Nikuno Takumi Miyoshi – Fleischfest
An einer gemütlich beleuchteten Häuserecke in Kyotos Viertel Gion befindet sich das kurz Miyoshi genannte Restaurant.
Hier geht es, unter anderem, um Fleisch. Nicht um irgendein banales Steak von irgendeinem banal heißen Grill, sondern, wie so oft in Japan, um eine läuternde Erfahrung in Sachen Qualität und Geschmack.
Man sitzt entweder am Tresen oder, etwas verlorener, an normalen Tischen.
Inhaber Tsutomu Ito ist hier der Herr des Geschehens, ein netter Kerl in weißem Kittel und sehr viel Gel in den Haaren. Er trägt Krawatte, und das einzige, das ihn von einem Chefarzt unterscheidet, ist ein fehlendes Stethoskop. Stattdessen schwingt er ein großes Messer, das er präzise an eines der vielen kostenbaren Stücke Rindfleisch ansetzt, von denen man hier auswählt.
Die Karte ist auf Japanisch, aber Ito wirft mir in gebrochenem Englisch immerhin so viele Wortfetzen zu, dass ich verstehe, dass es hier um Rindfleisch unterschiedlicher Herkunft – heute insbesondere Ōmi-und Kobe-Rind – und jeweils unterschiedliche Schnitte geht. Ich entscheide mich schließlich für ein Lendenstück (Sirloin) vom Kobe-Rind. Der Preis für das sich daraus ergebende Kaiseki-Menü beträgt ¥ 27.000 (ca. € 222), das ist im Mittelfeld der Auswahlmöglichkeiten.
Die erste Amtshandlung nach der Bestellung ist die Präsentation des prachtvollen Stücks Fleisch. Nicht ein Tropfen Blut tritt daraus aus; das Verhältnis von Fettmarmorierung zu Muskelfleisch ist nahezu eins zu eins. Mit präzisen Schnitten präpariert Meister Ito das durch die fortgeschrittene Reifung erstaunlich „stabile“ Stück.
Zu Beginn des Essens – in Japan wird nicht lange mit dem Auftischen gewartet – gibt es eine klare, heiße Rinderbrühe mit ein paar Stücken Rettich. Der Geschmack ist rein und ausbalanciert, umami ist hier das Stichwort. Wer schon mal eine Consommé hergestellt hat, kennt den Aufwand, der hierhinein fließt, wenn es so schmeckt wie hier. Die knackige Frische des warmen, aber dennoch deutlich kühleren Rettichs bringt kecke Abwechslung. (7/10)
Als nächstes folgen zwei dünn aufgeschnittene Scheiben Rinderzunge (roh oder leicht gegart, das kann ich nicht genau ausmachen), dazu gibt es kleine Krümel einer Alge, die man zur Würzung über das Fleisch streuen kann. Eine würzige Sauce steht auch noch daneben. Das kühle Fleisch bietet ein sehr interessantes Texturerlebnis. Zuerst zergeht am Gaumen der hohe, herzhaft schmeckende Fettanteil auf der Zunge wie Butter; das Fleisch selbst hat eine Textur wie bissfest gekochte, breite Bandnudeln. Ein puristisches Vergnügen! (7/10)
Als nächstes folgt ein Stück von außen nur ganz leicht gebratenes Stück Kobe-Rind, das der Küchenchef zu feinen Scheiben aufschneidet und mit kleinen Beilagen in Schälchen serviert: Salz, Rettich, Sojasauce. Das Fleisch leuchtet dunkelrosa, die für diese Rinderart typische weiße Marmorierung kommt deutlich zum Vorschein und könnte nicht appetitanregender sein. Schön angerichtete Teller? Bitte sehr! Die Fleischqualität ist, wie erwartet, zum Niederknien. Was soll dabei auch schiefgehen? Mit dem intensiven Salz, der würzigen Sojasauce und dem frischen Rettich in Abwechslung ist das ein typisches japanisches Gericht, das einem eindringlich demonstriert, worauf es bei gutem Fleisch ankommt – und worauf nicht. (8/10)
Der nächste Gang ist eine Ochsenschwanzessenz, in der sich ein paar größere Stücke bissfester Bambussprösslinge befinden sowie ein weiches, etwas glibberiges Gebilde, das aus irgendeinem Teil vom Kugelfisch besteht. Meinen leicht besorgten Blick quittiert Ito mit einem lächelnden „no poison!“, doch ob er damit meint, dass dieses Exemplar allgemein ungiftig ist, oder dass eine fachkundige Zubereitung dafür sorgt, dass das hier keine Henkersmahlzeit ist, weiß ich nicht. Egal, runter damit. Wenn jemand weiß, was er tut, dann ein Japaner. Es geht hier schließlich immer um die Ehre – eine kulturelle Prägung, die gerade in solchen Fällen sehr beruhigend ist.
Die Kombination aus viel Flüssigkeit, geschmacklicher Zurückhaltung und ungewohnten Texturen ist exemplarisch für viele japanische Kaiseki-Gerichte, die auch auf dieser Reise noch vielfach folgen werden. Wichtig ist hierbei, auf das Wesen des Gerichts zu achten. Das Handwerk ist offenkundig makellos. Die Brühe ist leicht, aber vergleichbar mit gutem Tee: die Aromen sind angedeutet, aber nicht aufdringlich, und die Parallele zwischen der diskreten japanischen Kultur und dieser unscheinbaren Schüssel ist so eingängig, dass ich kurz erschaudere.
Von jeglicher Konnotation befreit, sind solche Gerichte jedoch kulinarisch etwas schwierig zu bewerten. Angenommen, eine Nation würde die Zubereitung von leicht gesalzenem oder gezuckertem Wasser – in verschiedenen Aggregatzuständen und Temperaturen – in irgendeiner Form perfektionieren, dann wäre das kulinarisch, trotz aller Tradition und gewissenhaftem Handwerk, immer noch nur Wasser. Hier ist zwar deutlich mehr im Spiel – saisonale, exquisite Zutaten und ein überall mitschwingender, angenehmer Umami-Geschmack –, aber mehr als ein ganz objektives „sehr gut“ ist rein geschmacklich nicht drin, vor allem weil auch der Fisch nahezu keinen Geschmack aufweist. Doch man isst es auf – interessiert, wissbegierig und respektvoll – und speichert sämtliche Merkmale dieser Speise ab. (7/10)
Im nächsten Schritt präpariert Ito lebendige Jakobsmuscheln. Wer ihn dabei beobachtet fragt sich, ob seine Übung auf vier- oder fünfstelligen Wiederholungen dieses Vorgangs beruht. Eindrucksvoll, d. h. ruhig und sehr präzise, trennt er Nichtessbares von Essbarem, wobei mehr als man denkt ins Töpfchen als in Kröpfchen wandert.
Am Ende entsteht ein kleines, sushiartiges Gericht mit Reis, Jakobsmuschel-Corail (Rogen), Salatblatt, Pilz und Zwiebel. Intensiv, frisch, handwerklich präzise. (7/10)
Das nächste Gericht thematisiert durch Zutaten und Präsentation den in den Startlöchern stehenden Frühling. Eine solche Symbolik ist bezeichnend für die Kaiseki-Küche; frühlingshafte Arrangements werden mir auf dieser Reise noch häufiger begegnen. In diesem Fall handelt es sich um in Rinderöl frittierte Blüten, welche genau, bekomme ich leider nicht mit. Der knusprige Snack ist federleicht, schmeckt blumig, etwas bitter, aber durch das Rinderfett auch fleischig, und bereitet in dieser Kombination kurzweiligen Knabberspaß. (7/10)
Als nächstes folgt ein Arrangement aus mehreren delikaten Zutaten – u. a. dem Muskelfleisch der zuvor präparierten Jakobsmuschel, gegarter weißer Spargel und Favabohnen –, die in einer ausgehölten Zitrusfrucht serviert werden und mit dünnen Trüffelscheiben bedeckt sind. Bedingt durch das Essen mit Stäbchen, kombiniert man die Zutaten nicht wie bei uns auf einer Gabel, sondern probiert sie separat und nacheinander, was eine sehr differenzierte Wahrnehmung der einzelnen Zutaten erlaubt. Alles ist frisch, harmonisch und durch eine leichte Säure sehr appetitanregend. Puristisch, auf den Punkt, exzellent! (8/10)
Weiter geht das umfangreiche, aber keinesfalls erschlagende Mahl mit Shabu shabu vom Kobe-Rind. Für diese Prozedur taucht Ito dünne Scheiben des Fleischs für wenige Sekunden in einen auf dem Feuer stehenden Topf mit Brühe, bevor die Scheiben auf zuvor mit derselben Brühe erhitzten Tellern auf etwas Gemüse angerichtet und sofort serviert werden. Das Ergebnis ist ein leichtes Gericht voll von würziger, kohlig-rauchiger Geschmackstiefe, bei dem die außergewöhnliche Qualität des Fleischs voll zur Geltung gelangt. Eine Schüssel mit einer Zubereitung aus Sojasauce und Rettich steuert frisch und kühl dagegen. (7,5/10)
Gerade als man denkt, das war es nun mit dem Fleisch, geht es erst richtig los. Fingerdicke, mundgerecht portionierte Tranchen von Kobe-Rind ermöglichen ein fleischiges Genusserlebnis, das man so in der westlichen Welt kaum erleben kann. Und die Optik täuscht, denn die Stücke sehen auf einen ersten, flüchtigen Blick so aus wie mageres Filet, doch wer genau hinsieht, wird die alles entscheidende integrierte Fettmarmorierung deutliche erkennen. Sie sorgt bereits beim Auflegen des Stücks Fleisch auf der Zunge für einen Schmelzeffekt mit Augenschließgarantie. Eine betörende Kombination aus umami und Fett macht sich am Gaumen breit. Etwas auflockern kann man das Erlebnis mit verschiedenen Beilagen wie Salz, Rettich, Pfeffer und Sojasauce. (8/10)
Wer derartige Fleischqualitäten einmal kennen gelernt hat, wird in Deutschland automatisch zum Quasi-Vegetarier. Das ist etwas überspitzt, aber der Gedanke, dass man durch das Wissen um Spitzenqualitäten keine Kompromisse mehr eingehen möchte, ist gerade bei Fleisch sehr zutreffend. Ich hebe das immer wieder hervor. Kompletter Verzicht auf Fleisch ist nutzlos; nur ein Bekenntnis zu guten Qualitäten hilft gegen marinierte Schweinenackensteaks und Döner.
Wie bei jedem Kaiseki-Menü ist der letzte Gang vor dem Dessert immer ein „Reisgang“, auf den zumindest ich selten noch Appetit habe. In diesem Gang gibt es ein paar säuerlich eingelegte Gemüse (Gurke und Rettichsorten), eine Art kleinen Schmortopf mit einem weiteren Stück Fleisch, eine Misosuppe und … einfach eine Schüssel Reis. Respekt vor dem, der das alles aufisst, aber ich zehre noch von dem vorherigen Erlebnis. Hier ist kein Highlight dabei. (6/10)
Ein Eis von grünem Tee ist leider geschmacklich auch eher schlecht als recht, nämlich bitter und muffig. Dabei gibt es doch so exzellente Früchte in Japan! (5/10)
Unabhängig von diesem Finale war dies ein sehr gutes Essen in kurzweiliger Tresen-Atmosphäre und mit außergewöhnlichen Produkten. Warum dem Guide Michelin dieses schon seit zehn Jahren existierende Restaurant nicht einmal eine Empfehlung wert ist, bleibt ein Mysterium. Doch wen schert’s? In Kyoto und Umgebung ist dieser Laden für Fleischliebhaber eine der ersten Adressen.
Dieser Artikel ist Teil meiner kulinarischen Reise nach Japan im März 2017, siehe: „Neun Tage Japan, 13 Restaurants, 32 Michelin-Sterne, eine Million Eindrücke“
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Nikuno Takumi Miyoshi (にくの匠 三芳) (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Tsutomu Ito |
Ort: | Kyoto, Japan |
Datum dieses Besuchs: | 07.03.2017 |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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Korrektur: In einer früheren Version des Artikels war zu lesen, dass die Rinderzunge mit kleinen Trüffel-Stückchen serviert wurde. Tatsächlich handelte sich um täuschend ähnlich aussehende Algen. Die Trüffel kamen erst später zum Einsatz. Ich bitte, diesen Fehler zu entschuldigen.