Tourniert: Barcelona, Hongkong, Sydney, Glücksburg

Das aktuelle Jahr ist schon wieder zu einem Drittel passé, doch über einige ‒ oftmals sehr spannende ‒ Restaurantbesuche aus dem vergangenen Jahr habe ich noch immer nicht berichtet. Das liegt dann meist daran, dass ich die Restaurants in der Vergangenheit schon besucht habe und die neuen Besuche dann meist nur bestätigen, worüber ich schon berichtete. Dennoch möchte ich das Versäumte hiermit nachholen.

In dieser Ausgabe von „Tourniert“, meinem Format für etwas kürzere Rezensionen, beginne ich mit dem am längsten zurückliegenden Restaurantbesuch der hier ausgewählten. Die kulinarische Reise beginnt daher vergangenen Sommer im pulsierenden Barcelona, führt weiter nach Hongkong, dann nach Sydney und schließlich in den deutschen Norden nach Glücksburg. Überflüssig zu erwähnen, dass das keine zusammenhängende Reise war.

Inhalt:

→ Tickets, Barcelona
→ Lung King Heen, Hongkong
→ Rockpool Bar & Grill, Sydney
→ Meierei Dirk Luther, Glücksburg


Tickets, Barcelona

Ein Barcelona-Besuch ohne eine Reservierung im Tickets kommt mir wohl nicht mehr in Tüte. Es ist zwar erst meine zweite Reservierung dort, aber die Strahlkraft von Albert Adriàs hyperkreativer, souverän entspannter Tapasbar bleibt ungebrochen.

Reservierungen sind auch nach Jahren noch schwierig zu tätigen und müssen sechs Wochen im Voraus auf die Sekunde genau online gebucht werden. Ein Ticket-System (mit Vorauszahlung) nutzt man ironischerweise nicht.

Ein Knaller ist gleich der Klassiker vorweg: „Olive-S“, also sphärisierte Olive, eingelegt in Olivenöl, Zimt, Anis und weißem Pfeffer (€ 2,30/St.). Wenn man dieser Technik irgendwo in Perfektion begegnen möchte, dann hier. Die Schein-Olive platzt am Gaumen auf und gibt eine wohlschmeckende, cremige Flüssigkeit mit intensivem Olivengeschmack frei ‒ und das, ohne dabei eine klebrige Membran zu hinterlassen. Zum Augenschließen gut. (7,5/10)

Tintenfisch mit appetitlich säuerlicher Umeboshi-Vinaigrette und gepufftem Getreide ist einer von diversen weiteren sehr guten Häppchen (7/10), und ein kleines, betörend knuspriges Stück Ferkel mit Hoisin-Mayonnaise, Gewürzgurke und Kapuzinerkresse ist dann eigentlich nur noch mit „Mmh“- und „Ooh“-Lauten zu quittieren (8/10).

Dazwischen ‒ und danach ‒ bestelle ich von der Karte so viel wie möglich, u. a. ein Bottarga-Sandwich mit Eigelb und Foie-Gras (7/10), ein „Mini Airbag“, gefüllt mit Manchego-Schaum und Kaviar (7/10) und vieles mehr. Die Häppchen im Bereich von ca. € 5 bis € 20 sind alle sehr gut bis hervorragend, verwenden beispielhafte Zutaten und begeistern immer durch kulinarisch sinnhafte Kreativität.

Was später folgt, ist wie aus einem Traum. „Sweet dreams“ titelt eine Karte, die plötzlich auf dem Tisch liegt. Es ist das Ticket für einen separaten Dessertbereich. Das ist clever, so macht man gleich den nächsten Gästen Platz. Dafür wird man auch belohnt, und zwar mit einigen der besten Süßspeisen, die ich je in einer solchen Abfolge probiert habe.

Es gibt eine Sphäre mit Litschi, Himbeere und Rosenwasser, ein fast transzendentales Genusserlebnis, dass mich gedanklich in verlassene mediterrane Villen mit nach getrockneten Rosen duftenden, kalten Marmorfluren katapultiert (9/10). Woher solche Bilder kommen, kann ich nicht erklären, aber es ist eindrucksvoll. Ein Cheesecake mit einer „Rinde“ aus Haselnuss und weißer Schokolade sowie einer verführerisch süßen, leichten Füllung mit geschmacklichen Andeutungen an gewöhnlichen Käsekuchen ist ebenfalls kaum zu überbieten (9/10).

Genauso großartig sind ein Basilikumsorbet mit Grapefruit, Chili und einer phänomenalen, nicht zu süßen, Kokoscreme (9/10) sowie eine Waffel mit Spekulatiuseis, Karamell und Mandeln (9/10). Desserts können viel komplexer sein, aber niemals besser schmecken.

Völlig überwältigt bin ich dann recht unerwartet bei einer Schokoladenblume mit Kokos, Passionsfruchtgel und Minze. Die kleine Süßspeise ist so perfekt ‒ mit leichtem, „splitternden“ Biss, Säure, karibischen Aromen und einer für diesen Kontext nicht zu bitteren Schokolade ‒, dass ich gleich noch ein zweites davon bestelle. Fast schon ungläubig notiere ich mein Höchstnote 10/10 und küre diese gesamte Abfolge an kleinen Desserts gleich zu einigen der besten Speisen des Jahres 2018.

Das Erlebnis im Tickets ist modern, kreativ, unbeschwert, heiter, zugänglich, preisgünstig, freundlich, wohlschmeckend, intelligent, denkwürdig und zeitlos. Ein Michelin-Stern spiegelt die Leistungen vieler Speisen zwar treffend wider, aber in seiner Gesamtheit ist das Restaurant eigentlich jede beliebig weite Reise wert.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Tickets (→ Website)
Chefs de Cuisine: Albert Adrià, Fran Agudo
Ort: Barcelona, Spanien
Datum dieses Besuchs: 13.07.2018
Guide Michelin (Spanien & Portugal 2018): *
Meine Bewertung dieses Essens 7,9 (Was bedeutet das?)
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Lung King Heen, Hongkong

Das berühmte kantonesische Restaurant lasse ich nie aus, wenn ich in Hongkong Gast im Hotel Four Seasons bin. Es ist das einzige chinesische Drei-Sterne-Restaurant, bei dem ich diese Wertung bisher nachvollziehen konnte ‒ wenn auch erst nach einigen Anläufen und nicht so stringent wie man es von westlichen Restaurants kennt.

Das liegt vor allem auch an der immensen Vielfalt der angebotenen Speisen, was jedes Mal eine Herausforderung darstellt. Die Lösung ist dann eigentlich immer Kommunikation. Im Dialog mit der Restaurantleiterin stelle ich ein paar Speisen zusammen, die Appetit machen. Ein 2012er Cheval des Andes (ca. € 198) begleitet das Menü.

Dies beginnt mit noch einigermaßen unauffälligen Appetizern, z. B. mit einer Fleisch-Trilogie bestehend aus süffig-herzhaftem, geschmortem Schweinebauch mit Pilzsauce (7/10); knusprigem Ferkel mit Perillablatt (6,9/10) sowie Gans mit Pflaumensauce (6,9/10). Klassisch kantonesisch, gut bis sehr gut, aber keine Offenbarung.

Die ist dann aber wenig später ein im Bambuskorb gedämpfter Zackenbarsch (star garoupa) mit Ingwer und Frühlingszwiebeln. Das schneeweiße Fleisch des edlen Fischs hat eine feste Textur, einen wunderbaren, leicht süßlichen Geschmack und geht mit der überbordenden Frische der aromatischen Gemüse eine geschmackliche Harmonie ein, die glücklich macht. Ein leichtes, phänomenales Gericht und zu Recht ein Klassiker des Hauses. (9/10)

Auf sehr ähnlichem Niveau sind die beiden folgenden Gerichte. Im Wok gebratene Garnelen mit schwarzem Knoblauch, getrockneter Chilischote und weiteren Gemüsen ergeben wie durch ein Wunder ein perfekt ausbalanciertes, sehr delikates Gericht auf einem Niveau, das sich aufgrund der scheinbar trivialen Komposition nicht erahnen lässt. Kräftiger Koriander, geschmacks- und schärfeintensive Chili sowie eine hervorragende Sojasauce finden hier meisterhaft zueinander (8,9/10). Danach folgt ein ähnliches Konzept, hier umgesetzt mit buttrig zartem australischem Wagyu, Morcheln und weiteren Gemüsen, die geschmacklich und handwerklich perfekt zubereitet sind (8,9/10). Die Gericht sehen so aus wie von einem „Chinesen um die Ecke“, könnten aber nicht weiter davon entfernt sein.

Und wenn es eine Art von Speise gibt, die niemand hier verpassen darf, sind es die von Küchenchef Yan Tak grandios gegarten grünen Gemüse mit Knoblauch. Schon im Januar hatte ich hier ein sehr bewegendes Genusserlebnis mit Erbsensprossen; heute sind es in Perfektion gegarte Grünkohlstängel, die mit sehr viel Knoblauch zubereitet werden. Der Knoblauch ist von einer Sorte, der diese schweißige Penetranz fehlt und stattdessen nach dem Öffnen eines alten Koffers auf einem staubigen, sonnendurchfluteten Dachboden an einem heißen Sommertag duftet. Woher ich diese Bilder immer bekomme, weiß ich nicht, aber in solchen Momenten bin ich glücklich, wegen einer Gemüseschüssel, die nach altem Koffer riecht, ins Flugzeug gestiegen zu sein. (10/10)

Weitere Speisen sowie zwei exzellente Petit-Fours, u. a. mit einem Gelee aus und mit Gojibeeren (8/10), besiegeln mein bisher bestes Essen im Lung King Heen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Lung King Heen (→ Website)
Chef de Cuisine: Chan Yan Tak
Ort: Hongkong, China
Datum dieses Besuchs: 29.09.2018
Guide Michelin (Hongkong & Macau 2018): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,9 (Was bedeutet das?)
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Rockpool Bar & Grill, Sydney

Das kurz Rockpool genannte Restaurant ist eine Institution in Sydney. Das nach amerikanischem Vorbild errichtete Art-Deco-Hochhaus bietet eine imposante, regelrecht kafkaeske Kulisse. Inmitten der Kühle des Marmors und des zig Meter hohen Saals fühlt man sich ziemlich klein.

Die Rockpool-Gruppe betreibt diverse Restaurants in Australien; das hiesige steht für klassisches „Grill“-Essen, à la The Grill in New York.

Die dekadente Eleganz New Yorks sucht man hier zwar vergebens, dafür beginnt mein Lunch zunächst sehr gut mit einer Reihe roher, sehr frischer Fischkompositionen, u. a. mit Plattkopf und Thunfisch (ca. € 24). Verschiedene Toppings bieten dazu pikante Kontraste. Das ist qualitativ und geschmacklich auf hohem Niveau. (7/10)

Das rutscht dann aber gleich mehrere Etagen tiefer. Ein Gericht mit über Holzkohle gegartem Oktopus (€ 20) präsentiert Letzteren in gummiartig zäher Textur und mit verkohltem Geschmack, dazu ist das Gericht auch noch viel zu scharf, und ich bin da nicht zimperlich. (6/10)

Ebenfalls über Holzkohle gegarte Chorizo mit Kartoffeln und weißen Bohnen (€ 16) erinnert an ein Cassoulet, doch die Ingredienzen dieses Tellers sind alle zerkocht und die Sauce deutlich zu ölig. Schade, denn sowohl das an sich stimmige Geschmacksbild und die qualitativ gute Wurst hätten zweifellos feiner umgesetzt werden können. (6/10)

Mehr probiere ich an diesem Mittag nicht. Die Weinkarte bietet Spannendes, auch glasweise, und die Speisekarte ist so vielfältig, dass ich mir sicher bin, hier auch Positiveres erleben zu können ‒ besonders im Bereich Fleisch. Ob ich das jemals herausfinden werde, ist fraglich.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Rockpool Bar & Grill (→ Website)
Chef de Cuisine: Corey Costelloe
Ort: Sydney, Australien
Datum dieses Besuchs: 04.10.2018
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)
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Meierei Dirk Luther, Glücksburg

Das an der Flensburger Förde gelegene Wellnesshotel ist ideal für einen winterlichen Abstecher mit Spaziergängen an der schroffen Küste. Davor rüstet man sich mit heißen Waffeln im Eingangsbereich des Hotels, danach mit einem Abendessen in der „Meierei“. Mein letzter Besuch hier liegt über sieben Jahre zurück.

Gestalterisch hat sich im Restaurant einiges getan. Die weißen Tischdecken wurden entfernt und die gutbürgerliche Karo- und Streifen-Landhausoptik durch eine Inneneinrichtung in Erdtönen ersetzt. Das ist zeitgemäßer, aber beliebiger. Der Service ist kompetent, aber förmlich, und unser Vierertisch zweifellos der heiterste.

Küchenchef Dirk Luther kocht in diesem Rahmen eine modernisierte französische Küche. Die Amuse-bouches beginnen mit einer geschmacklich zielsicheren Kombination aus Kalbskopfragout mit Kartoffelschaum und Baconknusper, die man aus einem Ei löffelt. Süffig und wohlschmeckend. (8/10)

Weitere Amuses sind unter anderem ein solides, aber nicht besonders aufregendes Röllchen mit Ziegenfrischkäse (6,9/10) sowie ein viel besseres, sehr gut gewürztes Beeftartar mit roter Bete (7,5/10).

Das eigentliche Menü startet mit rohem Kaisergranat (hier mit der eigenen Wortschöpfung „Langustine“ beschrieben), der mit Imperial-Kaviar getoppt ist. Das verleiht dem leicht süßlichen Krustentier eine verführerische Salzigkeit. Drumherum findet man allerlei Cremes, u. a. mit Queller und Yuzu, ich bezweifle allerdings deren Authentizität. In Summe ist mir da schon etwas zu viel cremiges Getupfe auf dem Teller, dennoch ist das mehr als gut. (7,5/10)

Das Niveau zieht erfreulich an, zunächst mit einer Jakobsmuschel von ausgezeichneter Qualität, die mit Nussbutterschaum, einem Spinatsud und einer großzügigen Portion frisch gehobeltem Alba-Trüffel kombiniert ist. Das Gericht ist zugleich ätherisch, erdig, meeresfrisch und fabelhaft dekadent. (8/10)

Das beste Gericht des Abends ist dann ein hausgeräuchertes Island-Lachsfilet ‒ zart, lauwarm, buttrig-saftig ‒ mit einer fantastischen Beurre blanc und Dillöl. Man sieht dem vergleichsweise puristischen Gericht sein hohes Niveau schon an ‒ wie immer, wenn Gerichte in tieferen Tellern auf das Produkt fokussiert sind und nicht auf symmetrisches Anrichten im Kreis. Geschmacklich und qualitativ, gerade für Lachs, ist das herausragend. (8,5/10)

Es bleibt nicht so. Bei einem Stück Steinbutt mit Steinpilzen überzeugen zwar ein intensiver Pilzsud und die einwandfreie Fischqualität, doch auf dem Filet befindet sich eine etwas merkwürdige Membran, möglicherweise die Haut des Fischs, die etwas labbrig ist. Auch die Steinpilze dürften ruhig etwas größer portioniert sein. Objektiv immer noch sehr gut, aber nicht ganz optimal. (7/10)

Ein Filetstück vom Reh aus Polting ist von exzellenter Qualität und idealer Garung. Wenngleich Fruchtsüße gut zu Reh passt, hat das Thema Süße hier etwas Schlagseite, bekräftigt durch erneute, süße Cremetupfer aus dem Thermomix. Das Gericht ist fehlerfrei, aber etwas zu „aalglatt“. Die Sauce dazu ist etwas dünn ‒ sicher gewollt, aber nicht ideal. (7/10)

Auf ähnlichem ‒ sehr guten, aber eben nicht immer hervorragenden ‒ Niveau klingt das Menü langsam aus. Bei meinem Besuch vor sieben Jahren empfand ich die Küche etwas stimmiger und durchaus nach noch höheren Weihen strebend. Das Potenzial nach oben war heute etwas größer.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Meierei Dirk Luther (→ Website)
Chef de Cuisine: Dirk Luther
Ort: Glücksburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 24.11.2018
Guide Michelin (Deutschland 2018): **
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)
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