadtteil Nørrebro ist seit über acht Jahren ein fester Bestandteil der nordischen Gastronomieszene. Seit 2012 ist das Restaurants mit einem Stern ausgezeichnet. Mitbegründer ist Christian Puglisi, einer der ehemaligen Noma-Souschefs, der inzwischen als umtriebiger Gastronom in Dänemarks Hauptstadt auftritt. Er betreibt beispielsweise auch das zwanglose Restaurant Bæst, in dem es um handwerklich authentische italienische Küche, vor allem Pizza, geht.
Die sechs Plätze am Tresen des Relæ sind recht eng. Da man dort sehr nah vor dem Gardemanger sitzt (was ich hygienisch etwas bedenklich finde), unterscheidet sich das Erlebnis zu Tresenplätzen anderer kreativer Restaurants durch einen eher begrenzt spannenden Einblick in die kleine Küche. Die regulären Tische im restlichen Teil des Restaurants sind daher durchaus keine schlechtere Wahl.
Ob es zum Aperitif ein Glas Champagner sein darf, bejahe ich, bereue das aber schnell. Es handelt sich um den Champagner „Les Dionysiaques“ vom mir bisher nicht bekannten Weingut Eliane Delalot (145 DKK, ca. € 20). Der Champagner schmeckt ähnlich flach wie Massenware à la Veuve Cliquot und kommt in dickwandigen Bistro-Gläsern auf den Tisch. Ich nehme nur ein paar Schluck und wähle mithilfe des Sommeliers dann gleich eine Flasche roten Burgunders aus. Seine Hilfe ist erforderlich, weil nur der Sommelier mich durch die Weinkarte mit lauter mir unbekannten Erzeugern manövrieren kann. Diese dogmatischen Weinkarten mit fast ausschließlich biodynamischen „Naturweinen“ sind mir ein Dorn im Auge. Aber ich werde fündig. Ein 2014er Volnay 1er Cru „Les Roncerets“ von der Domaine de Chassorney (€ 211) ist exzellent und wäre noch besser, servierte man auch ihn in einem vernünftigen Glas. Seltsam, eigentlich, Zalto-Gläser sind in dieser Art von Restaurant schon fast Standard.
Das Menü, dessen Gängeanzahl in der Karte nicht aufgeführt ist, kostet umgerechnet € 63.
Es beginnt mit einem Kürbiskerncracker mit Grünkohl, dazu gibt es einen Schluck mit Molke oder ähnlicher Milchzubereitung. Das Geschmacksbild der Einstimmung ist säuerlich-rauchig, typisch nordisch. (6,5/10)
Weiter geht es mit einem Snack mit rohem Glattbut und Rübe. Die sehr gute Fischqualität macht sich selbst in dem kleinen Happen bemerkbar, eine mit Kräutern aromatisierte Fischbrühe bringt Finesse. Sehr gut und erfrischend. (7/10)
Der ansehnliche nächste Teller beinhaltet gedämpfte Karotten in einer Karottenbrühe mit Mädesüß. Der süßlich-herbe Geschmack des Krauts führt in Verbindung mit dem Karottenaroma zu einem sehr „medizinischen“, jodigen Geschmack. Die Aromen erinnern mich an Gerüche aus Chemiebaukästen und längst abgelaufene Wunddesinfektionsmittel aus alten Zeiten. Die Karotten sind bissfest gegart und aromatisch, aber das Geschmacksbild ist doch eher befremdlich als wohlschmeckend. (6,5/10)
Eine Auster mit einer heißen, leicht fettigen und wohlschmeckenden Ummantelung mit Hanfsamen gefällt mir besser. (6,9/10)
Weiter geht es mit Tintenfisch in Streifen. Man genießt das sehr gut gegarte Produkt mit knackig frischem Chicorée mit pikanter Currypaste. Die mediterran-fernöstliche Geschmackswelt überrascht hier, ist aber sehr gut. (7/10)
Die nächste Kreation ist ein Stück in Kürbiskernöl geschmorter „Crown Prince“-Kürbis. Präsentiert wird er in einer dunklen Creme aus Kürbissamen und Sanddornessig. Leider ist der farbenfrohe Protagonist geschmacklich äußerst langweilig und dazu noch wässrig. Die sehr salzige Creme bietet nahezu den einzigen Geschmacksreiz, was mich jedoch nicht dazu animiert, das Gericht aufzuessen. (6/10)
Es folgen Enoki-Pilze in einer Brühe von geröstetem Knoblauch. Das scheinbar simple Gericht besticht durch eine köstliche Umami-Geschmackstiefe. (7/10)
Der Hauptgang thematisiert Ente von der „Farm of Ideas“, einer von Restaurantbetreiber Puglisi betriebenen, biologisch bewirtschafteten Farm, von der viele der hier verwendeten Zutaten stammen. Das in dünne Streifen geschnittene Brustfilet ist perfekt gegart ‒ rosa, aber ohne blutigen Kern ‒, genau richtig gesalzen und hat eine schmackhafte Haut. Eine Sauce auf Apfelbasis ergänzt das Fleisch mit einer leichten Fruchtsäure sehr passend. À part steht noch eine mit weiterem Entenfleisch gefüllte Teigtasche auf dem Tisch, bei der man eher den etwas zu dicken Teig schmeckt als die Ente. In Summe aber ein überzeugender, wohlschmeckender Gang mit sehr gutem Produkt. (7/10)
Als eine Art Käsegang präsentiert sich als Sauermilch (Viili) mit Preiselbeercreme, ein typisch nordischer Menü-Ausklang: sauer, aber nicht lustig. (6/10)
Ein folgendes Bergamotte-Sorbet ist gut gemacht, doch das florale Aroma der Zitrusfrucht hat man mit salziger Mandelmilch übertüncht, ein komischer Einfall. Hierzu würde der trübste, säuerlichste „Naturwein“ vermutlich exzellent passen. (6/10)
Ein außen klebriger Kuchen mit Kastanie bringt nun erfreulicherweise etwas Süße, wobei darüber gehobelter Sellerie die vermeintliche Klassik in ihre Schranken weist. Dennoch recht gut. (6,9/10)
Es endet damit ein durchwachsenes Menü mit einigen durchaus sehr guten Gängen, aber keinem Gericht, das mir wegen besonders spannender Zutaten oder eines hervorragenden Geschmacks in Erinnerung bleiben wird. Das war für mich ‒ als hedonistisch fokussierter Esser ‒ schon immer eine der Tücken der nordischen Küche: intelligent, regional, kreativ, aber eben nicht immer befriedigend. Ein bisschen Appetit habe ich auch noch. Dennoch hat die moderne nordische Küche eine spannende kulinarische Identität, deren weitere Erkundung mir auch hier Freude bereitet hat.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Relæ (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Jonathan Tam |
Ort: | Kopenhagen, Dänemark |
Datum dieses Besuchs: | 27.12.2018 |
Guide Michelin (Nordic Countries 2018): | * |
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