Madame X im Off Club – das Mauerblümchen
Hinweis: Nach dem Fortgang von Küchenchef Thomas Imbusch im Herbst 2017, der sich in Hamburg bald mit einem eigenen Restaurant selbstständig macht, wird das Madame X offenbar noch als Konzeptmenü im Off Club fortgeführt. Genauere Informationen zu den aktuellen Speisen kann ich derzeit nicht nennen. (Stand 01/2018)
Wer als interessierter Esser davon Kenntnis erlangen möchte, dass in einem Hinterhof in Hamburg-Bahrenfeld einer der talentiertesten Köche Deutschlands regelmäßig eines der besten Menüs der Hansestadt auftischt – und das auch noch in einer legeren Atmosphäre für (nahezu) jeden Tag –, der muss schon aufwändig recherchieren.
Die Gastronomie-Führer schweigen weitestgehend zu diesem Thema. Die gerade erschienene „Feinschmecker“-Sonderausgabe „Die 500 besten Restaurants in Deutschland“ listet in Hamburg zwar Tourischuppen wie Tschebull und Henssler Henssler, aber vom Madame X keine Spur. Man findet das Restaurant auch nicht im Gault & Millau, und selbst wenn man aufgeschlossenen Restaurantbesuchern und Gelegenheitsgourmets in Hamburg von diesem Restaurant erzählt, haben sie meist noch nie davon gehört.
Warum diese Ignoranz und Nachlässigkeit? Das Branchenmagazin Rolling Pin kürte Küchenchef Thomas Imbusch letztes Jahr sogar zum „Aufsteiger des Jahres“. Ich begnüge mich mit der Erklärung, dass das Madame X kein eigenes Restaurant ist, sondern Teil des Off Club, Tim Mälzers wenig gehegtes Experimentalprojekt mit etwas undurchsichtiger Ausrichtung. Aber selbst dort, d. h. im vorderen Teil des quirligen Restaurants, kann man sehr gut essen, und zwar so gut, dass zumindest der Name Off Club in jeden seriösen Gastronomieführer gehört – mit Hinweis auf das separate Madame X.
Immerhin der Guide Michelin hat das verstanden und führt beide Namen als eigenständige Einträge auf. Doch auch dort findet man das Madame X falsch wiedergegeben, mit „Fleisch“ als Angabe zum Küchenstil und einer inkorrekten Preisangabe („Menü 19 € (abends)“ – schön wär’s).
Ich habe kein Restaurant häufiger besucht als das Madame X. Meine Besuchsanzahl liegt im dreistelligen Bereich. Ich habe mit meiner Kreditkarte dort irgendwem schon ein ganzes Jahresgehalt bezahlt. Hunderte Gerichte habe ich dort schon verspeist, habe Hektoliter Wein getrunken, Feste gefeiert und Freunde gewonnen.
Das wäre alles nicht so, wenn es mir nicht derart gefiele. Vermutlich wäre ich etwas seltener hier, wenn Hamburg vor vergleichbaren Alternativen strotzen würde, doch es gibt sie nicht. Es gibt sie in ganz Deutschland kaum.
Küchenchef Imbusch ist Produktfanatiker. Regelmäßig fährt er mit seinem Küchenteam zu seinen Lieferanten, begutachtet Kräuter und Gemüse, Hühner und Fische. Sein Schlachter ist auch immer für Überraschungen gut und kommt regelmäßig mit außergewöhnlichen Qualitäten und Schnitten vorbei. Verarbeitet wird nur, was gut genug ist. Häufig entstehen dadurch tagesaktuelle Gerichte, die immer gut, manchmal experimentell, aber immer häufiger exzellent sind. Diese Art zu arbeiten erinnert mich an die kreative Dynamik, die man in Restaurants wie Astrance oder Arpège erleben kann, natürlich nicht in dieser Pracht, aber in genialen Momenten kann das nah dran sein. Stattete man Imbusch mit Gemüsegärten in Versailles, Fischern aus der Bretagne und einem Grundstock an dekadenten Luxuszutaten aus, möchte ich erleben, was passiert. Das kann dann jeder? Mitnichten! So mancher Jungkoch weiß doch vor lauter Nova-Regio-Küche gar nicht mehr, was ein Kaisergranat ist, geschweige denn, wie man den zubereitet. Aber Imbuschs Ausbildung ist klassisch, und er selbst ist ein Genussmensch. So einer lässt sich weder von Trends aus dem Takt bringen noch von Dogmen einengen.
„Schlichte Küche“ nennt er sein Konzept, und ich begrüße weniger als ein solches Motto, das mittlerweile schon zu einer erkennbaren Handschrift geworden ist. Es geht in den Menüs der Madame X (€ 77) fast immer um das Zusammenspiel von nur zwei oder drei Zutaten. Das alles findet so gut wie immer in tiefen Tellern statt, Messer und Gabel gibt es nur wo wirklich nötig (und selbst dann manchmal nur auf Nachfrage).
Das letzte Menü, das ich im Madame X genoss (und ich muss mich mit diesem Bericht beeilen, damit dieser zeitliche Bezug noch korrekt ist), war exemplarisch für das Niveau dort, welches derzeit auf seinem höchsten Stand seit der Eröffnung vor drei Jahren ist.
Der Abend beginnt mit Auster, Kirsche und Zwiebel. Die lauwarme Gaumenfreude vereint das jodige Meerestier mit einer leichten Fruchtsüße der Kirsche (wunderbar!) und einer süffig-herzhaften Welt von Zwiebel, Brotkrumen und einem „Brotsud“ mit Sojasauce. Harmonisch, wohlschmeckend und clever komponiert. Die Auster könnte ruhig noch etwas größer sein und direkt vom Kutter kommen – aber wir sind hier nicht am Atlantik, sondern in Bahrenfeld. Ein toller Auftakt! (8/10)
Gang zwei hört auf Molke, Gurke und Blumen, und das erste, das ich wahrnehme, ist ein glasklarer, intensiver Gurkenduft. Am Gaumen schmeckt man die pulsierende Frische des Gemüses, das Molke-Eis sorgt dabei für eine angenehme Kühle und einen Schmelz, an dem die sommerlichen Aromen noch länger haften bleiben. Die fragilen Aromen der Blüten leuchten dazwischen auf wie funkelnde Sterne. Was könnte besser zu diesem noch einmal aufgeblühten Spätsommer passen? (8/10)
Avocado, Kaffee und Tomate folgt als nächstes. Diese Kombination ist nicht nur geografisch schlüssig, sondern auch am Gaumen. Das Kaffeepulver, mit dem die reife Hass-Avocado von außen bestäubt ist, bietet einen leicht bitteren Kontrast zur cremigen Frucht. Und bevor der Kaffee auch nur Ansatzweise als „bitter“ oder „pulvrig“ wahrgenommen werden kann, unterstützt ein süffiger, kühler Tomatensud mit viel Umami-Geschmack die scheinbar waghalsige Kombination. Ein einzelnes Perilla-Blatt (Shiso) sorgt mit seinem etwas an Minze erinnernden Aroma für einen überraschenden, zunächst verwirrenden, dann versöhnlichen Akzent, der nicht exzellenter passen könnte. (7/10)
Bete, Ampfer und Haselnuss ist ein weiterer außergewöhnlicher Gang. Die piemonteser Nuss ist wachsweich und intensiv aromatisch; Ampfer (als Sud) und ofengegarte Beten mit knuspriger, essbarer Schale ergeben ein anspruchsvolles Gericht um die Themen Bitterkeit, Schmelz und Nuss. Mich erinnert das Gericht teilweise an den Geruch in einer Apotheke, wenn sich medizinische Bitterkeit mit den Aromen von Hustenbonbons vermischt – und es ist mir ziemlich egal, ob das jemand versteht. Die Beten hätten zwar noch etwas aromatischer sein können, aber alles in allem ist das äußerst gelungen. (7/10)
Ein mit fermentiertem Spitzkohl gefüllter Zylinder aus – ebenfalls – Spitzkohl und einem Sud von, genau, Spitzkohl sorgt für ein vieldimensionales kulinarisches Erlebnis. Da sind zum einen die ganz unterschiedlichen Zubereitungen des Kohls: der Zylinder naturbelassen und bissfest, der stark eingekochte Sud cremig und auf natürliche Art leicht pikant (es finden keine scharfen Gewürze Verwendung), und das fermentierte Innere könnte glatt als Kalbfleischfüllung durchgehen. Es ist eine vegetarische Kohlroulade, die nicht etwa versucht zu zeigen, dass es „auch ohne Fleisch geht“, sondern einfach nur mit der Vielseitigkeit und Authentizität eines scheinbar einfachen Produkts überzeugen möchte. Es gelingt voll und ganz. Das Gericht schmeckt nach Herbst, Brot (durch den Chip) und … Spitzkohl. (7/10)
Inzwischen schon ein Klassiker ist die Eismeerforelle mit Rotkohljus und gebrannter Sahne. Der Fisch, saftig-zart und von allerbester Qualität, wird umrahmt von der natürlichen Süße des Rotkohljus. Die Sahne, in der Pfanne „gebraten“, reduziert und dann zu einer Creme gekühlt, bringt zusätzliche Spannung auf den Teller, der schlichter kaum sein könnte, aber vor allem durch die schiere Qualität des Fischs begeistert. Mir ist die natürliche Süße des Kohls etwas zu aufdringlich, aber das ist eine persönliche Präferenz und kein Fehler der Komposition. Was mir am besten gefällt: viele andere Köche hierzulande hätten den Fisch mit Pünktchen verschiedener Gels umzingelt und die Sahne wie einen Pinselstrich auf den Teller aufgetragen. Der Verzicht auf solche Sperenzchen ist eine Wohltat. (7/10)
Hülsenfrüchte und Pilze folgen dann. Das leuchtende Grün der Erbsen und der nach Wald duftende Sud sorgen bereits vor dem Probieren für Freude und Genuss. Am Gaumen erlebt man ein süffiges, frisches und elegantes Zusammenspiel von Trompetenpilzen, Palbohnen, knackigen Erbsen und Pfifferlingen in einer verführerischen, mit dekadentem Fond (Huhn?) und viel Butter montierten Sauce. Von irgendwo her kommt auch etwas Säure ins Spiel; das ist alles unglaublich ausgewogen und harmonisch. (8/10)
Als nächstes folgt das für mich hier bereits legendäre Huhn in Form einer entbeinten Keule. Ich habe in vielen Restaurants der Welt Huhn gegessen – Hühnchen, Kapaun, Hahn, geröstet und geschmort, von Lyon bis Sydney, von null bis drei Sternen –, aber nirgendwo so gut wie hier. Es gibt keinen Grund für mich, zu übertreiben, aber jeden Grund, um diese Aussage zu unterstreichen. Das Huhn ist hier regelmäßig von herausragender Qualität. Zartheit und Saftigkeit sind einzigartig, die Haut ist hauchdünn und knusprig. Ich könnte stundenlang nur dem knisternden Geräusch zuhören, den das dazu gereichte, rasierklingenscharfe Opinel-Messer macht, wenn man es leicht gegen die Kruste drückt. Das Fleisch ist heiß und schmeckt ganz authentisch nach Hühnchen; die Haut ist beherzt gesalzen, was die Intensität dieses Genusserlebnisses noch weiter unterstreicht. Hinzu kommt, dass die Keule entbeint und „plattgedrückt“ ist, was für eine saftige Kompaktheit des Fleischs sorgt. Nirgends eine Faser, nirgends etwas Trockenes, das Messer gleitet durch das Stück als wäre es eine reife Birne.
Ich habe mich durch Berichte gewälzt und in Erinnerungen gewühlt, aber das hier ist eines der besten Stück Geflügel, die ich je probiert habe. Zum x-ten Mal.
Was diesen konkreten Teller betrifft, findet man neben dem Stück Huhn eine Handvoll Taubnessel, ein interessantes, minzig-frisches Kraut, in einem Sud aus Roscoff-Zwiebeln, der mir deutlich zu süß ist, was an dieser (qualitativ exzellenten) Zwiebelsorte liegt. In Summe ist das Gericht aber ein Hochgenuss, bei dem ich alles um mich herum ausblende, aber die insgesamt schlichte Komposition ist noch lange nicht das Ende des kulinarisch und handwerklich Möglichen. Ich freue mich schon jetzt auf jede weitere Variation und Ausarbeitung. (7,5/10)
Ein neuer Patissier sorgt mit einem Eis von brauner Butter und Blaubeeren (7/10) sowie mit einem extravaganten Macarontörtchen mit Brombeere, Schokolade und Veilchen (perfekte Textur, Süße und Frucht, 9/10!) für einen gelungen, ganz und gar französischen Abschluss.
Das Niveau des heutigen Abends findet man nicht immer hier vor. Und Imbuschs „schlichte Küche“ ist häufig auch genau das: schlicht. Doch alles an diesem Ansatz ist richtig. Es geht ums Wesentliche. Um gute, authentische Produkte, essenzielles Handwerk und Wohlgeschmack.
Verblüfft hat mich die Tatsache, dass außer dem Tisch, an dem ich sitze, kein einziger weiterer Gast heute hier war. Niemand! Ist das zu fassen? Es sitzen zwar einige wenige Gäste draußen auf der Terrasse, und es gibt auch genügend Abende, bei denen man sein eigenes Wort hier nicht versteht, aber dass überhaupt eine derartige Buchungssituation hier vorkommt, demonstriert den Durchschnitt des in dieser Stadt herrschenden kulinarischen Sachverstands.
Thomas Imbusch braucht dringend ein eigenes Restaurant ohne den Ballast der Off-Club-Küche. Ein kleines Restaurant für Menschen, die so viel Freude an seinem Essen haben können wie ich. Aber bis das vielleicht mal soweit ist, werde ich die Madame X noch häufig zum Tanz auffordern, so viel steht fest.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Madame X im Off Club (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Thomas Imbusch |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 16.09.2016 |
Guide Michelin (D 2016): | Empfehlung |
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