Jacobs Restaurant – lieber gelassen
Das Haus an der Elbchaussee, dem ich einen großen Teil meiner kulinarischen Passion verdanke, hatte neulich – mit vergleichsweise wenig Tamtam – eine Richtungsänderung angekündigt. Fortan atme das Jacobs Restaurant eine „zeitgemäße hanseatische Gelassenheit“. Von innenarchitektonischen Änderungen war da zu lesen, genauso wie von einer Vereinfachung der Speisekarte. Weitere Schlagwörter der Ankündigung: frisch, unverkrampft, spontan, natürlich … und immer wieder das Wort „gelassen“.
Wie gelassen man in dem gediegenen Traditionshaus wohl künftig sein möchte, habe ich mich gefragt. Vielleicht so: Ein Paar, er Reeder, sie gerade Urgroßmutter, öffnet die Tür (das muss man jetzt selbst machen) zu ihrem seit Jahrzehnten geliebten Restaurant, werden Zeugen von einer Gelassenheit, die ihnen nicht mal in den frivolsten Träumen begegnet – Lounge-Musik, Kellnerinnen in zerrissenen Jeans, ein Interieur in Schwarz und Rot irgendwo zwischen Tantris und Atelier de Joël Robuchon mit Gästen im Alter ihrer Enkel, die mit ihren fetttriefenden Fingern die Reste der Saucen mit Brot aus ihren Tellern wischen –, schließen schnell wieder die Tür und starren sich entsetzt und ratlos an, während Hoteldirektor Jost Deitmar, in T-Shirt und Turnschuhen, dem Senior im selben Moment auf die Schulter klopft und ruft: Moin, Heinrich, wie läuft’s? Ganz so gelassen wird es wohl nicht zugehen. Das würde dem eleganten Haus auch nicht stehen. Aber ein frischer Anstrich schadet hier dennoch nicht. Meine Neugier ist ob der angekündigten Neuerungen groß, daher habe ich schon für zwei Tage nach der Wiedereröffnung einen Tisch reserviert.
Die Tür zum Restaurant muss ich nicht alleine öffnen. Sie steht einladend offen wie eh und je.
Nach einem Aperitif auf der unverändert schönen Terrasse (und etwas zu teiglastigen Knabbersnacks, alle 6/10) ist es mir an diesem Abend im Mai aber noch zu kühl, um hier zu verweilen. Außerdem bin ich gespannt auf die Veränderungen im Speisesaal.
Die auffälligste davon ist die Gestaltung kleiner Sofa-Nischen mit hohen Lehnen, die, ganz gelassen, um rechteckige Tische ohne Tischdecke aufgebaut sind. Das schafft eine angenehme, etwas privatere und gleichermaßen aufgelockerte Atmosphäre. Für die Klientel, die so etwas nur aus ihrem Augenwinkel betrachten möchte, gibt es nach wie vor die „besten Plätze“ am Fenster – mit Tischdecke. In Summe eine sehr gelungene Umgestaltung, die den traditionsreichen Speisesaal in keiner Weise entfremdet, sondern ihm ein willkommenes Maß an Entspannung spendiert.
Auch die neue Speisekarte gefällt mir außerordentlich gut. Sie atmet – und das ist das Wichtigste – von A bis Z Thomas Martins unverkennbare französische Produktküche, mit dem feinen Unterschied, dass der Fokus nun auf dem A-la-carte-Teil liegt. So findet man auf einer Seite kleinere Speisen für Vorweg („Vorspeisen, Suppen und Zwischengerichte“, im Schnitt ca. € 24) und auf der anderen die Hauptgerichte, bei denen man auch schon mal 98 Euro für ein Gericht mit Steinbutt bezahlen kann. Richtig so. Es wird Zeit, dass man sich in Qualitätshäusern wie dem Jacobs noch deutlicher von der viel zu teuren Mittelmaßgastronomie abhebt.
Unterm Strich ist die Karte ideal für eine Zusammenstellung nach Lust, Laune, Appetit und Budget. Und für die, die an einem besten Tisch am Fenster sitzen, gibt es immer noch ein klassisches Menü.
Meine Wahl fällt zunächst auf eine gebeizte Eismeerforelle mit einer Dijonsenf-Honig-Creme und einer Art Gurke-Dill-Relish (€ 26). Die Qualität des Fischs begeistert (so gut das lachsartige Fische können) mit ihrem fetten Schmelz; die kräftigen, kontrastierenden Dips dazu sind gut ausbalanciert und charmant unkompliziert. (8/10)
Ich probiere danach einen vielversprechend klingenden gefüllten violetten Artischockenboden im Gemüsesud à la Barigoule mit Parmesan, Fenchel und roten Zwiebeln (€ 19). Vielversprechend deshalb, weil ich das Potenzial von solch mediterran-provenzalischen Gemüsegerichte von Alain Ducasse kenne und damit Großes assoziiere. Aber die Größe hält sich hier eher im Hintergrund, was gerade nicht an einem exzellenten, tomatigen Gemüsesud liegt, sondern an einer etwas zu cremigen Füllung, die – auch in Verbindung mit den Brotchips – dem scheinbar leichten Gericht eine Schwere verleiht, die es nicht verdient. Sicherlich korrigierbar. (6-7/10)
Wer auf der Karte Bärlauchgnocchi liest, sollte sich nicht abschrecken lassen. Statt mehliger Kartoffelklößchen mit einer Spur Bärlauchpesto, gibt es hier ein herrlich süffiges Arrangement mit Erbsen, violettem Lauch, kleinen Pfifferlingen, was alles von einer süffigen, schaumigen Beurre Blanc getragen wird, von der ich das à part servierte Kännchen komplett leere. Der Titel des Gerichts ist somit etwas irreführend, denn die Gnocchi selbst sind keine allzu relevante Komponente in dem ohnehin schon stimmigen Ensemble. Gut, dass ich mich nicht habe abwimmeln lassen. Das mit 18 Euro günstigste Gericht der Speisekarte muss sich wahrlich nicht verstecken. (8/10)
Sehr schön präsentiert ist dann ein Gericht mit Adlerfisch (€ 36): der Teller mit türkisfarbenem Rand und goldenen Verzierungen bringt einen Jus aus Pimientos, Tomate und Frühlingskräutern besonders gut zur Geltung. Darauf findet man ein cremiges Kartoffel-Safran-Püree sowie das Stück Adlerfisch, das mit hauchdünnen, knusprig-heißen Kartoffelscheiben bedeckt ist. Der feuerrote Jus ist hervorragend: Pimientos und Tomate sorgen für kräftige Aromen – eine perfekte Begleitung zu dem Fisch, der exzellent gegart und von hervorragender Qualität ist. Diese schlichte Stilistik mit starken Kontrasten und mediterranen Aromen erinnert mich sehr an die Gerichte in den Ateliers von Joël Robuchon, was die Vorstellung des imaginären Reeder-Paares an dieser Stelle charmant wiederbelebt. Ein gleichermaßen schlichtes wie starkes Gericht mit dem alleinigen Fokus auf Wohlgeschmack und Genuss. (8/10)
Zum Teilen – ganz gelassen – steht dann wenig später die „Jacobs Fischsuppe“ auf dem Tisch (€ 58 p. P.). Eine zuerst auf dem Tisch platzierte Kupferkasserolle dient später dem Warmhalten des Elixiers, anders kann man diese Suppe nicht beschreiben. Von der ersten Kelle an strömen pikante Aromen von eingekochten Krustentierkarkassen, noch mehr eingekochten Krustentierkarkassen und nelkigem Safran in meine Nase, die ich so bisher ausschließlich an Frankreichs Küsten erlebt habe – wenn überhaupt. Angegossen wird der flüssige Fischnektar an lauter edles Meeresgetier: Steinbutt, Wolfsbarsch, Carabiniero und Bouchotmuscheln. Ein Wunder, dass diese beim Kochen der Suppe übrigbleiben konnten. Die Versuchung war vermutlich groß. Ganz authentisch gibt es dazu geröstetes, mit Olivenöl durchtränktes Brot und eine wunderbar sämige, pikante Rouille zum Stippen. Es fühlt sich großartig an, das beste Gericht, das mir in dieser Stadt je aufgetischt wurde, ganz gelassen zu genießen: mit dem Löffel, mit den Fingern und mit geschlossenen Augen. (10/10)
Ich muss hier abbrechen; dies muss der letzte Eindruck bleiben. Der letzte Eindruck dieses Restaurants, das ich so gut kenne – und nun wieder neu kennen lernen kann. Der schmale Grat zwischen einer möglichen Vergrämung eines speziellen Stammpublikums durch Veränderungen und der Notwendigkeit, ein neues, jüngeres Publikum zu erschließen, das Flexibilität und Gelassenheit durch internationale Erfahrung gewohnt ist, wird mit den behutsamen Neuerungen hervorragend gemeistert.
Das nächste Mal komme ich einfach nur für die Fischsuppe her. Mit vielen Freunden, und wir werden laut lachen und Spaß haben zwischen all den besten Tischen am Fenster und der menüessenden Stammklientel. Wir werden uns selber von der Suppe nachnehmen, guten Wein schlürfen und uns die fettigen Finger an den teuren Servietten abwischen. Wir, Genussmenschen, werden uns diesen Laden bald ganz erobern, ganz gelassen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Jacobs Restaurant (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Thomas Martin |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 06.05.2016 |
Guide Michelin (D 2016): | ** |
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