Lung King Heen ‒ kantonesische Delikatessen
Erst kürzlich berichtete ich über ein weniger wiederholungsbedürftiges Mahl im Restaurant T’ang Court in Hongkong und die in Bezug auf Restaurants mit chinesischer Küche oft kaum nachvollziehbaren Bewertungen des Guide Michelin.
Dass es hierbei viel um kulturelle Unterschiede geht, ist nicht der Punkt. Ein Kaiseki-Menü in Japan ist ebenfalls exotisch und gewöhnungsbedürftig, aber dort brillieren fast ausnahmslos die Qualität der Produkte und die Präzision der Zubereitung, selbst bei Speisen mit ungewöhnlichen Zutaten. Das macht hohe Bewertungen nachvollziehbar.
Die hochdekorierten chinesischen Restaurants dagegen sind mit Vorsicht zu genießen. Wer sich ins Flugzeug setzt, um im T’ang Court zu essen ‒ ob in Shanghai oder Hongkong ‒, müsste dem Restaurantführer eigentlich die Reisekosten in Rechnung stellen, so überzogen erscheint dort eine Bewertung mit drei Sternen.
Doch es gibt auch hier Ausnahmen. So glänzt bspw. das The Eight in Macau mit fantastischen Dim Sum, und auch das Lung King Heen im gastronomisch gut aufgestellten Hotel Four Seasons in Hongkong konnte mich bei meinem ersten Besuch vor drei Jahren mit qualitativ exzellenten und präzise zubereiteten Speisen begeistern.
Eine Wiederholung war daher fällig, zumal ich während meines Aufenthalts in Hongkong ohnehin Hotelgast hier bin. Ich bin mit Freunden zusammen am Tisch, was die Problematik, eine repräsentative Auswahl an Speisen von der Karte eines chinesischen Restaurants auszuwählen, etwas mildert. Hinzu kommt, dass uns der Küchenchef Chan Yan-tak persönlich begrüßt und wir mit ihm die Auswahl der Speisen zwar grob besprechen, ihm aber weitestgehend freie Hand lassen.
Das Essen beginnt dann mit drei äußert akkurat zubereiteten Dim Sum. Die erste Kleinigkeit, mit Hummer, Garnele und Jakobsmuschel, bringt den Geschmack der drei Meerestiere trotz der hohen Temperatur und farceartigen Verarbeitung gekonnt zur Geltung. Der Teig ist hauchdünn, die Würzung perfekt. Hier glänzen Zutaten, Handwerk und Geschmack. (7,5/10)
Xiaolongbao, die mit Schweinefleisch und Brühe gefüllte Spezialität aus Shanghai, die akkurates Handwerk erfordert, begeistert mit süßlich-herzhaft gewürztem, sehr zartem Schweinefleisch und einer mit Essig und Ingwer aromatisierten Brühe, die zum Augenschließen gut ist. Auch diese Petitesse ist heiß, saftig und geschmacklich sogar noch etwas besser als der Einstieg. (8/10)
In Form eines kleinen Fischs präsentiert sich die nächste gedämpfte Teigtasche mit Lachs und Ingwer. Auch hieran ist alles hervorragend: die weiche, heiße, aber nicht klebrige Teighülle, die saftige und aromatische Füllung mit sehr gutem Lachs ‒ und vor allem auch der Ingwer, der nicht nur etwas Schärfe, sondern auch Abwechslung hinsichtlich der Textur mitbringt. Herausragend! (8,5/10)
Das könnte jetzt eigentlich immer so weitergehen. Für den Verzehr von Dim Sum ist das Lung King Heen ohnehin besonders begehrt. Vor allem Sonntagmittags ist es hier meist über Monate im Voraus ausgebucht. Kein Wunder bei dem Preis-Leistungs-Verhältnis. Die kleinen, exzellenten Speisen kosten umgerechnet alle ca. 3‒7 Euro.
Zwei Speisen in diesem Sinn folgen noch: eine Frühlingsrolle mit hauchzartem, knusprigem Teig und einer Füllung mit Garnelen und frischen Kräutern (7/10), sowie Cha siu bao, ein warmes Brötchen mit süßlichem Teig und einer herzhaften, sehr wohlschmeckenden Füllung mit Schweinefleisch, in die merklich viel Arbeit hineingeflossen ist (8/10).
Es geht weiter mit Hühnersuppe und Pilzen (ca. € 35). Zwei ganze Hühner werden pro Portion Suppe ausgekocht. Die dunkle, dichte Farbe, die viskose Textur und das leicht klebrige Gefühl an den Lippen machen diesen Aufwand spürbar. Das Gericht schmeckt nach einer intensiven, hochkonzentrierten Hühnerbrühe, man kann sogar die im Fond ausgekochte angebratene Hühnerhaut mit ihren Röstaromen herausschmecken. Die Pilze in der Suppe schmecken ebenfalls hervorragend, bringen Aromen von Wald und Erde sowie spannende Textur ins Spiel. Die hellen Teile von Frühlingszwiebeln bereichern alles um etwas Frische. In einem leicht hypnotischen Zustand, in den mich der heiße, wohltuende Duft versetzt, vergesse ich alles um mich herum und leere diese Schüssel bis zum letzten Milligramm Inhalt. Das ist zweifellos das beste Gericht, das ich aus einer chinesischen Küche je probiert habe. (10/10)
Nach einer wohltuenden Abkühlungspause, zu der perfekt der von uns gewählte Château Simone blanc (ca. € 155) aus der Provence passt, geht es weiter mit drei Probierportionen Fleisch.
Es gibt gegrilltes Schweinefleisch, sehr saftig und zart, einmal mit würzig lackierter Haut, ein weiteres Mal als Bauchstück vom Ferkel mit hauchdünner, knusprig gebratener Haut und zarter Fettschicht; und schließlich noch Gans, die auf ähnliche Weise ‒ das heißt geröstet und mit knuspriger Haut ‒ zubereitet wurde. Die Trilogie ist handwerklich, qualitativ und geschmacklich exzellent. (7,5/10)
Dass die besten Dinge oft die schlichtesten sind, sagt sich immer einfach, doch gerade in der Küche ist gelungene Simplizität die Königsdisziplin. Ein Gemüsegericht von Alain Passard, ein Steinbutt im Elkano, Sushi bei den japanischen Meistern ‒ all das mag für viele einfach aussehen, doch die Wahrheit des Genusses, zumindest meine, ist eher in der Einfachheit zu finden als in komplexen Tellerarrangements.
In genau diese Liga fällt das nächste Gericht, Erbsensprossen mit Knoblauch ‒ ein Klassiker der kantonesischen Küche. Wenn man das Gemüse probiert, wird einem unmittelbar klar, was es bedeutet, etwas auf den Punkt zu garen. Die Blätter sind knackig, aber nicht zu bissfest, zart, aber niemals zu weich. Dieser Zustand bleibt auch so bis zum letzten Bissen. Der süßlich-frische Geschmack des Krauts wird um eine unaufdringlich abgestimmte Knoblauchnote erweitert, die man kaum als solche wahrnimmt. Das Gewürz wirkt hier lediglich als eine Art Verstärker für ein Geschmacksbild, das an Erbse, Minze und Mangold zugleich erinnert. Es ist eine frappierend großartige Produktpräsentation, an die ich mich lange erinnern werde. Die Grenze, mit der ich üblicherweise kaum verarbeitete Produkte bewerte, muss ich in diesem Fall nach oben korrigieren. Eine Schüssel Gemüse für elf Euro kann eine Reise wert sein! (9/10)
Gedämpfte Reisnudeltaschen (chéungfán), gefüllt mit Hummer, Wasserkastanie, Ingwer und frischen Kräutern, sind mir von meinem letzten Besuch bereits bekannt und erneut hervorragend. Exzellente Zutaten in der Füllung, perfektes Handwerk und eine sehr ansprechende Sauce auf Basis von fermentierten Bohnen und hochwertiger Sojasauce machen den heißen, herzhaften Snack zu einem weiteren Gaumenschmaus. (8/10)
Ein in Birnenform präsentiertes Dessert mit tatsächlicher Birne (in der gelierten Ummantelung und in der Sauce) ist mit einer mit Jasmin aromatisierten Creme gefüllt, was geschmacklich sehr ansprechend, aber auch etwas wuchtig ist (7/10). Zwei lauwarme Gebäckstücke, mit Eierpudding (7/10) bzw. Lotos (7,5/10), runden ein hervorragendes Essen ab.
Das Lung King Heen ist eines der wenigen Restaurants mit kantonesischer Küche, das mich nun schon zum zweiten Mal begeistert hat. Handwerk und Zutaten sind hier auf höchstem Niveau, genau passend zum Ausblick auf den Hafen von Hongkong.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Lung King Heen (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Chan Yan-tak |
Ort: | Hongkong |
Datum dieses Besuchs: | 06.01.2018 |
Guide Michelin (Hongkong/Macau 2018): | *** |
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