L’Atelier de Joël Robuchon (Shanghai) ‒ Französisch bei Chinesen
Es ist der 1. Januar, und ich sitze im Flugzeug mit dem Ziel Shanghai. „Bloß keinen Franzosen!“ sagt der deutsche Passagier hinter mir, als er mit der Flugbegleiterin über Wein zu fachsimpeln beginnt und lieber zum würzigen Spanier greift.
Der deutsche Fluch verfolgt mich bis in 38.000 Fuß Höhe. Wenn der Mann wüsste, wie sehr ich mich gerade auf den Tresenplatz bei Robuchon freue, der in zwanzig Stunden schon auf mich wartet …
Später sitze ich dann endlich im Atelier. Vor genau einem Jahr war ich zum ersten Mal in dieser Filiale von Robuchons international erfolgreicher Restaurantkette und habe seitdem oft an dieses Restaurant gedacht, viel öfter als an andere Ateliers. Keine Zweifel, es gibt bessere und angesagtere Restaurants, aber an diesem habe ich den Narren gefressen ‒ vor allem, wenn es um das Gesamterlebnis geht. Schon lange bevorzuge ich eine Art Selbstbestimmtheit in der Gastronomie. Eine Auswahl à la carte, eigenes Tempo beim Essen, nur der nötigste Service, all das sind Merkmale, die ich ‒ auf das Erlebnis bezogen ‒ einer festen Menüfolge und klassischer „Fine Dining“-Atmosphäre vorziehe. Es gibt natürlich unzählige legitime Ausnahmen.
Auf die Lage am Bund mit Blick auf die Skyline von Shanghai-Pudong, auf die offene, einladende Atmosphäre mit freundlichem, internationalen Personal hinterm Tresen und auf das exzellente und unkomplizierte Essen in kleinen Portionen habe ich mich jedenfalls schon gefreut, als ich in Deutschland ins Flugzeug stieg. Vergleichbares gibt es in unseren Breiten einfach nicht, angefangen bei einer Skyline.
Am Tresen angekommen, eingelullt in die schwarzrote Welt von Robuchon, bereitet mir die sehr gute ‒ wenn auch kostspielige ‒ offene Weinauswahl schon die erste Freude, als erstes mit einem cremig-eleganten 2011er Meursault Tessons von der Domaine Pierre Morey (ca. € 38).
Es gibt gutes Brot aus einer umfangreichen Auswahl, sehr gute Butter und kurz danach ein Amuse-Bouches im Glas: cremige Foie Gras mit einer Schicht gelierter Portweinreduktion und Parmesanschaum. Die Foie Gras hat einen angenehmen Schmelz, das Gelee bietet eine dazu gut passende Fruchtsüße, und auch die warme Temperatur der Speise eignet sich hervorragend als erste kulinarische Entschädigung nach der langen Anreise. (7,9/10)
Aber es wird noch besser, zunächst mit einem Klassiker aus der Speisekarte ‒ Dorade als Carpaccio mit Limone, Piment d’Espelette und Kaviar (ca. € 25). Das ist so hervorragend wie schon beim letzten Mal. Das Gericht verkörpert für mich viele Eigenschaften, die ich mit gutem Essen assoziiere: außergewöhnlich gute Produkte, Schlichtheit, Frische, sowie Ästhetik durch Zutaten und nicht durch „Tellerkunst“. (8/10)
Ein „La Truffe Noire“ genanntes Gericht (ca. € 37) mit einem perfekt gebratenen Spiegelei auf einem überraschend guten, gebratenen Reiskuchen ist „schlotzig“, angenehm salzig und süffig, hat aber mit dem namensgebenden Trüffel irritierend wenig zu tun. Dennoch exzellent. (7,5/10)
Weiter geht es mit Kohlenfisch (ca. € 25), der als ein jakobsmuschelgroßes Stück Filet bester Qualität auf den Teller kommt, das in der Pfanne zu goldbrauner Perfektion karamellisiert wurde und heiß, zart und innen schneeweiß und saftig auf ein Saucen-Duo gebettet ist. Ein dunkler, dichter Jus mit Malabar-Pfeffer und eine cremige, fruchtig-süße, leicht exotische Kokosemulsion bilden nicht etwa Kontraste, sondern eine einzige Harmonie. Robuchons legendäres Kartoffelpüree, separat serviert, das eher als Buttercreme mit Kartoffel bezeichnet werden kann, sowie Pak Choi und ein hauchdünnes Parmesansegel ergänzen ein ungemein wohlschmeckendes und makellos zubereitetes Gericht, das schon jetzt ein heißer Kandidat für eines der besten Gerichte dieses Jahres ist. (10/10)
Ich atme tiefe durch und freue mich, hier zu sein. Ich könnte ‒ allen Ernstes ‒ schon morgen wieder zurückfliegen und hätte die Reise nicht bereut.
Nach längerer Überlegung, das Gericht noch einmal zu bestellen, entscheide ich mich doch für Abwechslung, zunächst in Form von entbeinten und karamellisierten Hähnchenflügeln (ca. € 24). Das hier an die Zartheit von Pfaffenstückchen erinnernde Fleisch wird zusammen mit kleinen Pilzen, schwarzem Trüffel und Zuckerschoten serviert und ergibt ein abermals süffiges, erdig-herzhaftes Gericht mit exzellenten Zutaten und präziser Zubereitung. Die Küche hier läuft wie ein Schweizer Uhrwerk. (8/10)
Meine letzte Bestellung ist das schlicht „LeBurger“ genannte Gericht (ca. € 33), das aus zwei kleinen Exemplaren eines jeweils ziemlich perfekten Mini-Burgers besteht. Zwischen samtig weichen Brötchenhälften findet man saftiges (nicht genauer spezifiziertes) Rindfleisch, darauf, in dekadenter Tournedos-Rossini-Manier, eine Scheibe gebratene Foie Gras, welche das Fleisch mit ihrem schmelzenden Fett noch einmal üppig anreichert. Karamellisierte Zwiebeln, hausgemachtes Ketchup und exzellente, dünne, knusprig-heiße Pommes Frites sind weitere Komponenten dieses Wohlfühlgerichts auf nicht anzweifelbarem Spitzenniveau. (8,5/10)
Ein Macaron mit Rosenaroma und eine kandierte Orangenstange mit Schokoladenüberzug sind besser als viele süße Menüabschlüsse, die man sonst irgendwo erleben kann. (8,5/10)
Die Ateliers bleiben meine Referenz für eine der gelungensten Kombinationen von unbeschwerter Gastronomie und exzellentem Essen.
Dass sich Kochhandwerk ab einem bestimmten Niveau jedoch ‒ auch mit diesem Konzept ‒ nicht beliebig kopieren lässt, bestätigen die unterschiedlichen Niveaus der weltweiten Ateliers, bei durchaus ähnlichen Speisekarten. In Paris und London verlor je ein Atelier in den letzten Jahren einen seiner zwei Michelin-Sterne, und in Hongkong hat man gleich drei. Ich ziehe dieses jedoch bisher allen vor und könnte mich kaum mehr darüber freuen, nach Shanghai geflogen zu sein, um französisch Essen zu gehen. Morgen im Ultraviolet geht es damit auch gleich weiter.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | L’Atelier de Joël Robuchon Shanghai (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Francky Semblat |
Ort: | Shanghai, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 02.01.2018 |
Guide Michelin (Shanghai 2018): | ** |
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