T’ang Court (Shanghai) – einen Reis wert
Das Restaurant T’ang Court hat zwei Filialen, eine in Hongkong, die andere in Shanghai. Beide sind jeweils im dortigen Langham Hotel untergebracht und servieren kantonesische Küche, die vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet ist – eine recht seltene Zwillingskonstellation auf diesem attestierten Niveau.
Meine Reservierung im T’ang Court in Shanghai war Monate im Voraus geplant, doch aufgrund meines Visum-Fauxpas, welches das Verschieben meiner Reise erforderlich machte, musste ich mich kurzfristig um eine neue Reservierung bemühen. Das war nicht einfach. Ich muss am Telefon aber ausreichend verzweifelt geklungen haben, sodass man mich letztlich „ausnahmsweise“ für ein „second seating“ um 20:30 Uhr eingetragen hat.
Als ich dann heute Abend – bereits kurz nach acht – im Restaurant ankomme, finde ich heraus, was an dieser Ausnahme so speziell ist: normalerweise isst um diese Zeit offenbar kein Mensch mehr hier. Zwei Tische sind noch eine Weile mit ein paar Teenagern besetzt, die sich über ihr Handy unterhalten, danach bin ich völlig alleine im Restaurant. Man fängt auch schon mal an, um mich herum aufzuräumen. Besonders gastfreundlich ist das nicht, aber nach dieser Eigenschaft muss man in Chinas Restaurants ohnehin länger suchen.
In dieser unwirtlichen Atmosphäre trinke ich erst mal ein Glas Sauvignon Blanc (2015 Clos Henris „Petit Clos“, ca. € 17) und stöbere in der großformatigen Speisekarte, die ungefähr so handlich ist wie eine Tageszeitung. Das ist überhaupt mal ein Thema: übergroße, schwere Speisekarten, die man an die Tischkante anlehnen und dabei aufpassen muss, das Geschirr nicht umzustoßen. Wer denkt sich so etwas aus?
Kaum habe ich eine stabile Ablagemöglichkeit gefunden, werden die ersten Amuse-Bouches serviert. Da hilft nur eines: zuklappen und später weiterlesen. Ob ich mich schon entschieden hätte, fragt mich der Kellner, während seine Kollegin die Snacks auftischt. Ich verneine und widme mich erst einmal den überschaubaren Petitessen.
Zwei bissfest blanchierte, knackige Stücke eines mir unbekannten Bohnengewächses mit frischem, ein wenig an Minze erinnernden, Geschmack (wie Zuckerschoten, aber ohne die Süße) sind durchaus eine kulinarische Bereicherung; ein sehr saftiges Stück Schweinebauch bietet durch eine hauchdünne, karamellisierte Kruste ein erfreuliches Texturerlebnis am Gaumen; ein Krautsalat dazu sorgt für Frische. Das gefällt mir in seinem Purismus – und auch qualitativ – sehr gut, hinterlässt aber keinen allzu nachhaltigen Eindruck. (6,9/10)
Als ich mich wieder der Speisekarte widmen kann, fällt wenig später auch meine Entscheidung hinsichtlich des Menüs. Ich wähle das „Chef’s Tasting Menu“ für umgerechnet ca. € 216. Es gibt auch ein genauso benanntes Menü gleichen Umfangs für die Hälfte des Preises, bei der jedoch andere, angeblich weniger hochwertige Zutaten verarbeitet werden. Eine solche Kategorisierung nach Qualität statt Quantität findet man auch in japanischen Kaiseki-Restaurants häufig vor (mehr dazu in ein paar Monaten), ein im Westen gänzlich unbekanntes Prinzip. Das sagt viel (Gutes) aus über das Verständnis von Produktqualität. Bei uns besteht zwar gelegentlich die Möglichkeit, Menüs mit Extra-Mengen an Trüffeln und Kaviar preislich aufzustocken – nicht aber qualitativ.
So enthält der erste Gang des Menüs dann auch gleich so etwas rares wie Abalone (gekocht, gekühlt und in einem Blatt Eisbergsalat angerichtet), zwei Stücke von der Gans, eines vom Barsch (mit einer Art Barbecue-Sauce) und erneut einige dieser grünen Bohnen. So simpel das alles klingt, bietet dieser Teller erstaunliche Genüsse in Form von hoher Qualität, Frische und Wohlgeschmack; besonders die unterschiedlichen Texturen tragen entscheidend zum Genusserlebnis bei. Dort, wo es darauf ankommt, wurde hier alles richtiggemacht. Für eine solide Beurteilung dieses Tellers muss man sich jedoch auch in Erinnerung rufen, wie sehr man hier noch handwerklich und qualitativ nachbessern könnte. Das ist zwar erheblich besser als es aussieht, aber weit entfernt von einem Niveau, das sich mit den besten der Welt messen soll. (7/10)
Der zweite Gang ist eine sehr heiße Brühe mit Seegurke, Huhn und Bambusmark. Die Suppe ist außerordentlich gut zubereitet. Etwas klebrige Lippen nach jedem Löffel zeugen von einem gewissenhaft langen Kochvorgang mit fleischlichen Zutaten, in diesem Fall vermutlich Huhn. Das lange Kochen führt zu einem intensiven Geschmack, die Zutaten darin sind allerdings stark kaubedürftig. Vor allem das Huhn ist recht trocken und bleibt im Hals stecken. Aromatisch und handwerklich punktet dieses Gericht allerdings enorm und überzeugt damit deutlich mehr als viele „hübschere“ Teller unserer Breiten. (7/10)
Aber dann …
Ausgelöste, scharf angebratene Stücke vom Hummer werden mit diversen Zwiebeln serviert: rote Zwiebeln, Frühlingszwiebeln und frittierte Schalottenringe. Man sieht es schon: das Gericht wurde lange warmgehalten, besteht aus größtenteils gewöhnlichen Zutaten – und hat daher nicht mehr als ein mäßiges Urteil verdient. (6/10)
Das nächste Gericht folgt im fliegenden Wechsel: mein aufgegessener Teller wird abgeräumt, gleichzeitig wird das nächste Gericht aufgetischt. In Verbindung mit dem Umstand, dass neben mir schon die Tischdecken abgezogen werden (es ist 20:50 Uhr) fühle ich mich wie der letzte Gast in einer Kneipe.
„Entschuldigung, dieses Gericht hatte ich gerade schon!“ möchte ich dem Kellner noch zurufen, doch da er ist er schon weg. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass es sich ohnehin um eine andere Kreation handelt, nämlich Wagyu-Rind. Ich hatte diesen Gang gegen den ursprünglich geplanten Barsch mit grünem Pfeffer ausgetauscht, weil mir einfach danach war. Dass der Gang mit denselben vertrockneten Schalottenringen serviert wird, hätte mir der Kellner ruhig verraten können. Dafür ist das Fleisch bemerkenswert zart ohne dabei zu buttrig zu sein. Die Textur ist von Leber nur schwer zu unterscheiden. Ein wässriges Stück exotisches Gemüse und die zerknitterten Ringe sprechen diesem Teller jedoch sehr viel an kulinarischem Wert ab, trotz der exzellenten Fleischqualität. Eigentlich ist das ein Trauerspiel. (6,5/10)
Das Menü fährt fort mit weiteren Wiederholungen, diesmal in Form von Hühnerbrühe, in der grüner Spargel, Krebsfleisch und Bambusmark in einer relativ neutral schmeckenden Kombination zu finden sind. Das ist ansprechendes Handwerk, inzwischen muss man aber sehr bei der Sache bleiben, um das noch gut zu finden. (6,9/10)
Recht angetan bin ich dann, ganz unerwartet, von einem Berg Bratreis, den man mir jetzt vorgesetzt hat. Dieser ist perfekt gekocht, und in ihm findet man kleine Stückchen Abalone, Krebsfleisch, Frühlingszwiebel und conpoy, getrocknete Jakobsmuschel. Man mischt das alles mit einer der scharfen Saucen zusammen, die auf dem Tisch stehen, dann blüht das alles richtig auf. Ich schaffe die ganze Portion. (7/10)
Ein Mandel-Tofu-Pudding mit Mango-Sauce ist dann die beste Speise des Abends: kühlend, angenehm süß, mit marzipanartigem Geschmack vom Benzaldehyd der Mandeln. Ein schwanförmiges Gebäck mit einer auf viel Eigelb basierenden süßen Füllung komplementiert das (einzige) Dessert gut. (7,5/10)
So, jetzt will man mich aber wirklich loswerden. Es ist auch fast niemand mehr hier. Das passt gut, ich will jetzt auch weg.
Keine Frage, mir werden einige der Speisen durchaus positiv im Gedächtnis bleiben, doch mit einer Küche auf Weltklasseniveau hatte das alles nur bedingt zu tun. Die Mängel sind offenkundig, trotz des hervorragenden Handwerks, das an einigen Stellen aufblitzte. Aber pappige Zwiebelringe, trockene Suppeneinlagen und eine teilweise plumpe Darbietung von allenfalls „guten“ Produkten entsprechen nicht dem, was ein Gast, der dem Guide Michelin hinsichtlich seiner Aussage vertraut, diese Küche sei eine Reise wert, erleben möchte. Ich selbst bin da pragmatischer. Mir ging es mehr um die Befriedigung meiner Neugier und meines Interesses. Daher war auch dieser Abend für mich sehr bereichernd. Dennoch hätte ich natürlich keinen Einspruch gegen mehr Genuss (und mehr Gastfreundschaft) erhoben.
Es dauert lange, bis ich ein Taxi finde. Der Portier des internationalen Luxus-Hotels spricht kein Wort Englisch und ist völlig überfordert. Irgendwann winke ich mir selbst eines heran. Unangeschnallt, mit 90 Sachen und einem rauchenden Taxifahrer, von dem ich hoffe, dass er die Adresse auf meiner Hotelvisitenkarte entziffern konnte, rase ich zurück durch die Nacht. Das ist hier schon alles sehr sonderbar.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | T’ang Court (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Justin Tan |
Ort: | Shanghai, China |
Datum dieses Besuchs: | 21.01.2017 |
Guide Michelin (SHA 2017): | *** |
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