Yong Yi Ting – subtiler Charme der Jiangnan-Küche
Nur knapp zwei Stunden nach meinem Touchdown in Shanghai sitze ich schon im Restaurant Yong Yi Ting im Hotel Mandarin Oriental, um mein erstes chinesisches Mahl auf chinesischem Boden zu mir zu nehmen.
Um gleich eines vorwegzunehmen, besonders für diejenigen, die sich fragen, warum ich als erstes Restaurant ausgerechnet in eine Luxushotelkette einkehre anstatt in irgendeiner Seitenstraße an Hühnerfüßen zu knabbern: weil ich das liebe! Ich liebe es, weit und bequem zu reisen, in einem schönen Hotel einzuchecken, um dann gleich weiter mit dem Taxi in ein Restaurant zu fahren, dort bewirtet zu werden, von unbekannten Menschen, in unbekannter Umgebung, mit unbekannten Speisen. Das ist aufregend, bereichernd und entspannend.
Im Yong Yi Ting sitzt gegen halb zwei außer mir fast niemand mehr. Ich werde erst im Laufe der nächsten Tage erleben, dass man hier in Shanghai zwei Stunden früher essen geht als bei uns in Nordeuropa, was sich auch an den Öffnungszeiten der Restaurants ablesen lässt.
Ich benötige für die Auswahl der Speisen viel Zeit. Es ist mir fast unangenehm. Aber wie soll man aus zwei Speisekarten mit ähnlichem Inhalt und bestimmt zweihundert Gerichten schnell etwas auswählen? Am schwierigsten ist es nicht einmal, tatsächlich Gerichte auszuwählen, sondern das Konzept der Karten und Rubriken zu verstehen. Mit etwas Hilfe vom Kellner bekomme ich es hin, und wenig später stehen ein paar Kleinigkeiten auf dem Tisch.
Es gibt leicht knuspriges Weißbrot (ähnl. wie Tramezzino) mit einer Art Frischkäse und Erdbeere sowie karamellisierte Walnüsse. Nicht besonders. (6/10)
Weiter geht es dann recht zügig mit Stücken von perfekt knusprig gebratener Seebrasse mit süßer Sojasauce (ca. € 23). Der Fisch ist innen schneeweiß und sehr saftig, die Sauce dazu ist erwartungsgemäß sehr einnehmend, aber äußerst wohlschmeckend. Die Saftigkeit des Fischs mit seinem authentischen Aroma bietet der Sauce ausreichend Widerstand. Schlicht, aber sehr gut. (7/10)
Wie die meisten Gerichte in China ist auch dieses nicht dafür konzipiert, von einer Einzelperson am Stück aufgegessen zu werden. Chinesische Küche lebt vom Teilen und von der Vielfalt Dutzender Gerichte auf dem Tisch. Das ist hier für mich natürlich nur in kleinem Maßstab umsetzbar, doch es ändert nichts daran, die Qualität von Gerichten erkennen zu können. Und hier ist sie ganz offenkundig, für so etwas kann man vollkommen nachvollziehbar einen Michelin-Stern zücken. Ein Graus für Anricht- und Konzept-Liebhaber, ein Mekka für Qualitätssuchende.
Zwei dumplings (Teigtaschen) mit gedämpften Garnelen (ca. € 9) probiere ich zweifellos etwas ungeschickt, weil bei der ersten „Anbeißprobe“ einiges vom flüssigen Teil der Füllung auf dem Tisch landet (aber glücklicherweise nicht auf meinem Hemd). Davon abgesehen überzeugt mich dieser dumpling nicht allzu sehr; der Teig ist etwas zäh, dennoch ist die Füllung recht schmackhaft. (6,5/10)
Weiter geht das kurzweilige Mahl mit stewed “Lion’s Head” pork dumpling (ca. € 13), eine Art in Sojasauce gedämpfter Frikadelle aus Schweinefleisch mit spinatähnlichem Gemüse und einem exzellenten Jus. Der Fleischball ist zart, heiß und wohltuend, aromatisch präzise, aber auch erstaunlich zurückhaltend. Das Gericht lebt durch die Authentizität des Eigengeschmacks vom Fleisch. Faszinierend! Und zumindest von den Zutaten und dem Handwerk her überraschend nah an französischer Küche. (7/10)
Gebratener Tofu mit Mais und Pilzen (ca. € 12) ist ähnlich subtil und genauso interessant. Der Bohnenquark wurde hier in einer Mischung mit Mais zubereitet und entfaltet hierdurch einen Geschmack, der an die Teigtaschen der mexikanischen Küche erinnert. Exzellentes Handwerk, hervorragende Pilze, heiß und in Tellermitte noch dazu – damit tut man mir immer einen Gefallen. (7/10)
Der Stil dieser Küche, die ich hier nur gestreift habe, nennt sich Jiangnan und zeichnet sich besonders durch eine aromatische Finesse aus, die in starkem Gegensatz zu der gerade auch außerhalb Chinas viel populäreren kantonesischen Küche mit ihren kräftigen Aromen steht. Fuchsia Dunlop, eine britische Kochbuchautorin und Expertin für chinesische Küche, beschreibt die Jiangnan-Küche als „Wohlfühlküche, hergestellt in Harmonie mit den Jahreszeiten und der Landschaft“. Das klingt regelrecht japanisch.
Mein Schnupperkurs über eine neue kulinarische Welt war subtil, aber nachhaltig. Und jetzt geht’s zurück ins Hotel, um dann später mit dem Taxi ins nächste Hotel zu fahren. Zum Essen. Bericht folgt!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Yong Yi Ting (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Tony Lu |
Ort: | Shanghai, China |
Datum dieses Besuchs: | 20.01.2017 |
Guide Michelin (SHA 2017): | * |
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