Maaemo – heilige Mutter Natur
Das Osloer Restaurant Maaemo ist, neben dem Geranium in Kopenhagen, das einzige weitere Restaurant Skandinaviens, das der Guide Michelin kürzlich aufs Drei-Sterne-Podest hievte. Grund genug für mich, Norwegische Hauptstadtluft zu schnuppern.
Das Maaemo befindet sich in einem verglasten Bürogebäude mit Blick auf die futuristische Architektur des Stadtteils Bjørvika. Küchenchef und Mitinhaber Esben Holmboe Bang serviert hier an fünf Tagen die Woche zusammen mit seinem internationalen Küchenteam ein über 20-gängiges Menü für wenige Gäste, die sich auf acht Tische und, ein Stockwerk höher, einen chef’s table verteilen. Das kulinarische Konzept ist strikt regional und soll die schroffe, reine Landschaft Norwegens widerspiegeln. „Maaemo“ bedeutet „Mutter Erde“.
Dass strikte Regionalität auch in diesen Breiten nicht zwingend mit einem Verzicht auf Genuss einhergehen muss, hat gestern das Geranium eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das ist meine Messlatte für den heutigen Abend.
Zu Beginn des einzig verfügbaren Menüs (ca. € 240) gibt es Pfifferling-Kekse (7/10), gefolgt von einem knusprigen, hauchdünnen Hörnchen aus gerösteter Hefe, gefüllt mit Rogen von Zwergmaräne: kräftig, salzig, stark, hervorragend (9/10).
Es geht weiter mit einer Meringue mit Apfelessig und verschiedenen jungen Sprossen, Grünkohl, Frühlingszwiebeln und einer Vinaigrette-ähnlichen, salatfrischen und knusprigen Geschmackswelt. Ganz hervorragend. (9/10)
Eine Tartelette mit Fleisch von der Königskrabbe mit Holunderbeeren-Met ist auf verlgeichbarem Niveau. Lauwarm, knusprig und mit feinem Meerestieraroma ist der Snack ein Hochgenuss.(9/10)
Fermentierte Forelle folgt als nächstes. Diese findet man als Tartar unter hauchdünnem, gegrilltem Lauch; weitere Komponenten sind Frühlingszwiebel, Meerrettich, Dill, Spargel und ein durch das Fett der Forelle gehaltvoller, sehr aromatischer Muschel-Sud, der alle Komponenten geschmacklich zusammenfügt. Alles schmeckt nach Meer und nach Sommer, ganz wundervoll! (10/10)
Das arktische Meer bleibt Thema des Menüs. Der kulinarische Erfahrungsschatz wird dadurch weiter angereichert, wie hier mit Islandmuschel. Die handgetauchten Exemplare, die hier serviert werden, sind bis zu dreihundert Jahre alt. Ihr spätes Lebensende findet mein Exemplar dann als Tartar, zusammen mit lokalem (!) Shiitake-Pilz und knuspriger Hühnerhaut, aufgegossen mit einer Dashi-Brühe, die Salz, Jod und Hitze mitbringt. Geschmacklich ist das etwas eindimensional, aber besonders durch die Hitze und die verschiedenen Texturen ist das Ableben der Muschel durchaus eines in Würde. (8/10)
Weiter geht es mit einem Häppchen mit Auster und Dill in einer geschmacksexplosiven Kombination. Einerseits sorgen eine Austernmousse und ein Austerngel für einen intensiven Meeresgeschmack, andererseits bringt eine Sauce aus Auster und Dill Wärme, Kräuter und eine Herzhaftigkeit mit, die aus dem scheinbaren Amuse-Bouche ein wahrhaftiges Gericht macht. Kräftig, verliebt gesalzen und hervorragend. (9/10)
Eine prachtvolle Jakobsmuschel aus Trondheim wird für den nächsten Gang zunächst lebendig am Tisch präsentiert, geöffnet und dann in zwei Gängen serviert (wenngleich ich aufgrund der Menge vermute, dass es zwei Muscheln sind).
Beim ersten Gang findet man das Muskelfleisch roh aufgeschnitten in einem Jus von geräucherter Sahne, Heidekraut und weißer Johannisbeere, darauf getrockneter Rogen. Die Kombination von recht intensiver Süße, woher auch immer diese stammt, und Raucharomen ist nicht ganz meine, dennoch steht die Qualität der Muschel über allem. (8/10)
Gang zwei präsentiert das Fleisch leicht gegrillt, in einer Kombination mit Apfel, Sellerie und Sauerklee. Auch dies ist eine recht süße Kreation, aber das hervorragende Handwerk und die Qualität triumphieren. (9/10)
Das Menü ist bisher exzellent, makellos sogar in Bezug auf Qualitäten und Handwerk, doch dieser objektiven Perfektion steht allmählich ein Verlangen nach mehr Hitze und Herzhaftigkeit gegenüber. Dieses Bedürfnis wird jedoch weiterhin nicht befriedigt. Im Gegenteil, das Menü kippt an dieser Stelle.
Es geht kalt weiter, nun mit einer in Apfelessig eingelegten Makrele mit Ulmenblättern und einer Sauce aus Apfel und Knoblauchöl. Diese Kreation bietet leider wenig mehr als ein sehr saures und bitteres Geschmackserlebnis, welches außer der Erkenntnis, dass die Makrele von sehr guter Qualität ist, wenig Begeisterung zutage fördert. (6/10)
Das als separater Gang servierte warme Kartoffelbrot („Lompe“) bringt erneut eine Süße ins Spiel, die ich an dieser Stelle des Menüs nicht mehr besonders willkommen heiße. Dazu gibt es „Fett von gesalzenem Schaf“, eine schaumige, fettige Masse, die äußerst unappetitlich schmeckt, sowie eine weitere aufgeschlagene Masse mit Zutaten vom Schwein. Zu alldem existiert ein regionaler und historischer Kontext, der vom Kellner breit erläutert wird, den Genuss dadurch jedoch nicht auf eine Stufe mit z. B. duftendem, dampfendem Sauerteigbrot mit gesalzener Butter hebt. Das muss man natürlich nicht machen, aber man könnte ja … (5/10)
Die blumige Optik des nächsten Tellers täuscht leider auch über den Genuss des Gerichts hinweg. Hier wurde grüner Spargel in fermentiertem Buchweizen gekocht und wird u. a. mit verschiedenen Blüten und Blättern serviert, darunter Rose, Brennnessel, Veilchen. Das Gericht sieht wunderschön aus, riecht allerdings nach kalter Zigarettenasche und schmeckt auch so als hätte jemand ein paar Kippen darin ausgedrückt. Völlig absurd und ungenießbar. (5/10)
Die dreizehnte Kreation ist Rømmegrøt, ein Gericht mit ländlicher norwegischer Tradition. Im Wesentlichen ist das eine sämige Zubereitung aus saurer Sahne, Mehl und daraus gewonnener Butter, die entweder süß (z. B. mit Milch und Zucker) oder herzhaft (z. B. mit Schinken) gegessen wird. Die Kombination hier im Maaemo kommt mit geräuchertem Rentierherz und Pflaumenessig an den Tisch. Das ist zwar endlich mal heiß und durchaus herzhaft, aber die große Menge Sahne muss ich auch nicht unbedingt auslöffeln. (7/10)
Nicht erst jetzt stelle ich das Konzept eines Menüs mit derart vielen Gängen in Frage, die in Ihrer Gesamtheit verschiedene Grundbedürfnisse, die man an ein Mahl stellt, nicht erfüllen, vor allem das profane Bedürfnis danach, satt zu werden. Denn auch nach Gang vierzehn würde ich mich jetzt gerne über einen duftenden Brotlaib mit gesalzener Butter hermachen. Das von manch in der gehobenen Gastronomie unerfahrenem Esser oft kolportierte Klischee, man würde in Spitzenrestaurants nicht satt, trifft hier bisher voll zu – eine Feststellung, die mir wegen ihrer eigentlichen Ungültigkeit regelrecht unangenehm ist.
Der nächste Gang verdeutlicht dieses Problem noch etwas eindringlicher. Fenalår, eine norwegische Spezialität aus monatelang gepökeltem Schafsbein – hier serviert in winzigen Würfeln mit in Knochenmark gerösteten Zwiebeln, Sago-ähnlichen Perlen, einem Wachtelei und einer Zitronenthymian-Vinaigrette –, soll eine Zeit thematisieren, in der Fleisch für viele Menschen noch unerschwinglich war. In einem Restaurant, in dem man mehre hundert Euro fürs Essen bezahlt, ist dieser Wink allerdings etwas befremdlich. Selten hätte ich lieber in ein Stück gutes Fleisch gebissen als jetzt, vor allem, wenn man mich schon mit ein paar Würfelchen davon aus der Reserve lockt. Ich thematisiere das ein wenig später in einem Dialog mit dem sehr netten Kellner, der erstaunlich viel Verständnis dafür zeigt. (Dass nur eine Woche später an dieser Stelle des Menüs ein Gang mit einigen Tranchen hervorragenden gereiften Rindfleischs serviert wird, wie ich über Bekannte erfahren habe, kann ich daher auch unmöglich für einen Zufall halten.)
Kulinarisch überzeugt dieser Gang dann – trotz erneut hervorragenden Handwerks – auch für sich allein betrachtet nicht, da er durch die Zwiebel überwiegend süß schmeckt. (7/10)
Der Käsegang besteht dann aus schockgefrorenem, fein gehobeltem Blauschimmelkäse und ebenso pulverisierten Trompetenpilzen. Die Grundprodukte sind sehr gut und halten auch geschmacklich den weitgehend überflüssigen Modifikationen stand, denen sie ausgesetzt wurden. (7/10)
Rhabarber mit Kirschblüte, Kombucha-Gel und geräucherter Milch ist der erste Gang, der offensichtlich die Desserts einleiten soll. Die fruchtige Frische ist angenehm, aber Desserts dürften dann ruhig etwas süßer sein. Dennoch hervorragend. (8/10)
Ein Nussbutter-Eis mit Haselnusssplittern und Toffee-Sirup ist cremig, süß und exzellent zubereitet (8/10), eine kugelförmige Waffel mit flüssigem Kern schmeckt recht ähnlich (7/10).
Zu dem vermutlich besten gebrühten Kaffee, den ich jemals getrunken habe (frutchig, ölig, mild und doch kräftig, aus Kenia stammend), gibt es zwei der fürchterlichsten Petits Fours, die ich jemals probiert habe: einen „braunen Käsekuchen“ (trocken und säuerlich-käsig(5/10) und einen kalten, bitteren Riegel mit Erdbeerpulver und Buchweizen-„Schokolade“ (5/10), die keine Schokolade ist, weil zwar bei Getränken mit dem Regionalitätsdogma gebrochen werden darf, bei den Zutaten für die Speisen aber nicht.
Damit endet ein langes Essen mit vielen außergewöhnlichen Produkten und kreativen Kompositionen, die auch qualitativ und handwerklich auf höchstem Niveau waren. Aber einige grundsätzliche Erwartungen, die ich an ein abgeschlossenes und damit befriedigendes Essen stelle, konnte das Menü nicht erfüllen, was mich an meine früheren Erfahrungen im noma erinnert. Besonders an den häufig gegen die gewohnte Dramaturgie verschobenen Geschmacksbildern (süß, wo man Herzhaftes erwartet; säuerlich, wenn es süß sein sollte usw.) hatte ich keine große Freude. Das ist durchaus eher eine persönliche Präferenz als eine grundlegende Kritik am Restaurant.
Als ich zurück im Hotel bin, reiße ich als erstes eine Chipstüte auf. Der kulinarische Wert dieses Industrieprodukts ist zwar indiskutabel, aber immerhin enthalten die salzigen Kartoffelscheiben genau die Menge an Kohlehydraten, Natriumchlorid und L-Glutaminsäure, die mir im Maaemo gefehlt hat.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Maaemo (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Esben Holmboe Bang |
Ort: | Oslo, Norwegen |
Datum dieses Besuchs: | 18.06.2016 |
Guide Michelin (Nordic Countries 2016): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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