Landhaus Scherrer ‒ auf ein Nierchen
Emmi Scherrer, Heinz Wehmann und die legendären Vierländer Enten, der äußerst gutbestückte Weinkeller: das Landhaus Scherrer an der Elbchaussee ist eine Hamburger Institution. Ich respektiere das Küchenhandwerk von Heinz Wehmann genauso wie die Beständigkeit des Betriebs.
Es gibt viele Gründe, hier einzukehren, aber auch genauso viele, dies nicht zu tun. Der Gastronomiebetrieb als solcher ist ein einziges gutbürgerliches Restaurant-Klischee. Der Geruch nach Bundeskegelbahn beim Eintreten, die holzvertäfelten Wände, die steifgebügelten weißen Tischdecken und die zum Kegel gefalteten gestärkten Servietten; die langen hohen Kerzen auf dem Tisch, das kleine, bunte Blumengesteck im Glas, die Kellner in Anzug und Krawatte, all das ist so dermaßen spießig, dass es eigentlich kaum noch auszuhalten ist. Es sei denn, man sagt gerne Sätze wie: „Herr Ober, bitte noch ein Pils!“.
Und apropos steif und gutbestückt. Am befremdlichsten, am bizarrsten an diesem ganzen Haus ist die überall verteilte erotische „Kunst“. Auf den Tellern und an den Wänden, vom Speisesaal bis zum WC.
Bei der Fotografie einer mehr als nur kulinarischen Orgie aus den Achtzigerjahren im Foyer mag man ja noch schmunzelnd an Marcello Mastroianni und Philippe Noiret in „Das große Fressen“ denken, aber im WC über den Pissoirs hängen Zeichnungen von halbnackten Jungen und Mädchen, für deren entblößte Unterleibe sich Geflügeltiere zu interessieren scheinen. Was zum Geier …?
Aber davon abgesehen, so gut das eben geht, kocht Heinz Wehmann heute ein spezielles Innereienmenü (€ 159,50), welches er auf Anfrage und vorherige Bestellung zubereitet. Als Freunde mich fragten, ob ich Interesse daran hätte, habe ich sofort eingewilligt, weil sich die Gelegenheit, fein zubereitete Innereien zu genießen, nicht oft bietet. Ich kann gar nicht sagen, ob ich großer Freund von Innereien bin. Es kommt, wie immer, darauf an. Wie bei allen Zutaten überwiegt für mich auch hier der Qualitätsaspekt die Kategorie des Lebensmittels. Ob Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch oder Innerei: erst die jeweilige Qualität bestimmt, ob ich irgendetwas gut oder schlecht finde.
Das Menü beginnt mit einem Amuse-Bouche-Teller bestehend aus vier Kleinigkeiten. Ein geräuchertes Kabeljaubäckchen ist trotz einer schaumigen Buttersauce etwas trocken (6,5/10); ein kaltes Tomatensüppchen ist einwandfrei zubereitet (6,9/10) und fast so gut abgeschmeckt wie ein geschmacklich noch intensiveres Tomatensorbet (7/10). Eine Praline mit Gänseleberterrine schmeckt angenehm nach Sherry, vermutlich von dem Gel obendrauf (7/10).
Der erste Gang des Menüs ist eine klare Mockturtlesuppe mit Stückchen vom Kalbsbauch sowie Markschnittchen und Petersilie. Die Suppe überzeugt mit makellosem Handwerk, ist durch die ausgekochten Knochen schön klebrig an den Lippen, ihr Aroma ist würzig, und die Fleisch- und Brot-Einlagen sind ebenfalls sehr gut. In einem solchen Gericht steckt viel Arbeit, das schmeckt man mit jedem Löffel. (7/10)
Gang zwei sind Kutteln à la crème mit Pfifferlingen. Die Kutteln ‒ in kleine Streifen geschnittener Pansen vom Kalb ‒ sind ganz zart gekocht und mit einer säuerlich frischen und gut gesalzenen Creme sowie Kapern verarbeitet. Dazu gibt es kleine, exzellent gebratene Pfifferlinge und etwas Kresse. Das schmeckt sehr gut, und auch hier kann sich das Handwerk sehen lassen. (7/10)
Der nächste Gang wird optisch etwas expliziter und passt damit zum frivolen Ambiente des Hauses. Es gibt sanft gegarte Zickleinzungeund Kalbszunge, letztere frittiert. Dazu kommen Graupen, einige Gemüse und eine schaumige Sauce. Die Kalbszunge ist durch das Frittieren ein eher unkomplizierter Genuss, bei dem Zicklein ist das Erlebnis etwas fordernder. Die Zunge hat eine feste, dichte, dennoch sehr zarte Textur und schmeckt etwas „stallig“. Mit den anderen Komponenten auf dem Teller gibt es aber ausreichend Abwechslung, um das Kopfkino zu bändigen. Erneut gutes Handwerk, aber geschmacklich etwas unauffällig. (6,9/10)
Als nächstes wird eine Kalbsleber im Ganzen am Tisch tranchiert. Wehmann selbst lässt sich dieses Vergnügen nicht nehmen, pfeffert das sichtlich perfekt gebratene Stück Leber etwas und schneidet fingerdicke Tranchen davon ab. Die Scheibe wird auf dem Teller etwas mit Meersalz bestreut, schmeckt exzellent und wird von süßen Kirsch-Condiments und Lakritzschaum begleitet, was ähnlich hervorragend zur Kalbsleber passt wie süße Komponenten zu Foie Gras. Einen klassischen Bratenjus gibt es ebenfalls dazu. Sehr gut. (7/10)
Der fünfte Gang hat Kalbshirn (frittiert) und Kalbsbries (sautiert) als Hauptzutaten, dazu gibt es violetten Brokkoli, Erbsensprossen sowie dunkle und helle Saucen. Das Frittieren der fragilen Zutat Hirn bringt zwar eine abwechslungsreiche knusprige Textur ins Spiel, verschleiert jedoch den Geschmack und die Textur der eigentlichen Zutat. So ist der Teller mit seinen vielen Komponenten ein etwas zu großes „Durcheinander“. (6,5/10)
Den nächsten Teller ziert ein an beiden Seiten abgesägter Rinderknochen, der senkrecht auf dem Teller steht. Eine Teigkruste verschließt den Knochen unten, auf seiner Oberseite liegt ein knusprig gerösteter Brotchip mit Tartar, Crème fraîche und einer großen Nocke Kaviar. Der Inhalt des Knochens, der vom Service auf den Teller entleert wird, ist ein heißes, schlotziges und exzellent gewürztes Ragout aus Schwarzfederhuhnleberund Kalbskopf. Wohlschmeckende Dekadenz, Hitze, Salz, Frische und vieles mehr macht diese Kreation zu einem hervorragenden, zugänglichen Gaumenschmaus. (8/10)
„Lunge süßsauer“ schlägt eine andere Richtung ein. Das zarte Stück Lunge, ich glaube, vom Kalb, wird hier auf einem sehr aromatischen Tomatenkompott serviert, Basilikum und Estragon lassen das Gericht italienisch erscheinen. Eine Leichte Schärfe überrascht dazu angenehm. Leicht, „tomatig“, sommerlich. (7/10)
Das kurzweilige Menü fährt fort mit Kalbsniere, die, ummantelt von ihrem eigenen Fett, auf der heißen Steinplatte eines Tranchierwagens hörbar brutzelt. Auch olfaktorisch nimmt man die Niere naturgemäß war. Das leicht stechende Aroma ist für mich nicht das angenehmste, aber das heiße, brutzelnde Fett, die Röststoffe und der Rosmarin machen Appetit. Auf dem Teller wird das Stück Niere von einer hellen, mit Butter aufgeschäumten Sauce sowie Spinat und Senfkörnern begleitet. Niere zählt tatsächlich nicht zu meinen Lieblingszutaten, aber diese ist beispielhaft zubereitet. Es ist ein geschmacklich intensives und recht schweres Gericht, das abermals durch eine präzise Zubereitung aller Komponenten und exzellente Qualität überzeugt. (7/10)
Beim Dessert bleibt man klassisch. Die zwei weißlichen Kugeln auf dem Teller sind nicht etwa frittierte Lammaugen, sondern Topfenknödel, die dunkelrote Komponente hat nichts mit Blutwurst zu tun, sondern mit Blaubeeren. Dazu gibt es Vanilleeis. Solide. (6,9/10)
Das Menü hat bei mir in Summe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Obwohl es keine kulinarische Offenbarung war, ist der Umgang mit Zutaten, denen man sonst eher selten begegnet, bemerkenswert und interessant. Ich nehm‘ dann noch ein kleines Nierchen, Herr Ober.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Landhaus Scherrer (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Heinz Wehmann |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 17.07.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | * |
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