Tourniert: Neues aus Hamburg
An Alster und Elbe passiert kulinarisch gesehen, wie im Rest des Landes, nicht allzu viel. Dabei meine ich nicht solch medienwirksame Eröffnungen wie The Table, über dessen geschwungenen Tresen man eineinhalb Jahre nach der Eröffnung immer noch so berichtet als sei ein Raumschiff in der HafenCity gelandet. Ich meine Restaurants, die einem alltäglicheren Anspruch genügen und in ungezwungener Atmosphäre unkomplizierte, qualitativ hochwertige Küche anbieten. Sobald es auch nur einen Hauch anspruchsvoller zugeht, wird es in Hamburg oft kompliziert, etwa mit langwierigen Menüs („ja, sie dürfen auch tauschen“) oder „gebastelten“ Tellern. So sehr manch einer diese Pauschalisierungen verurteilt, treffen sie doch ganz überwiegend zu. Ich kann deutsche Bastelteller in meinem Instagram-Feed inzwischen ohne mit der Wimper zu zucken von den Tellern der restlichen Welt unterscheiden. Zwanzig Komponenten, Kügelchen, Kresse hier, Creme dort. Das ist immer noch die ganz überwiegende deutsche kulinarische Realität. Aber ich schweife ab.
Zurück in der Hansestadt muss man sich derzeit wundern, wie das Stadtmagazin „SZENE Hamburg Essen + Trinken“, bei der ich 2015 einmal versuchte, für etwas Klarheit zu sorgen, es schafft, in ihrer neuesten Ausgabe über 500 Restaurants in und um Hamburg zu testen. Fünfhundert! Kaum verwunderlich, dass diese Masse nur zustande kommen kann, indem man ganz unten im Dreck wühlt. So liest man bspw. bzgl. des Systemgastro-Italieners mama trattoria, dass der Laden „den ernährungsbewussten Trendsetter glücklich und satt“ macht, ferner staunen die Autoren über das „qualitativ sehr hochwertige“ Rindfleisch der Burger in der Kiezkantine The Bird, und man sinniert über die „hauchfeine Mayonnaise-Creme“ im „Sushi-Himmel“ Coast by East. Da rutscht mir doch glatt die Auster aus der Hand.
Ironischerweise sind die interessantesten Neueröffnungen der Stadt offenbar voll am Redaktionsschluss der „SZENE“ vorbeigerauscht. Ich kann nachbessern.
Hygge, Hamburg
Die im besonders für Seniorenresidenzen bekannten Stadtteil Hamburg-Groß Flottbek gelegene Gasthausinstitution Landhaus Flottbek hat kürzlich ihr Restaurant modernisiert. Hygge heißt das Restaurant jetzt, das ist Dänisch und steht für eine ganze Reihe von Dingen, die mit Gemütlichkeit und Entschleunigung zu tun haben. Nordische Wohlfühlatmosphäre strahlt das Restaurant tatsächlich aus, wenngleich etwas viele Tische hier Platz finden.
Die Speisekarte gefällt mir schon nach zwanzig Sekunden. Die meisten Gerichte sind so konzipiert, dass man am besten ein paar davon an den Tisch kommen lässt. Die Speisen lesen sich dabei ein bisschen so als wäre man in einem anspruchsvollen Bistro in New York: Austern, Pastrami-Stulle, Salade Niçoise … Dazu gibt es sogar eine recht interessante Weinkarte. Ich fange an, etwas zu staunen.
Die Pastrami-Stulle (€ 9,50) ist schon mal ziemlich gut. Auf krossem, frischem Brot findet man saftig-frische Scheiben geräucherten Rindfleischs mit hausgemachter Mayonnaise und Kresse. Hierbei kann man sehr viel falsch machen, aber alles hieran ist richtig. (6,5/10)
Der Nizzasalat (€ 12) ist noch besser, obwohl er eigentlich kein Nizzasalat ist. Aber wen kümmert’s? Ein wachsweiches Ei vermengt sich mit frischem Grün, viel Dill sorgt für kräuterige Untermalung, und der laurwarm pochierte, saftige Lachs ist von sehr guter Qualität. Nicht viel weniger als ein exzellenter Salat. (7/10)
Recht ungeschickt sind dagegen die beiden warmen Gerichte. Ein Fregolo-Sarda-Risotto (€ 16) kommt in fast schon unappetitlich großer Portion mit „3erlei [sic] von der Kichererbse“ (einerlei davon sind große trockene Ellipsoide) und fehl am Platz wirkendem orientalischen Einschlag daher (5/10). Ein Teller mit durchaus saftig-frischen Filets von der Meeräsche (€ 19), nur mäßig frischen Erbsen und Queller wird mit „Sauce Bourride“ angekündigt, der es an allem fehlt, was sie eigentlich auszeichnet: Krustentierfond, Safran, Cayennepfeffer (6/10).
Trotz der beiden Ausrutscher (die sich mit Reduktion und gewissenhaftem Handwerk einfach korrigieren ließen) habe ich Lust, wiederzukommen. Der Küchenstil ist unverkrampft – man gibt hier nicht vor, irgendeine Art von Küche zu sein –, das Sharing-Prinzip ist alltagstauglich, ziemlich hygge alles.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Hygge (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Thomas Nerlich |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 16.05.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | noch nicht bewertet |
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Izakaya, Hamburg
Irgendwie hat man es geschafft, die Eröffnung dieses Restaurants in der Gastronomieszene Hamburgs so zu hypen, dass man den Eindruck bekommen konnte, Sushi Saito eröffne bald eine neue Dependance an der Elbe. Gastronomen, Köche und Fischhändler: alle sprachen schon vor Monaten voller Ehrfurcht von Produktqualitäten, die die Hansestadt noch nicht gesehen hat. Das war geschickt, denn man streute diese Infos so gut wie gar nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur unter Akteuren der Branche. Mit gesunder Skepsis wartete ich gelassen auf die Eröffnung der Kette, die in Amsterdam beheimatet ist, zur „The Entourage Group“ gehört und noch weitere Filialen plant, u. a. in München. Eine auf Ibiza hat auch schon geöffnet, der Guide Michelin schweigt bisher.
Ein Izakaya ist eigentlich eine japanische Kneipe und hat mit diesem Etablissement schon von dem Moment an nichts zu tun, in dem man durch den Hausflur des brandneuen Boutique-Hotels Sir Nikolai an den Empfangstisch schreitet.
Die Speisekarte umfasst an die 80 Positionen, komplett auf Englisch. Das höre sich besser an, gesteht mir die Kellnerin (auf Deutsch). So lächerlich ich das zunächst finden möchte, muss ich gestehen, dass ich das nachvollziehen kann. Die Weltoffenheit, die dieses Restaurant mit seinem Konzept vermittelt, geht auf. Ich wähne mich gerade überall außer in Deutschland. Nur der Service sollte dringend noch mal ein Souveränitäts- und Auflockerungstraining absolvieren, um genauso kosmopolitisch rüberzukommen.
Am Ende spielt es auch keine Rolle, ob man Gelbschwanzmakrele oder yellow tail bestellt (€ 24). Sehr gut ist das erste von diversen Gerichten, das ich probiere, nämlich unabhängig von der Sprache. Der Fisch kommt als Sashimi mit Perilla-Blatt (Shiso), kleinen dünnen Chili-Scheiben und peruanischer Huacaina-Sauce. Es trifft mich wie ein Schlag, aber so ein Sashimi hat man in Hamburg noch nicht gegessen. Die Qualität des rohen Fischs ist exzellent, die Schnittführung (Scheibendicke und Maserung) gekonnt austariert, die südamerikanischen Einflüsse gewitzt. Mehr davon! (7/10)
Von gleicher, exzellenter Qualität ist eine Meerbrasse mit Grapefruit-Ceviche (€ 21,50). Die saure Marinade tut der Textur des Fischs gut, der in Japan auch oft als Sashimi serviert wird und dort eigentlich immer recht kaubedürftig ist. Auf diesem Teller überwiegen Zartheit, feine Säure und etwas Schärfe, und ich kann mich an der Qualität des Fischs wirklich erlaben. (7/10)
Beim Sushi muss man jetzt zeigen, was man kann. Ich bestelle Toro-Aburi mit geflämmtem Thunfischbauch. Allein die Möglichkeit, so etwas in Hamburg bestellen zu können, ist einzigartig und lässt Etablissements wie Henssler + Henssler, Coast by East usw. (und leider auch den zwar authentischen, aber qualitativ sehr dürftigen Japaner Matsumi) ganz weit hinter sich. Der Fisch hat – trotz der Flämmung – den typischen, buttrigen Schmelz und wird mit etwas Kaviar und Lauchzwiebeln serviert. Bemerkenswert ist vor allem die Textur vom Reis, der einem – ebenfalls als einzige Gelegenheit in Hamburg – ein ziemlich authentisches Gefühl von dem vermittelt, was einen in Japan erwartet, obwohl auch hier die Kunst gerade erst beginnt. Er könnte noch etwas luftiger sein und einen Hauch mehr Säure vertragen. (6,9/10)
Dass sich diese Königsklasse von Fisch mit fernöstlichen Maßstäben nicht messen lassen kann, bestätige ich mir selbst, in dem ich das Gericht auf Nachfrage noch einmal ungeflämmt, also als Nigiri, bestelle. So demaskiert werden die Schwächen deutlicher: es fehlt dem Fisch an Glanz und Fettmaserung, wodurch er etwas „müde“ wirkt. Dennoch ist das eine – für Deutschland – kaum erlebbare Qualität. (6,9/10)
Dass man es hier mit Qualität und teuren Produkten ernst meint, beweist auch das Vorhandensein von waschechtem Wasabi, der auf Nachfrage an den Tisch gebracht wird, samt japanischer Reibe.
Ich probiere unter anderem noch sehr gutes Wagyu-Aburi (€ 28) mit zart schmelzendem Rindfleisch (7/10); sowie einen Salat mit, unter anderem, gerösteten Baby-Oktopus (€ 18), gut gegartem Spargel und Brokkoli und einer Jalapeño-Sauce (6,5/10).
Ein exzellentes Sashimi vom Wolfsbarsch mit Olivenöl und Miso (€ 19) schließt an die guten Qualitäten hier an. (7/10)
Dass das Restaurant ein neues Highlight in Hamburg ist, lässt man sich recht fürstlich bezahlen, doch im Gegensatz zu den meisten anderen Restaurants mit einer solchen Preisstruktur hat man hier erstaunliche Qualitäten auf den Tellern. Eine sternverdächtige Bereicherung für Hamburg.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Izakaya (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Ben Provis |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 31.05.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | noch nicht bewertet |
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Haco, Hamburg
Die Gentrifizierung nimmt auch in Hamburg-St. Pauli ihren Lauf. An einer Ecke in der Clemens-Schulz-Straße gibt es anstelle von türkischen Grillspezialitäten für den spontanen Heißhunger jetzt kreative Küche nach skandinavischem Vorbild. Die neuen Betreiber haben dabei keine Scham, ihr Vorbild kenntlich zu machen.
So ist die Auftaktseite des Haco-Internetauftriffts recht hemmungslos von der Website des Drei-Sterne-Restaurants Maaemo in Oslo inspiriert. Breite, weiße Versalien als Logo findet man auf beiden Websites zentriert vor einem blauschwarzen, großformatigen Hintergrund, der jeweils ein „Element“ (Himmel bzw. Wasser) bei schroffem Wetter zeigt. Selbst die Namen mit ihren zwei Silben und ähnlich platzierten Vokallauten a und o haben Parallelen bei der Aussprache. Im Unterschied zum norwegischen Pendant folgt hinter der Auftaktseite jedoch nicht mehr viel. Ein Omen für die Küche?
Es gibt zwei Vier-Gänge-Menüs inkl. Dessert für € 40–€ 49. Ich entscheide mich für eine umfangreichere Auswahl à la carte, um möglichst viel Verschiedenes zu probieren.
Den Anfang macht ein Gang mit Tomate, Raps und Buchweizen (€ 12) mit recht gewöhnlichen Tomatenqualitäten. Ein knuspriger Chip ist das einzige Element, das einen kurz aufhorchen lässt, zudem ist der Gang lauwarm serviert, wobei nach meinem Geschmack eine kühle Frische den Genuss hätte steigern können. (6/10)
Ein knupsriges Vollkorn-„Brød“ mit Heilbutt und Remoulade (€ 14) ergibt eine herzhafte, süffige Stulle mit angenehmen Kontrasten vom Dill (6,5/10). Ein wachsweiches Ei mit Erbsen und Pfifferlingen (€ 10) ist angenehm cremig, die einzelnen Zutaten sind gut gegart, aber mir fehlt – auch hier – ein Produkthighlight (6,5/10).
Kabeljau mit Sellerie und aktueller Trendzutat Haselnuss (€ 22) driftet mit einem recht einheitlichen, säuerlichen Geschmacksbild, überdies zu kalt serviert, etwas in Richtung Kantinenessen ab (wenn auch ein recht anständiges, 6/10); ein Stück Schweinebauch mit Hefecreme und Zwiebeln ist an diesem Abend das wohlschmeckendste Gericht, mit saftigem Fleisch und genau richtig gegrilltem Zwiebelgemüse (6,9/10). Auch ein kühles Dessert mit Gurke und grünen Erdbeeren (€ 10) gefällt (6,5/10).
Die Erkenntnisse des Abends: nicht schlecht, nicht überragend, kulinarisch etwas ausschweifend, gleichwohl empfehlenswert. Aber, so viel muss gesagt sein, wenn man schon kopiert, dann bitte richtig.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Haco (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Björn Juhnke |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 23.06.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | noch nicht bewertet |
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