Horváth – Glückstreffer
Küchenchef Sebastian Frank habe ich zum ersten Mal in der Kölner Pizzeria 485 Grad kennen gelernt. Dort stand er allerdings nicht am Ofen, sondern saß mit Tim Raue und mir an einem Tisch, zu süffiger Pizza und altem Bollinger R. D. Eigentlich war ich auf dem Weg von Bergisch Gladbach ins Waldhotel Sonnora, traf im Schloss Bensberg jedoch zufällig auf die beiden, und so kam eines zum anderen.
So richtig auf dem Zettel hatte ich in diesem Moment gar nicht, wer Sebastian Frank ist, aber meine Unkenntnis passt zu dem Understatement, das von dem Restaurant Horváth ausgeht. Als letztes Jahr der zweite Stern vom Guide Michelin kam, hatte das in der Branche niemand so recht vermutet. Man hat sich hier vergleichsweise ruhig in die Berliner Spitzenliga hochgekocht.
Diese Bescheidenheit reizte mich, und heute stehe ich zum ersten Mal vor dem Horváth am Paul-Lincke-Ufer. Schlichtheit ist auch innen Konzept. Wer draußen die Speisekarte übersieht, könnte sich bei dem von viel Holz dominierten Ambiente auch in einem gutbürgerlichen Studentenlokal wähnen. Nur kurz allerdings, denn akkurat gefaltete Servietten, Gabriel-Weingläser und ein ausgefallenes Zwitterbesteck, das Löffel und Gabel zugleich ist, machen deutlich, dass man hier kein Schweineschnitzel bestellen kann.
Stattdessen gibt es Menüs zwischen fünf und neun Gängen (€ 89–€ 129). Beschreibungen wie „Zwiebel / Paradeiser / Brot“ lassen dabei auf eine kreative Küche schließen – und auf die Tatsache, dass die Heimat des Küchenchefs Österreich ist.
Als erstes Amuse-Bouche gibt es drei Monate in Salzteig gereiften Sellerie mit Rindersuppenfett (salzig, umami, etwas zäh — 6/10), dazu wird, wie das Tischkärtchen verrät, „neutrales Quellwasser vom Hochschwab aus der Steiermark“ serviert, wobei ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Ich hoffe nur, dass das von Leitungswasser nicht zu unterscheidende Elixier den Menüpreis nicht nach oben getrieben hat. Aber, ja, nach dem intensiven Salzgeschmack tut ein Schluck Wasser ganz gut.
Zu verschiedenem Gebäck, darunter eine Art salziger, recht fettiger Krapfen, der verführerisch gut ist, gibt es Butter und Kartoffelstampf.
Als letzte Einstimmung folgen Radieschen mit, unter anderem, Apfelkernmarmelade und Kürbiskernöl-Creme, eine deutlich der Süße zugeneigten Kreation, die dabei angenehm frisch und überraschend blumig schmeckt und an Veilchen erinnert. (7,5/10)
Das bereits eingangs erwähnte Tomatenbrot besteht aus einem „Rückstand von gemixtem Tomatensalat“ und in einem Vanille-Zwiebelsud gedämpften und geräucherten Schwarzbrot. (Die Tischkärtchen enthalten so viele Details [„geröstetes Weizenmehl“, „gesulzter Champignonfond“], dass sie fast schon einem Rezept gleichen. Das ist mir etwas zu viel Bedienungsanleitung, zumal eine Rechtschreibkorrektur der ganzen Prosa guttun würde.) Der Gang selbst ist durch eine feine Säure geschmacklich ansprechend, irritiert am Gaumen aber durch eine sehr homogene, weiche Textur, bei der selbst das Schwarzbrot verschwindet. Das wirkt etwas massig, durchgekühlt und vorbereitet. (6,5/10)
Als nächstes gibt es geschmorten Bauch vom Ferkel, der sich in kleinen Würfeln unter einer Schicht Strudelteig versteckt. Ein kalter Johannisbeerschaum sorgt für rosa Akzente – und merkwürdigerweise auch für eher irritierende geschmackliche Parallelen zu der Blendi-Zahnpasta der frühen 80er-Jahre. Es ist zwar interessant, welche Aromen man noch nach Jahrzehnten irgendwo in seinen Hirnwindungen findet, aber besonders passend ist das nicht, besonders der Süße wegen. Die Zubereitung mit Fleisch, geschmortem Apfel und Kümmel ist jedoch sehr gut. (6,9/10)
Hervorragend ist dann ein Stück gebackene gelbe Bete, zu der eine Knoblauch-Gurkenwasser-Emulsion mit Mohn serviert wird. Die Bete hat einen intensiven, unverfälschten Geschmack, und die Creme (unter dem Mohn versteckt) passt mit ihrem frischen, würzigen Aroma exzellent dazu. Nur das eiskalte Stück „gefrorener Dillblütenauszug“ stört den Genuss durch den sehr harschen Temperaturkontrast. Dennoch eine intelligente Produktküche auf sehr hohem Niveau. (7,9/10)
GeflämmteForelle kommt mit „geliertem Apfelblütensekt“ und einem „Schaum von Kalbsnierenfett“, und was diese extravaganten Zutaten wirklich zum Geschmackserlebnis beitragen, außer Säure und Fett, kann ich bei aller Offenheit nicht ausmachen. Der Fisch ist von sehr guter Qualität und makellos gegart, aber etwas unterportioniert. In Ordnung, aber nichts zum Begeistern. (6,9/10)
Es geht weiter mit „Reisfleisch“, Paprika und Endivie. Auf gedämpftem Reis mit „Gulasch-Essig“ findet man im Nigiri-Stil Scheiben von Pfirsich mit Senfgurkenmarinade. Das klingt forciert, schmeckt aber ganz hervorragend, insbesondere mit einer geschmacksintensiven Paprika-Reduktion und einer ebenso intensiven „Emulsion von Hühner-Bratenrückstand“. Ein Stücke Endivie steuert Frische hinzu. Ganz klar das beste Gericht des Menüs bisher. (8/10)
Leider geht es nicht so weiter: der mit „Fichte / Kümmel / Schwarzbrot“ betitelte Gang bietet zwar eine sehr gelungene Aromenkombination, aber das zu einer Art Koralle verarbeitete Schwarzbrot ist so hart wie ein ungelutschter Bonbon, und der ebenfalls harte, weil gefrorene, Schafsrahmjoghurt, der sich darunter versteckt, ist auch keine Wonne. Soeben 6/10 wegen der spannenden Kombination von Fichte und Kümmel.
Hirschkalb wird beim folgenden Gericht mit Birne und Preiselbeere kombiniert, dabei ist das Fleisch recht zäh. Dafür sollte kein junger Hirsch sterben müssen. So etwas stimmt mich missmutig. Darüber hinaus ist das durch die Fruchtkomponenten süße Geschmacksbild ohnehin unbefriedigend, vor allem im Rahmen eines Hauptgangs mit Fleisch. Betrüblich. (5/10)
Germknödel mit Heidelbeere, Sauerklee und Sauerrahm ist einer der seltenen exzellenten Ausreißer des Menüs. Zu diesem ersten Dessert passt dann endlich auch die vordergründige Süße; knuspriger „Blaubeerröster“, Sahnerahm und Akazienblüten ergeben zusammen ein sehr harmonisches Dessert. (8/10)
Rahmeis mit Zitrusfrüchten und Trompetenpilzen ist klebrig und unstimmig (5/10), und eine Praline mit Schweineblut und Nussbutter (Pardon für das verwackelte Foto) – ein Klassiker des Hauses – ist mit einer von leichter Herzhaftigkeit umzingelten Süße eine kleine Sensation, die den Abend wohlschmeckend ausklingen lässt (8,5/10). Was für ein Auf und Ab.
Für meinen Geschmack ging dieses Menü zu sehr „in die Breite“. Unzählige Komponenten und Zubereitungsarten buhlten um Aufmerksamkeit auf Karteikarten und Tellern. Nicht ein einziges Produkt blieb mir in Erinnerung, und das ist eigentlich der größte Makel. Die wenigen sehr guten Gerichte fühlten sich an wie Glückstreffer. Erschwerend kamen unstimmige Geschmacksbilder hinzu. Diese Punkte sind zweifellos der Küche zuzuschreiben, während die ambitionierte Bewertung des Guide Michelin an anderer Stelle Fragen aufwirft.
Ein Taxi in die Cordobar soll helfen, über das Erlebte zu sinnieren, aber da ist um kurz nach elf (an einem Samstag in Berlin!) auch schon Schicht im Schacht. Willi Schlögl ist nicht im Haus, und Lukas Mraz geht gerade nach Hause. Es sei ihm gegönnt, aber seine Blutwurstpizza wäre jetzt die ideale Fortsetzung zu der Schweineblutpraline gewesen. Bloody Berlin!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Horváth (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Sebastian Frank |
Ort: | Berlin, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 17.09.2016 |
Guide Michelin (D 2016): | ** |
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